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Die Königin des Nachmittags (eBook)

Erzählung
eBook Download: EPUB
2016
Heyne (Verlag)
978-3-641-19236-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Königin des Nachmittags - Cordwainer Smith
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Die wahren Menschen

Charls und seine Schwester Oda beobachten eines Tages ein seltsames Objekt, das wie ein brennender Stern vom Himmel fällt. Als die beiden hinlaufen, um es sich anzusehen, entdecken sie, dass es in Wirklichkeit eine Raumkapsel ist. Darin eingeschlossen ist eine junge Frau namens Juli, die Charls und Oda befreien. Juli nimmt keinen telepathisch Kontrakt auf, sondern muss zum Sprechen ihren Mund benutzen. Obendrein hält sie Charls und Oda für kleine Hündchen! Die Geschwister beschließen, Juli lieber zu den „Wahren Menschen“ zu bringen …

Die Erzählung „Die Königin des Nachmittags“ erscheint als exklusives eBook Only bei Heyne und ist zusammen mit weiteren Stories von Cordwainer Smith auch in dem Sammelband „Was aus den Menschen wurde“ enthalten. Sie umfasst ca. 38 Buchseiten und ist die Fortsetzung zu „Modell Elf“.

Cordwainer Smith war das Pseudonym von Paul Linebarger. 1913 in Milwaukee, Wisconsin geboren, verbrachte Linebarger seine Kindheit in den unterschiedlichsten Ländern. Sein Vater war pensionierter Richter und politisch aktiv; unter anderem pflegte er Beziehungen zu dem chinesischen Politiker Sun Yat-sen, der Pauls Taufpate war. Linebarger studierte Politikwissenschaft und wurde später Professor für Internationale Politik. Er arbeitete für den militärischen Geheimdienst der USA als Asien-Experte und gehörte dem Beraterstab von Präsident John F. Kennedy an. Er verfasste ein Handbuch über psychologische Kriegsführung, das bis heute als Standardwerk gilt. Daneben schrieb er unter verschiedenen Pseudonymen Kurzgeschichten und Romane; für seine SF-Erzählungen wählte er Cordwainer Smith. »Cordwainer« ist eine veraltete Bezeichnung für Schuster, Smith bedeutet Schmied. Wie ein Handwerker baute Linebarger nach und nach sein Universum von der »Instrumentalität der Menschheit« auf, mit dem er in den Fünfziger- und Sechzigerjahren bekannt wurde. Er gilt als einer der intelligentesten und ungewöhnlichsten Science-Fiction-Autoren. Paul Linebarger starb im August 1966 und ist auf dem Nationalfriedhof in Arlington beerdigt.

Mehr als nach allem anderen sehnte sie sich nach ihrer Familie, als sie langsam wach wurde. Sie rief nach ihr. »Mutti. Vati, Carlotta, Karla! Wo seid ihr?« Aber natürlich rief sie auf Deutsch, da sie ein richtiges preußisches Mädchen war. Dann kehrte die Erinnerung zurück.

Wie viel Zeit mochte vergangen sein, seit ihr Vater sie und ihre beiden Schwestern in den Raumkapseln untergebracht hatte? Sie wusste es nicht. Selbst ihr Vater, der Ritter vom Acht, und ihr Onkel, Professor Doktor Joachim vom Acht – der ihnen am 2. April 1945 in Parbudice die Spritzen gegeben hatte –, hatten sich nicht vorstellen können, dass die Mädchen Tausende von Jahren in einem Zustand von vorübergehender Leblosigkeit zubringen würden. Aber so war es gekommen.

 

Nachmittägliches Sonnenlicht ergoss sich orangefarben und golden über die dunklen, purpurfarbenen Schatten der Kampfbäume. Charls musterte die Bäume. Er wusste, dass sie in einem stillen Feuer erglühen würden, wenn sich das Orange des Sonnenunterganges in Rot verwandelte und die Dunkelheit über den östlichen Horizont kroch.

Wie lange war es her, seit man die Bäume gepflanzt hatte – Kampfbäume, wie sie von den Wahren Menschen genannt wurden –, damit ihre gewaltigen Wurzeln sich in die Erde bohrten, auf der Suche nach Radioaktivität im Erdreich und im Grundwasser, nach den giftigen Rückständen, die sie in ihren harten Schoten speicherten und dann die Schoten abwarfen, bis irgendwann in ferner Zukunft das Wasser vom Himmel und das Wasser in der Erde wieder sauber sein würde? Charls wusste es nicht.

Nur eines wusste er. Die Bäume zu berühren, sie mit bloßer Hand zu berühren, bedeutete den sicheren Tod.

Ihn verlangte danach, einen Zweig abzubrechen, aber er wagte es nicht. Und das nicht nur wegen des Tabus, sondern aus Furcht vor der Krankheit. Sein Volk hatte in den letzten Generationen große Fortschritte gemacht, genug, um eine Begegnung mit den Wahren Menschen und eine Auseinandersetzung mit ihnen nicht zu fürchten. Aber diese Krankheit gehörte nicht zu den Dingen, mit denen man sich auseinandersetzen konnte.

Der Gedanke an die Wahren Menschen schnürte ihm die Kehle zu. Er fühlte Sentimentalität, Liebesbedürftigkeit, Furcht; die Sehnsucht, die ihn erfüllte, gründete in der Liebe, obwohl er wusste, dass es nicht Liebe sein konnte, hatte er bisher doch noch nie einen Wahren Menschen aus der Nähe gesehen.

Warum, fragte sich Charls, grübelte er so oft über die Wahren Menschen nach? Befand sich vielleicht gar einer von ihnen in seiner unmittelbaren Umgebung?

Er betrachtete die untergehende Sonne, die inzwischen so rot war, dass man mit ungeschütztem Auge in sie hineinblicken konnte. Irgendetwas weckte Unbehagen in ihm. Er rief nach seiner Schwester. »Oda, Oda!«

Sie antwortete nicht.

Er rief noch einmal. »Oda, Oda!«

Diesmal hörte er sie, wie sie unbekümmert durch das Unterholz stapfte. Er hoffte, sie würde daran denken, den Kampfbäumen auszuweichen. Manchmal war Oda einfach zu ungeduldig.

Plötzlich tauchte sie vor ihm auf.

»Du hast mich gerufen, Charls? Du hast mich gerufen? Hast du etwas entdeckt? Sollen wir fortgehen? Was ist los? Wo sind Mutter und Vater?«

Charls konnte nicht verhindern, dass er lachte. Oda war immer so.

»Eine Frage nach der anderen, Schwesterlein. Hast du keine Angst, den brennenden Tod zu sterben, wenn du so zwischen den Bäumen herumspazierst? Ich weiß, dass du nicht an das Tabu glaubst, aber die Krankheit ist keine Erfindung.«

»Ist sie doch«, widersprach sie und schüttelte den Kopf. »Vielleicht gab es sie früher einmal … Ja, ich glaube schon, dass es sie früher gab, aber hast du jemals gehört, dass im Lauf der letzten tausend Jahre jemand durch die Bäume ums Leben gekommen ist?«

»Natürlich nicht, Dummchen. Ich lebe auch noch nicht seit tausend Jahren.«

Odas Ungeduld machte sich wieder bemerkbar. »Du weißt, was ich meine! Nun, jedenfalls bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die ganze Angelegenheit albern ist. Wir alle haben schon zufällig die Bäume berührt. Also habe ich dann eines Tages eine Schote gegessen. Und nichts ist geschehen.«

Er war entsetzt. »Du hast eine Schote gegessen?«

»So ist es. Und nichts ist geschehen.«

»Eines Tages wirst du zu weit gehen, Oda.«

Sie lächelte ihn an. »Und nun, nehme ich an, wirst du behaupten, dass die Meeresbecken nicht schon immer vom Gras überwuchert waren.«

Er war beleidigt. »Nein, natürlich nicht. Ich weiß, dass das Gras aus dem gleichen Grund in den Ozeanen gesät wurde, aus dem man die Kampfbäume pflanzte – um all das Gift zu beseitigen, das uns die Alten aus der Zeit der Urkriege hinterlassen haben.«

Wie lange sie sich noch gezankt hätten, wusste er nicht, aber mit einem Mal vernahm er einen fremdartigen Laut. Er kannte die Geräusche, die die Wahren Menschen machten, wenn sie ihren geheimnisvollen Beschäftigungen folgend durch die oberen Luftschichten flogen. Ihm war das drohende Summen vertraut, das einem von den Städten entgegenschlug, wenn man sich ihnen zu weit näherte. Er kannte auch das Klicken der wenigen verbliebenen Manshonyagger, die durch die Wildnis krochen, bereit, jeden Nicht-Deutschen zu töten. Arme blinde Maschinen, die man so leicht übertölpeln konnte.

Aber dieser Laut, dieser Laut war anders. Er erinnerte an nichts, was er je zuvor gehört hatte.

Das lärmende Pfeifen nahm zu und wurde so schrill, dass es fast schmerzhaft für die Ohren war. Es schwoll an und ab, als ob die Lärmquelle sie spiralförmig umkreisen und dabei immer näher kommen würde. Tiefer Schrecken erfasste Charls angesichts einer Bedrohung, die er nicht begreifen konnte.

Nun hörte es auch Oda. Sie vergaß ihren Streit und umklammerte seinen Arm. »Was ist das, Charls? Was kann das sein?«

Seine Antwort erfolgte zögernd, und seine Stimme klang unsicher. »Ich weiß es nicht.«

»Sind die Wahren Menschen dafür verantwortlich? Planen sie etwas Neues? Wollen sie uns bestrafen oder uns versklaven? Wollen sie uns fangen? Wird man uns einsperren? Charls, sag mir, wird man uns einsperren? Kann es wirklich sein, dass die Wahren Menschen kommen? Mir scheint, ich rieche Wahre Menschen. Sie sind schon einmal gekommen und haben einige von uns gefangen und fortgeschafft und ihnen seltsame Dinge angetan, so dass sie selbst wie Wahre Menschen aussahen, stimmt das nicht, Charls? Könnten das wieder die Wahren Menschen sein?«

Trotz seiner Furcht wurde Charls von einer gewissen Unduldsamkeit Oda gegenüber gepackt. Sie redete zu viel.

Der Lärm verstärkte sich. Charls spürte, dass er sich direkt über seinem Kopf befand, aber er konnte nichts erkennen.

»Charls«, sagte Oda, »ich glaube, ich sehe es. Siehst du es auch, Charls?«

Plötzlich entdeckte auch er den Kreis – etwas Trübweißes, ein dampfendes Objekt, das an Umfang und Größe gewann. Gleichzeitig wuchs der Lärm, bis er befürchtete, sein Trommelfell würde platzen. Noch nie in seinem Leben hatte er etwas Ähnliches auf dieser Welt gehört …

Ein Gedanke überkam ihn und erschütterte ihn so heftig wie ein körperlicher Schlag. Der Gedanke raubte ihm jeglichen Mut, und er fühlte sich nicht mehr jung und stark. Kaum brachte er die Worte heraus.

»Oda, könnte es sein …«

»Was sein?«

»Könnte das eine der alten, alten Waffen aus der Urzeit sein? Könnte es sein, dass sie zurückkehrt, um uns alle zu zerstören, wie es in alten Legenden heißt? Es wurde immer gesagt, dass sie eines Tages zurückkehren …« Seine Stimme erstarb.

Von welcher Art die Gefahr auch sein mochte, er wusste, dass er vollkommen hilflos war, unfähig, sich davor zu schützen, unfähig, Oda in Sicherheit zu bringen.

Vor diesen alten Waffen konnte man nirgendwohin fliehen. Dieser Ort war so unsicher wie ein anderer, dieser nicht besser als jener. Die Menschen mussten noch immer mit der Drohung der Waffen aus längst vergangenen Zeiten leben, und zum ersten Mal wurde er nun selbst mit dieser Drohung konfrontiert, er hatte lediglich davon reden hören. Er griff nach Odas Hand.

Oda, die nun, da die Gefahr Gestalt angenommen hatte, sonderbarerweise Mut zeigte, zog ihn hinüber zur Böschung, fort von der Cenote. Benommen fragte er sich, warum sie sich von dem Gewässer entfernen wollte. Sie zerrte an seinem Arm, und er ließ sich neben ihr nieder.

Er wusste, dass es bereits zu spät war, um nach ihren Eltern oder den anderen Mitgliedern ihrer Gruppe Ausschau zu halten. Manchmal dauerte es einen ganzen Tag, um die Familie zusammenzubekommen – das Ding kam unaufhaltsam näher, und Charls fühlte sich so kraftlos, dass er nicht einmal mehr sprechen konnte. Lass uns hier alles Weitere abwarten, übermittelte er ihr gedanklich, und sie drückte seinen Arm, als sie lautlos erwiderte: Ja, mein Bruder.

Das große Objekt, das von einem Kreis aus Licht umgeben war, setzte unerbittlich seinen Fall fort.

Es war seltsam. Charls spürte die Gegenwart eines Menschen, aber dessen Bewusstsein blieb ihm auf merkwürdige Weise versperrt. Es war eine völlig fremde Persönlichkeit. Er hatte die Gedanken der Wahren Menschen bei ihren Flügen hoch durch die Luft gelesen; er kannte die Denkweise seines Volkes; er konnte die Gedanken der meisten Vögel und Tiere voneinander unterscheiden; es war für ihn kein Problem, den nackten elektronischen Hunger eines mechanischen Manshonyagger-Bewusstseins aufzuspüren …

Aber dieses … dieses Wesen besaß einen Geist, der roh, elementar, leidenschaftlich war. Und...

Erscheint lt. Verlag 28.4.2016
Reihe/Serie Die Instrumentalität der Menschheit
Die Instrumentalität der Menschheit
Übersetzer Thomas Ziegler
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Queen of the Afternoon
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Cordwainer Smith • diezukunft.de • eBooks • E-Only • Erzählung • Instrumentalität der Menschheit • Kostenlos • Meisterwerke der Science Fiction • Serien • Was aus den Menschen wurde
ISBN-10 3-641-19236-6 / 3641192366
ISBN-13 978-3-641-19236-5 / 9783641192365
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