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Scherbennacht (eBook)

Kriminalroman
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
384 Seiten
Blanvalet (Verlag)
978-3-641-20653-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Scherbennacht -  Nicole Neubauer
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Guter Bulle, böser Bulle, toter Bulle ...
Ein Polizistenmord erschüttert die Münchner Mordkommission. Der Drogenfahnder Leo Thalhammer wurde mit seiner eigenen Dienstwaffe erschossen. Kommissar Waechter und sein Kollege Brandl ermitteln in einem überhitzten München, in dem Straßenschlachten eskalieren und Polizeiautos brennen. Immer wieder führen die Spuren in die Reihen der Polizei zurück, in einer Spezialeinheit stoßen die Ermittler auf eine Mauer aus Schweigen. Der tote Polizist war einem Skandal auf der Spur - gejagt von seinen eigenen Dämonen ...

Nicole Neubauer ist 1972 in Ingolstadt geboren und studierte englische Literaturwissenschaft und Jura in München und London. Nach zehn Jahren in einer Wirtschaftskanzlei arbeitet sie freiberuflich als Autorin, Rechtsanwältin und Lektorin. Sie ist Mitglied der »Mörderischen Schwestern e.V.« und der »Autorinnenvereinigung e.V.«.

Nicole Neubauer lebt mit ihrer Familie in München im Herzen Schwabings.

Zehn

Der Boden unter Sunnys Füßen bewegte sich. Ameisen wuselten zwischen den Steinen herum und brachten den Kies zum Flimmern, wie Wellen in bewegter See. Sunny trat von einem Bein auf das andere. Sie hatte schon vorher gewusst, dass ihr Kollege sie versetzen würde. Das Warten fühlte sich anders an, wenn man versetzt wurde. Aussichtsloser.

»Du Vollidiot«, sagte sie zu niemandem, außer den Ameisen.

Eine feine Staubschicht bedeckte ihre Laufschuhe. Nur ein Auto parkte noch auf dem Kiesplatz. Fühlte sich komisch an, das Alleinsein. In der Kaserne war sie nie allein.

Sie schaute sich um. Der ehemalige Sportplatz lag direkt am Englischen Garten, hinter dem Schwabinger Bach. Die brütende Stille der Mittagshitze hatte sich schon über die Kiesfläche gesenkt, von der nahen Stadt war kein Laut zu hören. Kaum zu glauben, dass gestern wenige Straßen von hier entfernt ein Wasserwerfer gedonnert hatte.

Einige Ameisen eroberten ihren nackten Knöchel, sie schüttelte die Tiere ab. Glänzende, gepanzerte Leiber, genau wie Sunny in ihrer Ausrüstung. Der Einsatz war aus dem Ruder gelaufen. Sie hatten nur noch reagieren können, als die Demonstranten die Absperrung durchbrachen. Von wegen offensives Auftreten. Sie waren das Unterstützungskommando, sie durften nie diejenigen sein, die reagierten. Sie hatten die Falschen in die enge Straßenschlucht zurückgeknüppelt, gehetzte Gesichter, gezeichnet von Platzangst. Sie hatten versucht, mit viel zu wenigen Beamten eine Gruppe Menschen zu kesseln. »Was sollen wir machen?«, hatte Nils gerufen. Patrick hatte einen Demonstranten am Sweatshirt herausgezerrt. Mit hochrotem Kopf hatte er zugeschlagen und zugeschlagen, immer wieder, sodass sie ihm mit Gewalt in den Arm fallen musste. Wie er sie angeschaut hatte mit seinen hellen, starren Augen, wie Scheiben aus Metall. Sie würde seine Augen auch trotz Sturmhaube erkennen, überall. Sein Gruppenführer hatte ihn schließlich weggezogen, und der Demonstrant war in der Nacht verschwunden.

Plötzlich hatte Sunny allein in der Masse gestanden, hatte niemanden von ihren Leuten mehr gesehen, etwas, das nie passieren durfte. Unverzeihlich. Sie mussten in der Überzahl sein, sie personifizierten Überzahl. Ohne ihre Kollegen war Sunny eine Ameise ohne Schwarm, die mit ihrem kiloschweren Panzer nicht einmal richtig rennen konnte.

Mit einer ärgerlichen Kopfbewegung vertrieb sie die Erinnerung.

Die Sonne hatte schon genug Kraft, um die Steine aufzuheizen, die Luft flimmerte. Der Kies knirschte unter Sunnys Sohlen, eine Fliege brummte an ihrem Ohr vorbei. Sie musste aufs Klo. Am Rand des Sportplatzes stand ein Vereinsheim mit geschlossenen Rollläden. Von den Türen blätterte die blaue Farbe ab, ein Mountainbike mit eingesunkenen Reifen lehnte an der Wand. Gestrüpp und Bäume hatten die Reste einer Mauer überwuchert. Ein paar Baumstümpfe zeugten davon, dass jemand vergeblich versucht hatte, die Natur aufzuhalten.

Sunny rüttelte an den Türen. Zugesperrt. Hätte sie sich denken können. Sie ging um die verrammelten Fenster des Clubhauses herum. Dahinter standen weitere Klohäuschen, ebenfalls versperrt. Sunny entschied sich für Plan B und duckte sich zwischen die Büsche. Gräser kitzelten ihre nackte Haut, hoffentlich interessierten sich keine Zecken für ihre Heiligtümer. Zwei grünlich schimmernde Fliegen summten ihr um den Kopf. Um ihre Schuhe herum wimmelte es von Ameisen. Sunny zog die Shorts wieder hoch und beobachtete die Tiere. Sie formierten sich zu einem dunklen Band, das sich schnurgerade über den Boden zog. Es bewegte sich und flirrte in der Morgensonne. Eine Ameisenstraße, die im Gebüsch verschwand.

Sunny trat zurück auf die freie Fläche. Er war nicht gekommen, hatte sie ihren freien Vormittag gekostet. Warum ließ er sich nicht helfen, der sture Teufel? Sie ballte die Fäuste. Er würde sie alle in die Scheiße reiten.

Die Ameisenstraße bewegte sich über die Kiesel. Zielstrebig wie kleine Computer, in die jemand 1 und 0 einprogrammiert hatte. Sunny folgte ihnen mit den Augen, bis sie ihr Ziel erkennen konnte. Die Ameisen liefen direkt auf den geparkten Wagen zu. Ein dunkelblauer BMW. Das Fahrerfenster stand einen Spaltbreit offen, leise Musik drang heraus. Sie war also doch nicht alleine gewesen. Ein fremdes Auto, hoffentlich kein Spanner.

Hinter der Scheibe konnte sie keinen Kopf erkennen, es war dunkel im Innenraum, als wäre das Beifahrerfenster verhängt. Die Ameisen nahmen den Wagen in Besitz. In einer ordentlichen Kolonne kletterten sie an der Fahrertür hoch, über den Rand der Scheibe und verschwanden in dem geöffneten Spalt. Ihre Kameraden strömten auf demselben Weg wieder heraus. Offenbar suchten sie etwas da drin. Nahrung.

Im Autoradio lief ein Werbejingle.

Irgendwas war hier falsch. Total falsch.

Zögernd kam Sunny näher, trat mit ihren Laufschuhen auf die Ameisenstraße, die Tiere rannten ihr über die Füße. Sie schirmte ihre Augen mit den Händen ab und spähte durch die Scheibe. Eine dicke grüne Fliege krabbelte auf den Fensterrand, putzte sich mit ihren Beinchen die Flügel und flog träge davon, einen Zentimeter von Sunnys Gesicht entfernt.

Sunny riss die Autotür auf.

Ein einziger Schuss. Der musste sitzen. Waechter machte einen weiteren Schritt nach vorn und hob die Pistole. Seine Finger schwitzten. Die Waffe hatte seine Körperwärme gespeichert, schmiegte sich in seine Hand wie ein kleines eigensinniges Stahlgeschöpf.

Alle Geräusche waren gedämpft, bis auf ein fernes Wummern. Seine anderen Sinne sprangen ein, die Konturen traten scharf aus dem Halbdunkel, es roch nach Ruß, Metall, Schweiß, dem verbrannten Geruch vergangener Explosionen. Waechter stabilisierte seinen Griff, bereit für den Moment, wenn das Ziel vor ihm auftauchte. Ein Schweißtropfen lief ihm über den Nacken, und er schlug mit der freien Hand danach wie nach einer Fliege. Der Lauf zitterte.

Konzentrier dich, Waechter!

Er hob die Waffe und zielte. Sein Jackett spannte, der Gürtel war zu eng, die Hitze und die schlechte Luft drückten ihn nieder wie Bleigewichte. Vor ein paar Monaten hatte er selbst in den Lauf von so einem Ding geblickt. Kein Wunder, dass das Teil nicht machte, was er wollte. Er und seine Heckler & Koch P7 waren nicht gut aufeinander zu sprechen.

Wir müssen reden.

Reiß dich zusammen, Waechter!

Er holte seine Aufmerksamkeit zurück in den gebärmutterartigen Keller. Sein Arm verkrampfte, der Schmerz pflanzte sich über das Genick fort bis zu einem Stechen in der linken Schulter. Waechter versuchte es zu ignorieren, er war Rechtshänder, doch der unangenehme Druck im linken Arm pulsierte im Rhythmus seines Herzschlags. Er hätte längst zum EKG antreten müssen. Dass ihm das auch immer in den ungünstigsten Momenten einfiel. Zumindest würde er mit dem Rauchen aufhören. Ja, noch heute würde er aufhören, und zwar sobald er hier rauskam.

Er stemmte die Beine in den Boden, stabilisierte erneut den Anschlag. Automatisch suchten seine Finger die Vertiefungen im Spannhebel, den richtigen Druckpunkt, und schoben ihn zurück, bis er fast lautlos einrastete.

Ein helles Rechteck leuchtete auf, an einer anderen Stelle als erwartet. Darin die dunkle Silhouette eines Menschen. In einem Sekundensplitter sah Waechter die Waffe in der Hand des Umrisses, drehte sich, legte an. Ein mörderischer Schmerz fuhr in seinen linken Arm wie ein Schwall Säure. Er drückte den Abzug.

Der Knall hallte durch den Keller, der Rückstoß zuckte durch seine Arme, durch die Wirbelsäule. Über der Schulter des menschlichen Umrisses blühte ein kleines Loch auf, wie Taubenscheiße kurz vor der Landung.

Waechter zog den Gehörschutz ab, das Rauschen der Klimaanlage brandete auf. Die Lichter gingen an und ließen die Raumschießanlage klein und schäbig aussehen. Die schwarze Täterscheibe an der Wand hielt quicklebendig ihre Pistole hoch. Sie sah schadenfroh aus.

»Ging auch schon mal besser, Waechter«, sagte der Trainer durch die Sprechanlage.

»Kommt von der verreckten Hitz.« Waechter sagte nichts von dem Schmerz in seinem Arm und auch nichts von der Erinnerung an den kleinen schwarzen Punkt im Lauf der Pistole, in deren Lauf er damals geschaut hatte.

Er ging zurück in den Kontrollraum, hängte die Schallschützer an ihren Platz, drückte den Schieber am Griffstück der Pistole und ließ das Magazin in die flache Hand fallen. Der Trainer füllte ein Formular aus. Waechter warf die letzte Patrone aus, nahm den Schlitten ab und reinigte den Lauf der P7. Mit einem letzten Klick baute er die Pistole wieder zusammen, ließ das Magazin einrasten und lud durch. Schussbereit. Er steckte sie ins Holster in die Nähe seines Herzens. Schon jetzt war das Hemd darunter durchgeschwitzt. Waechter zog ein Papierhandtuch aus dem Spender und wischte sich die Hände ab, aber so sehr er auch rieb, die Flecken von Ruß und Öl gingen nicht weg.

Das Telefon im Kontrollraum klingelte, der Trainer hob ab.

»Ist für dich, Waechter. Die Chefin ist dran.« Er gab Waechter den Hörer.

»Habe die Ehre. Was gibt’s?«

Die Stimme der Kriminalrätin war immer ruhig, aber heute klang sie geradezu heruntergedimmt, so als habe Die Chefin alle Emotionen herausgefiltert, bis sie sich anhörte wie ein Roboter. Waechter musste den Hörer ans Ohr pressen, um sie zu verstehen.

»Michael, wir brauchen dich auf der Stelle hier. Ein Kollege ist tot.«

Eine Wegbeschreibung hatte Waechter nicht nötig, er würde mit verbundenen Augen hinfinden. Der Tatort war nur zwanzig Minuten entfernt, in der Nähe seiner Wohnung, am Biederstein, direkt...

Erscheint lt. Verlag 18.9.2017
Reihe/Serie Kommissar Waechter
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
Schlagworte eBooks • Ermittlerteam • Heimatkrimi • Kellerkind • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Moorfeuer • Mord • Mordermittlung • München • Polizei • Polizistenmord • Rache
ISBN-10 3-641-20653-7 / 3641206537
ISBN-13 978-3-641-20653-6 / 9783641206536
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