Blut und Feuer (eBook)
624 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-1298-6 (ISBN)
Ein 'Krieg und Frieden' der Oktoberrevolution und des Bürgerkriegs.
Die volle Wahrheit des gewöhnlichen Lebens während der Oktoberrevolution und des anschließenden Bürgerkriegs zu zeigen - das war das große Ziel Artjom Wesjolys. Sein Held Maxim Kushel, Soldat und später Rotarmist, gerät in den Strudel der Ereignisse, die das Land wie ein Wirbelsturm verwüsten. Er erzählt vom Wirrwarr und Chaos des revolutionären Umbruchs, vom roten und weißen Terror danach.
Unter dem Titel 'Russland in Blut gewaschen' erschien das Buch von 1932 bis 1936 mehrfach in verschiedenen Textfassungen als Fragment. Thomas Reschkes Übersetzung folgt der Fassung von 1936, der letzten, die der Autor vor seiner Verhaftung 1937 selbst betreute. Sie wird ergänzt durch Textpassagen, die damals der Zensur zum Opfer fielen. Erst 1958 wurde der Roman, allerdings mit noch weiteren Streichungen, wieder in der Sowjetunion gedruckt.
'Dieses Buch ist ein literarischer Urknall. Wesjoly vermag Menschenmassen so zu beschreiben, dass man glaubt, jeden Einzelnen heraushören zu können. Als sei Babel mit Chlebnikow eine Synthese eingegangen, um die Revolution von 1917 und den Bürgerkrieg ein für alle Mal erfahrbar zu machen.' Ingo Schulze.
Artjom Wesjoly, eigentlich Nikolai Kotschkurow, geboren am 29. September 1899 als Sohn eines Lastträgers. Fabrikarbeiter, Rotarmist, Matrose der Schwarzmeerflotte, Agitator, Journalist. 1922 Studium. Wegen vorgeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung am 8. April 1938 erschossen. Hauptwerk: 'Blut und Feuer'.
Den Tod durch den Tod überwunden
In Russland ist Revolution –
über die feuchte Mutter Erde läuft ein Beben,
und die weite Welt ist in Aufruhr ...
Vom Orkan des Krieges erschüttert, wankte die Welt, trunken von Blut.
Über Meere und Ozeane brausten Kreuzer und Dreadnoughts, spien Donner und Feuer. Den Schiffen hinterher stahlen sich Unterseeboote und Minenleger, besäten die Wasserwüsten dicht mit den Körnern des Todes.
Aeroplane und Zeppeline flogen nach Westen und Osten, nach Süden und Norden. Aus Wolkenhöhen warf die Hand des Piloten glühende Brände in die Bienenstöcke der Menschenansammlungen, in die Scheiterhaufen der Städte.
Über die Sandwüsten von Syrien und Mesopotamien, über die von Schützengräben zerfurchten Felder der Champagne und der Vogesen krochen Tanks, zermalmten auf ihrem Weg alles Lebendige.
Vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer, von Trapezunt bis Bagdad wummerten ohne Unterlass die Hämmer des Krieges.
Die Wasser von Rhein und Marne, von Donau und Neman waren trüb vom Blut der kriegführenden Völker.
Belgien, Serbien und Rumänien, Galizien, die Bukowina und das türkische Armenien waren umschlungen von den Flammen der brennenden Dörfer und Städte. Die Straßen … Über die von Blut und Tränen aufgeweichten Straßen gingen und fuhren Truppen, Artillerie, Wagentrecks, Lazarette, Flüchtlinge.
Unheildrohend – mit blutroten Lichtern gesprenkelt – ging das eintausendneunhundertsechzehnte Jahr seinem Ende entgegen.
Die Sichel des Krieges schnitt des Lebens Ähren.
Dome und Moscheen, lutherische und katholische Kirchen waren überfüllt mit Weinenden, Trauernden, Stöhnenden, Hingestreckten.
Güterzüge rollten mit Brot, Fleisch, verfaulten Konserven, vermoderten Stiefeln, Kanonen, Granaten … Das alles wurde von der Front verschlungen, verschlissen, zerrissen, verschossen.
In der Zange von Hunger und Kälte krümmten sich die Städte, bis zum Himmel stieg das Stöhnen der Dörfer, aber nie verstummend dröhnten die Kriegstrommeln und brüllten zornig die Geschütze, übertönend das Wimmern der sterbenden Kinder, das Heulen der Frauen und Mütter.
Der Kummer war Dauergast, und das Unheil nistete in den Aulen1 der Tschetschenei wie unterm Dach der ukrainischen Kate, in der Kosakenstaniza wie in den Hütten der Arbeitervorstädte. Die Bäuerin weinte, während sie hinterm Pflug über den Acker schritt. Die Städterin weinte, den Kopf auf der Trauernachricht, in der hinter dem teuren Namen das furchtbare Wort »gefallen« brannte. Die flämische Fischerin schluchzte und blickte wehmütig aufs Meer, das den Seemann verschlungen hatte. Unter einem Fuhrwerk im Feldlager der Flüchtlinge schluchzte die Galizierin über dem erkaltenden Leichnam ihres Kindes. Pausenlos wirbelte Geheul vor den Einberufungsstellen, vor den Kasernen und auf den Bahnhöfen von Toulon, Kursk, Leipzig, Budapest, Neapel.
Über der ganzen Welt wehten die Fahnen des Kummers, wie der Widerschein einer gewaltigen Feuersbrunst stand Stöhnen, quälend flackerten herzzerreißende Verzweiflungsschreie.
Und nur in den goldfunkelnden Palästen von Moskau, Paris und Wien glitzerte Musik, flammte trunkene Heiterkeit, frohlockte die Ausschweifung.
»Krieg bis zum Sieg!«
Hohe Militärs und Finanzhaie ließen Pokale mit schäumendem Wein aneinanderklirren:
»Krieg bis zum Sieg!«
Auf den Feldern aber kehrten Feuerbesen alle gleichermaßen wie Müll in die Massengräber: Hamburger Stauer und Bergarbeiter vom Donbass, arabische Nomaden und Gartenbauer von den Ufern des Ganges, Docker aus Liverpool und ungarische Hirten, Proletarier aller Rassen, Stämme und Mundarten und Ackerbauern, die im Schweiße ihres Angesichts auf dem Land ihrer Väter und Großväter das tägliche Brot gewannen.
Kreuze und Gräber, Gräber und Kreuze.
Der Balkan, Kurdistan, die Karpatentäler, der Schoß der polnischen Erde, die Forts von Verdun und die Hügel an der Maas waren vollgestopft mit Soldatenfleisch.
In den Schächten der Ruhr und von Kriwoi Rog, in den Bergwerken von Sibirien und in den chemischen Fabriken Deutschlands schufteten in härtester Fron Kriegsgefangene. Kriegsgefangene schmachteten in Lagern hinter Stacheldraht, schlossen die Rechnung ihres Lebens ab unter den Peitschen von Schutzmännern und Korporalen, starben in Baracken an Heimweh, Hunger und Typhus.
Die Lazarette … Horte des Kummers, Zufluchtsstätten des Leidens … Verstümmelte, Erfrorene, Verschüttete, Gasvergiftete – mit zerschmetterten Knochen und stinkenden Wunden – wälzten sich im Fieberwahn auf Lazarettpritschen und Operationstischen, wo sich Blut mit Eiter mischte, Schluchzen mit Fluchen, Stöhnen mit Gebeten für die Waisen, Verzweiflung mit in Rauch aufgegangenen Hoffnungen.
Menschen ohne Beine, ohne Arme, ohne Augen, Taube und Stumme, Wahnsinnige und Halbtote belagerten die Schwellen von Kanzleien und Wohltätigkeitseinrichtungen, oder aber sie krochen, humpelten, rollten auf Wägelchen bettelnd durch die Straßen von Berlin und Petrograd, Marseille und Konstantinopel.
Das Land war trunken von Leid.
Der Schatten des Todes kreiste über hungernden Städten und verarmten Dörfern. Die nie geküssten Brüste der jungen Mädchen erkalteten, trüb und unruhig war der Schlaf der Frauen. Kinder, vom Weinen heiser, schliefen an den leeren Brüsten ihrer Mütter.
Der Krieg fraß Menschen, Brot, Vieh.
Die Pferde- und Schafherden in den Steppen dünnten aus.
Unkraut überwucherte die verwahrlosten Felder, Schneestürme verschütteten das von den Herbstwinden niedergelegte, nicht abgeerntete Getreide.
Auf den Straßen krochen und fuhren die ersten obdachlosen Kinder ins Nichts.
Die Industrie brach zusammen – es fehlte an Heizmaterial, Rohstoffen, Arbeitskräften; Werke und Fabriken wurden geschlossen.
Der Güterverkehr brach zusammen – die Speicher Sibiriens und Turkestans waren voll von Korn, das Korn faulte, aber es gab keine Transportmittel; in den Kalmücken- und Kasachensteppen türmten sich unter freiem Himmel Berge von Fleisch, für die Armee herangeschafft; Würmer zerfraßen das Fleisch, Hunde bauten im Fleisch ihre Nester und zogen ihre Welpen groß.
Briefe von der Front …
Mein herzliebes Eheweib!
Ich verneige mich tief vor Dir und allen Anverwandten. Noch bin ich gottlob gesund und am Leben. Wassili Rjasanzew ist vor der türkischen Festung Baiburt gefallen. Iwan Prochorowitsch ist schwer verwundet, es hat ihm den Kiefer zerschmettert, er wird kaum durchkommen. Schmaroga ist gefallen. Iljuschka Kostytschew ist gefallen, geh in den Chutor und sag seiner Mutter Feona Bescheid. Schwager Grigori Saweljewitsch, mit dem ich ins Gefecht gegangen bin, dem hats zwei Pfund Fleisch aus dem Oberschenkel gerissen, wir beneiden ihn, sie haben ihn zur Heilung ins Hinterland geschickt, zur Frühlingsaussaat wird er wohl in der Staniza sein.
Nur Polikaschka, der tanzt, er hat nämlich ein neues Kreuz bekommen und Feldwebelaufnäher, er sagt: »Von mir aus kann der Krieg hundert Jahre dauern.« Na, bis zum ersten Kampf, sonst stopfen wir dem Hund das Maul.
Marfa, sieh zu, dass Du Dir ohne mich nichts rausnimmst, wahre die Ehre Deines Mannes und bleib sauber. Deinen Brief lese ich alle Stunden und alle Minuten. Ich versorge mein Pferd, gehe in den Erdbunker, lege mich hin und lese. Wenn mir in der Nacht das Herz weh tut, hole ich den Brief aus der Tasche und lese.
Hört man bei Euch am Kuban was vom Frieden? Die Soldaten fragen sich gegenseitig mit bitterem Weh: »Wofür vergießen wir unser Blut, verderben uns die Gesundheit und tragen unsere junge Haut zu Markte in dieser verdammten Scheißtürkei? Alles sinnlos …«
Dies unterschreibe ich:
Maxim Kushel.
Frauentränen zerwuschen die Krakel der Frontbriefe, und manch zitternde Hand stellte eine Kerze vor das Heiligenbild, um Rettung für Angehörige und Sterbende zu erflehen.
Auf den fernen Schlachtfeldern versank die Jugend in Schnee und Sturm!
Bei Hitze und Kälte, bis zum Gürtel im Schnee und bis zum Hals im Schlamm, griffen Soldaten an, gingen Soldaten zurück, hausten Soldaten in Erdlöchern, froren Soldaten in Schützengräben unter freiem Himmel. Kugeln und Granatsplitter ereilten den Landser im Kampf, in der Freizeit, im Nachtschlaf, auf der Latrine. Irgendwo im Stab kritzelte die Hand eines Generals: »An den Kommandeur des Sumyer Schützenregiments. Ich ordne an, am heutigen 5. Januar um zwölf Uhr Mitternacht mit den Kräften des gesamten Regiments den Gegner auf dem Ihnen anvertrauten Abschnitt anzugreifen. Über die Ergebnisse der Operation ist mir unverzüglich Meldung zu machen!« Und so flog denn mitten in der Nacht durch Schützengräben und Erdbunker von Mund zu Mund das zitternd geflüsterte Kommando: »Fertigmachen zum Angriff.« Die Männer nahmen die Gewehre, zogen die Koppel mit den schweren Patronentaschen fest. Einer bekreuzigte sich hastig, einer wisperte ein Gebet, einer stieß einen wüsten Fluch durch die zusammengebissenen Zähne. Durch die schmalen Sappen rückte das Regiment in die vorderste Grabenlinie, und auf das Kommando »Mit Gott, vorwärts!« stiegen die Männer auf die Brustwehr, krochen über das von Granattrichtern zerpflügte Schneefeld. Auf das angreifende...
| Erscheint lt. Verlag | 14.6.2017 |
|---|---|
| Nachwort | Jekatherina Lebedewa |
| Übersetzer | Thomas Reschke |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Россия, кровью умытая |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker | |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 1917 • Bürgerkrieg • Exekutivkomitee • Kerenski • Kornilow • Kosaken • Kuban • Oktoberrevolution 1917 • Revolution in Russland 1017 • Russland • Sowjetmacht • Steppe • Tschekist • Tscherkessen |
| ISBN-10 | 3-8412-1298-0 / 3841212980 |
| ISBN-13 | 978-3-8412-1298-6 / 9783841212986 |
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