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Kleine Fluchten (eBook)

Geschichten vom Hoffen und Wünschen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
144 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-20034-0 (ISBN)
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Neun hinreißende Kurzgeschichten von Bestsellerautorin Jojo Moyes für eine kleine Auszeit vom Alltag. Mit farbigen Innenillustrationen von Daniela Terrazzini. Kleine Fluchten brauchen wir alle. Momente, die den Alltag in Frage stellen und uns einen neuen Blick auf unser Leben ermöglichen. In diesen neun Geschichten - liebevoll illustriert von Daniela Terrazzini - sind es vermeintlich kleine Ereignisse, ein gefundenes Handy, eine vertauschte Sporttasche, ein missglücktes romantisches Wochenende, die für einen Augenblick das Fenster in ein anderes Leben öffnen. Mit ihren Romanen begeistert Jojo Moyes Leser:innen wie keine andere. Und auch ihre Kurzgeschichten tragen ihre ganz besondere Handschrift: Sie berührt uns, bringt uns zum Lachen, lässt uns träumen. Und stellt dabei ganz beiläufig große Fragen: Was wäre wenn? Was wünschen wir uns? Was macht uns glücklich?

Jojo Moyes, geboren 1969, hat Journalistik studiert und für die Sunday Morning Post in Hongkong und den Independent in London gearbeitet. Ihr Roman «Ein ganzes halbes Jahr» war ein internationaler Bestseller und eroberte weltweit die Herzen von 15 Millionen Leser:innen. Zahlreiche weitere Nr. 1-Romane folgten. Jojo Moyes hat drei erwachsene Kinder und lebt in London.

Karolina Fell hat schon viele große Autorinnen und  Autoren ins Deutsche übertragen, u.a. Jojo Moyes, Bernard Cornwell und Kristin Hannah. Jojo Moyes, geboren 1969, hat Journalistik studiert und für die Sunday Morning Post in Hongkong und den Independent in London gearbeitet. Ihr Roman «Ein ganzes halbes Jahr» war ein internationaler Bestseller und eroberte weltweit die Herzen von 15 Millionen Leser:innen. Zahlreiche weitere Nr. 1-Romane folgten. Jojo Moyes hat drei erwachsene Kinder und lebt in London.

Der Mantel vom letzten Jahr


Das Mantelfutter ist komplett zerrissen. Evie fährt mit dem Zeigefinger über den ausgefransten Saum und überlegt, ob sie die zarten Ränder des zerfaserten Stoffs wieder zusammennähen kann. Sie wendet den Mantel, betrachtet die abgetragene Wolle, die leicht glänzenden Stellen an den Ellbogen, und ihr wird klar, dass es wohl nicht mehr viel Sinn hat.

Sie weiß genau, was sie sich kaufen würde, um ihn zu ersetzen. Sie sieht den anderen zweimal am Tag, wenn sie am Schaufenster der Boutique vorbeikommt. Dann verlangsamt sie ihren Schritt, um ihn zu bewundern. Mitternachtsblau, mit einem silbrigen Lammfellkragen; klassisch genug, um ihn mehrere Jahre lang zu tragen, aber auch so ausgefallen, dass er nicht aussieht wie jeder x-beliebige Mantel von der Stange. Er ist wunderschön.

Und er kostet 185 Pfund.

Also senkt Evie den Blick und geht weiter.

Noch vor kurzem hätte Evie den Mantel gekauft. Sie hätte ihn in der Mittagspause hochgehalten, ihn ihren Kolleginnen vorgeführt und ihn in seiner edlen Tüte nach Hause getragen, und jedes Mal, wenn die Tüte gegen ihre Beine geschlenkert wäre, hätte sie befriedigt deren Gewicht gespürt.

Doch vor einiger Zeit sind sie, ohne je damit gerechnet zu haben, zu offiziellen Mitgliedern der Mittelschicht in der Krise geworden. Petes Arbeitszeit wurde unvermittelt um dreißig Prozent gekürzt. Gleichzeitig stiegen die Lebensmittelpreise um fünfzehn Prozent. Benzin ist so teuer, dass sie Evies Auto verkauft haben; jetzt geht sie die zwei Meilen zur Arbeit zu Fuß. Die Heizung, ein Luxus, wird morgens für eine und abends für zwei Stunden angestellt. Die Abzahlungen für das Haus, die ihnen einmal so tragbar erschienen waren, sind jetzt eine schwere Belastung. Sie sitzt abends am Küchentisch, grübelt über Zahlenkolonnen und warnt ihre Töchter vor unnötigen Ausgaben, wie ihre Mutter sie früher vor bösen Männern gewarnt hat.

«Komm jetzt, Schatz. Gehen wir schlafen.» Petes Hände legen sich sanft auf ihre Schultern.

«Ich bin noch mit den Abrechnungen beschäftigt.»

«Dann lass uns kuscheln, um uns warm zu halten. Ich denke dabei natürlich nur an die Heizkosten», fügt er ernst hinzu. «Ehrlich. Ich würde es kein bisschen genießen.»

Ihr Lächeln ist schwach, mehr ein Reflex. Er legt den Arm um sie. «Komm, Süße. Es wird schon gutgehen. Wir haben Schlimmeres überstanden.»

Sie weiß, dass er recht hat. Zumindest haben sie beide noch Arbeit. Einige ihrer Freunde setzen bloß noch ein sprödes Lächeln auf und antworten ausweichend, wenn man sie fragt, ob sie schon einen neuen Job gefunden haben: «Ach … ich hab da noch so ein paar Bewerbungen laufen.» Zwei haben ihre Häuser verkauft und sich aus «familiären Gründen» verkleinert. Viele von ihnen ziehen weg und brechen den Kontakt ab, als würden sie sich dafür schämen, dass sie nicht weiter die Karriereleiter hinaufsteigen.

«Wie geht’s deinem Dad?»

«Ganz gut.» Jeden Abend nach der Arbeit macht sich Pete auf den Weg zu seinem Vater, um ihm etwas Warmes zu essen zu bringen. «Mit dem Auto stimmt irgendwas nicht.»

«Sag das bloß nicht!», ruft sie erschrocken.

«Ich weiß. Ich glaube, der Anlasser gibt den Geist auf. Pass auf», sagt er, als er ihre Miene sieht, «mach dir keine Sorgen. Ich geh bei Mike vorbei und schau mal, ob er uns einen guten Preis machen kann.»

Sie erzählt nichts von dem Mantel.

 

Ihre Kolleginnen machen sich keine Sorgen über Anlasser oder Heizkosten. Sie verschwinden weiterhin in der Mittagspause und führen bei ihrer Rückkehr triumphierend ihre Einkäufe vor, mit dem ganzen Stolz eines Jägers, der seine neueste Trophäe präsentiert. Wenn sie montagmorgens ins Büro kommen, haben sie lauter Geschichten von Städtetrips nach Paris und Lissabon zu erzählen, und einmal die Woche gehen sie zusammen zum Italiener (Evie versichert ihnen, dass sie mit ihren Käse-Sandwiches vollkommen zufrieden ist, wirklich). Sie versucht, nicht missgünstig zu sein. Zwei von ihnen haben keine Kinder; Felicity hat einen Mann, der dreimal so viel verdient wie sie. Ich habe Pete und die Mädchen, sagt sich Evie nachdrücklich, und wir sind alle gesund, und wir haben ein Dach über dem Kopf, und das ist sehr viel mehr, als die meisten Menschen haben. Aber manchmal, wenn sie die anderen über Barcelona reden hört oder sieht, wie sie schon wieder ein neues Paar Schuhe vorführen, muss sie die Zähne so fest zusammenbeißen, dass sie sich Sorgen um ihren Zahnschmelz macht.

«Ich brauche einen neuen Mantel», erklärt sie Pete schließlich. Es kommt ihr hastig über die Lippen, fast schuldbewusst, wie bei jemandem, der einen Seitensprung gesteht.

«Du hast doch bestimmt jede Menge Mäntel.»

«Nein. Ich habe seit vier Jahren nur diesen einen. Ansonsten habe ich bloß noch meinen Regenmantel und den schwarzen von eBay, bei dem der Ärmel abgefallen ist.»

Pete zuckt mit den Schultern. «Na und? Du brauchst einen Mantel, also geh und kauf einen Mantel.»

«Aber der einzige, der mir gefällt, ist teuer.»

«Wie teuer?»

Sie sagt es ihm und sieht, wie er blass wird. Pete findet, mehr als sechs Pfund für einen Haarschnitt auszugeben, sei ein Zeichen von Wahnsinn. Während ihrer gesamten Ehe hat immer sie sich um die Finanzen der Familie gekümmert. Die Kehrseite davon ist, dass Petes Preisbarometer irgendwann Mitte der achtziger Jahre stehengeblieben ist.

«Ist das ein … Designermantel?»

«Nein. Einfach ein guter Wollmantel.»

Er schweigt einen Moment lang. «Da ist noch Kates Klassenfahrt. Und mein Anlasser.»

«Ich weiß. Ist schon okay. Ich kaufe ihn nicht.»

Am nächsten Morgen wechselt sie auf dem Weg zur Arbeit die Straßenseite, damit sie ihn nicht sehen muss. Aber das Bild des Mantels hat sich vor ihrem inneren Auge festgesetzt. Sie sieht ihn jedes Mal, wenn sich ihre Finger in dem aufgerissenen Futterstoff verfangen. Sie sieht ihn, als Felicity mit einem neuen Mantel aus der Mittagspause zurückkommt (rot, mit Seidenfutter). Irgendwie steht er für alles, was mit Petes und ihrem Leben schiefgelaufen ist.

«Wir besorgen dir einen neuen Mantel», sagt Pete am Samstag, als er sieht, wie übervorsichtig sie den Arm aus dem Ärmel zieht. «Ich bin sicher, dass wir einen finden, der dir gefällt.»

Sie bleiben vor dem Schaufenster der Boutique stehen, und sie schaut Pete stumm an. Er drückt ihren Arm. Sie gehen in ein paar andere Geschäfte und landen schließlich bei Get the Look, einem Laden, den ihre Töchter mögen; er ist vollgestopft mit «coolen» Klamotten, die Verkäuferinnen sehen aus, als wären sie zwölf Jahre alt, und kauen Kaugummi, die Musik ist ohrenbetäubend. Normalerweise hasst Pete Shopping-Touren, aber er scheint zu spüren, wie niedergeschlagen sie ist, und legt eine untypische Munterkeit an den Tag. Er sieht die Kleiderständer durch, hält einen dunkelblauen Mantel mit einem Kunstpelzkragen in die Höhe. «Sieh mal – der ist genauso wie der andere, der dir gefallen hat! Und er kostet nur», er späht auf das Preisschild, «neunundzwanzig Pfund!»

Sie lässt sich von ihm in den Mantel helfen und betrachtet sich im Spiegel.

Der Mantel ist etwas zu eng unter den Armen. Der Kragen ist hübsch, aber sie vermutet, dass er innerhalb von Wochen verfilzt sein wird wie eine alte Katze. Der Schnitt lässt den Stoff an genau den falschen Stellen spannen und durchhängen. Die Wollmischung besteht zum größten Teil aus Kunstfasern.

«Du siehst toll aus», sagt Pete lächelnd.

Pete würde selbst dann noch sagen, dass sie toll aussieht, wenn sie Sträflingsklamotten tragen würde. Sie hasst diesen Mantel. Sie weiß, dass er jedes Mal, wenn sie ihn anziehen würde, ein stummer Vorwurf sein wird. Dreiundvierzig Jahre alt, und du trägst einen Billigmantel aus einem Teenie-Laden.

«Ich überlege es mir», sagt sie und hängt den Mantel zurück.

 

Die Mittagspause hat sich zu einer Art Folterstunde entwickelt. Heute buchen ihre Kolleginnen Karten für einen gemeinsamen Ausgeh-Abend, das Konzert einer wiederauferstandenen Boygroup, die vor fünfzehn Jahren berühmt war. Sie haben sich um einen Computerbildschirm geschart und sehen sich die Sitzplatzverteilung im Konzertsaal an.

«Hast du auch Lust, Evie? Mädelsabend? Komm schon, das wird unheimlich lustig!»

Sie sieht sich die Kartenpreise an. Fünfundsiebzig Pfund das Stück, dazu noch die Anfahrt.

«Nein danke.» Sie lächelt. «Ich mochte sie schon damals nicht besonders.»

Das ist natürlich eine Lüge. Damals hat sie die Gruppe angebetet. Sie stapft nach Hause, gestattet sich nur einen ganz kurzen Blick auf den Mantel. Sie fühlt sich kindisch, aufsässig. Und dann, als sie die kurze Einfahrt hinaufgeht, sieht sie Petes Beine unter dem Auto hervorragen.

«Was machst du hier draußen? Es regnet.»

«Ich dachte, ich versuche es mal selbst mit der Reparatur. Spar ein paar Kröten.»

«Aber du hast doch keine Ahnung von Autos.»

«Ich hab mir was aus dem Internet runtergeladen. Und Mike hat gesagt, er kommt später vorbei und überprüft, ob ich alles richtig gemacht habe.»

Sie schaut ihn an, und das Herz wird ihr ganz schwer vor Liebe zu ihm. Er lässt sich immer etwas einfallen.

«Warst du bei deinem Vater?»

«Ja. Hab den Bus genommen.»

Evie starrt die durchnässten, verdreckten Hosen ihres Mannes an und seufzt. «Ich mache ihm einen Auflauf, damit er genug zu essen hat, falls du ein paar Tage nicht zu ihm kannst.»

«Du bist ein Schatz.» Er wirft ihr mit öligen Fingern eine...

Erscheint lt. Verlag 20.10.2017
Illustrationen Daniela Terrazzini
Übersetzer Karolina Fell
Zusatzinfo Mit 15 4-farb. Ill.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte bücher für frauen • Eine Handvoll Worte • Ein ganzes halbes Jahr • Ein ganz neues Leben • Geschenk • Geschenkbuch • Geschenk für Freundin • Geschenk für Mutter • Geschenk Muttertag • kurze Liebesgeschichten • Liebesromane Bestseller • Liebesromane deutsch • liebesromane für erwachsene • Lou • Lou Kurzgeschichten • romane bestseller frauen • romantischer Liebesroman • Roman Urlaub • Spiegel Bestseller-Autorin • Weihnachten • Weihnachtsgeschenk • will
ISBN-10 3-644-20034-3 / 3644200343
ISBN-13 978-3-644-20034-0 / 9783644200340
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