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Pazifische Grenze (eBook)

Die Kalifornien-Trilogie, Band 3 - Roman
eBook Download: EPUB
2016
Heyne Verlag
978-3-641-20873-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pazifische Grenze - Kim Stanley Robinson
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Kalifornische Utopie
Wir schreiben das Jahr 2065. Kevin Claiborne hat sich auf den Bau 'grüner' Häuser spezialisiert, und arbeitet daran, aus El Modena ein modernes Ökotopia zu machen. Er gehört den 'Grünen' an, deren politische Gegner die New Federalists sind. Den einen geht es darum, nachhaltig und umweltschonend zu leben, die anderen verfolgen vor allem wirtschaftliche Interessen. Plötzlich findet Kevin sich in einer Auseinandersetzung wieder, die sich nicht mehr allein auf die politische Bühne beschränkt, und muss erkennen, dass hinter der Öko-Idylle Kräfte lauern, die ihre Ziele um jeden Preis erreichen wollen ...

Kim Stanley Robinson wurde 1952 in Illinois geboren, studierte Literatur an der University of California in San Diego und promovierte über die Romane von Philip K. Dick. Mitte der Siebzigerjahre veröffentlichte er seine ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, 1984 seinen ersten Roman. 1992 erschien mit 'Roter Mars' der Auftakt der Mars-Trilogie, die ihn weltberühmt machte und für die er mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet wurde. In seinem Roman '2312' erkundet er die verschiedenen Gesellschaftsformen, die die Menschheit nach ihrem Aufbruch ins Sonnensystem erschafft. Zuletzt sind bei Heyne seine Romane 'New York 2140', der in einem vom Klimawandel gezeichneten New York der nahen Zukunft spielt, und sein Bestseller 'Das Ministerium für die Zukunft' erschienen. Kim Stanley Robinson lebt mit seiner Familie in Davis, Kalifornien.

1


 

Ein solcher Morgen konnte nicht durch Verzweiflung getrübt werden.

Die Luft war kühl und duftete nach Salbei. Sie hatte jene Klarheit, die sich im Süden Kaliforniens immer dann zeigt, wenn der Wind allen Dunst und Ballast der Geschichte aufs Meer hinausgeweht hat – Luft wie ein riesiges Vergrößerungsglas, sodass die schneebedeckten San-Gabriel-Berge zum Greifen nahe erschienen, obgleich sie vierzig Meilen weit entfernt waren. Die blauen Vorberge waren von Schluchten und Rinnen durchzogen, und unterhalb der Vorberge schien die breite Küstenebene aus nichts anderem als Baumwipfeln zu bestehen: weite Gärten und Haine mit Orangen, Avocados, Zitronen, Oliven; Eukalyptus und Palmen als Windbrecher; Tausende von verschiedenen Arten von Zierbäumen, sowohl natürlichen Ursprungs als auch genetisch manipuliert. Es war, als bestünde die ganze Ebene aus einem entfesselten Garten, den die abendliche Sonne in allen möglichen Grünschattierungen erstrahlen ließ.

Auf all dies blickte ein Mann hinab, der einen Bergpfad hinunterschritt und gelegentlich stehen blieb, um die Aussicht zu genießen. Er bewegte sich locker und lässig und vollführte ab und zu einen leichten Hüpfer, als sei er in ein Spiel vertieft. Er war zweiunddreißig Jahre alt, aber er sah aus wie ein Junge, der durch die Berge streunt und alle Zeit der Welt hat.

Er trug eine Arbeitshose aus Khakistoff, ein T-Shirt und schmutzige Tennisschuhe. Seine Hände waren groß, schwielig und voller Narben; seine Arme waren lang. Von Zeit zu Zeit unterbrach er seinen Marsch, um einen unsichtbaren Baseballschläger zu ergreifen und auszuholen und schwungvoll zuzuschlagen. Dabei stieß er ein lautes »Bumms!« aus. Tauben, die ihrem morgendlichen Paarungsritual frönten, flatterten auseinander, und der Mann lachte laut und eilte weiter den Pfad hinunter. Sein Nacken war gerötet, die Haut voller Sommersprossen, die Augen blickten schläfrig, und sein Haar war blond und stand zu allen Seiten ab. Er hatte ein längliches Gesicht mit ausgeprägten Wangenknochen und blassblauen Augen. Indem er gleichzeitig zu laufen und nach Catalina hinunterzublicken versuchte, stolperte er und musste ein Stück bergab rennen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Hey!«, rief er. »Mann! Was für ein Tag!«

 

Er kam den Berghang nach El Modena hinunter. Seine Freunde tauchten einzeln oder zu zweit aus den Bergen auf, zu Fuß oder per Fahrrad, um sich an einer aufgerissenen Kreuzung zu treffen. Sie griffen nach Hacke oder Schaufel, sprangen in tiefe Löcher hinunter und fingen an zu arbeiten. Erde flog in Loren, Spitzhacken trafen mit einem Klirren auf Steine, Stimmen riefen sich etwas zu.

Sie rissen die Straße auf. Es war eine große Kreuzung gewesen: vierspurige Asphaltstraßen, Bordsteine aus weißem Beton, große asphaltierte Parkplätze und Tankstellen an den Ecken, dahinter Einkaufszentren. Nun waren die Gebäude verschwunden und auch der größte Teil des Asphalts, wegtransportiert zu den Raffinerien in Long Beach; und sie gruben sich tiefer.

Seine Freunde begrüßten ihn.

»Hey, Kevin, sieh mal, was ich gefunden habe.«

»Hi, Doris. Das sieht aus wie ein Schaltkasten für Ampeln

»So einen haben wir schon mal gefunden.«

Kevin hockte sich zu dem Kasten und untersuchte ihn. »Jetzt haben wir zwei. Sie haben ihn wahrscheinlich einfach hiergelassen, als sie einen neuen aufstellten.«

»Was für eine Verschwendung.«

Aus einem anderen Krater hörte man Gabrielas Stöhnen. »Nein! Nein! Telefonleitungen, Energiekabel, Gasleitungen, PVC-Rohre, die Leitungen der Verkehrslichter – und schon wieder ein neuer Tankstellentank!«

»Seht mal, hier ist ein Haufen zerquetschter Bierdosen«, sagte Hank. »Wenigstens einige Dinge haben sie richtig gemacht.«

 

Während sie gruben, neckten sie Kevin wegen der abendlichen Versammlung des Stadtrates, Kevins erster Auftritt als Ratsmitglied. »Ich kann mir noch immer nicht erklären, wie du dich dazu hast überreden lassen können«, sagte Gabriela. Sie arbeitete mit Kevin und Hank auf dem Bau; jung, hart und wild, sie hatte ein loses Mundwerk und machte Kevin oft das Leben schwer.

»Sie meinten zu mir, es wäre ganz lustig.«

Alle lachten.

»Sie meinten zu ihm, es sei lustig! Da geht einer zu Hunderten von Ratsversammlungen, aber wenn Jean Aureliano ihm sagt, es sei lustig, dann pflichtet Kevin Claiborne ihr sofort bei: ›Na klar, das glaube ich auch!‹«

»Sicher, vielleicht sind sie es in Zukunft auch.«

Sie lachten wieder. Kevin schwang seine Hacke und grinste verlegen.

»Das sind sie nicht«, erklärte Doris. Sie war die andere Grüne im Rat. Nachdem sie für zwei Perioden dabei gewesen war, galt sie als eine Art Berater Kevins, eine Aufgabe, die ihr offenbar nicht sonderlich gefiel. Sie waren Hausgenossen und alte Freunde, daher wusste sie, was sie erwartete. Sie sagte zu Gabriela: »Jean hat sich Kevin ausgesucht, weil sie jemanden wollte, der prominent ist.«

»Das erklärt noch lange nicht, warum Kevin eingewilligt hat!«

Hank meinte: »Der Baum, der am schnellsten wächst, wird auch als Erster gefällt.«

Gabriela lachte. »Lass dir was Besseres einfallen, Hank, klar?«

 

Die Luft erwärmte sich, während der Morgen voranschritt. Sie stießen auf den dritten Schaltkasten, und Doris blickte finster drein. »Die Leute waren so verschwenderisch.«

Hank sagte: »Jede Kultur ist so verschwenderisch, wie sie es sich leisten kann.«

»Nee. Es ist nur eine Frage der niederen Werte.«

»Was ist denn mit den Schotten?«, fragte Kevin. »Es heißt doch, dass sie geizig waren.«

»Aber sie waren auch arm«, meinte Hank. »Sie konnten es sich gar nicht erlauben, nicht geizig zu sein. Und das beweist doch mein Argument.«

Doris warf Erde in eine Lore. »Geiz ist ein Wert, der nicht von den Umständen abhängt.«

»Man kann doch begreifen, warum sie die Sachen alle hier liegen ließen!«, ereiferte Kevin sich und klopfte auf den Schaltkasten. »Es kostet doch eine unendliche Mühe, so eine Straße aufzureißen.«

Doris schüttelte ihr kurzes schwarzes Haar. »Du drehst wieder alles um, Kev, genauso wie Hank. Es sind die Werte, die deine Handlungen bestimmen sollen, nicht umgekehrt. Wenn es ihnen so wichtig gewesen wäre, dann hätten sie dieses ganze Zeug herausgeholt und benutzt, so wie wir es tun.«

»Wahrscheinlich.«

»Es ist genauso wie Radfahren. Die Werte sind der Abwärtstritt, die Aktionen der Aufwärtstritt. Und es ist der Abwärtstritt, der die Dinge vorwärtstreibt.«

»Und?«, fragte Kevin und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wenn du Fußhaken hast, dann hast du beim Hub aber auch ganz schön Dampf. Bei mir ist es jedenfalls so.«

Gabriela sah schnell zu Hank. »Kraft im Hub, Kev? Tatsächlich?«

»Ja, du ziehst doch an den Fußhaken. Ist denn bei dir nichts dahinter?«

»Aber klar, Kev, ich hab eine ganze Menge Wucht beim Hub.«

»Was meinst du denn, wie viel du gewinnst?«, fragte Hank.

Kevin rechnete. »Na ja, wenn ich die Dinger fest angezogen habe, dann dürften es so um die zwanzig Prozent sein.«

Gabriela brach in wildes Gelächter aus. »Das, ha! – das ist also der überragende Geist, der in den Stadtrat einziehen will! Ich kann es kaum erwarten! Ich kann kaum erwarten mitzuerleben, wie er sich mit Alfredo auf eine Diskussion einlässt! Scheiß-Fußhaken – er redet über FUSSHAKEN!«

»Was denn?«, sagte Kevin stur. »Hast du denn keine Kraft im Aufwärtstritt?«

»Aber zwanzig Prozent?«, fragte Hank jetzt mit interessierter Stimme. »Die ganze Zeit oder nur, wenn du deine Muskeln ausruhst?«

Doris und Gabriela stöhnten. Die beiden Männer vertieften sich in eine angeregte Diskussion über das Thema.

Gabriela sagte: »Wenn Kev sich mit Alfredo anlegt, dann sagt er nur Fußhaken! Er sagt: ›Nimm dich in acht, Fredo, oder ich vergifte dein Blut!‹«

Doris kicherte, und Kevin stand in seiner Grube und blickte finster drein.

 

Gabriela spielte auf einen Vorfall in Kevins Schulzeit an, als er ausgewählt worden war, mit einigen anderen über die Behauptung »Die Schreibfeder ist stärker als das Schwert« zu diskutieren. Kevin musste die Debatte einleiten, indem er sich für diese Behauptung stark machte, und er hatte vor der Klasse gestanden, puterrot im Gesicht, hatte seine Hände gerungen, hatte sich das Hirn zermartert – bis er schließlich meinte, wobei er unsicher blinzelte: »Also wenn man nur eine Schreibfeder hat – und wenn man jemanden damit sticht –, dann könnte der Betreffende von der Tinte eine Blutvergiftung bekommen.«

Köpfe fielen auf die Pulte, minutenlang hilfloses, brüllendes Gelächter; Mr. Freeman wischte sich die Tränen aus den Augen – einige fielen sogar von den Stühlen! Niemand hatte das je vergessen. Tatsächlich kam es Kevin manchmal so vor, als wäre an diesem Tag jeder Mensch, den er kannte, in dem Klassenzimmer gewesen, sogar Leute wie Hank, der zehn Jahre älter war als er, oder Gabriela, die zehn Jahre jünger war. Jeder! Aber es war nur eine Geschichte, die die Leute sich immer wieder erzählten.

 

Sie gruben tiefer, stießen auf rundgeschliffene Sandsteinblöcke. In den Jahrtausenden war der Santiago Creek über die Schwemmkegel gewandert, die sich aus den Bergen von Santa Ana herabsenkten, und es schien, als wäre ganz El Modena zu irgendeinem Zeitpunkt mal sein Flussbett gewesen, denn sie fanden diese Steine überall. Sie arbeiteten ohne sonderliche Eile; man betrachtete das Ganze am besten als eine Art Party, um sich nicht über die Ineffizienz zu ärgern. In El Modena wurde...

Erscheint lt. Verlag 19.12.2016
Reihe/Serie Die Kalifornien-Trilogie
Die Kalifornien-Trilogie
Übersetzer Michael Kubiak
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Pacific Edge
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Die Kalifornien-Trilogie • diezukunft.de • eBooks • Kalifornien • Ökologie • Ökotopia • Serien • Utopie
ISBN-10 3-641-20873-4 / 3641208734
ISBN-13 978-3-641-20873-8 / 9783641208738
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