Jerry Cotton Sonder-Edition 51 (eBook)
80 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-4624-4 (ISBN)
Sie beherrschten eine ganze Stadt. Sie betrogen, stahlen, erpressten und mordeten skrupellos. Die Bande hatte sogar eine eigene Polizei. Und eigene Richter, die grausame Urteile fällten. Es war ein Skandal, der zum Himmel schrie. Denn dies geschah nicht in Chicago und nicht zu Al Capones Zeiten. Es geschah jetzt - nur eine knappe Autostunde von New York City entfernt.
1
Die Nacht war stockfinster. Im Dunkeln drückte mir Phil seine Maschinenpistole in die Hand, obwohl ich selbst eine trug. Wahrscheinlich wollte er beide Hände frei haben, wenn er die Tür aufschloss. Es musste geräuschlos vor sich gehen, denn nur acht Schritte entfernt stand das Pförtnerhäuschen.
Ich wartete, während Phil mit dem Schlüssel hantierte. Es war kurz vor drei, und überall hingen Nebelschwaden.
Das Schiebetor war groß genug, um die größten Lastzüge durchzulassen. Als Phil es zur Seite schob, machte es einen Radau, dass ich am liebsten angefangen hätte, laut zu fluchen. Aber dazu war keine Zeit. Jeden Augenblick konnte der Pförtner auftauchen, von dem lauten Quietschen alarmiert.
Wir drückten uns in die lange Halle hinein. Phil schob rasch das Tor hinter uns zu und schloss es von innen wieder ab. Ich leuchtete mit der Taschenlampe die Reihe der abgestellten Fernlastzüge ab.
»Da drüben!«, rief ich leise und zeigte auf das vierte Fahrzeug von rechts, einen knallrot lackierten Sattelschlepper, der wie alle Wagen in großen Lettern den Firmennamen der Spedition zeigte.
Wir rannten geräuschlos auf den Wagen zu, während wir draußen die Schritte des Pförtners hörten. Jetzt musste es schnell gehen. Ich leuchtete Phil mit der Rechten, während ich in der Linken unsere beiden Tommy Guns hielt.
In dieser Firma schien es verdammt ordentlich zuzugehen. Trotz der abgeschlossenen Halle waren die Türen der Lastwagen abgeschlossen. Aber wir hatten den passenden Schlüssel. Phil kletterte als Erster ins Führerhaus. Ich reichte ihm die Maschinenpistolen hinauf und folgte ihm.
Gerade als ich die Tür hinter mir zuzog, fing das Tor an zu quietschen. Wir zogen die Köpfe ein und drückten uns so flach wie möglich auf die Sitzbank. In die nächtliche Stille hinein hallten die Schritte des Pförtners, der es mit seiner Pflicht genau nahm. Er machte einen Rundgang durch die ganze Länge der Halle und ließ sich so viel Zeit dabei, dass er offenbar in jeden Winkel leuchtete. Endlich hörten wir das Tor wieder quietschen, als er verschwand.
Wir richteten uns auf. Ich knipste meine Taschenlampe an und griff in die Innentasche der Lederjacke. Unsere Techniker hatten mir ein Walkie-Talkie in die Hand gedrückt. Ich zog die Antenne aus, drückte die Taste und hielt mir das Kästchen schräg vors Gesicht.
»Hallo«, sagte ich halblaut. »Hier ist Cotton. Hört ihr mich?«
In dem Kasten knisterte es, und dann kam die entfernt klingende Stimme von Steve Dillaggio aus dem Lautsprecher.
»Hier ist Steve«, sagte er. »Was ist los, Jerry?«
»Der erste Teil hat geklappt. Wir sind im Wagen.«
»Irgendwelche Schwierigkeiten?«
»Der Pförtner hat das Quietschen des Tors gehört. Die sollten mal die Schienen und die Rollen ölen. Aber er hat uns nicht gefunden.«
»Ob er was unternimmt?«
»Keine Ahnung. Stellt euch so auf, dass ihr den Eingang beobachten könnt! Sollte in den nächsten fünf Minuten ein Streifenwagen aufkreuzen, müsst ihr uns warnen. Ich lasse das Walkie-Talkie eingeschaltet.«
»Gut. Noch etwas?«
»Wenn ihr euch nicht innerhalb von fünf Minuten meldet, nehmen wir an, dass alles in Ordnung ist. Dann schalte ich ab, um die Batterie zu schonen. Wir melden uns dann erst wieder, wenn es so weit ist.«
»Okay, Jerry. Ende?«
»Ende«, bestätigte ich und legte den Kasten beiseite.
»Fünf nach halb vier«, sagte Phil leise. »Wir haben noch zwanzig Minuten Zeit, bis sie kommen.«
Wir warteten. Fünf Minuten vergingen, und Steve meldete sich nicht wieder. Ich schaltete das Walkie-Talkie aus und sah mich mit der Taschenlampe um. Über der Rückenlehne der Sitzbank gab es eine breite Öffnung. Ich leuchtete hinein: eine Schlafkoje für den Fahrer, nicht viel höher als ein halbes Yard. Das konnte ja heiter werden.
Träge verging die Zeit. Wir dösten vor uns hin, bis Phil wieder einmal die Lampe anknipste, um auf die Uhr zu blicken.
»Zehn vor vier«, sagte er. »Es wird besser sein, wenn ich schon in die Koje krieche.«
Er schob die Maschinenpistolen hinein und kletterte hinterher. Ich reichte ihm das Walkie-Talkie nach, blieb aber auf der Bank sitzen, bis wir draußen näherkommende Schritte hörten. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste mich zu Phil in die Koje zwängen. Es wurde so eng, dass sich eine Sardine über Platzmangel beschwert hätte. Fast wäre es mir nicht möglich gewesen, den Vorhang vor der Koje rechtzeitig zuzuziehen.
Die Fahrer hießen Timothy Collins und Andrew Johnson. Collins war der ältere, genau sechsundvierzig Jahre alt, und seit über zwanzig Jahren in der Firma. Johnson fuhr erst seit knapp drei Jahren für die Spedition, seitdem er die Army hinter sich hatte.
Wir hatten Glück. Keiner der beiden sah hinter den Vorhang in die Koje. Sie kletterten ins Führerhaus. Collins ließ den Motor an. Mit schwerem, dumpfem Brummen rollte der Sattelschlepper zur Halle hinaus. Als sie am Pförtnerhäuschen vorbeikamen, rief Collins dem Pförtner einen burschikosen Abschiedsgruß zu. Der Mann erwiderte irgendetwas.
Johnson spielte am automatischen Sendersucher des Radios, bis er eine Station gefunden hatte, die flotte Musik ausstrahlte. Sie hatten eine Tour von fast dreitausend Meilen vor sich, bis hinüber nach Los Angeles, und dann dieselbe Strecke wieder zurück.
Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir es zwei Stunden in der engen Koje ausgehalten hätten, aber länger als dreißig Minuten war es beim besten Willen nicht zu machen. Einer von uns musste mit auf die Sitzbank, wo für drei genug Platz war. Also schob ich den Vorhang vor meinem Gesicht etwas zur Seite.
Collins saß in der leicht gebeugten, entspannten Haltung des routinierten Fahrers vor dem großen Steuerrad. Johnson hatte den rechten Fuß gegen das Armaturenbrett gestemmt und lag mehr auf der Bank, als dass er saß.
Wir hatten den Holland Tunnel unter dem Hudson River hindurch längst hinter uns und rollten auf einer der mehrspurigen Ausfallstraßen durch Jersey City. Die Scheinwerfer des Sattelschleppers schnitten ein asymmetrisches Lichtband aus der nächtlichen Finsternis. Es war noch nicht viel Betrieb. Nur selten überholte uns ein Personenwagen.
Ich wartete, bis wieder einmal die roten Schlusslichter vor uns in der Nacht verschwunden waren. Dann räusperte ich mich.
»Guten Morgen, Johnson. Hallo, Collins«, sagte ich so freundlich wie möglich. »Bleiben Sie schön mit dem Schlitten auf der Straße! Auch wenn Sie jetzt etwas erschrocken sein sollten, weil da auf einmal eine Stimme in Ihrem Rücken laut wurde. Ich bin kein Gespenst.«
Eben noch hatte Collins leicht vorgebeugt über dem Steuer gesessen. Jetzt versteifte sich sein Rücken. Johnson reagierte viel heftiger. Sein Fuß fuhr vom Armaturenbrett weg. Er rutschte zur Seite, sodass er mit dem Rücken gegen die rechte Tür stieß. Im bläulichen Widerschein der Instrumentenbeleuchtung wirkte sein vor Schreck verzogenes Gesicht bizarr.
Ich schob den Vorhang vor meinem Gesicht weiter zur Seite. In meinem linken Arm kribbelten hunderttausend Ameisen. Zufällig fiel mein Blick auf die Uhr neben dem Autoradio. Die Zeiger standen auf 4:30 Uhr. Ich wollte mit der Rechten den Vorhang endgültig beiseite ziehen, aber ich erstarrte mitten in der Bewegung.
Johnson hatte auf einmal einen großen, schweren Armeecolt in der Hand. Die Mündung war ein finster gähnendes, großes Loch.
»Das ist ein 45er«, sagte er unnötigerweise. »Wenn du auch nur mit einem Ohr wackelst, bleibt von deinem Schädel nicht mehr viel übrig.«
Er hatte den Finger viel zu hart am Abzug, der Sattelschlepper rumpelte beim Fahren sowieso, und wenn es jetzt nur ein einziges, verdammtes Schlagloch auf der Strecke gab, war es passiert.
***
Es war halb fünf in dieser Nacht, als der Patrolman George Kossack die Revierwache betrat. Er spielte lässig mit seinem Knüppel, während er sich mit der anderen Hand die Schirmmütze ins Genick schob und auf das Pult des Desk Sergeants zutrat.
Das Pult stand auf einem Podium, zu dem drei Stufen hinaufführten, und jeder andere Cop hätte zum Sergeant hochblicken müssen. Aber Kossack war ein Bulle von knapp sechseinhalb Fuß, und es machte ihm jedes Mal Spaß, dem wachhabenden Sergeant zu zeigen, dass die herkömmlichen Möbelgrößen nicht für Leute seines Schlages berechnet waren.
Der Sergeant dieser Nachtschicht hieß Day Bewin. Er war länger bei der Polizei als irgendjemand sonst in der Stadt. Niemand hatte ihn je anders als mürrisch erlebt.
»Schon wieder da?«, knurrte er, als er Kossack sah.
Der Riese vor dem Pult nickte. »Klar, Sarge. Meine Runde ist rum. Aber wenn Sie wollen, gehe ich sie auch zweimal hintereinander ab. Mir macht das nichts aus.«
Nein, dachte der Sergeant. Dem Kerl macht nie etwas was aus. Der würde auch jede Nacht zwanzig Meilen herunterstrampeln und kein einziges Mal murren, dass man so eine Tour besser mit einem Streifenwagen machen sollte. Dieser Kossack wird uns eines Tages noch vor lauter Energie explodieren.
»Und was mache ich jetzt?«, fragte Kossack mit der entwaffnenden Unschuld seiner zweiundzwanzig Jahre.
Sergeant Bewin schloss die Augen und atmete tief ein. »Ich trage die Uniform seit neununddreißig Jahren«, verkündete er kopfschüttelnd. »Aber es ist das erste Mal, dass mich ein lausiger Anfänger von einem Cop fragt, was er mit sich anfangen soll. Wenn du nichts zu tun hast, dann sei froh und lies Zeitung, löse Kreuzworträtsel oder rufe meinetwegen deine Großmutter an!«
»Wenn das Gespräch...
| Erscheint lt. Verlag | 25.4.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition | Jerry Cotton Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dedektiv • Detektiv • Deutsch • Deutsche Krimis • eBook • E-Book • eBooks • Ermittler • erste-fälle • gman • G-Man • Hamburg • Horst-Bosetzky • international • Kindle • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimiautoren • Krimi Bestseller • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Krimis • krimis&thriller • letzte fälle • martin-barkawitz • Mord • Mörder • nick-carter • Polizei • Polizeiroman • Polizist • Reihe • Roman-Heft • schwerste-fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • Spannung • Spannungsroman • stefan-wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • uksak • Verbrechen • Wegner |
| ISBN-10 | 3-7325-4624-1 / 3732546241 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-4624-4 / 9783732546244 |
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