Jerry Cotton Sonder-Edition 40 (eBook)
Bastei Entertainment (Verlag)
9783732541263 (ISBN)
Ein junger Mann kam zu Phil und mir ins Büro und berichtete, dass er einen Mord beobachtet hätte. Danach tauchte der Ölmillionär Arthur Forrester bei uns auf und wollte, dass wir seine Tochter Jenny suchten. Nun, die junge Frau war volljährig und noch nicht einmal 24 Stunden vermisst. Was uns stutzig machte, war, dass der Mord und das Verschwinden sich am selben Ort ereignet hatte. Als wir dort eintrafen, fanden wir weder eine Leiche noch eine Spur von Jenny ...
1
An diesem Tag begann unser Dienst eigentlich um acht Uhr. Aber Phil und ich kamen eine Stunde früher, weil wir uns vorgenommen hatten, mit einem Gewaltangriff die riesigen Berge von Papierkram wegzuschaffen, die sich auf unseren Tischen türmten.
Der Tag war strahlend und warm, und Phil kapitulierte bereits, als wir in das Büro kamen.
»Schreibarbeit!«, grunzte er. »Möchte wissen, wer die erfunden hat. Einmal möchte ich ihm nur begegnen!« Missmutig zündete er sich eine Zigarette an.
Ich ließ mich lustlos auf meinen Drehstuhl fallen und überlegte, womit ich zuerst anfangen sollte.
Etwas später waren wir so in die Arbeit vertieft, dass wir das Klopfen nicht hörten. Erst als sich die Tür zaghaft öffnete, drehten wir uns um und sahen das bleiche Gesicht eines jungen Mannes, der sich verlegen mit der Zunge über die Lippen fuhr und nicht wagte, ganz hereinzukommen. Noch bevor wir etwas sagen konnten, läutete das Telefon auf meinem Platz. Ich nahm den Hörer ab.
Es war Jefferson vom Haupteingang. »He, Jerry, ist er schon da?«, fragte er.
»Wer denn?«
»Na, dieser Knabe. Nennt sich Tony Sparrow und wollte unbedingt mit einem Agent sprechen. Angeblich unheimlich wichtig. Ich dachte mir, vielleicht langweilt ihr euch da oben!«
»Vielen Dank, das war sehr freundlich von dir!«, sagte ich sarkastisch und legte den Hörer auf.
Der Boy hatte sich inzwischen doch ganz in den Raum geschoben und drückte die Tür hinter sich zu. Seine schwarzen Locken waren mit Brillantine glattgeklebt, und er trug ein rotkariertes, kurzärmliges Hemd und knapp sitzende Jeans. Er sah sich neugierig um und schniefte nervös durch die Nase.
»Nun, Besichtigung beendet?«, fragte Phil mit ironischer Freundlichkeit.
Der Boy schluckte heftig und kam noch ein paar Schritte näher. »Ich möchte einen Agent sprechen. Ich muss ein Verbrechen melden!«
»Hier sitzen zwei von der Sorte. Sie können sich einen aussuchen, Sir!«, sagte ich.
Der Boy lachte verlegen und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die sich sofort wie die Borsten eines Igels aufstellten.
»Setz dich!«, forderte ich ihn auf. Er holte sich einen Stuhl und hockte sich auf die vorderste Kante. Seine Hände fuhren über seine abgewetzten Hosenbeine und rieben heftig dran herum.
Dann fasste er in die Gesäßtasche seiner Jeans und holte eine kleine Cellophanhülle heraus, die er mir über den Tisch reichte. Ich zog einen grünen College-Ausweis heraus, dessen Foto mit dem jungen Mann übereinstimmte.
Tony Sparrow, 17 Jahre alt, Schüler des Mainer’s College, wohnhaft Queens, 72b, 13th Street.
Dann begann er zu reden: »Gestern Nacht habe ich drei Männer beobachtet. Sie haben einen vierten Mann erschossen. Es war auf dem Grundstück an der Pot Cove. Gehört einem Ölmillionär.«
»Soso. Und was hast du nachts dort gemacht?«
»Geschwommen. Ich schwimme öfter da. Auch nachts.«
»Was genau ist geschehen?«
»Sie kamen zu dritt. Einer hatte ein Gewehr, die anderen beiden Revolver. Sie brüllten etwas, dann kam ein Girl heraus. Sie hatte lange offene Haare. Und ein Mann kam heraus. Aus dem Bootshaus.« Er brach ab und sah mich verwirrt an.
Dann wiederholte er den Satz noch einmal zusammenhängend und fuhr fort: »Einer der Männer schoss, und der Mann im weißen Pullover sank tot um!«
Ich blätterte die Meldungen der letzten Nacht durch, die auf meinem Tisch lagen. Ein Mord aus Queens war nicht dabei. Ich sagte das dem Boy.
Er schüttelte den Kopf und erklärte: »Die Leiche ist ja weg! Ich habe selbst gestern Nacht noch über die Hecke geschaut. Aber da lag er schon nicht mehr da.«
»Das klingt ja fast wie eine Szene aus einem Fernsehfilm!«, sagte Phil.
Tony Sparrow fuhr auf. »Aber es stimmt doch! Sie können ja …« Er brach ab, und sein Gesicht färbte sich dunkelrot. Allmählich begann ich zu kapieren. Sein Bericht hatte reichlich wirr geklungen, aber ich hatte das deutliche Gefühl, dass der Junge nicht log.
»Wie heißt sie denn?«, fragte ich ruhig.
Er sah erschrocken auf.
»Wer?«
»Nun, das Girl. Das Girl, mit dem du gestern Nacht schwimmen warst.«
Er begann, seine Hände fieberhaft ineinander zu schlingen, aber er schwieg.
»Hör zu«, sagte ich leise. »Kann sein, die ganze Geschichte, die ihr da gestern gesehen habt, ist nur ein Irrtum, irgendeine Sache, die sich aufklären lässt. Es kann aber auch sein, dass ihr ein Verbrechen beobachtet habt. Wenn ja, dann musst du uns den Namen des Mädchens sagen. Denn vielleicht ist sie in Gefahr.«
Ich schwieg und sah ihn an. Er schaute auf, nickte langsam, nannte Namen und Adresse des Girls und berichtete alles, was sie in der Nacht gesehen und gehört hatten. Die Story war so unwahrscheinlich, dass ich verstehen konnte, warum der Boy nicht sofort zu uns gekommen war, sondern sich die ganze Nacht über gefragt hatte, ob er geträumt hatte.
Endlich war er fertig und lehnte sich erschöpft zurück.
Phil hatte sich Notizen gemacht und sagte jetzt: »War dieser Chrysler, der euch überholte und später in der Hoyt Avenue stand, später noch da?«
»Nein, er war verschwunden. Ich habe nachgesehen. Alles war weg.«
»Du sagtest, auf dem Pullover sei ein dunkles Vereinsabzeichen. Hast du es erkannt?«
»Der Queens Aquatics Club hat weiße Pullover mit einem dunkelbraunen Streifen über der Brust und einem dunklen Kreis vorn in der Mitte mit einem roten Anker drin. Aber ich kann nicht sagen, ob es dieses Zeichen gewesen ist. Möglich wäre es.«
»Dieser Wassersport-Club ist eine ziemlich exklusive Angelegenheit, nicht wahr?«
»Und ob! Nichts für Leute wie mich. Nur Upper Class!«
»Wie sahen die Männer aus?«
»Ich weiß nicht. Sie können mir glauben, ich habe mir die ganze Zeit über den Kopf nach irgendwelchen Merkmalen zerbrochen, aber es war zu dunkel. Sie waren nicht klein. Keiner war irgendwie auffällig, besonders fett oder bucklig oder so. Einfach Männer eben. Sie trugen Hüte und Mäntel. Das fiel mir auf, denn es war eigentlich zu warm dafür. Aber sonst kann ich nichts sagen!«
»Und das Girl, das aus dem Bootshaus kam?«
»Na, prima gebaut, Slacks und Pulli und lange Haare. Aber das Gesicht konnte ich natürlich auch nicht erkennen.«
»Wie war ihre Haarfarbe?«
»Nicht sehr hell. Braun vielleicht.«
»Well, Tony«, sagte ich. »Gut, dass du gekommen bist. Wir werden der Sache nachgehen, und wenn wir tatsächlich mit Jeans Vater sprechen müssen, dann werden wir nicht vergessen, ihm zu berichten, wie geistesgegenwärtig du dich verhalten hast. Ich vermute, das wird ihn etwas beruhigen!«
Tony Sparrow grinste und verabschiedete sich.
Phil las mir seine Notizen vor. »Das alles klingt dürftig!«
»Und nicht nach einem Fall für uns!«, ergänzte ich. »Allerdings, wenn man bedenkt, dass die Pot Cove eine nette und malerisch gelegene kleine Bucht ist, sollte man es sich vielleicht doch überlegen, ob an dem Fall etwas für uns dran sein könnte.«
»Vor allem in Anbetracht des herrlichen Wetters!«, nickte ich und schob die Aktenstapel wieder in die hinterste Ecke.
»Ich kann ja auf jeden Fall einen Bericht für Mr High tippen!«, meinte Phil und begann sein Stenogramm zu übertragen.
In diesem Moment surrte mein Telefon. Ich sah auf die Uhr, als ich den Hörer abhob. Es war kurz vor acht. Wieder meldete sich die Stimme von Jefferson. »Hallo, Jerry, immer noch Langeweile?«
»Es geht!«, grunzte ich. »Wer ist es denn jetzt schon wieder?«
»Ein alter Mann. Er muss gleich oben sein!«
***
Der Mann, der hereinkam, war ungefähr 70 Jahre alt. Sein Haar war schlohweiß und sein Gesicht von der Anstrengung des Treppensteigens gerötet.
Er blieb an der Tür stehen und musterte uns mit dem scharfen Blick eines Generals. Er schien mit seiner Musterung zufrieden zu sein und kam mit schweren Schritten ins Büro.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz!«, sagte Phil und deutete auf den Stuhl. Der Mann ließ sich schweratmend nieder und zog sorgfältig die Hosenbeine über den Knien hoch, obwohl nicht einmal mehr die Andeutung einer Bügelfalte zu sehen war.
Als sein Atem wieder ruhiger ging, begann er mit rauer Stimme zu sprechen: »Ich habe mich genau erkundigt. Sie nennen sich Special Agents, und als Vertreter des FBI sind Sie für Kidnapping zuständig. Deshalb finden Sie meine Tochter! Finden Sie Jenny! Bringen Sie sie zurück!«
Er hatte die Stimme nicht erhoben und auch die Betonung seiner Worte nicht verändert. Trotzdem war es, als hätte er verzweifelt geschrien.
»Ist Ihre Tochter entführt worden?«
»Ja, das ist sie. Auch wenn die anderen hundertmal etwas anderes behaupten. Sie ist nicht weggelaufen! Das weiß ich ganz sicher!«
»Bitte, erzählen Sie alles von Anfang an!«, forderte ich ihn auf. Er nickte und fuhr sich mit der Hand langsam durch die Haare. Es war eine breite, runzlige Hand, die Arbeit kannte.
»Jenny ist einundzwanzig. Sie kann tun und lassen, was sie will, und bisher habe ich ihr nie in ihre Unternehmungen hineingeredet. Aber jetzt! Diese Sache ist etwas anderes. Sie ist gestern Abend mit dem Motorboot hinausgefahren und nicht zurückgekehrt.«
»Haben Sie die Wasserpolizei verständigt?«, erkundigte ich mich.
»Das ist unnötig, denn Jenny ist kein Unfall passiert. Nein, sie muss zurückgekehrt sein, und dann ist etwas geschehen, aber ich weiß nicht,...
| Erscheint lt. Verlag | 22.11.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dedektiv • Detektiv • Deutsch • Deutsche Krimis • eBook • E-Book • eBooks • Ermittler • erste-fälle • gman • G-Man • Hamburg • Horst-Bosetzky • international • Kindle • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimiautoren • Krimi Bestseller • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Krimis • krimis&thriller • letzte fälle • martin-barkawitz • Mord • Mörder • nick-carter • Polizei • Polizeiroman • Polizist • Reihe • Roman-Heft • schwerste-fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • Spannung • Spannungsroman • stefan-wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • uksak • Verbrechen • Wegner |
| ISBN-13 | 9783732541263 / 9783732541263 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich