Zuflucht im Teehaus (eBook)
300 Seiten
Piper ebooks (Verlag)
978-3-492-98340-2 (ISBN)
Sujata Massey, geboren 1964 als Tochter einer Deutschen und eines Inders in Sussex, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in den USA und lebte dann mehrere Jahre in Hayama, Japan. Ihr Krimi-Debüt »Die Tote im Badehaus« wurde mit dem renommierten Agatha-Award ausgezeichnet. Dem folgten weitere Romane mit Rei Shimura: »Zuflucht im Teehaus«, »Bittere Mandelblüten«, »Tödliche Manga«, »Der Brautkimono«, »Die Tochter des Samurai«, »Japanische Perlen«, »Der japanische Liebhaber« und »Der Tote im Sumida«. Zuletzt erschien »Brennender Hibiskus«, ihr zehnter Rei Shimura-Krimi. Sujata Massey lebt in Baltimore und kehrt so oft wie möglich nach Japan zurück.
1
Ich hatte von Anfang an den Verdacht, daß mich Nana Mihoris tansu-Kommode zu viel kosten würde.
Der japanische Antiquitätenmarkt ist brutal. Es gibt kaum noch gute Sachen; selbst wenn man genug Geld hat, stehen die Chancen, ein tolles Stück zu finden, schlecht. Schon als ich den Auftrag annahm, hatte ich das Gefühl, daß es Ärger geben würde. Allerdings erwartete ich nicht, daß eine Kommode mich fast um alles bringen würde, was ich besaß.
Das erste, was ich verlor, war ein Urlaub. Hugh Glendinning, der Mann, bei dem ich am Valentinstag eingezogen war, hatte aufgehört, auf mich einzureden und mit den Tickets vor meiner Nase herumzufuchteln, und war einfach allein nach Thailand geflogen. Mir war nichts anderes geblieben als die Arbeit: hauptsächlich die Jagd nach einer antiken Holzkommode, die, davon war ich allmählich überzeugt, offenbar nur in der Einbildung meiner Kundin existierte. In den vergangenen zwei Wochen war ich von Tokio aus in nördliche Richtung nach Nigata und dann westlich nach Kyoto gefahren. Unterwegs war ich in eine Überschwemmung und einen Moskitoschwarm geraten, der sich an mir gütlich getan hatte. Mittlerweile war die Regenzeit vorbei, und die Juli-Hitze hatte begonnen, ohne daß ich die tansu-Kommode gefunden hätte.
Ich machte mir Gedanken über meine fehlgeschlagenen Versuche, während ich im dichten Stau auf dem Tomei Expressway stand. Es verstärkte meinen Ärger noch, daß die Leute in den Autos um mich herum alle auf dem Weg in die Ferien zu sein schienen. Die Väter saßen am Steuer, während die Mütter ihre mit aufgeblasenen Schwimmflügeln ausgestatteten Kinder mit irgend etwas fütterten. Ich spielte gerade mit dem Gedanken, mir ein Paar Schwimmflügel zu schnappen und mich nach Phuket treiben zu lassen, als mein Handy klingelte.
»Rei Shimura Antiquitäten«, meldete ich mich und versuchte dabei, das Handy nicht fallen zu lassen. Erst kürzlich hatte ich irgendwo gelesen, daß die Verwendung von Mobiltelefonen im Auto genauso gefährlich war wie Trunkenheit am Steuer. Bei meinen Koordinationsschwierigkeiten konnte ich das gut nachvollziehen.
»Rei-san, wo befinden Sie sich gerade?« hörte ich Nana Mihoris geduldige Stimme aus dem Apparat. In den vergangenen beiden Wochen hatten wir uns tagtäglich unterhalten, auch am Vortag. Da hatte ich sie aus der Gegend von Nana angerufen und ihr erklärt, ich werde wieder nach Hause fahren. Ich hatte eine ganze Menge Kommoden gesehen, die fast ihren Anforderungen entsprachen, aber sie wollte eine spezielle tansu, die sie in einem Buch entdeckt hatte. Alle meine Kunden wollten etwas, das sie in einem Buch entdeckt hatten.
»Soweit ich das beurteilen kann, befinde ich mich ganz in der Nähe der Izu-Halbinsel.« Ich versuchte zu entziffern, was auf einem Straßenschild weit, weit vor mir stand, und bedauerte es wieder einmal, daß ich noch längst nicht die etwa 1 500 bis 2 000 kanji oder piktographischen Zeichen lesen konnte, die man brauchte, um als des Lesens mächtiger Erwachsener zu gelten. Ich war als Kind einer amerikanischen Mutter und eines japanischen Vaters in San Francisco aufgewachsen. Das Sprechen fiel mir leicht, und mehr brauchte ich für meinen Job als selbständige Antiquitäteneinkäuferin normalerweise auch nicht.
»Es trifft sich gut, daß Sie sich noch außerhalb von Tokio befinden. Ich habe gerade von einem sehr netten Geschäft in Hita erfahren, das mit hochwertigen Antiquitäten aus dem ganzen Land handelt. Meine Freundin Mrs. Kita hat dort erst letzte Woche eine hübsche Kleiderkommode gefunden.«
»Ist Hita nicht in der Nähe von Hakone?« Die Gegend mit den heißen Quellen, von der sie sprach, lag weit abseits von meinem Weg.
»Rei-san, Sie haben so hart für mich gearbeitet – da möchte ich wirklich gern, daß Sie Ihre Provision erhalten. Aber nach den ganzen Mühen und Fahrten ist es wahrscheinlich eine Zumutung, wenn ich Sie bitte, dort vorbeizuschauen …«
»Aber nein. Wo ist der Laden?« Ich klemmte das Handy zwischen Kopf und Schulter und suchte nach einem Stift. Offen gestanden, brauchte ich das Geld unbedingt. Ich war erst vor fünf Monaten ins Geschäft eingestiegen, und die ausländischen Kunden, auf die ich gehofft hatte, hatten sich als ziemlich geizig erwiesen. Meine Tante Norie hatte mich erst vor kurzem Nana Mihori, der Frau des Leiters eines berühmten Zen-Tempels in Kamakura, einer pittoresken Stadt ungefähr eine Stunde südlich von Tokio, vorgestellt. Sie hatte Geld wie Heu und war für jede Menge Referenzen gut. Ich konnte sie nicht enttäuschen.
Als ich mich von Nana Mihori verabschiedete, sah ich, daß die junge Frau und der junge Mann in dem Mitsubishi Carisma rechts von mir mein Telefongespräch mit Hilfe von Limonadendosen nachäfften. Ich formte die Lippen zu einem moshi-moshi, der üblichen Begrüßung am Telefon. Die jungen Leute gaben mir kichernd Antwort. Was sagten sie?
Abunai, verstand ich ein wenig zu spät, als etwas ziemlich Großes meinen Wagen schrammte. Vorsicht!
Ich ließ das Handy fallen und versuchte das Steuer wieder in den Griff zu bekommen, das sich wie wild drehte. Gleichzeitig stieg ich auf die Bremse und schaute in den Rückspiegel, in dem ich einen Transporter sah, dessen Fahrer mich an den schmalen Seitenstreifen winkte.
Wie es hatte passieren können, daß ich im praktisch stehenden Verkehr einen anderen Wagen rammte, war mir schleierhaft; ich war einfach ein richtiger Pechvogel. Die Reparaturkosten für den luxuriösen Toyota Windom bewegten sich wahrscheinlich in astronomischen Höhen. Außerdem war es nicht mal mein Wagen; er gehörte Hugh.
Benommen sah ich zu, wie der mit einem fröhlich-gelben Overall und dazu passender Mütze bekleidete Fahrer aus seinem Transporter stieg. Unter anderen Umständen hätte ich gegrinst.
Ich kletterte meinerseits aus dem Windom, wohl wissend, wie übel ich aussehen mußte: eine irgendwie japanisch wirkende Frau Ende Zwanzig mit kurzen Haaren, noch kürzeren Shorts und einem eingegangenen UC-Berkeley-T-Shirt. Ich eilte in meinen Flip-flop-Sandalen mit meinem japanischen Führerschein und Hughs Zulassung für den Wagen zu dem Mann.
Auch er hatte etwas in der Hand; eine kleine, ungeöffnete Dose Yodel-Wasser. Er reichte sie mir mit einer absurden Geste der Gastfreundschaft. Ich nahm die Dose und warf einen Blick auf den fröhlichen, englischsprachigen Slogan darauf: ERFRISCHT, WO IMMER SIE SIND! Aber nicht heute, dachte ich, denn ich spürte, daß mir das T-Shirt am Rücken zu kleben begann.
Zusammen betrachteten der Fahrer des Transporters und ich den Schaden. Der an seinem Wagen schien minimal zu sein. Es war lediglich ein bißchen von dem schwarzen Lack des Windom an seinem Kotflügel. Doch bei mir war das linke Rücklicht kaputt. Der Mann entfernte vorsichtig die restlichen Scherben, wickelte sie in ein Tuch und reichte sie mir.
»Domo sumimasen deshita.« Ich war überrascht über seine förmliche Entschuldigung, doch dann fiel mir wieder ein, daß nach japanischem Recht automatisch der Autofahrer, der dem anderen hineinfährt, Schuld hat.
»Es tut mir auch leid«, sagte ich. »Ich war abgelenkt.«
»Es ist ganz und gar meine Schuld. Sehen Sie doch bloß, was ich mit Ihrem schönen Wagen gemacht habe«, sagte der Mann mit gebrochener Stimme. Erst jetzt wurde mir klar, daß er sich wahrscheinlich Sorgen machte, weil er einen Unfall mit dem Firmenwagen gebaut hatte. Ich wollte ihm gerade versichern, daß ich nichts gegen ihn unternehmen würde, doch da hatte er bereits die Brieftasche in der Hand.
»Was ist mit dem Lack auf Ihrem Wagen? Sind Sie sicher, daß Sie in der Firma keinen Ärger kriegen?«
Er warf einen Blick auf seinen Kotflügel und schüttelte den Kopf. »Das ist normale Abnutzung. Es wird niemandem auffallen. Aber ich muß Ihnen eine Entschädigung zahlen. Eher fahre ich nicht weiter!«
Ich war abgelenkt gewesen, und er war auf meine Spur gekommen. Vermutlich waren wir beide schuld. Ich nahm das Geld, ohne es anzusehen, immer noch mit schlechtem Gewissen. »Wenn Sie mir Ihre Adresse geben, kann ich Ihnen eine Kopie der Rechnung schicken. Wenn die Reparatur weniger kosten sollte …«
»Bitte machen Sie sich nicht die Mühe!« Er war schon wieder eingestiegen. Da wir keine Namen und Adressen ausgetauscht hatten, konnte er sicher sein, daß die Sache kein Nachspiel haben würde. Ich versuchte mein ungutes Gefühl beiseite zu schieben, während ich an dem süßen Yodel-Wasser nippte und den Wagen wieder auf die Straße lenkte.
Zwei Stunden später war ich in Hita. Ich hatte zuvor in dem von Mrs. Mihori empfohlenen Laden angerufen und erfahren, daß Hita Fine Arts tatsächlich einige antike tansu-Kommoden auf Lager hatte. Der Antiquitätenhändler erklärte mir, er habe eine Kommode, die vermutlich aus Yahata, einer für ihre Holzarbeiten bekannten Stadt auf der Insel Sado, stammte, wo ich mich bereits erfolglos umgesehen hatte.
»Woher haben Sie das Stück?« fragte ich, ein wenig neidisch auf den Erfolg des Händlers.
»Ich habe eine gute Quelle. Im Moment können Sie sie noch kaufen, aber ich würde Ihnen raten, es sich nicht zu lange zu überlegen. Gestern war eine Kundin hier und hat mich gebeten, die Kommode für sie zu reservieren. Sie ist nicht wiedergekommen, deshalb habe ich gerade beschlossen, sie wieder zum Verkauf anzubieten.«
Wenn man so tut, als interessiere man sich nicht sonderlich für ein Stück, kann...
| Erscheint lt. Verlag | 1.8.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Ein Fall für Rei Shimura |
| Ein Fall für Rei Shimura | Ein Fall für Rei Shimura |
| Übersetzer | Sonja Hauser |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Antiquitäten • Bücher • Cosy Crime • Detektivin • Japan • Japan Roman • junge Heldin • Krimi • Krimireihe • Preisgekrönt • Rei Shimura • spannend • Starke Frau • weibliche Ermittlerin |
| ISBN-10 | 3-492-98340-5 / 3492983405 |
| ISBN-13 | 978-3-492-98340-2 / 9783492983402 |
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