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Leben und Lüge (eBook)

eBook Download: EPUB
2017 | 2. Auflage
176 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7448-7659-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Leben und Lüge - Detlev von Liliencron
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Leben und Lüge ist ein autobiographischer Roman, den Detlef von Liliencron erst kurz vor seinem Tod vollendete.

Detlev von Liliencron, geb. am 3.6.1844 in Kiel, gest. am 22.7.1909 in Alt-Rahlstedt, eigentlich Friedrich Adolf Axel Freiherr von Liliencron, war ein deutscher Schriftsteller und Lyriker. Er war Autor von Prosa und Bühnenstücken.

Erster Teil


Wo kam er her


Die winzige Grenzfestung, als solche im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts eingegangen, lag im Westen Deutschlands. Sie war so klein, daß man von einem Tor durchs gegenüberliegende sehen konnte. Sie hatte davon vier, genau nach der Windrose. In der Mitte sonnte sich der große viereckige Markt- und Alarmplatz.

Um diesen herum lagen die einzigen Häuser des Städtchens. Weshalb eigentlich hier die Feste gebaut war, konnte niemand ergründen. Weder war ein Flußübergang, noch ein Felsenpaß zu verteidigen. Weder bot sie Platz für geräumige Speicher, für Vorräte, für bereitliegende Waffen, für Kriegsbedarf, noch konnte sie aus Raummangel geschlagenen und zerstreuten Truppen als Zufluchtsort und Schlupfwinkel dienen.

Die Gegend legte sich meilenweit platt um die Wälle. Alle feindlichen Heere waren auch von jeher lachend und höhnend um sie herumgezogen, hatten sie nicht einmal einer Beschießung, gar einer Belagerung für wert und würdig gehalten.

Sie war nach Vaubans »erster Manier« angelegt. Ja, es ging die Sage, aber eben nur die Sage, daß Vauban selbst den Bau geleitet habe. Eins aber hatte die kleine Feste: ein niedrig streifendes Schußfeld im besten Sinne des Wortes.

Zum Standort gehörten der Kommandant, der Platzmajor, ein Infanterie-Regiment und zwei Batterieen. Ferner waren vorhanden: Proviantbeamte, der Kriegsgerichtsrat, ein Baurat, der Pfarrer, der Artillerie-Offizier vom Platz und der Ingenieur-Offizier vom Platz, der Arzt und einige Wallmeister.

Die Häuser und »ärarischen« Gebäude der Festung, die den Markt- und Alarmplatz umstanden, waren die Kommandantur, die Kasernen, die Vorratsräume, ein turmloses Kirchlein, die Wohnungen für Offiziere und Beamte und einige wenige Privathäuser.

Aber hinter ihnen, oft ganz versteckt zwischen und in den Werken, träumten schöne, stille, einsame, uralte Gärten. Freilich, wäre die Festung nur ein einziges Mal belagert gewesen, sie hätte, da dann alles umgehauen werden mußte, nicht ihre Riesenbäume gehabt, die in diesen Gärten den größten Schmuck ausmachten. Ein besichtigender General hatte mal ausgesprochen, daß solche einsame, alte, gänzlich versteckt liegende Gärten die traumhafteste Poesie, die Poesie an sich wären.

Der größte, einsamste und versteckteste Garten gehörte zur Kommandantur.

So schlief denn das Örtchen und hatte geschlafen die Jahrhunderte hindurch, abseits von aller Welt.

Der Kommandant um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts hieß Oberst von Vorbrüggen. Die Familie Vorbrüggen stammte aus Südfrankreich, aus der Provence. Der Glanzpunkt dieses Geschlechtes war Raimon devant le Pons (Pont), der Troubadour. Später war es nach Holland gekommen, wahrscheinlich mit den Grafen Nassau-Orange, und von hier aus, zu Zeiten des Großen Kurfürsten, in die Mark Brandenburg. Vielleicht durch verwandtschaftliche Beziehungen der Hohenzollern zu den Oraniern. Ein Zweig wanderte in demselben Jahrhundert in Dänemark ein. Dieser Zweig wurde im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts in den dänischen Grafenstand erhoben.

Eigentlich hätten sich die von Vorbrüggen in richtiger Übersetzung ihres Namens »vor der Brücke« nennen müssen. Aber wie es immer gekommen sein mochte: sie nannten sich von Vorbrüggen. Aus dem »vor der« war ein »von« geworden. In Brandenburg verbanden sie sich durch zahlreiche Heiraten mit dem Adel des Landes.

Waren sie früher reich und begütert gewesen, haperte es jetzt bedenklich mit dem Vermögen der letzten preußischen Vorbrüggen. Diese waren der Oberst mit seinen zwei Söhnen.

In Dänemark stand die Familie nur auf zwei Augen. Der letzte, Graf Enewold, war nicht vermählt. Er saß, außergewöhnlich reich, auf seinem Schloß Tangbüttel in Holstein. Alle, die ihn kannten, hielten ihn für einen sehr klugen Menschen, mit dem es nicht bequem war umzugehen. Das mochte aber so gekommen sein: Er hatte sich sein Leben hindurch seine volle Freiheit bewahrt; ließ sich, wie sein Kammerdiener zu sagen pflegte, von keinem an die Nasenspitze fassen. Und so einer ist nicht »bequem«. Zuweilen tat der jetzt achtundzwanzigjährige Enewold Kammerherrndienste in Kopenhagen.

Der Name seines Gutes Tangbüttel heißt Tannenort und hat nichts zu tun mit Tang (Seetang) und ähnlichem.

Der Kommandant, Oberst Friedrich Wilhelm v. Vorbrüggen, hatte, einunddreißig Jahre alt, achtzehnhundertund-neunzehn die siebzehnjährige Tochter eines pommerschen Predigers geheiratet.

Schon bei Jena hatte er als Junker, siebzehn Jahre alt, mitgekämpft; am dreißigsten Dezember achtzehnhundert-undzwölf war er die entscheidenden Stunden bei York in Tauroggen gewesen. Bei Dennewitz verwundet, machte er doch schon Leipzig wieder mit, wo ihm das Eiserne Kreuz verliehen wurde. Für Waterloo erhielt er das Eiserne Kreuz erster Klasse.

Am Tage von Waterloo wurde auf Schloß Tangbüttel in Holstein, in der Nähe von Hamburg, Graf Enewold von Vorbrüggen geboren.

In der langen Friedenszeit später war der brave Offizier langsam, wie man es scherzhaft nennt: in der Ochsentour, weiter aufgerückt.

Achtzehnhundertzwanzig und achtzehnhunderteinund-zwanzig wurden ihm Söhne geschenkt.

Der Oberst lebte in glücklicher Ehe mit seiner Pastoren-tochter. Das von beiden Familien zusammengebrachte Geld hatte eben gereicht, um das Vermögen, das zur Heirat notwendig verlangt werden mußte, aufzubringen. Da hieß es: sparsam sein. War der Oberst von Natur zur Sparsamkeit veranlagt, so stand ihm darin seine Frau bei als treue, kluge Lebensgefährtin. Sie stammte aus einem der häufig vorkommenden evangelischen Prediger-Häuser, wo Friede, Sitte und Herzensfröhlichkeit drei schöne, liebe Blumen sind im Familienkranz. Der Kampf mit dem Leben, eben: durch den Geldmangel, war allerdings hart und bitter für beide. Aber sie kämpften ihn durch: gradeausgehend, umsichtig, glaubensfroh und vertrauend auf Gott und seine Güte. Nie war es nötig gewesen, Schulden zu machen, nie hatten sie fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen brauchen.

Die beiden Söhne, im Kadettenkorps erzogen, standen als junge Offiziere in demselben Regiment. Die Zulage, die ihnen von den Eltern gegeben werden konnte, war nur gering. Aber sie kamen damit durch: beide hatten das Geld- und Spartalent von Vater und Mutter geerbt. Beide waren tüchtige, nüchterne junge Männer, die ihren Eltern große Freude machten. Da kam ein sehr trauriges Ereignis dazwischen: beide starben, kaum Offiziere geworden, in einem Jahr, kurz aufeinander: der eine fiel im Duell und der andere wurde aus Versehen auf dem Schießstand erschossen.

Der Schmerz der Eltern war grenzenlos. Aber ihr tiefes und inniges Gottvertrauen brachte sie über die ersten schweren Jahre hinweg. Vater und Mutter lebten, als der Oberst Kommandant der kleinen Grenzfestung geworden war, ihr altes genügsames Leben weiter. Da trat im Herbst des Jahres achtzehnhundertdreiundvierzig das langerwartete und langersehnte Ereignis ein: Der Oberst wurde General.

Es war an einem wunderschönen, stillen, klarkalten Januartag, als die Offiziere und Beamten der Festung ihrem Kommandanten, dem neuen General, ein Liebesmahl gaben. Die breiten knallroten Hosenstreifen sollten »begossen« werden.

In den Vorzimmern des Kasinos erwarteten der Oberst des Infanterie-Regiments, der Platzmajor und die übrigen Herren den zu feiernden General.

Der Oberst, eine vierschrötige Gestalt, hatte mehr die Furcht als die Liebe seiner Untergebenen. Er kannte nichts als den Dienst. Von diesem Standpunkt aus sah er sein und jedes Leben, die ganze Welt an. Er hieß bei seinen Offizieren aus nicht erklärlichen Gründen der Blockgendarm. Von ganz anderer Art war der Platzmajor, Rittmeister Kaulfuhs. Er hatte das Unglück gehabt, bei einem Rennen zu stürzen und das linke Bein zu brechen. Infolge schlechter Heilung blieb dies Bein zu kurz, so daß er stark hinken mußte. Im Dienst bei der Truppe nicht mehr verwendbar, hatte man dem brauchbaren, liebenswürdigen Offizier die angenehme Stellung eines Platzmajors gegeben. Sein Gemüt mischte sich aus Sanftmut und einer gewissen immerwährenden schwermütigen Stimmung, die er mit strenger Gewissen-haftigkeit und merkwürdigerweise mit großer Vorliebe für die Mathematik zu vereinigen wußte. Er hatte nur ein Steckenpferd: Die Sternkunde. Hierin leistete er so ungewöhnliches, daß er mit der Zeit Mitarbeiter und Mitglied einiger, darunter selbst ausländischer Fachgesellschaften geworden war. Ein früherer Pulverturm mit flachem Dach diente ihm für seine Beobachtungen.

Die Tafel im Kasino war in Hufeisenform gestellt. In der Mitte saßen der General, rechts und links von ihm der Regimentskommandeur und Rittmeister Kaulfuhs. Diesen saßen die Stabsoffiziere gegenüber; und dann folgten die andern.

Der General brachte nach guter alter Sitte den ersten Trinkspruch Seiner Majestät dem König. Dann beglückwünschte mit kurzen, dienstlichen Worten der Oberst den...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2017
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autobiographisch • Leben und Lüge • Liliencron
ISBN-10 3-7448-7659-4 / 3744876594
ISBN-13 978-3-7448-7659-9 / 9783744876599
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