Alles Gold der Erde (eBook)
833 Seiten
beHEARTBEAT (Verlag)
978-3-7325-2775-5 (ISBN)
1847 wurde Kalifornien über Nacht ein Mekka für Glücksuchende, Abenteurer und Tunichtgute. Als die junge Kendra Logan in San Francisco eintrifft wird auch sie von der Stimmung angesteckt.
Auf der Suche nach ihrem persönlichen Glück lernt Sie Liebe, Hass und Leidenschaft kennen. Wird sie es schaffen, sich trotz aller Verlockungen selbst treu zu bleiben?
1
Die Cynthia fuhr nach Kalifornien. Sie war ein schönes Schiff. In den Großsegeln sang der Wind, und die Galionsfigur – eine weiße Göttin – war mit einem Halbmond verziert. Das Schiff hatte New York im Oktober 1847 verlassen. Seit zwei Monaten segelte es auf Südkurs und näherte sich nun Kap Hoorn.
Kendra Logan stand auf dem Achterdeck und betrachtete das graue Meer ringsum. Kendra war neunzehn. Sie hatte eine schlanke und feste Figur. Ihr Gesicht war nicht gerade strahlend schön, doch war es immerhin ein Gesicht, das sich die Leute zweimal ansahen. Ihre Nase war wohlgeformt, ihr Kinn eigenwillig und ihr Mund heiter. Ihre tiefblauen Augen wurden von schwarzen Wimpern umschattet. Ihr dunkler Haaransatz wuchs spitz wie ein Pfeil aus ihrer Stirn. Wenn es ihnen gelang, hauchten die Männer gern einen schnellen Kuss auf diese Strähne – ein Küsschen in Ehren natürlich, so wie man seine ehemalige Lehrerin küsst oder seine Tante. Das behaupteten sie wenigstens.
Kleid, Mantel, Schal – alles war so blau wie ihre Augen, und alles flatterte im Wind. Als eine besonders heftige Bö sie traf, wandte sich Kendra von der Reling ab und blickte zu den Männern hinauf, die sich an den Segeln zu schaffen machten. Ihre Gestalten zeichneten sich hoch am Himmel ab.
Diese Männer hatten noch nie mit ihr geplaudert, und sie würden dies auch künftig nicht tun. In den Kabinen und auf dem Achterdeck hatten die Seeleute nichts zu suchen. Die Passagiere wiederum hatten woanders nichts zu suchen. Die Arbeit der Matrosen war so hart, dass sie kaum noch die Energie zu sehnsüchtigen Träumen aufbrachten. Als Kendra jedoch zu ihnen aufschaute, wobei der feuchte Nebel sich wie Perlchen in ihren Wimpern einnistete, hielt ein Seemann droben in der Takelage inne und starrte verlangend auf sie herab. Es war ein großer Bursche mit einem rostfarbenen Bart. Er fing ihren Blick auf und grinste sie an. Seine unverfrorene Haltung schien zu sagen: Mädel, du kannst mir schließlich keinen Vorwurf daraus machen, dass ich dich anglotze.
Kendra wusste, dass sie dieses Lächeln nicht zu beantworten brauchte; sie tat es aber doch. Als das Grinsen des Mannes immer unverschämter wurde, schlug sie allerdings ihre Augen nieder und kehrte sich wieder der See zu. Während der acht Wochen, die sie jetzt an Bord waren, hatte ihre Mutter sie oft genug gewarnt: Sie solle so tun, als wären die Matrosen gar nicht da. Kendra vermutete, dass diese Warnung berechtigt sei; dennoch wünschte sie, es wäre anders. Es müsste eigentlich ganz spaßig sein, den Mann da oben kennenzulernen. Sie fragte sich, wie ihm wohl auf diesem kalten grauen Meer zumute sein mochte, auf dieser Fahrt nach einem trostlosen Land am Ende der Welt.
Aber er war ja aus freien Stücken auf diesem Schiff, was sich von ihr nicht behaupten ließ. Die Vereinigten Staaten führten Krieg mit Mexiko, und ihr Stiefvater, der Oberst Alexander Taine, war in eine Stadt namens San Francisco versetzt worden. Er hatte die Fahrt auf einem Truppentransporter gemacht, wo es keinen Platz für Frauen gab. Deshalb folgten ihm nun Kendra und ihre Mutter auf der Cynthia, die – obgleich ein Handelsschiff – einige Passagiere mitnahm. Kendras leiblicher Vater war jung gestorben, und sie war in Internatsschulen aufgewachsen. Jetzt aber war die Schulzeit zu Ende, und zum ersten Mal würde sie mit ihrer Mutter und ihrem Stiefvater zusammenwohnen, und zwar auf vorgeschobenem Posten bei der Armee.
Diese Aussicht gefiel ihr ganz und gar nicht. Trotz aller schönen Worte, mit denen man ihr die Reise schmackhaft gemacht hatte, wusste sie sehr gut, dass sie nicht allzu gern gesehen wurde. Die beiden hatten viele Jahre ohne sie gelebt, und sie nahmen sich ihrer jetzt nur deshalb an, weil sie nicht länger in der Schule versteckt werden konnte und weil es sonst niemanden gab, der sie hätte haben wollen. Kendra war jung und unerfahren, aber sie war durchaus nicht dumm. Schon seit Langem war sie entschlossen, sich keine Sorgen um sich selber zu machen. Sie kam jedoch nicht gegen den Wunsch an, einen Menschen zu kennen, der sich darum kümmerte, was aus ihr wurde.
Während sie nun hier im Sturm stand, der sie nach Kalifornien hinaufjagen würde, fragte sich Kendra, wie das Leben dort wohl sein werde. Sie konnte sich keinerlei Vorstellungen machen. Mit ihrer Mutter war sie niemals lange beisammen gewesen, und den Obersten Taine kannte sie so gut wie überhaupt nicht. Und was nun dieses Kalifornien anlangte, so wusste niemand etwas darüber. Die Hälfte der Kongressmitglieder hatte bereits erklärt, es lohne sich nicht, dieses Land zu erwerben, und die Entsendung einer Armee bedeute nur, dass das Geld der Steuerzahler zum Fenster hinausgeworfen werde.
Kendra lauschte dem Klatschen des Wassers und dem Knirschen der Taue, und sie dachte an die Galionsfigur des Schiffes, an die Göttin mit dem Halbmond. Von hier aus vermochte Kendra sie nicht zu sehen; sicher war ihr gleißendes Weiß jetzt so grau wie die Wolken. Nahe Kap Hoorn war es stürmisch und düster. Des Nachts schwankten geisterhafte Lichter durch die Finsternis. Loren Shields, der fröhliche junge Frachtaufseher der Cynthia, hatte ihr erzählt, die Seeleute glaubten, diese Lichter seien wandernde Seelen. Nein, Loren selber wusste nicht, woher sie kamen; er glaube nicht, dass jemand ihren Ursprung kannte, aber er war überzeugt, dass es sich nicht um Gespenster handelte.
Eine Luke wurde zugeschlagen, und Kendra sah Loren Shields auf Deck erscheinen. Er war in seinen dicken Mantel eingemummelt, seine Wangen waren gerötet, und sein helles Haar wehte im Wind. Er winkte Kendra und kam auf sie zu. Wenngleich er immerhin bereits sechsundzwanzig Jahre zählte, war er doch der Typ, den Kendra als »netten Jungen« bezeichnete. Er war kein aufregender junger Mann, aber sie konnte ihn gut leiden. Es war freilich fast unmöglich, ihn nicht gern zu haben, weil er einfach so nett war, so höflich, so freundlich, so gefällig. Er lieh ihr Bücher und weihte sie in die Meereskunde ein; auch hatte er oft Zeit für ein Spielchen. Es hatte Kendra überrascht, dass er dazu Muße fand, aber Loren hatte ihr erklärt, »Frachtaufseher« bedeute genau, was das Wort sage: Er hatte sich um die Fracht zu kümmern, deshalb habe er in den Häfen viel, auf See dagegen häufig nichts zu tun.
Als er die Reling erreichte, schlingerte das Schiff, und beide wurden von einem Brecher übergossen. Loren hielt sich mit einer Hand an der Reling, während er mit der anderen Kendras Arm umfasste. Sobald sie wieder fest auf den Beinen stand, lockerte er seinen Griff und deutete aufs Meer. In der Ferne, halb vom Nebel verhüllt, war ein riesiger gezackter Felsen zu erkennen, der sich aus dem Wasser hob.
Loren brachte seinen Mund nahe an das blaue Halstuch, das sich Kendra um den Kopf gewickelt hatte, und schrie im Toben des Sturms:
»Das ist Kap Hoorn!«
Kendra war kein furchtsames Mädchen, doch jetzt erschauerte sie. Kap Hoorn ragte etwa vierhundertfünfzig Meter hoch aus dem Meer. Sie wusste, dieser südlichste Zipfel von Südamerika trennte den Atlantischen vom Pazifischen Ozean. Unentwegt wüteten hier die Stürme. Fast immer fegten sie von West nach Ost den Schiffen entgegen, die sich die Passage erzwingen mussten. Und dies stand nun der Cynthia bevor. Als jedoch Loren das Zittern Kendras bemerkte, lächelte er sie beruhigend an.
»Kein Grund zur Angst!«
Kendra erinnerte sich, dass Loren Kap Hoorn schon einmal umfahren hatte.
Jetzt sprach er weiter:
»Es ist kalt hier oben. Gehen wir hinunter ins Warme.«
Einmal, als die Cynthia schlingerte und Kendra beinahe hingestürzt wäre, packte Loren sie beim Ellbogen, ließ sie jedoch – wie schon auf Deck – gleich wieder los. Loren behandelte eine Frau mit Respekt; er hatte nichts Dreistes an sich wie dieser Seemann, der sie aus der Takelage angefeixt hatte. Aber sie meinte immer noch, es müsse ganz lustig sein, mit dem Mann zu plaudern.
Als sie den Sturm hinter sich hatten und wieder ruhig sprechen konnten, sagte Loren, um sie zu ermutigen:
»Wir werden nicht in Schwierigkeiten geraten, Kendra. Ein besseres Schiff als die Cynthia gibt es gar nicht, und Captain Pollock ist der beste Nautiker, der je gelebt hat.«
Was für ein netter Junge, dachte Kendra zum hundertsten Mal. Loren fuhr fort:
»Außerdem ist da noch ein anderer Grund … ich meine … na ja, es wird schon klappen.«
Großer Gott, er wurde ja rot, stellte Kendra fest, oder kam diese Verfärbung von dem Sturm? Doch statt auszusprechen, was er hatte sagen wollen, drängte er sie in die Kabine. Dort fanden sie Kendras Mutter, Eva Taine, und die beiden anderen Passagiere, Bess und Bunker Anderson. Die Andersons waren in mittleren Jahren und lebten in Honolulu, wo er die Filiale einer New Yorker Handelsgesellschaft leitete. Die drei hatten Karten gespielt, doch damit aufgehört, als die See immer rauer geworden war. Eva nähte; sie begrüßte Kendra mit einem hellen Lächeln. Das tat sie übrigens immer. Kendra lächelte zurück. Das tat sie übrigens immer. Kendra und ihre Mutter waren nie ungezwungen miteinander ausgekommen, aber sie taten wenigstens so.
Eva war fünfunddreißig. Sie hatte keine Ähnlichkeit mit ihrer Tochter; Kendra sah wie ihr Vater aus, an den sie sich nicht erinnern konnte. Eva war in der Tat eine schöne Frau. Mit ihren großen dunklen Augen und ihrem stets glatten und glänzenden braunen Haar strahlte sie eine anmutige Gelassenheit aus. Es überraschte niemanden, dass sie die Frau eines Obersten war. Als Loren berichtete, Kap Hoorn sei in Sichtweite, legte Eva ihre...
| Erscheint lt. Verlag | 3.3.2017 |
|---|---|
| Übersetzer | Claus Velmeden |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Calico Place |
| Themenwelt | Literatur ► Historische Romane |
| Schlagworte | Historical • Historienroman • Historische Romane • Historischer Roman • Historisches Buch • Jahrhundert Trilogie • Ken Folett • Ken Follet • Ken Follett • Kreuzzüge • Mittelalter • Rebecca Gable • Warringham |
| ISBN-10 | 3-7325-2775-1 / 3732527751 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-2775-5 / 9783732527755 |
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