Jerry Cotton 3127 (eBook)
64 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-4693-0 (ISBN)
Mai-Lin, die hochintelligente Analystin unseres Scientific Research Teams, lud uns zu einem Abendessen zu sich nach Hause ein. Dort traf ich auf ihre Cousine Joyce aus Macau, die geschäftlich für eine Casinokette in den USA unterwegs war. Die Frau, weltgewandt, humorvoll und charismatisch, faszinierte mich sofort. Doch schon bald entdeckte ich ihr dunkles Geheimnis: Joyce hatte sich über Mai-Lins Laptop in die Datenbanken des FBI gehackt ...
»Meinst du, Blumen und eine Flasche Wein sind das richtige Gastgeschenk?«, fragte Phil unsicher und sah auf den Strauß Orchideen in seiner Hand.
»Ich weiß nicht, vielleicht wären Lotusblüten angebrachter gewesen«, erwiderte ich und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
Phil nannte Mai-Lin, unser Computergenie vom Scientific-Research-Team, gerne seine Lotusblüte. Wir waren gerade unterwegs zu ihrer Privatadresse, denn wir waren an diesem Samstag zum Abendessen bei ihr verabredet.
»Sehr witzig«, brummte mein Partner und verzog das Gesicht. »Warum werden wir auf eine Familienfeier von Mai-Lin eingeladen?«, fragte er zum dritten Mal, seit wir Washington verlassen hatten.
»Weil FGF, Concita und Gerold ebenfalls eingeladen sind«, antwortete ich erneut. Denn Mai-Lin hatte das ganze Team zu sich gebeten. Es war keine richtige Familienfeier, hatte sie uns erklärt. Eine ihrer Cousinen aus Taiwan war in den USA zu Besuch, und deshalb richtete sie ein Fest aus. »Ich glaube, Mai-Lin war es wichtig, ein paar ihrer Kollegen und Freunde mit dabeizuhaben. Ich meine, außer der Familie.«
Mai-Lin wohnte in Stafford, einer kleinen Stadt, die nur einen Steinwurf von der FBI-Akademie entfernt lag. Wir waren noch nie bei ihr zu Hause gewesen. Mai-Lin war zwar eine geschätzte Kollegin, doch trotz Phils saloppem Umgangston mit ihr war die Privatperson Mai-Lin für uns manchmal ein Buch mit sieben Siegeln. Das kleine Haus, vor dem ich schließlich parkte, erstaunte mich, denn es entsprach nicht dem, was ich von ihr erwartet hatte.
»Sie muss einen Gärtner haben«, kommentierte Phil, als wir ausstiegen.
Mein Partner und ich hatten uns eine kleine chaotische Wohnung vorgestellt, in der mehr Computer rumstanden als Möbel. Doch der parkähnliche Vorgarten konnte mit seiner Frühlingsblütenpracht jeden Stadtpark in den Schatten stellen. Bis auf die Straße hinaus war das Stimmengewirr aus dem Haus zu hören. Es klang in unseren Ohren, als hätten wir uns auf einen der vielen Fischmärkte in Chinatown verirrt und als feilschten die Händler um den letzten Thunfisch der Saison.
»Wie spricht man das noch mal aus?«, fragte Phil und sagte dann: »N h o.« Die Worte, die »Guten Tag« auf Chinesisch lauten sollten, hörten sich bei ihm an wie das klägliche Miauen einer Katze.
***
Die nächste halbe Stunde verstand ich kaum ein Wort. Mai-Lin schleppte mich zu jedem ihrer Verwandten, die sich dann euphorisch verbeugten und meine Hände schüttelten. So, als wäre ich ein verlorener Sohn, und vor lauter Freude redeten sie Chinesisch mit mir. Wahrscheinlich wirkte ich wirklich verloren, denn plötzlich stand jemand neben mir und zog mich sanft von irgendeiner Tante weg.
»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Inspektor Cotton. Ich habe schon viel von Ihnen gehört«, erklang eine weiche Stimme. Die zierliche Frau neben mir sprach ein vorzügliches Englisch mit einem entzückenden chinesischen Akzent. »Ich bin Joyce Zouh, Mai-Lins Cousine aus Taiwan.«
Als ich sie ansah, konnte ich es kaum glauben. Die Frau war unglaublich attraktiv. Sie war klein und wirkte fast zerbrechlich, doch ihr hübsches Gesicht war selbstbewusst. Das pechschwarze Haar zu einem Pagenkopf geschnitten, lächelte mich dieses elfengleiche Wesen an.
»Freut mich auch, dann ist diese Party also für Sie«, gab ich zurück und schüttelte ihr die Hand.
»Verzeihen Sie meine Verwandten, sie sind sehr überschwänglich. Für sie ist es eine große Ehre, dass Mai-Lins Vorgesetzte extra hierhergekommen sind«, meinte Joyce und hakte sich bei mir unter.
Wir schlenderten zu dem Tisch, auf dem die Getränke standen.
»Mein Partner und ich sind nur Kollegen, keine Vorgesetzten. Wir arbeiten sehr gerne mit Ihrer Cousine zusammen«, erwiderte ich und ließ mich von ihr mitziehen. »Mai-Lin ist eines der besten Computergenies, die wir beim FBI haben.«
»Demut ist eine noble Charaktereigenschaft«, gab Joyce zurück und reichte mir ein Glas Wasser. »Ich nehme an, Sie müssen noch fahren und trinken keinen Alkohol.«
Ich nickte und nahm das Glas entgegen. »Dann sind Sie als Touristin hier und besuchen Ihre Familie, Joyce? Darf ich Sie so nennen?«, fragte ich gerade, als eine resolut wirkende Frau auf uns zukam. Sie sprach in einem abgehackten Ton mit Joyce, was vielleicht am Chinesisch lag, denn ich verstand wieder kein Wort.
»Inspektor Cotton, darf ich Ihnen meine Chefin Gu Wong vorstellen?«, fragte Joyce höflich und etwas nervös.
»Es freut mich«, meinte Gu Wong.
Sie war das komplette Gegenteil von Joyce. Drahtig, mit einem Gesichtsausdruck, der jeden erst einmal in die Flucht schlug. Sie erinnerte mich an eine dieser Mao-Tse-tung-Anhänger, denn selbst ihr Hosenanzug wirkte wie einer dieser Einheitsanzüge, die ich nur von Fotos kannte.
»Dann will ich Sie beide nicht weiter stören«, meinte Gu Wong und versuchte ein Lächeln. »Joyce, ich muss mich verabschieden, wir sehen uns in zwei Wochen in Atlantic City, wenn ich von Los Angeles zurück bin.«
Joyce verbeugte sich kurz. »Shi Lao Ban«, erwiderte sie auf Chinesisch, dann nickte mir die andere Frau zu und verschwand. »Die ehrenwerte Gu Wong ist meine Chefin. Wir arbeiten zusammen in Macau«, erklärte Joyce und schien erleichtert, dass Wong endlich weg war.
»In welcher Branche sind Sie tätig?«, fragte ich, und sie strahlte mich wieder an.
»Es ist nichts Besonderes«, meinte Joyce. »Ich selbst bin Mathematikerin. Gu Wong ist die Marketingchefin für eine der größten Casinoketten in Macau. Wir sind hier in den USA, um uns verschiedene Casinos anzusehen«, erklärte sie, dann strich sie sich mit einer eleganten Bewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Wir wollen von den amerikanischen Geschäftsleuten lernen, wie erfolgreiche Casinos geführt werden, um verschiedene Businessmodelle in Macau zu übernehmen.«
»Das ist sehr interessant«, sagte ich. »Aber Sie fliegen nicht mit nach Los Angeles?«
»Nein, man hat mir erlaubt, zwei Wochen Urlaub zu nehmen. Ich werde hier bei Mai-Lin bleiben und mir Washington und die Umgebung ansehen«, erwiderte sie, und ich musste zugeben, dass mich ihr Lächeln umhaute.
»Vielleicht kann ich Ihnen einige der Sehenswürdigkeiten in Washington zeigen, ich lebe downtown«, sagte ich schnell und war über mich selbst überrascht. Eigentlich war es mein Partner, der bei Frauen so schnell und smart reagierte, wenn sie ihm gefielen. Doch ich musste einsehen, in dem Moment flirtete ich bereits mit Joyce.
»Das wäre mir eine Ehre und ein Vergnügen. Haben Sie überhaupt Zeit dafür, Inspektor Cotton?«, fragte Joyce charmant.
»Dafür nehme ich mir Zeit. Wie wäre es morgen? Es ist Sonntag, oder wollen Sie erst Zeit mit Mai-Lin verbringen?«, wollte ich wissen. »Und bitte, nennen Sie mich Jerry!«
»Nein, morgen wäre wunderbar. Ich habe gehört, dass der Botanische Garten herrlich sein soll, jetzt im Frühling«, erwiderte sie sofort, dann sah sie mir tief in die Augen. »Jerry.«
***
Niemand sprach den Boss mit seinem Namen an. Steward Hu wurde nur respektvoll Guo Wang genannt, was König bedeutete. Der schmale ältere Mann in dem teuren Designeranzug stand in seinem Büro am Fenster und blickte auf den Victoria Harbour rüber nach Koloown. Auch wenn die Drachenboote auf dem Perlfluss von Hongkong heute nur noch für Touristen fuhren, war ihr Anblick eine Erinnerung an die alten Traditionen dieser Stadt.
Um hier als Multimillionär Geschäfte zu machen, musste man nicht nur den fragilen Legislativrat in der Hand haben, man musste auch Traditionen wahren. So hatte auch der King vor dem Bau seines hohen Bürogebäudes einen weisen Mann konsultiert und trotz enormer Kosten das Loch für den Drachen einbauen lassen.
»Guo Wang, Ihr Geschäftspartner aus Macau ist angekommen«, sagte sein Assistent, der durch die Tür getreten war.
»Gut, schicken Sie ihn rein, wir wollen nicht gestört werden!«, sagte der King.
»Soll ich Tee servieren?«, fragte der junge Mann.
»Nein, merken Sie sich: Ich trinke mit diesen Leuten keinen Tee!«, erwiderte der ältere Mann harsch.
Sein Assistent errötete, bevor er den Raum verließ. Der King hatte in den letzten Jahrzenten in Hongkong und Macau ein Imperium erschaffen, sein Imperium. Doch in den Legislativrat, der erst kürzlich wiedergewählt worden war, hatten nach den Demonstrationen in den Vorjahren etliche demokratische Vertreter Einzug gehalten. Idealisten, die Hongkong stärker vom chinesischen Festland abgrenzen wollten und damit weniger bestechlich waren.
»Macau muss stärker werden«, sagte er laut zu sich selbst und wappnete sich für seinen Besucher.
Mit der politischen Entwicklung in Hongkong war sein Besitz in Gefahr, darum setzte er auf Macau und seine Geschäfte dort. Doch Macau war ein Rattennest, das in der festen Hand der Triaden, der chinesischen Mafia, war. Zwar respektierten die Triaden seine Geschäfte in Macau, und er hatte immer seinen Obolus geleistet, doch wenn es um die Erweiterung der Geschäfte, um einen großen Deal ging, musste er mit diesen verhassten Männern zusammenarbeiten.
»Zun jin de hu xiānsheng«, begrüßte ihn Won Huen Chai respektvoll.
Der King kannte den Mann bereits, zumindest dem Namen nach, was schlimm genug war. Denn er wusste, dass es sich um den Fan Shan Chu handelte, die Nummer zwei der Macau-Triade. Er wurde Marshall oder älterer Bruder genannt. Der Mann war groß und hatte eine Narbe unter dem linken Auge. Über ihn war bekannt, dass er der Triade schon als Junge beigetreten war und die...
| Erscheint lt. Verlag | 23.5.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton | Jerry Cotton |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Dedektiv • Detektiv • Deutsche Krimis • Ermittler • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimi Bestseller • Kriminalroman • Krimis • Mord • Mörder • Polizei • Polizist • Spannung • Spannungsroman • Tatort • Thriller • Verbrechen |
| ISBN-10 | 3-7325-4693-4 / 3732546934 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-4693-0 / 9783732546930 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich