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In Transit (eBook)

Roman | Eine weibliche Odyssee im 21. Jahrhundert

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
238 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-75087-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

In Transit - Rachel Cusk
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Wie können wir uns darin einrichten, wenn wir dem eigenen Leben zugleich entfliehen wollen? Mit Scharfsinn und Witz erzählt In Transit von vertrackten Sehnsüchten, entscheidenden Momenten und dem Rätsel persönlicher Veränderung.
»Eine Übergangsphase« prophezeit ihr eine astrologische Spam-Mail. Und tatsächlich verändert sich für die Schriftstellerin Faye gerade vieles: Nach einer kräftezehrenden Scheidung ist sie mit ihren beiden Söhnen zurück nach London gezogen und hat bei der Suche nach einer Wohnung einem Gefühl nachgegeben, das augenblicklich verschwand. Anders als die heruntergekommene Haushälfte, die sie jetzt ihr Eigen nennt. Sie lebt auf einer Baustelle, täglich ereignet sich eine kleine Katastrophe, während sie sich einem Ort anzunähern versucht, den sie schon einmal Heimat nannte. Sie trifft Freunde von früher und knüpft neue Bekanntschaften, sie erfährt von den Schicksalen und Krisen der anderen, spricht über Wahlfreiheiten und Notwendigkeiten und gelangt nach und nach zu einer weitreichenden Erkenntnis, die alles auf den Kopf stellt.



Rachel Cusk, 1967 in Kanada geboren, hat die international gefeierte <em>Outline</em>-Trilogie, die autobiografischen Bücher <em>Lebenswerk</em> und <em>Danach</em> sowie zahlreiche weitere Romane und Sachbücher geschrieben. Sie ist Guggenheim-Stipendiatin, Trägerin des Malaparte-Preises und mit dem Titel Chevalier de l'ordre des arts et des lettres ausgezeichnet. Sie lebt in Paris.

Rachel Cusk, 1967 in Kanada geboren, lebt in England, hat acht Romane sowie drei Sachbücher geschrieben und ist dafür vielfach ausgezeichnet worden. Transit ist nach Outline der zweite Teil einer Trilogie, einer »weiblichen Odyssee im 21. Jahrhundert«.

Eine Astrologin schrieb mir in einer E-Mail, sie habe wichtige Neuigkeiten hinsichtlich meiner unmittelbar bevorstehenden Zukunft. Sie könne sehen, was mir verborgen bleibe, denn sie habe Einblick in mein Geburtshoroskop erhalten und die Planeten befragt. Ich solle wissen, dass sich an meinem persönlichen Himmel ein wichtiger Transit ankündige. Wenn sie an die vielen Möglichkeiten denke, die eine solche Übergangsphase mit sich bringe, werde sie sehr aufgeregt. Gegen eine kleine Gebühr könne sie ihr Wissen mit mir teilen und mir helfen, es zu meinem Vorteil zu nutzen.

Sie spüre, hieß es in der Mail weiter, dass ich die Orientierung verloren hätte; dass es mir bisweilen schwerfalle, meinen Lebensumständen Sinn abzugewinnen und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Sie fühle eine starke Verbindung zwischen uns, was sie zwar nicht begründen könne; gleichwohl wisse sie, dass sich manche Phänomene jedem Erklärungsversuch entziehen würden. Leider würden sich viele Menschen wenig empfänglich für die Deutung des Himmels über unseren Köpfen zeigen; sie glaube aber nicht, dass ich zu diesen Menschen gehöre, sei ich doch frei von der blinden Realitätsgläubigkeit jener, die nach konkreten Beweisen fragen. Ihr sei klar, dass ich genug gelitten hatte, um endlich gewisse Themen in meinem Leben anzugehen. Die Bewegungen der Planeten bildeten einen unendlich großen Hallraum für das menschliche Schicksal; wahrscheinlich hielten einige Leute sich für schlichtweg zu unbedeutend, um überhaupt darin vorzukommen. Die traurige Wahrheit, schrieb sie, sei diese: In unserer Zeit der Wissenschaften und der Gottlosigkeit sei uns das Gefühl für die eigene Bedeutsamkeit verlorengegangen. Wir seien grausam geworden, gegen uns und gegen andere, weil wir uns letztendlich für wertlos halten. Die Planeten, schrieb sie, bieten uns nichts Geringeres als eine Gelegenheit, unseren Glauben an die menschliche Größe wiederzufinden. Mit wie viel mehr Würde, Achtung, Nachsicht, Verantwortungsgefühl und Respekt würden wir uns und andere behandeln, wenn wir begriffen hätten, dass ein jeder Mensch von kosmischer Bedeutung ist? Jemand wie ich könne unschwer erkennen, welche Möglichkeiten sich hier für Frieden und Wohlstand in aller Welt auftaten, ganz zu schweigen von den revolutionären Veränderungen, die ein rehabilitierter Schicksalsbegriff im Bereich des Zwischenmenschlichen anstoßen würde. Ich möge ihr die Offenheit verzeihen, und dass sie mich auf diesem Wege kontaktiert hatte. Wie gesagt, sie spüre eine starke Verbindung zwischen uns und habe sich deswegen erlaubt, mir zu schreiben und mir ihr Herz auszuschütten.

Möglicherweise war die Mail vom selben Computerprogramm generiert worden wie die Astrologin selbst. Zu charakterstark waren ihre Sätze, zu zahlreich die Hinweise auf ihre Persönlichkeit; sie war zu durchschaubar einem bestimmten Menschentyp nachempfunden, um selbst menschlich zu sein. In der Folge bekamen ihr Mitgefühl und ihre Sorge etwas leicht Bedrohliches, gleichzeitig – und aus demselben Grund – wirkte sie seltsam unvoreingenommen. Ein Freund von mir, der seit seiner Scheidung an Depressionen litt, hatte mir vor Kurzem erzählt, er würde von dem Interesse an seiner Gesundheit und seinem Wohlbefinden, das auf Werbeplakaten und Lebensmittelverpackungen zum Ausdruck kam, zu Tränen gerührt, und auch von der automatischen Ansage in Bussen und Bahnen, die offenbar fürchtete, er könnte seine Haltestelle verpassen; er fühle sogar eine Art Liebe zu der weibliche Stimme, die ihm beim Autofahren den Weg erklärte und dabei viel geduldiger war, als seine Frau es je hätte sein können. Das Feld des Lebens sei abgegrast und die Ernte aus Sprache und Informationen so reich ausgefallen, dass das gefälscht Menschliche eines Tages vielleicht authentischer und beziehungsfähiger sein würde als das Original. Vielleicht könne man von den Maschinen bald mehr Zärtlichkeit erwarten als von seinem Nächsten, schließlich zeigten sich auf einem Display die Wesenszüge nicht einer, sondern vieler Persönlichkeiten. Mit anderen Worten, unzählige Astrologen hatten ein Lebenswerk hinterlassen müssen, damit dieses eine Muster entstehen konnte. Mein Freund empfand den Umstand, dass der ozeanische Chor in keiner Einzelperson gründete, sondern überall und nirgends war, als sehr tröstlich. Er habe beobachtet, dass viele Menschen diese Vorstellung befremdlich fänden; für ihn aber bedeute die Zersetzung der Individualität auch die Zersetzung der Macht, einen anderen zu verletzen.

Im vergangenen Frühjahr, als ich trotz meiner begrenzten finanziellen Mittel den Umzug nach London plante, hatte mir derselbe Freund – ein Autor – geraten, lieber ein schlechtes Haus in einer guten Gegend zu kaufen als umgekehrt. Nur Glückskindern und Pechvögeln, sagte er, wird ein sortenreines Schicksal zuteil; alle anderen müssen sich entscheiden. Der Makler reagierte überrascht, als ich ankündigte, mich an diese Weisheit, wenn es denn eine war, halten zu wollen. Seiner Erfahrung nach legten Künstler mehr Wert auf viel Licht und viel Platz als auf eine gute Lage. Sie hätten einen Blick für das Potential der Dinge, wogegen sich die meisten anderen Käufer Sicherheit in Form von Anpassung und verwirklichten Ideen wünschten, Häuser also, deren Reiz die Summe ihrer ausgeschöpften Möglichkeiten war und an denen es nichts mehr zu verbessern gab. Ironischerweise, sagte er, seien ausgerechnet Menschen mit Angst vor Originalität ganz versessen darauf, sich originell zu geben. Seine Kunden würden ganz euphorisch, wenn irgendwo ein Überrest von historischer Bausubstanz erhalten sei; dabei müsse man die Suche lediglich auf die Randbezirke ausweiten, um zu einem Bruchteil der Kosten fündig zu werden. Es sei ihm ein Rätsel, sagte er, warum die Leute weiterhin in überteuerten Stadtteilen kauften, wenn es in den aufstrebenden Vierteln viel günstigere Angebote gab. Vermutlich hatten die Käufer einfach zu wenig Fantasie. Zurzeit würden Höchstpreise verlangt, sagte er, doch anstatt sich davon abschrecken zu lassen, fühlten sie sich noch angespornt. Fast jeden Tag spielten sich vor seinen Augen tumultartige Szenen ab. Die Interessenten rannten ihm die Tür ein und schlugen sich darum, zu viel Geld zu bezahlen, als hinge ihr Leben davon ab. Er hatte Handgreiflichkeiten bei Besichtigungsterminen erlebt und beispiellos aggressive Bieterkriege, manche Kunden versuchten sogar, sich durch Bestechungsgelder eine bevorzugte Behandlung zu sichern; und all das für Immobilien, die bei Licht betrachtet völlig gewöhnlich waren. Besonders augenfällig wurde die Verzweiflung der Leute, sobald die Begehrlichkeit sie einmal gepackt hatte; sie riefen stündlich an, um nach Neuigkeiten zu fragen, schauten unangekündigt im Maklerbüro vorbei oder flehten ihn unter Tränen an; mal gaben sie sich wütend, mal zerknirscht, und nicht selten versuchten sie, sein Wohlwollen durch langatmige Beichten aus ihrem Privatleben zu gewinnen. Er hätte Mitleid mit ihnen haben können, würden sie nicht jedes Mal, wenn das Drama vorüber war und der Kaufvertrag unterzeichnet, ihr unmögliches Benehmen ebenso schlagartig vergessen wie den Dienstleister, der es hatte ertragen müssen. Manche Kunden erzählten ihm die abstoßendsten privaten Details, nur um ihn eine Woche später auf der Straße zu übersehen. Paare erniedrigten sich in seinem Beisein, um sich kurz darauf ihrem Leben in der neuen Nachbarschaft zu widmen. Allein die Gründlichkeit, mit der die Leute vergaßen, ließ ihn hier und da ihre Scham erahnen. Zu Beginn seiner Karriere habe er derlei Zwischenfälle verstörend gefunden, aber glücklicherweise habe er im Lauf der Jahre gelernt, sich nicht alles zu Herzen zu nehmen. Wahrscheinlich war er für sie nicht mehr als eine schemenhafte Gestalt, die ihnen aus dem roten Nebel ihrer Begehrlichkeit entgegentrat, ein Übertragungsobjekt sozusagen. Doch die Begehrlichkeit an sich verwirrte ihn nach wie vor. Offenbar wollten die Leute besonders das, was sich knapp außer Reichweite befand, wobei die Sache in manchen Fällen noch viel komplizierter erschien. Nicht selten beichteten seine Kunden ihm nach einem geplatzten Deal, sie seien froh darüber, dass ihre Wünsche nicht in Erfüllung gegangen waren; dieselben Menschen, die getobt und geweint hatten wie enttäuschte Kinder, saßen ihm nur wenige Tage später seelenruhig im Büro gegenüber und bedankten sich. Sie sahen ein, dass sie sich keinen Gefallen getan hätten, und dann fragten sie, was er sonst noch so im Angebot habe. Die meisten, sagte er, erleben die Zeit der Immobiliensuche und der Vertragsverhandlungen als überwältigend intensiv, sie bekommen einen Tunnelblick vor lauter Aufregung. Die Mehrheit kann den Urteilsspruch des Schicksals erst hinnehmen, wenn ihr Wollen erschöpft ist.

Diese Unterhaltung führten wir in seinem Londoner Büro. Draußen schob sich der Autoverkehr schwerfällig durch eine graue, verschmutzte Straße. Ich erklärte ihm, dass der von ihm beschriebene Irrsinn kein Ansporn sei, sondern mir stattdessen jede Lust auf die Häusersuche genommen habe. Am liebsten würde ich einfach aufstehen und gehen. Abgesehen davon hätte ich nicht genug Geld, um mich an einem Wettbieten zu beteiligen. Unter den geschilderten Umständen sei es wohl unwahrscheinlich, dass ich überhaupt eine Bleibe finden würde. Gleichzeitig wolle ich seiner Vorstellung widersprechen, die so genannten Künstler sollten sich durch Eigenschaften an den Rand drängen lassen, die er mir so rücksichtsvoll als Tugenden hatte verkaufen wollen. Er habe, wenn ich mich recht erinnerte, das Wort »Fantasie« gebraucht; für solche Menschen sei es allerdings das Schlimmste, aus Gründen des Selbstschutzes das Zentrum zu meiden und sich in einen Ästhetizismus zu flüchten, der nicht auf die Außenwelt...

Erscheint lt. Verlag 28.3.2017
Reihe/Serie Die Outline-Trilogie
Die Outline-Trilogie
Übersetzer Eva Bonné
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Original-Titel Transit
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autofiktion • England • Faye • Feminismus • Gentrifizierung • Heimat • Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis 2022 • Identität • Lebensgeschichten • Lebenskrise • London Greater London • narrative • Outline • Paarbeziehungen • Prosa • Roman in Unterhaltung • ST 4856 • ST4856 • Süd- und Südost-England • suhrkamp taschenbuch 4856 • The Goldsmiths Prize 2024 • Transit • Transit deutsch • übergangsphase • Vereinigtes Königreich Großbritannien • Weibliche Odyssee • Westeuropa
ISBN-10 3-518-75087-9 / 3518750879
ISBN-13 978-3-518-75087-2 / 9783518750872
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