Jerry Cotton Sonder-Edition 54 (eBook)
80 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-4900-9 (ISBN)
Eine unheimliche Mordserie versetzte ganz New York in Angst und Schrecken. Die tödliche Waffe verursachte nicht einmal einen Knall, sondern nur ein leises Zischen. Der Täter hinterließ seine Opfer mit verzerrten Gesichtern, nach innen gedrehten Händen und gekrümmten Fingern. Denn sie starben qualvoll an Giftgas!
2
Der Page klopfte an die Tür. »Die Post, Sir.«
Mendoza stand vom Schreibtisch auf und öffnete. Er nahm Zeitungen und Briefe vom Tablett des Pagen und reichte ihm einen Dollar.
»Danke, Sir.« Der Boy verschwand.
Mendoza blickte auf die Briefe. »Liane!«
Sie kam aus dem Badezimmer, trug einen durchscheinenden Überwurf und bürstete das lange schwarze Haar, das sie in hundert verschiedenen Frisuren zu tragen verstand. Der Mann reichte ihr die Briefe. Ohne einen Blick darauf warf Liane die Umschläge in den Kamin und hielt ein Streichholz daran.
Mendoza sah nachdenklich in die Flammen. »Wir sollten die Briefe aufheben«, sagte er. »Wenn hier jemals eine Hausdurchsuchung stattfindet, werden die Leute fragen, wo unsere Geschäftskorrespondenz geblieben ist.«
Liane fuhr herum und blitzte den Mann an. »Wenn es hier jemals bis zu einer Hausdurchsuchung kommt, ist auch unsere Korrespondenz nicht mehr wichtig.«
Mendoza betrachtete die Frau. Liane hätte jeden Maler und Fotografen magnetisch anziehen müssen. Die eleganten langen Beine und die Figur trafen auf den Punkt das Schönheitsideal der Zeit, und der Elfenbeinschimmer ihrer Schultern traf das Ideal aller Zeiten. Liane verachtete Sport und wusste, dass ihre Alabasterhaut die Pulsschlagzahl viel schneller und nachhaltiger hochgehen ließ als das knusprigste Braun eines Bikini-Strandhühnchens. Und sie dachte nicht daran, dieses Kapital vor der Sonne auf den Grill zu legen.
»Warum bist du eigentlich hier und nicht in Hollywood?«, fragte er.
»Ich würde in Hollywood vor Langeweile sterben.«
»Auch mit einem Zehn-Millionen-Playboy?«
Sie lachte dunkel. »Du hast eine komische Art, deine Sekretärinnen bei der Stange zu halten.«
Vom Schreibtisch nahm er einen Scheck, den er vorhin ausgeschrieben hatte, und gab ihn der Frau. »Wenn du nachher in die Stadt fährst, kannst du den einlösen. Auch zur eigenen Verwendung.«
Sie legte das Papier achtlos auf den Rauchtisch und trat langsam auf Mendoza zu, bis sie ihn berührte. »Wie geht es jetzt weiter, Darling?«
»Wir nehmen uns den nächsten vor«, sagte Mendoza. »Aber wir haben keine Eile. Bevor es so weit ist, ziehen wir nach Jersey City um. Spencer wohnt drüben in Rayonne.«
»Ich verstehe. Du willst Spencer nicht in der Redaktion des Elizabeth Herald überraschen, sondern in seiner Wohnung.«
»Ja. Elizabeth ist zu klein. Wir würden bald auffallen.«
»Für mich«, entgegnete Liane, »wird es aber viel schwerer sein, in Spencers Privatwohnung Kontakt zu bekommen als in der Redaktion.«
Er antwortete leise, aber in seiner Stimme war plötzlich eine schneidende Härte. »Das ist deine Sache. Meine ist die andere.«
Sie senkte den Kopf, und er blickte auf ihr schwarzes Haar. »Also Spencer«, sagte sie dunkel. »Spencer ist der Nächste.«
***
Roy Spencer saß jetzt am Schreibtisch des Chefs vom Dienst, am Tisch seines Freundes Lucius Creutz. Roy war ein Baum von fast sechseinhalb Fuß, blond, mit einer dick eingefassten, dunklen Brille und einer kantigen Stirn. Schon deshalb bestand zwischen ihm und dem Chefredakteur Bob Safran stets ein gespanntes Verhältnis. Safran war klein und zierlich, und neben Spencer sah er wirklich wie eine halbe Portion aus.
Spencer starrte missmutig auf die Fernschreibertexte.
So traf Phil den blonden Riesen.
Spencer war nicht zur Höflichkeit aufgelegt. »Wenn Sie uns bloß Ihr Beileid ausdrücken wollen, dann geben Sie’s beim Portier ab, und trinken Sie in der Kantine einen Trauer-Portwein auf meine Kosten!«
Phil lächelte und zeigte seinen Ausweis.
Jetzt wurde Roy lebendig. »Ah, das ist etwas anderes. Agent Decker? Schon von Ihnen gehört. Bringen Sie mir den Mann, der diese Schweinerei begangen hat! Bringen Sie ihn hierher, und der Staat kann die Stromkosten für den Stuhl sparen!«
»Noch haben wir ihn nicht. Aber vielleicht können Sie uns helfen«, erwiderte Phil.
»Wenn ich nur wüsste, wie, dann säße ich nicht hier.«
»Wie lange kannten Sie Creutz?«, fragte Phil.
»Vor zehn Jahren haben wir zusammen angefangen. Er war mein Freund und etwas schlauer als ich.«
»Es muss einen Grund geben, weshalb Creutz ermordet wurde.«
»Es gibt keinen«, fauchte Roy.
»Das habe ich schon oft genug gehört. Alles Unsinn. Wir sollten gemeinsam versuchen, den Grund in Creutz’ Vergangenheit zu finden.«
Roy Spencer packte das Bündel Fernschreiberblätter und stampfte auf den Korridor hinaus. »Miller!«, brüllte er. Ein junger Redakteur mit einem Bürstenhaarschnitt eilte herbei. Spencer drückte ihm die Blätter in die Hand. »Machen Sie das satzfertig! Ich habe keine Zeit. Ich habe für den gesamten Dreck in diesem Kasten keine Zeit mehr.«
Er knallte die Tür zu und schloss sie von innen ab. Dann legte er den Hörer neben das Telefon. »So. Es kann losgehen.«
***
Lucius Creutz hatte mit Frau und Kind in einem kleinen, rosa gestrichenen Haus am Stadtrand gewohnt. Als ich davorstand, machte ich ein bedenkliches Gesicht. Sämtliche Rollos waren heruntergezogen. Hatte Carola Creutz nach dem Schock Elizabeth verlassen?
Sie hatte nicht. Sie öffnete mir selbst. Ich sagte meinen Namen und drückte mein Beileid aus. Es war nicht sehr angenehm.
»Danke. Das Beileid nutzt mir wenig«, flüsterte Mrs Creutz.
»Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
Sie führte mich ins Haus.
Nach den Schilderungen von Rott war ich auf eine ziemlich hausbackene Frau gefasst gewesen. Carola Creutz aber war eine üppige Blondine mit einer hübschen Figur und wundervollem Haar. Und sie hatte die natürliche Grazie einer Tänzerin.
Carolas Augen waren rotgeweint. Sie trug ein knappsitzendes graues Kostüm, und sie war sorgfältig frisiert. Wir traten in das Dämmerlicht eines »von der Stange« gekauften Wohnzimmers. Mir wurde nach und nach klar, warum sie hier verdunkelt hatte: wegen der verweinten Augen. Sie rechnete mit Besuchern, und es war ihr peinlich, ihnen weniger hübsch entgegenzutreten, als sie in Wirklichkeit war. Die Dame hatte Sinn für Koketterie, selbst jetzt. Das war ein Punkt, den ich mir merkte.
Carola Creutz verstand es, uns über den schwierigen Anfang der Unterhaltung hinwegzuhelfen. Sie bot mir, ohne zu fragen, einen Martini an und trank selbst auch einen. Ihre fast harte Stimme stand in einem Gegensatz zu ihrem puppenhaften Gesicht.
»Dieses Unglück ist für mich eine Katastrophe«, sagte sie leise. »Mein Mann war nicht lange genug im Beruf, um eine Pension vom Verlag zu erhalten.«
»Aber er war versichert?«
»Natürlich, Agent Cotton. Doch was nützt es meiner Tochter und mir? Wir können damit das Haus nicht halten, das nicht bezahlt ist. Und ich kann nicht in meinen früheren Beruf zurück.«
»Warum nicht?«, hakte ich nach.
»Ich war Charaktertänzerin an der Metropolitan Opera drüben in New York. Ich bin aus dem Training. Und meine Tochter …«
Ich schwieg. Wir tranken.
Sie seufzte. »Aber deshalb sind Sie nicht hier, Agent. Sie suchen den Täter.«
»Ich frage mich, ob man irgendwo ein Motiv für das Verbrechen sehen kann.«
»Natürlich«, sagte sie.
Um ein Haar hätte ich mich verschluckt. Niemand wusste ein Motiv für den Mord. Und hier saß jemand, der auf diese verzweifelte Frage ganz einfach »natürlich« antwortete.
»Lucius, mein Mann«, fuhr sie fort, »war in den letzten Wochen einer Gang auf die Spur gekommen, die in Elizabeth ihr Hauptquartier einrichtet. Lucius sammelte Material, um es zu veröffentlichen. Er hat mir davon erzählt.«
»Hat er schon etwas darüber gedruckt?«, fragte ich sofort.
»Bisher noch nicht.«
»Sie meinen also, die Absicht Ihres Mannes ist diesen Leuten zu Ohren gekommen, und daher der Mord.«
»Das meine ich nicht, das weiß ich, Agent Cotton.«
»Woher?«
»Einfach deshalb, weil es überhaupt keinen anderen Grund geben kann.«
»Hat Ihr Mann von seiner Absicht zu anderen gesprochen, vielleicht zu Kollegen in der Redaktion? Einer davon könnte nicht dichtgehalten haben, absichtlich oder unabsichtlich. Wissen Sie etwas darüber?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Wie soll ich das beurteilen?«
»Sie selbst haben jedenfalls zu keinem anderen Menschen über die Absicht Ihres Mannes gesprochen?«
Sie lächelte trübe. »Wofür halten Sie mich?«
»Entschuldigen Sie! Sagen Sie mir bitte alles, was Sie über die vermutete Gang wissen! Hat Ihr Mann seine Notizen hier im Haus?«
»Bestimmt nicht. Er hielt Dienst und Privatleben streng auseinander und ließ alle dienstlichen Papiere in der Redaktion. Er erzählte mir …«
In diesem Moment läutete es an der Haustür.
»Bitte, warten Sie eine Minute!«, sagte Carola. »Es wird der Mann mit dem Lesezirkel sein. Er kommt jede Woche um diese Zeit.«
Sie schwebte davon. Inzwischen nippte ich an meinem Martini. Einiges an Carolas Geschichte war nicht ganz stubenrein. Die Sache mit der Pension. Es gibt keinen Verlag, der seinen Redakteuren Pension bezahlt, und wenn sie hundert Jahre lang Mitarbeiter gewesen sind. Nun, das konnte ein Irrtum der Lady sein. Aber was war sie gewesen? Charaktertänzerin bei der Met? Soviel ich wusste, unterhielt die Met kein eigenes Ballett. Sie arbeitete von Saison zu Saison mit Gästen. Carola konnte also in einer Spielzeit dort aufgetreten sein. Wenn es stimmte. Das war auch ein Punkt, den ich mir...
| Erscheint lt. Verlag | 6.6.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition | Jerry Cotton Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Al Capone • alfred-bekker • Anna Basener • Bahnhofsroman • Bastei • Bestseller • Cora • Dedektiv • Detektiv • Deutsch • Deutsche Krimis • eBook • E-Book • eBooks • Ermittler • erste-fälle • gman • G-Man • Groschenheft • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftchen-Roman • Heftroman • Heft-Roman • Horst-Bosetzky • international • Jerry Cotton • Kindle • Klassiker • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimiautoren • Krimi Bestseller • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Krimis • krimis&thriller • letzte fälle • martin-barkawitz • Mira • Mord • Mörder • nick-carter • Polizei • Polizeiroman • Polizist • Pulp • Pulp Ficition • Reihe • Romanheft • Roman-Heft • schwerste-fälle • serial content • Serial Novel • Serial Novels • Serie • Serien • Seriennovellen • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • Spannung • Spannungsroman • stefan-wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • uksak • Verbrechen • Wegner |
| ISBN-10 | 3-7325-4900-3 / 3732549003 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-4900-9 / 9783732549009 |
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