John Sinclair Sonder-Edition 48 (eBook)
80 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
978-3-7325-4467-7 (ISBN)
Todessehnsucht!
Selten hatte sie sich unter den Menschen so ausgebreitet wie in den letzten Monaten.
Ehemänner verließen ihre Frauen, Mütter ihre Kinder. Sie verschwanden von einem Augenblick zum anderen. Niemand wusste, wo ihr neues Ziel lag.
Ich fand es heraus. Es war das Grab auf einem Hügel - der Einstieg ins Jenseits ...
In der Dunkelheit wirkte das Gesicht meines Freundes Bill Conolly hart und angespannt, als er sich umdrehte und mich anschaute. »Ich sage dir, John, der wird kommen.«
»Möglich.«
Bill rutschte ein Stück näher. Unter seinem Körper knirschte der feine Kies. »Nicht nur möglich, der steckt da unten im Wasser.«
»Kann er überleben?«
»Und wie!«
»Wir werden sehen.«
Mein Freund hob die Schultern und schüttelte den Kopf. Ihm passte meine Skepsis nicht, aber sie war angebracht, denn Bill, Suko und ich befanden uns auf der Spur eines unheimlichen Vorgangs. Wie alles zusammenhing, wussten wir noch nicht, auf jeden Fall mussten wir abwarten, bis der andere sich zeigte.
Deshalb hatten wir uns auch günstige Positionen ausgesucht. Wir lagen am Rand der Grube, während sich unser Freund Suko gegenüber aufhielt.
Es war eine stille, noch nicht zu kalte Novembernacht. Der Himmel über uns schimmerte in einem matten, dunklen Grau, hin und wieder durchzogen von langen Wolkenschleiern, die wie verzerrte Gesichter wirkten, da sie an einigen Stellen aufgerissen waren. Einen Mond sahen wir nicht. Ab und zu ein paar Sterne, ansonsten lastete die Dunkelheit über dem Gelände.
Mein Blick glitt über den Grund der Kiesgrube. Wasser war aus dem Innern der Erde gequollen und hatte die Grube ausgefüllt. Da kaum ein Lüftchen wehte, wirkte die dunkle Fläche des Wassers auf mich wie ein glatt poliertes Stück Granit.
Ich spürte, wie allmählich die Kälte durch meinen Körper kroch. Es wurde Zeit, dass ich mich bewegte. Hier oben befanden wir uns zwar in einer relativ guten Beobachterposition, wenn wir allerdings etwas erreichen wollten, mussten wir runter ans Wasser.
Bisher hatte ich nichts gesehen, war nur auf Bills Vermutungen angewiesen, und die konnten mir schon Angst einjagen, vorausgesetzt, sie trafen zu.
Ich hatte keine Lust mehr, noch länger am Rand der Kiesgrube zu liegen und steife Knochen zu bekommen, deshalb winkelte ich die Arme an und stemmte mich hoch.
Bill schaute mich erstaunt an. »Willst du nach unten?«
»Ja.«
»Aber er wird bestimmt kommen.«
Ich lachte. »Das glaube ich dir sogar, mein Lieber. Nur habe ich keine Lust, möglicherweise bis zum frühen Morgen zu warten. Wenn er sieht, dass ich mich dem Wasser nähere, steigt er bestimmt hervor.«
»Das ist riskant«, warnte Bill.
Ich hob die Schultern. »Weiß ich. Auch die Herfahrt war auch riskant. Da hätte uns fast ein Lastwagen gerammt.«
»Du bist unverbesserlich.« Bill blieb ebenfalls nicht liegen und stellte sich neben mich. Bevor er ein Wort ausgesprochen hatte, wusste ich schon, was er vorhatte. Ich streckte den Arm aus und drängte ihn zurück. »Nein, mein Lieber, du nicht. Ich mache das allein.«
»Wieso?«
»Deck du mir von hier den Rücken.«
Bill war sauer, das merkte ich ihm an. Er fügte sich jedoch. »Okay, du hattest die Idee.«
Von meinem Gürtel hakte ich die Lampe los und schaltete sie dreimal kurz hintereinander an. Ich hatte dabei auf die gegenüberliegende Seite der Kiesgrube gezielt und erhielt von dort Antwort. Ein zweimaliges Aufzucken bewies mir, dass Suko verstanden hatte.
Diese Signale waren zuvor vereinbart worden. Ich konnte mich auf Suko und Bill verlassen.
Noch sah ich den ganzen Fall ziemlich locker. Wir hatten auch keinen offiziellen Einsatz, selbst Sir James wusste nicht Bescheid. Suko und ich waren nur gekommen, um unserem Freund Bill Conolly einen Gefallen zu tun.
Hätte ich damals schon ahnen können, was sich aus diesem Kiesgrubenabenteuer entwickeln würde, ich glaube, ich hätte sogar gekniffen. So aber nahm ich den schmalen Pfad, der hangabwärts zum stillen Wasser führte.
Natürlich schaffte ich die Strecke nicht geräuschlos. Kies und kleinere Steine rutschten nach. Die breiteren Zufahrten für die Lastwagen befanden sich an der anderen Seite.
Ein paar Mal musste ich mich auf der Handfläche abstützen, während ich meinen Blick nach vorn gerichtet hielt und die glatte Wasserfläche nicht aus den Augen ließ.
Nach einigen Mühen und schrägem Gehen erreichte ich das flache Ufer. Ein ziemlich breiter, mit Kies bedeckter Streifen befand sich zwischen dem Tümpel und dem hinter mir ansteigenden Hang. Links von mir, wo mehr Platz war, sah ich einen großen Schaufelbagger stehen. Er wirkte wie ein schlafendes Ungeheuer.
Mein Blick glitt über den glatten Tümpel hinweg, den jenseitigen Hang hoch und erfasste eine schmale Gestalt. Sie sah aus dieser Entfernung ziemlich klein aus. Jetzt winkte sie mir zu.
Ich hob den Arm und grüßte zurück.
Danach wanderte ich an der Wasserfläche entlang. Etwa an der Mitte des Tümpels blieb ich stehen und blickte weiterhin auf die glatte Fläche. Kiesgruben sind oft tief. So mancher Mensch hatte darin sein Leben verloren, wenn er die Tiefe unterschätzte und nicht schwimmen konnte.
Auch auf mich wirkte das Wasser bedrohlich, als ich meinen Blick darüber wandern ließ.
»John …«
Bills Stimme hallte in die Grube hinein und wurde zu einem lang gezogenen Echo.
Ich drehte den Kopf und schaute den Hang hoch, aber der Winkel war zu schlecht, deshalb sah ich den Reporter nicht.
»Was ist denn?«
»Siehst du ihn?«
»Nein. Sollte er sich tatsächlich im Wasser verborgen haben, muss er auf dem Grund stehen.«
»Wir könnten uns Stangen besorgen.«
»Ich warte erst noch.«
»Ja, ist gut …« Bills Stimme verhallte.
Von der gegenüberliegenden Seite sah ich das kurze Aufblitzen einer Taschenlampe. Suko gab mir ein Zeichen, dass er mit meinem Vorschlag einverstanden war.
Bill Conolly ging davon aus, dass dieses Wesen, das wir suchten, gefährlich war. Dementsprechend vorsichtig war ich, schaute nicht nur auf eine Stelle, sondern wechselte ständig die Blickrichtung. Aber der andere tat mir nicht den Gefallen, sich zu zeigen.
Ich wollte es anlocken, hob einen dicken Kieselstein auf, der soeben noch in meine Handfläche passte, und schleuderte ihn in das dunkle Wasser.
Ich hörte das Klatschen und sah helle Spritzer wie kleine Diamanten hochspringen. Kreisrunde Wellen breiteten sich aus, und rollten dem Ufer entgegen.
Ich schaute dem Auslaufen der Wellen zu und dachte intensiv darüber nach, ob ich nicht Bills Vorschlag folgen und wir uns Stangen besorgen sollten, um den Tümpel abzusuchen.
Das brauchte ich nicht mehr, denn plötzlich – die Wellen waren soeben ausgelaufen –, tat sich etwas.
Unter der Wasseroberfläche begann es. Da geriet irgendetwas in Bewegung, denn ich sah die schaukelnden Wellen gegen das Ufer anrollen. Mein Stein konnte sie nicht verursacht haben, er lag längst auf dem Grund.
Aber was dann?
Ich schaute genau hin. Aus den Wellen wurde ein leichtes Schäumen, das sich auf eine bestimmte Stelle nahe der Tümpelmitte konzentrierte.
Möglicherweise hatten Bill und Suko auch etwas bemerkt. Sie hielten sich jedoch zurück. Ich stand so dicht am Ufer, dass die auslaufenden Wellen fast meine Schuhspitzen berührten.
Jetzt schäumte das Wasser sogar. Blasen stiegen brodelnd auf und zerplatzten auf der Wasseroberfläche.
Und dann kam er.
Unwillkürlich trat ich einen Schritt zurück, wobei sich meine Augen weiteten.
Mit allem hatte ich gerechnet, nur nicht mit dem, was da aus der Tiefe des Tümpels an die Oberfläche stieg.
Das war eine Gestalt wie aus einem Albtraum …
***
Ellen Long sagte nichts, als ihr Mann aufstand, die kleine Küche verließ und in den Flur ging. Erst als er zurückkam, wunderte sie sich. Da hatte Kevin seine dunkle Jacke übergezogen und die flache Mütze aufgesetzt.
Ellens Gefühle zeichneten sich auf ihrem Gesicht ab. »Du willst noch weg?«, fragte sie.
»Ja.«
»Wohin?« Auch sie erhob sich. »Es ist dunkel. Du kannst doch nicht jetzt noch …«
Mit einer knappen Handbewegung unterbrach er seine Frau und erklärte mit dumpfer Stimme: »Ich gehe in mein Grab …«
Ellen Long war über die Worte so schockiert, dass sie erst wieder zu sich kam, als die Haustür hinter Kevin ins Schloss fiel.
Im ersten Impuls wollte sie hinter ihn herlaufen, doch dann dachte sie daran, dass Kevin zu den Typen gehörte, die sich nichts sagen ließen. Sie wollte sich nicht über ihn beschweren, nein, er war ein prima Kerl, sorgte für sie und die beiden Kinder und hatte es auch geschafft, durch viel Arbeit zu einem kleinen Haus zu kommen, das die Familie seit zwei Jahren bewohnte. Aber so wie an diesem Abend hatte er noch nie reagiert. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, was seine Aussage über das Grab, in das er gehen wollte, zu bedeuten hatte.
Jeder Mensch, der arbeitet, hat auch mal das Recht, auszuflippen, das war nicht weiter tragisch, und so etwas gestand Ellen auch ihrem Mann zu, aber in dieser Weise auszuflippen, war nicht seine Art. Wenn er mit dem Fahrrad in den Pub fuhr, dann sagte er das jedes Mal und hatte dabei noch einen Scherz auf den Lippen, aber die Antwort auf ihre Frage hatte Ellen zutiefst erschreckt.
In sein Grab wollte er gehen …
Ellen schüttelte sich. Sie saß noch immer an dem kleinen Küchentisch und hatte beide Hände gegen ihre Wangen gelegt. Als Scherz wollte sie die Antwort nicht ansehen, dazu hatte sie einfach zu ernst geklungen.
Hinzu kam noch etwas.
Ellen hatte sich geweigert, es zu akzeptieren. Als es immer stärker wurde, war sie nicht darum herumgekommen, sich dennoch damit...
| Erscheint lt. Verlag | 4.4.2017 |
|---|---|
| Reihe/Serie | John Sinclair Sonder-Edition | John Sinclair Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | blutig • Clown • Gruselroman • Horror • Horror Bücher ab 18 • horror thriller • Jason Dark • Lovecraft • Paranomal • Sinclair • Slasher • Splatter • Stephen King • Steven King • Zombies |
| ISBN-10 | 3-7325-4467-2 / 3732544672 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-4467-7 / 9783732544677 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich