Veitel setzte sich auf die Treppe und sah mit starrem Blick auf das Messingschild und die weiße Tür, bewunderte die abgeschrägten Ecken der Messingplatte und versuchte sich vorzustellen, wie der Name Itzig auf einer ebensolchen Platte an einer ähnlichen weißen Tür aussehen würde. Darauf kam er auf gradem Wege zu der Betrachtung, wieviel ihm noch fehle, um so reich zu sein wie Hirsch Ehrenthal; er fühlte nach einem halben Dutzend Dukaten, welche ihm seine alte Mutter mit einem Lederfleck in das Futter seiner Weste eingenäht hatte, und überlegte, wieviel er alle Tage dazusparen könnte, vorausgesetzt, daß ihm der reiche Mann Gelegenheit ließe, etwas zu verdienen. Er war tief in Betrachtungen versunken über den Wert von zwei Phantasiestiefeln, welche er sich an den Beinen eines jungen Elegants vorstellte und welche nach seiner Annahme den dreifachen Wert des Viergroschenstücks haben mußten, das er dem eleganten Herrn dafür bieten wollte; da wurde die Entreetür mit starker Hand aufgemacht, und Herr Ehrenthal stand vor dem armen Bocher. Das war nicht mehr der Mann von heut nachmittag, die anschmiegende Freundlichkeit war verschwunden wie der Duft einer Rose am Ende des heißen Tages, er war ganz Majestät, Selbstgefühl, Despotismus; kein asiatischer Kaiser kann so stolz auf die Kreatur vor seinen Füßen heruntersehen, als er auf das Kind von Ostrau zu blicken verstand. Itzig fühlte das Bedeutende in der Stellung des großen Mannes und seine eigene Nichtswürdigkeit trotz der sechs Dukaten im Ledersäckchen, er schnellte in die Höhe und stand demütig vor seinem Meister. »Hier ist ein Brief von Baruch Goldmann, bei welchem der Herr Ehrenthal mich hat verschrieben für sein Geschäft«, begann Veitel und hielt dem großen Mann einen Brief entgegen.
»Ich habe dem Goldmann geschrieben, er soll mir einen Menschen schicken, den ich mir ansehe, ob ich ihn brauchen kann; gemacht ist noch nichts«, sprach Ehrenthal vornehm und öffnete das Schreiben.
»Ich bin doch gekommen, damit Sie mich ansehen«, entgegnete Veitel.
»Und was kommst du so spät, junger Itzig? Es ist keine Zeit mehr zur Rede vom Geschäft«, schnarrte ihn der Hausherr an.
»Ich wollte mich melden bei meinem Herrn Hirsch Ehrenthal zum Dienst noch heut abend, wenn er mir hat zu geben einen Auftrag für morgen früh.«
»Davon ist zu reden morgen früh«, antwortete gereizt der Herr, welcher es für vorteilhaft hielt, dem Neuling zu zeigen, wie wenig ihm an seiner Person gelegen sei. Itzig begriff vollkommen das Zweckmäßige dieses Benehmens, und da er sah, daß seine Stellung bei dem abzuschließenden Geschäftsvertrage bis jetzt keine günstige war, suchte er sie dadurch zu verbessern, daß er tiefer auf die Sache einging und entgegenwarf: »Ich kann vielleicht leisten einen Dienst morgen früh, wo Markttag ist, weil ich kenne die meisten Kutscher von den Herrn, welche hereinkommen mit Raps.«
»Was Raps! Was tue ich mit Raps? Was will er reden vom Geschäft?« schleuderte ihm Hirsch Ehrenthal noch grimmiger entgegen.
Aber unerschüttert fuhr Veitel fort, sich herauszustreichen wie ein seidenes Halstuch: »Ich bin auch sonst bekannt in der Stadt, ich kenne die Makler und die kleinen Leut’ und kann dem Herrn helfen bei jedem Geschäft, das er machen will im Haus und außer dem Haus.« Und um seinen Selbstverkauf dem Abschluß näher zu bringen, fügte er mit resignierter Miene hinzu: »Ich bin nicht so stolz, daß ich will wohnen in dem Hause bei Herrn Hirsch Ehrenthal; wenn der Herr Ehrenthal für mich nicht hat eine Stelle in seinem Hause, so will ich mir suchen mein Lager in der Nähe bei einem Wirt.«
Herr Ehrenthal wurde durch diese Anspruchslosigkeit so weit gerührt, daß er den Burschen noch einmal von oben bis unten ansah und mit mehr Herablassung fragte: »Sind deine Papiere in Ordnung, daß du mich in keine Unannehmlichkeiten bringst mit der Polizei?«
Veitel beruhigte ihn über diesen wichtigen Punkt; eine uralte große Brieftasche flog plötzlich auf geheimnisvolle Weise aus den Falten seiner schlottrigen Jacke; aus ihr suchte er seine Legitimation heraus.
Herr Ehrenthal faßte das Papier mit einem geschickt angenommenen Widerwillen gegen die gelbliche Farbe desselben und sah es genau durch, Unterschrift, Siegel und alles, indem er es sogar gegen das Licht hielt.Veitel wartete gespannt, ob er das Dokument behalten würde; wenn er es in der Hand behielt, so war das Geschäft zum Abschluß reif.
Als Herr Ehrenthal das Dokument nachlässig in der Hand wiegte, versuchte Itzig mit unterwürfiger Vertraulichkeit zu lächeln. »Wenn ich dich in meinen Dienst nehme«, sprach der Hausherr, »so wirst du machen alles in meinem Hause, was ich dir werde auftragen oder Madame Ehrenthal oder mein Sohn Bernhard Ehrenthal; du wirst putzen die Stiefel am Morgen und die Schuhe meiner Frau, du wirst holen in die Küche, was dir die Köchin sagen wird, in meinem Geschäft wirst du machen alle Gänge, die ich habe zu machen, und wirst ausrichten alle Bestellungen.«
»Ich will, Herr Ehrenthal«, sagte Veitel demütig, »ich will alles tun, daß Sie seien zufrieden mit mir.«
»Frühstück und Mittagessen wird dir geben die Köchin, am Abend von sieben Uhr kannst du sein dein eigener Herr.« – Veitel nahm mit derselben Bereitwilligkeit auch diese Bedingung an und bemerkte nur: »Kann ich nicht haben am Morgen ein bis zwei Stunden für mich?«
»Nein«, sprach Ehrenthal ungnädig, »ich kann es nicht leiden, wenn einer in meinen Diensten ist und macht Geschäfte für eigene Rechnung.«
Da Veitel beschlossen hatte, unter allen Umständen Geschäfte für eigene Rechnung zu machen, und Herr Ehrenthal das ebensogut wußte wie Veitel, so wurde auf diesen zarten Punkt nicht weiter eingegangen.
»Dafür sollst du erhalten alle Monat zwei Taler, und wenn ich mit deiner Hilfe ein Geschäft mache, erhältst du deinen Anteil davon.«
»Wie groß soll sein dieser Anteil?« rief Veitel schnell.
»Wie groß er soll sein?« fragte Herr Ehrenthal unwillig, »was ich dir werde geben, wird sein groß genug.«
»Groß genug für den Herrn, aber nicht für mich«, antwortete Veitel dreist, denn er fühlte, daß bei diesem Hauptpunkt Entschlossenheit nötig sei.
»Das wird sich finden, wenn du wirst abgedient haben deine Probezeit. Vier Wochen dienst du auf Probe, nach der Zeit werde ich mit dir reden über deinen Verdienst.«
Das war alles, was Veitel billigerweise verlangen konnte, er hob sein Bündel von den Treppenstufen auf und sagte unterwürfig: »Ich bin’s zufrieden, wenn der Herr Ehrenthal mir noch will schenken eine alte Hose und Rock, daß ich ihm keine Schande mache vor den Leuten.«
»Keinen Rock und keine Hose«, antwortete der Herr entschieden.
»Dann geben Sie mir Hose und Rock in vier Wochen, wenn meine Probezeit zu Ende ist.« Diese Forderung war nach dem Kurs der Trödlerbörse gleich einem Geschenk von drei bis vier Talern, und Ehrenthal fand die Forderung mit Recht hoch; er warf noch einen prüfenden Blick auf den Burschen, auf die Demut seiner Stellung und die ungewöhnliche Frechheit seiner Augen, er schloß, daß der Mensch brauchbar sein werde, und fühlte sich bewogen, Großmut zu zeigen: »So mag es sein«, schloß er, »in vier Wochen. Dein Nachtquartier kannst du nehmen bei Löbel Pinkus an der Ecke, damit ich weiß, wo du bist zu finden.« Darauf öffnete Herr Ehrenthal die Entreetür und rief hinein: »Frau, Bernhard, Rosalie, kommt heraus.« Zwei Stubentüren und die Küchentür öffneten sich, und die Familie des Hausherrn wurde sichtbar, dahinter die zerknitterte Köchin.
Madame Ehrenthal war eine volle Frau in schwarzer Seide, mit starken Augenbrauen und rabenschwarzen Hängelocken; sie machte noch große Ansprüche zu gefallen und gefiel auch. Wenigstens versicherten ihr das mit mehr oder weniger Anstand junge Herren vom Adel, welche zuweilen in den Morgenstunden Herrn Ehrenthal besuchten, um mit ihm Geschäfte zu machen; und obgleich diese Versicherungen um so wärmer zu sein pflegten, je kühler Ehrenthal sich gegen das abzuschließende Geschäft verhielt, so galt doch, die Wahrheit zu sagen, Madame Ehrenthal auch bei solchen Leuten, welche keine Solawechsel zu prolongieren wünschten, für eine sehr stattliche Dame. Ihre Tochter aber war in der Tat eine Schönheit, eine große, edle Gestalt mit glänzenden Augen, dem reinsten Teint und einer nur sehr wenig gebogenen Nase. Wie aber kam der Sohn in diese Familie? Er war fast klein, mit einem bleichen, faltigen Gesicht und gebückter Haltung; daß er noch ein Jüngling war, sah man nur an seinem Munde und dem...
| Erscheint lt. Verlag | 7.7.2017 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Adel • Aufstand • Breslau • Bürgerlicher Realismus • Bürgertum • deutscher Schriftsteller • eBooks • Ehrlichkeit • Gustav Freytag • Juden • Kaufmannsfamilie • Polen • Roman • Tugend |
| ISBN-10 | 3-7306-9152-X / 373069152X |
| ISBN-13 | 978-3-7306-9152-6 / 9783730691526 |
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