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Das wilde Ufer (eBook)

Die Kalifornien-Trilogie, Band 1 - Roman
eBook Download: EPUB
2016
Heyne Verlag
978-3-641-20870-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das wilde Ufer - Kim Stanley Robinson
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Das große Abenteuer von der Wiederentdeckung Amerikas
Es gab einmal eine Zeit, da war Amerika die mächtigste Nation der Erde. Doch nach einem nuklearen Krieg ist das Land verwüstet, die großen Städte sind zerstört, die Bevölkerung ist nahezu ausgerottet. Die Völker der Vereinten Nationen wachen mit aller Strenge darüber, dass die wenigen, in kleinen Siedlungen verstreut lebenden Nachkommen der Kriegsgeneration nie mehr eine Chance bekommen, das Land wieder aufzubauen. Bis eines Tages in einem kleinen Fischerdorf an der kalifornischen Küste zwei Fremde auftauchen und in dem siebzehnjährigen Henry der Traum von einem wiedervereinten Amerika erwacht ...

Kim Stanley Robinson wurde 1952 in Illinois geboren, studierte Literatur an der University of California in San Diego und promovierte über die Romane von Philip K. Dick. Mitte der Siebzigerjahre veröffentlichte er seine ersten Science-Fiction-Kurzgeschichten, 1984 seinen ersten Roman. 1992 erschien mit 'Roter Mars' der Auftakt der Mars-Trilogie, die ihn weltberühmt machte und für die er mit dem Hugo, dem Nebula und dem Locus Award ausgezeichnet wurde. In seinem Roman '2312' erkundet er die verschiedenen Gesellschaftsformen, die die Menschheit nach ihrem Aufbruch ins Sonnensystem erschafft. Zuletzt sind bei Heyne seine Romane 'New York 2140', der in einem vom Klimawandel gezeichneten New York der nahen Zukunft spielt, und sein Bestseller 'Das Ministerium für die Zukunft' erschienen. Kim Stanley Robinson lebt mit seiner Familie in Davis, Kalifornien.

II


 

Im Traum erlebte ich wieder den Moment, als wir damit begannen, das offene Grab zuzuschaufeln. Erdklumpen kullerten auf den Sarg und erzeugten ein gespenstisches hohles Dröhnen; doch in meinem Traum war dieses Geräusch ein Klopfen aus dem Sarg, das lauter und verzweifelter wurde, je schneller sich die Grube wieder mit Erde füllte.

Pa weckte mich mitten aus diesem Albtraum: »Heute Morgen haben sie am Strand eine angespülte Leiche gefunden.«

»Häh?«, rief ich und sprang verwirrt aus dem Bett. Erschrocken wich Pa zurück. Ich beugte mich über den Wascheimer und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. »Was erzählst du da?«

»Ich habe gehört, dass man einen von diesen Chinesen gefunden hat. Du bist ja völlig verdreckt. Was ist mit dir los? Warst du heute Nacht schon wieder draußen?«

Ich nickte. »Wir bauen uns ein Versteck.«

Verwirrt und missbilligend schüttelte Pa den Kopf.

»Ich habe Hunger«, fügte ich hinzu und griff nach dem Brot. Dann nahm ich einen Becher vom Wandregal und tauchte ihn in den Trinkwassereimer.

»Wir haben nichts mehr außer Brot.«

»Ich weiß.« Ich brach einige Brocken von dem Laib ab. Kathryns Brot war gut, auch wenn es schon ein bisschen alt war. Ich ging zur Tür und öffnete sie, und das Dunkel unserer fensterlosen Hütte wurde von einem Keil gedämpften Sonnenlichts zerschnitten. Ich streckte meinen Kopf hinaus in die Luft; fahler Sonnenschein, die Bäume entlang des Flusses triefend nass. Im Innern der Hütte fiel das Licht auf Pas Nähtisch. Die alte Maschine glänzte von den langen Jahren ständigen Gebrauchs. Daneben stand der Herd, und darüber, gleich neben dem Ofenrohr, welches das Dach durchstieß, befand sich das Regal mit den Küchengeräten. Das und der Tisch, die Stühle, Kleiderschränke und Betten stellten unseren gesamten Besitz dar – die bescheidene Habe eines einfachen Mannes in einem einfachen Gewerbe. Nun, die Leute hatten es eigentlich gar nicht nötig, sich ihre Kleidung von Pa nähen zu lassen …

»Du läufst jetzt besser zu den Booten hinunter«, sagte Pa ernst. »Es ist schon spät, sicher sind sie schon dabei, abzulegen.«

»Hhmmph.« Pa hatte recht; ich war wirklich spät dran. Immer noch auf meinem Stück Brot kauend, zog ich Hemd und Schuhe an. »Viel Glück!«, rief Pa mir nach, als ich durch die Tür hinausstürmte.

Als ich den Freeway überqueren wollte, wurde ich von Mando, der aus der anderen Richtung kam, angehalten. »Hast du schon von dem Chinesen gehört, der an den Strand gespült wurde?«, wollte er wissen.

»Yeah! Hast du ihn gesehen?«

»Ja! Pa ging runter, um ihn sich anzusehen, und ich bin einfach mitgegangen.«

»Ist er erschossen worden?«

»Na klar. Vier Einschusslöcher, mitten in der Brust.«

»Mann!« Sehr viele wurden bei uns angetrieben. »Ich möchte nur gerne wissen, um was die da draußen so fanatisch kämpfen.«

Mando zuckte mit den Schultern. In dem Kartoffelfeld auf der anderen Straßenseite rannte Rebel Simpson hinter einem Hund her, der eine Kartoffel ausgegraben hatte. Dabei stieß sie wütende Beschimpfungen aus. »Pa ließ einmal verlauten, dass dort draußen eine Art Küstenwache die Leute von hier fernhält.«

»Ich weiß«, sagte ich. »Ich frag mich nur, ob das wirklich der Grund ist.« Große Schiffe tauchten ab und zu vor der langen Küste auf, gewöhnlich weit draußen am Horizont, manchmal auch etwas näher, und von Zeit zu Zeit wurden Leichen angetrieben, die von Kugeln durchlöchert waren. Doch was mich betraf, so war das alles, was wir über die Welt außerhalb unserer Grenzen sagen konnten. Wenn ich voller Neugier und Wissensdurst darüber nachdachte, wurden meine Neugier und mein Wissensdurst manchmal so übermächtig, dass ich fast in Wut geriet. Andererseits war Mando sicher, dass sein Vater (der nur nachplapperte, was der alte Mann von sich gab) wusste, was das alles zu bedeuten hatte. Er begleitete mich hinaus zu den Klippen. Draußen auf See wurde der Horizont von einem breiten Wolkenband überlagert; es war die tägliche Nebelbank, die sich später, wenn der Wind sich drehte, auf das Land zuwälzen würde. Unten, nahe der Flussmündung, luden sie Netze in ihre Boote. »Ich muss an Bord«, verabschiedete ich mich von Mando. »Bis nachher.«

Als ich die Klippen zum Strand hinuntergeklettert war, war man gerade damit beschäftigt, die Boote zu Wasser zu lassen. Ich gesellte mich zu Steve, der beim kleinsten Boot, das noch auf dem Sand lag, mit anpackte. John Nicolin, Steves Vater, stapfte vorüber und funkelte mich dabei wütend an. »Ihr beide übernehmt heute die Ruten. Zu etwas anderem seid ihr sowieso nicht nütze.« Ich reagierte nicht und behielt meinen gleichmütigen Gesichtsausdruck. Er entfernte sich und brüllte einem ablegenden Boot einen letzten Befehl zu.

»Weiß er, dass wir heute Nacht weg waren?«

»Yeah.« Steves Lippen kräuselten sich. »Ich bin über ein Trockengerüst gestolpert, als ich mich ins Haus schlich.«

»Hat es Ärger gegeben?«

Er drehte den Kopf, um mir eine Schwellung vor seinem Ohr zu zeigen. »Was dachtest du denn?« Er war nicht zum Reden aufgelegt, und ich half den Männern, das nächste Boot über den Strand zu ziehen. Das kalte Wasser, das mir über die Füße spülte, sorgte dafür, dass ich endlich hellwach wurde. Draußen auf See wies das verhaltene Rauschen brechender Wellen auf eine leichte Dünung hin. Schließlich war das kleine Boot an der Reihe, und ich sprang hinein, als es in die Fahrrinne hinausgeschoben wurde. Wir ruderten nur mit halber Kraft, ließen uns mehr mit der Strömung treiben und überwanden die Brecher an der Flussmündung ohne Probleme.

Als alle Boote draußen und jenseits der Boje waren, die das Hauptriff markierte, lief alles wie gewöhnlich weiter. Die drei großen Boote begannen ihre Kreisfahrt, um das Beutelnetz auszubringen; Steve und ich ruderten nach Süden, die anderen Angelboote entfernten sich in nördlicher Richtung. Am südlichen Ende des Tales liegt eine schmale Bucht, die von einem Riffwall aus Beton nahezu vollständig ausgefüllt wird – Betonbucht nennen wir den Ort. Zwischen dem Betonwall und dem etwas größeren Riff auf der dem Strand abgewandten Seite verläuft ein Kanal, den die schnelleren Fische zur Flucht benutzen, wenn die Netze ins Wasser gebracht werden. Das Angeln ist gewöhnlich dann erfolgreich, wenn auch mit den Netzen gefischt wird. Steve und ich ließen unseren Anker über dem Hauptriff fallen und wurden von der Dünung hinüber in den Kanal und dicht vor die weißen Segmente des Betonriffs getragen. Dann mussten die Angeln klargemacht werden. Ich knotete das glänzende Metallstück, das mir als Köder diente, an die Angelschnur. »Sieht aus wie ein Sarggriff«, sagte ich zu Steve und hielt den silbern glänzenden Gegenstand hoch. Er lachte nicht. Ich ließ den Köder bis auf den Grund sinken, dann begann ich ihn langsam wieder nach oben zu drillen.

Wir angelten. Köder auf den Grund sinken lassen, dann das Drillen; und danach wurde der Köder wieder hinausgeschleudert. Gelegentlich bogen die Angelruten sich nach unten. Es folgten einige Minuten heftiger Gegenwehr, die vom Käscher beendet wurde. Anschließend wurde die Angel sofort wieder ausgeworfen. Nördlich von uns wurden Netze aus dem Wasser gezogen, in denen silbern glänzende Fische um ihre verlorene Freiheit kämpften. Die Boote bekamen unter dem Gewicht Schlagseite und neigten sich manchmal so weit, dass es schien, als könnte man deutlich die Kiele sehen und als würden die Boote jeden Moment umkippen. Auf dem Festland schienen die Berge sich zu heben und wieder zu senken, immer auf und nieder. Im Licht der von dunstartigen Wolken verhüllten Sonne war der Wald von einem satten Grün, während die Klippen und die Bergspitzen kahl und grau waren.

Vor fünf Jahren, als ich zwölf Jahre alt war und Pa mich zum ersten Mal an John Nicolin ausgeheuert hatte, war Angeln eine ganz große Sache. Alles, was damit zu tun hatte, faszinierte mich – das Angeln selbst, die unterschiedlichen Launen des Meeres, das Zusammenwirken der Männer, der grandiose Anblick des Festlandes vom Meer aus. Doch seitdem hatte ich eine ganze Reihe von Tagen auf dem Wasser zugebracht, waren Unmengen von Fischen über die Bordwand gehievt worden: große und kleine Fische, gar keine Fische und dann wieder so viele Fische, dass uns die Arme müde und die Hände ganz rau und rissig wurden; in einer steilen, aber gemächlichen Dünung oder bei heftigem, böigem Sturm oder auf spiegelglattem Wasser; unter heißen, wolkenlosen Himmeln oder in einem Regen, der die Berge zu grauen Schemen verschwimmen ließ, oder im Sturm, wenn die Wolken wie durchgehende Pferde über unseren Köpfen dahinjagten … vorwiegend jedoch an Tagen wie diesem, mittelprächtig und mit einer Sonne, die gegen die besonders hoch dahintreibenden Wolken vorgeht, und einer mittelprächtigen Fangmenge Fische.

Es schien, als hätte es schon Tausende Tage wie diesen gegeben und als wäre der ganze Reiz verflogen. Für mich war es mittlerweile nicht mehr als ganz normale Arbeit.

Zwischen den jeweiligen Beutezügen ließ ich mich vom Schwanken des Bootes einlullen. Für eine Weile machte ich mich sogar lang und bettete den Kopf auf den Bootsrand, oder ich machte es mir auf dem Sitzbrett bequem, obgleich dann die Gefahr bestand, dass ich den Schlag einer Schwanzflosse abbekam. Die übrige Zeit kauerte ich mich über meine Angelrute und wachte nur auf, wenn sie gegen meinen Bauch schlug. Dann holte ich den Fisch heran, fing ihn mit dem Netz, zog ihn über den Rand, verpasste ihm ein paar auf den Schädel, holte den Köder heraus und warf ihn wieder ins Wasser und versank sofort erneut in einen angenehmen Halbschlaf. Ich versuchte sogar, mich auf das...

Erscheint lt. Verlag 19.12.2016
Reihe/Serie Die Kalifornien-Trilogie
Die Kalifornien-Trilogie
Übersetzer Michael Kubiak
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Wild Shore
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Amerika • Atomkrieg • Die Kalifornien-Trilogie • diezukunft.de • Dystopie • eBooks • Kalifornien • Serien
ISBN-10 3-641-20870-X / 364120870X
ISBN-13 978-3-641-20870-7 / 9783641208707
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