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Goldküste (eBook)

Die Kalifornien-Trilogie, Band 2 - Roman
eBook Download: EPUB
2016
Heyne Verlag
978-3-641-20872-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Goldküste - Kim Stanley Robinson
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Glücksritter und Revoluzzer
Orange County, Kalifornien, 2067: eine Metropolis der flüchtigen Begegnungen und schneller Geschäfte, der harten Drogen und falschen Träume. Wie ein verirrter Nachtfalter schwirrt Jim McPherson durch diese bunte Neonwelt, von einer Party zur nächsten. Der Möchtegern-Dichter schlägt sich als Aushilfslehrer durch. Das laute, hektische Treiben an der Goldküste scheint ihm ohne Sinn, ohne Aussicht auf Glück. Dann lernt er Arthur kennen. Dieser gehört einer revolutionären Gruppe an, die durch Sabotage die Rüstungsindustrie Amerikas zerstören will. Begeistert macht Jim bei den Aktionen mit, obwohl - oder gerade weil - sein Vater Ingenieur in dem größten Rüstungskonzern von Orange County ist ...

Kim Stanley Robinson wurde 1952 in Illinois geboren, studierte Literatur an der University of California in San Diego und promovierte über die Romane von Philip K. Dick. Mitte der Siebzigerjahre veröffentlichte er seine ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, 1984 seinen ersten Roman. 1992 erschien mit 'Roter Mars' der Auftakt der Mars-Trilogie, die ihn weltberühmt machte und für die er mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet wurde. In seinem Roman '2312' erkundet er die verschiedenen Gesellschaftsformen, die die Menschheit nach ihrem Aufbruch ins Sonnensystem erschafft. Zuletzt sind bei Heyne seine Romane 'New York 2140', der in einem vom Klimawandel gezeichneten New York der nahen Zukunft spielt, und sein Bestseller 'Das Ministerium für die Zukunft' erschienen. Kim Stanley Robinson lebt mit seiner Familie in Davis, Kalifornien.

1


 

BEEP BEEP!

Honk honk.

Jim McPherson schiebt seinen Kopf aus dem Fenster seines Wagens und schreit hinter einem Minihonda her, dessen Programm ihn soeben automatisch in die Auffahrt vor ihm eingefädelt hat. »Du hast mich geschnitten!« Der Mann im Minihonda blickt zu ihm zurück und ist verwirrt. Jims alter Volvo zieht schnell die geschwungene Fahrspur hinauf, und plötzlich hängt Jim halb aus dem Fenster und schwankt, das Gesicht nur wenige Zentimeter vom Beton des Freeway entfernt. Abe Bernard packt seinen Gürtel und zieht ihn im letzten Moment zurück. Huh – das war knapp.

Nacht in Orange County, und die vier Freunde fahren in Autopia spazieren. Allesamt Stars des Meisterschafts-Catcher-Teams ihrer Highschool, dessen beste Zeiten schon zehn Jahre zurückliegen, wälzen sie sich auf den Sitzen des Volvo herum und versuchen, Tashi Nakamura von dem Augentropfer mit Sandy Charmans jüngster Mixtur fernzuhalten. Tash war ihr Schwergewichtler und der Einzige, der noch halbwegs gut in Form ist, und sie schaffen es nicht; Tash taucht zwischen ihren Armen hoch und schnappt sich den Augentropfer, wobei er die ganze Zeit mit einer von Jims alten CDs mitsingt: »Somebody give me a cheeseburger!« Die Auffahrt windet sich hoch, die Krümmung wird stärker, die Kontakte gleiten quietschend über die Energie- und Führungsspur in der Fahrspurmitte, und sie werden alle nach hinten auf den Rücksitz geworfen. »Oh-oh, ich glaub, ich hab den Tropfer fallen lassen.«

»Sagt mal, wir sind doch jetzt auf dem Freeway, oder? Sollte nicht wenigstens einer von uns aufpassen?«

Sofort windet Abe sich in den Fahrersitz. Er schaut in die Runde. Alles läuft auf seiner Spur. Automobile, die ihren Programmen nach Norden folgen, sausen über die acht messingglänzenden Bänder, welche die Mitte jeder Fahrspur markieren. Ein Strom von roten Rücklichtern vor ihnen, weiße Scheinwerfer hinter ihnen, einige Wagen rollen über die S-förmigen Fahrspurwechsel-Schienen, von links nach rechts, wobei ihre gelben Richtungsanzeiger rhythmisch blinken, klick klick klick, klick klick klick. Auf dem Newport Freeway ist heute Abend alles in bester Ordnung. »Habt ihr den Augentropfer gefunden?«, fragt Abe mit einem Anflug von Schärfe in der Stimme.

»Ja, hier.«

Die nach Norden führenden Fahrspuren schwingen sich hoch, als sie das große Areal der Kreuzung mit den San Diego, Del Mar, Costa Mesa und San Joaquin Freeways überspannen. Vierundzwanzig monsterhafte Betonbänder verschlingen sich in einem Gordischen Knoten, hundert Meter hoch und eine Meile im Durchmesser – ein Sinnbild Autopias –, und sie jagen mitten hindurch wie kleine Käfer durch das Herz eines Riesen. Dann summt Jims alte Kiste einen ganzen Ton höher, und plötzlich ist es fast so, als wären sie im Landeanflug auf den John Wayne International Airport drüben zu ihrer Rechten, denn der nach Norden führende Newport Freeway ist der oberste der übereinanderliegenden Freeways, und sie befinden sich vierzig Meter über Mutter Erde. Das natürliche OC erstreckt sich meilenweit in jeder Richtung. Was für ein Anblick.

 

Das riesige Gitterwerk aus Licht.

Tungsten, Neon, Natrium, Quecksilber, Halogen, Xenon.

Zu ebener Erde quadratische Gitter

aus orangefarbenen Natriumstraßenlampen.

Alle möglichen Dinge brennen.

Quecksilberdampflampen:

blaue Kristalle über den Freeways,

den Eigentumswohnungen, den Parkplätzen.

Das die Augen verblitzende Xenon,

grell in den Einkaufszentren,

dem Stadion, Disneyland.

Große Halogen-Leuchtturmstrahlen vom Flughafen,

die über den Nachthimmel zucken.

Ein Krankenwagenwarnlicht, das unten rot blinkt.

Ständige Folge, rotgrüngelb, rotgrüngelb.

Scheinwerfer und Rücklichter,

rote und weiße Blutzellen,

durch einen leukämischen Körper aus Licht gejagt.

In dem Gehirn leuchtet ein Bremslicht auf.

Eine Milliarde Lichter. (Zehn Millionen Menschen.)

Wie viel Kilowatt pro Stunde?

Gitter über Gitter, von den Bergen

bis hinunter ans Meer.

Eine Milliarde Lichter.

Ah ja. Orange County.

 

Jim zwinkert sich eine große Ladung von Sandys neuestem Stoff aus dem Auge und beobachtet, wie die Muster pulsieren. Plötzlich, in einer jähen Illumination, kann er das Muster erkennen, das alle Muster bilden: die Schichten der Beleuchtung von OC, Jahrzehnt für Jahrzehnt, Generation auf Generation. Tatsächlich heben einige Gitter ab und drehen sich um neunzig Grad, um dem Metamuster des wahrgenommenen Ganzen zu entsprechen. »Ich nenne das jetzt Pattern-Perzeption.«

»Okay«, sagt Sandy. »Das kann ich erkennen.«

»Du könntest ein Aspirin nehmen und es von hier oben aus sehen«, wendet Abe ein.

»Das stimmt«, sagt Sandy. »Ich sehe es auch.«

»So was nenne ich aber ein Beispiel von Liebenswürdigkeit«, sagt Tashi.

»Stimmt. Ich kann es erkennen.«

»Wir sind im Mittelpunkt der Welt«, verkündet Jim. Abe und Tashi schauen sich um, als hätten sie das Hinweiszeichen übersehen – es müsste irgendein Schild sein, rechts von ihnen. »Orange County ist das Ende der Geschichte, ihr reinstes Produkt. Die Zivilisation wanderte Tausende von Jahren lang immer nach Westen, in einem Sonnenuntergangstropismus, bis sie hierherkamen an die Küste des Pazifiks, und da ging es nicht mehr weiter. Deshalb hielten sie hier an und machten es. Und zu dieser Zeit steckten sie mitten im letzten großen Aufschwung des Staatskapitalismus, sodass hier alles total organisiert und darauf abgestimmt ist, zu kaufen und zu verkaufen, kaufen und verkaufen, und zwar jedes kleines Stückchen von uns.«

»Verflucht marxistischer Kommie!«

»Sie müssen eine Vorliebe für Licht gehabt haben.«

Jim schüttelt sie ab, macht auf nostalgisch. Die Erwähnung der Geschichte erinnert ihn an die Mission dieses Abends. »So war es aber nicht immer.«

»Mach keine Witze«, sagt Tashi. Er und Abe grinsen sich an; Jim kann manchmal lustiger sein als jedes Video.

»Nein, ich mache keine Witze. Dieses ganze Becken war mit Orangenhainen bedeckt, über zweihundert Quadratmeilen. Hier gab es mehr Orangen, als man hier jetzt Lichter sehen kann.«

»Schwer zu glauben«, singen seine Freunde im Chor.

»Aber wahr! OC war ein riesiger Garten«, sagt Jim seufzend.

Abe und Tash und Sandy schauen sich gegenseitig an. »Das sind aber eine Menge Bäume«, sagt Abe würdevoll, und Tash verschluckt ein Lachen. Sandy stört das nicht, er bekommt seinen berühmten Chapman-Lachkrampf: »Ah, hahahahahaha – Ah, hahahahahaha.«

»Sag mal, wolltest du hier nicht runter?«, fragt Tash.

»Aber ja!«, kreischt Jim.

Abe schnippt den Spurwechsel-Schalter um, und sie fahren auf die rechte Spur, dann über die Abfahrt zwei Etagen in Spiralen zur Chapman Avenue in östlicher Richtung hinunter. Sandys Straße. Hier gibt's nur zwei Etagen, und die nach Osten ist die obere. In El Modena ist es auch damit zu Ende, und sie sind jetzt auf Erdniveau im Zwei-Spur-Verkehr. »Was jetzt, Professor?«

»Park den Wagen in der Mall«, sagt Jim.

Abe parkt. Jim zieht zum letzten Mal seine Karte zu Rate. Er zittert vor Erregung; das ist eine ganz neue Idee, diese Mission, eine Art persönliche Archäologie. Die jahrelange Lektüre seiner Bücher über die örtliche Geschichte haben in ihm den unkontrollierbaren Drang geweckt, irgendetwas zu entdecken – zu sehen, zu berühren, irgendein Relikt aus der Vergangenheit zu begreifen. Und heute Abend ist es so weit.

Sie stellen den Wagen vor das El Torito Restaurant am Ende der Hewes Mall. »Das El Terriblo befindet sich im ältesten Gebäude in dieser Gegend«, erklärt Jim. »Es war eine Quäker-Kirche, die 1887 erbaut wurde. Sie haben eine riesige Glocke in den Turm gehängt, aber sie war zu schwer, und beim nächsten Santa-Ana-Wind kippte das ganze Gebäude um. Daher haben sie es wiederaufgebaut. Allerdings kann man es heute nicht mehr erkennen, das Restaurant ist darauf errichtet worden, und sie benutzen den alten Saal als Kasino. Aber mir liefert es auf den alten Karten einen Orientierungspunkt. Und genau hundertdreißig Meter westlich von hier, auf der anderen Straßenseite, befindet sich das Grundstück der Grundschule von El Modena, die 1905 erbaut wurde.«

»Die ist mir entgangen«, meint Tash.

»Jetzt gibt es sie nicht mehr. Sie wurde 1960 abgerissen. Aber der Großonkel meiner Mutter besuchte sie als Kind, und er erzählte mir davon. Und ich hab alles nachgeschaut. Zwei Holzbauten standen da mit einem Hof zwischen ihnen. Als sie die Gebäude abrissen, füllten sie die Keller mit Müll auf, dann bedeckten sie alles mit Beton. Ich habe die Standorte der Gebäude ganz genau festgelegt, und das westliche stand genau auf dem Grundstück unter dem Fluffy Donuts Video Palace und seinem Parkplatz.«

»Du meinst«, sagt Abe, »wir können dort einfach durch den Parkplatzboden brechen …«

»Ja, deshalb wollte ich, dass du einige von deinen Werkzeugen mitbringst …«

»Durch den Betonboden brechen und durch einen Meter Geröll und Schutt graben bis – ja, bis runter zu den Trümmern der Grundschule von El Modena, 1902 bis 1960 …?«

»Genau das.«

»Na, dann los«, sagt Abe. »Worauf warten wir noch?«

»Ahhh, hahahahahahahahaha …«

Aus dem Wagen raus, sich einen Teil der Ausrüstung schnappen, dann zu Fuß die Chapman runter. Gesichter starren aus vorbeifahrenden Wagen, erstaunt, Leute zu sehen, die laufen. Jim gerät in Erregung. »Es gab dort einen Grundstein, mit eingraviertem Datum....

Erscheint lt. Verlag 19.12.2016
Reihe/Serie Die Kalifornien-Trilogie
Die Kalifornien-Trilogie
Übersetzer Michael Kubiak
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Gold Coast
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Die Kalifornien-Trilogie • diezukunft.de • Dystopie • eBooks • Kalifornien • Orange County • Revolution • Serien
ISBN-10 3-641-20872-6 / 3641208726
ISBN-13 978-3-641-20872-1 / 9783641208721
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