John Sinclair 1998 (eBook)
64 Seiten
Bastei Entertainment (Verlag)
9783732538133 (ISBN)
'Du willst schon gehen, Jimmy?'
Jim Conway lächelte den bärtigen Mann hinter dem Tresen an. 'Nicht ich, Clint. Wir.' Er deutete auf die blonde Frau neben sich.
Lara, die Angesprochene, lächelte ebenfalls und winkte dem Barkeeper etwas verlegen zu.
'Ich verstehe', erwiderte Clint und nickte.
Jim Conway griff nach seiner Brieftasche, doch der Barkeeper hob die Hand. 'Vergiss es, das geht auf mich. Der alten Zeiten willen. Ich bin froh, dass du den Tod deines Vaters langsam überwunden hast. Vielleicht kannst du deinen Dreißigsten ja endlich nachfeiern. Mach dir noch eine schöne Nacht.'
'Danke', sagte Jim nur und nickte Clint zu.
Der grauhaarige Barkeeper war der beste Freund seines Vaters gewesen, der nach einem schweren Autounfall vor zwei Wochen nur noch einmal kurz aufgewacht war, bevor er für immer die Augen geschlossen hatte. Das Gespräch, das Jim damals mit ihm geführt hatte, ging ihm bis heute nicht aus dem Kopf ...
Jim verdrängte die Gedanken an seinen Vater. Im Moment schien das alles so weit weg. Er hatte Lara erst in dieser Nacht kennengelernt. Sie waren sich sofort sympathisch gewesen. Wahrscheinlich auch, weil sie ebenfalls eine schwere Last mit sich herumtrug. Was diese Last war, hatte sie jedoch nicht verraten.
Jim winkte dem Barkeeper noch einmal zum Abschied zu, dann machte er sich auf den Weg in Richtung Ausgang. Lara griff nach seinem Arm und lehnte sich an ihn.
Als Jim die Tür aufstieß und die lauten Gespräche innerhalb der Bar zurückließ, blickte seine Freundin auf. »Zu mir oder zu dir?«, fragte sie.
»Kommt darauf an, wie du dir den Rest der Nacht vorstellst. Ich meine, wir müssen nicht …«
Lara lächelte. »Okay«, antwortete sie leise. »Lass uns einfach noch etwas fernsehen. Und reden. Und dann sehen wir, was noch passiert. Ich wohne nur zwei Straßen weiter. Und du?«
»In Notting Hill.«
»Dann zu mir«, erwiderte sie und küsste ihn.
Als sich Lara wieder von ihm löste, blickte er sich um. Das Alamo lag in einer etwas düsteren Seitenstraße. Über hundert Jahre alte, mindestens fünf Stockwerke hohe Steinhäuser rahmten die Gasse ein. An den Wänden hatten sich einige Graffiti-Künstler verewigt, und aus einem halben Dutzend Mülltonnen quollen dünne Dunstschwaden.
Da es doch recht kalt war, schloss Jim den Reißverschluss seiner Lederjacke. Lara hingegen schien die Kälte recht locker hinzunehmen. Vielleicht lag es auch daran, dass sie deutlich mehr getrunken hatte als er.
Außer ihnen war niemand in der Straße unterwegs. Dennoch hatte Jim plötzlich das Gefühl, aus der Dunkelheit heraus beobachtet zu werden.
Neben dem Eingangsschriftzug des Alamo spendeten nur zwei weit auseinanderstehende Straßenlaternen etwas Licht. So konnte es natürlich sein, dass sich in den dunklen Ecken jemand verbarg, der nicht gesehen werden wollte.
Aber wieso überkam ihn überhaupt dieses ungute Gefühl? Er hätte fast gelacht, als ihm der Ursprung dafür klar wurde. Er befand sich an seinem Unterschenkel!
Dort steckte in einem Lederhalfter ein Dolch, den ihm sein Vater vererbt hatte. Auf dem Krankenbett hatte Gabriel Conway ihm eingeschärft, den Dolch sein Leben lang immer bei sich zu tragen. Warum, hatte sein Vater ihm nicht verraten. Jim hatte die Stichwaffe hin und wieder in seiner Antiquitätensammlung gesehen, ihr aber nie viel Beachtung geschenkt.
Und jetzt das! Von seinem Unterschenkel aus rann ein deutliches Kribbeln über seine Haut. Fast, als würde der Dolch ihm ein Zeichen schicken. Aber das war unmöglich!
»Was ist los?«, fragte Lara. Sie schien seine innere Unruhe bemerkt zu haben.
Jim schüttelte leicht den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich habe nur das Gefühl, beobachtet zu werden.«
Seine Begleiterin zuckte zusammen. »Denkst du an einen Überfall?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was ich denken soll. Ich …«
Jim Conway stockte. Etwa fünfzig Meter vor ihm schälte sich eine hochgewachsene Gestalt aus der Dunkelheit. Schon auf den ersten Blick sah er, dass es sich um einen Mann handelte, trotz der langen, weißen Haare. Von seinem Gesicht war nicht viel zu erkennen. Dafür sah Jim, dass er einen Anzug trug.
Der Mann sagte nichts. Er starrte Lara und ihn nur an und schien auf eine Reaktion zu warten. Jim wusste nicht, was er tun sollte. Und auch seine Begleiterin blieb wie angewurzelt stehen.
Etwas irritierte Jim. Es war ein Geräusch, das er zunächst nicht einordnen konnte. Als würde jemand mit einem Handtuch in die Luft schlagen.
Doch das Geräusch hatte einen völlig anderen Ursprung. Etwas bewegte sich über dem Mann durch die Luft. Zunächst dachte Jim an einen Vogel, doch die Kreatur, die sich mit zackigen Flügelschlägen dem Fremden näherte und sich schließlich auf seine rechte Schulter setzte, war alles, nur kein Tier. Man konnte das Wesen schon eher als Ausgeburt der Hölle bezeichnen. Als ein Monstrum, das es gar nicht geben durfte.
Doch es war vorhanden. Das Wesen maß nicht ganz einen Meter. Die beiden Lederschwingen ließen es jedoch um einiges größer erscheinen. Die Arme liefen in kurzen, aber dafür spitzen Krallen aus. Der Körper selbst war recht dünn, wobei der Kopf mit den beiden Hörnern schon übergroß wirkte.
Die Kreatur sank auf die Schulter des Mannes nieder. Nun zeigte auch der Fremde mit den weißen Haaren eine Reaktion. Er griff in sein Jackett und zog etwas hervor. Eine großkalibrige Pistole!
Jim begann zu zittern.
»Oh Gott«, flüsterte Lara und drückte sich noch enger an ihn.
Jim legte ihr einen Arm auf die Schulter, helfen konnte er ihr jedoch nicht. Er wusste einfach nicht, was er tun sollte. Fliehen? Aber wohin? Einem gezielten Schuss konnte er nicht entkommen, so schnell er auch rannte.
»Gib ihn mir!«, schallte es ihm plötzlich entgegen. Die Stimme des Mannes klang rau, gleichzeitig aber auch recht jung. Der Lauf seiner Waffe zielte direkt auf Jim Conway.
»Was?«, fragte der Angesprochene verdutzt.
»Gib ihn mir«, wiederholte der Weißhaarige. »Oder deine Freundin wird sterben.«
Jim hatte keine Ahnung, was der Fremde von ihm wollte. Geld war es jedenfalls nicht, auch keine Wertsachen. Ansonsten trug er nichts bei sich, außer – den Dolch! War es das? War der Fremde hinter der Klinge her, die ihm sein Vater vererbt hatte?
Plötzlich geriet Lara in Panik. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, riss sich von Jim los und rannte davon. In diesem Moment peitschte ein einziger Schuss auf!
Lara schrie auf, als die Kugel in ihren Rücken fuhr. Jim sah noch, wie das Blut seiner Freundin hervorspritzte, dann brach sie zusammen. Reglos blieb sie auf den Pflastersteinen liegen.
»Du bist der Nächste«, erklärte der Fremde. »Gib ihn mir!«
Jims Hände krampften sich zusammen. Tränen flossen über seine Wangen. Er wollte nicht sagen, dass er Lara geliebt hatte, dafür hatten sie sich nicht lange genug gekannt. Aber er hatte viel für sie empfunden, und sie jetzt blutend vor sich liegend zu sehen, versetzte ihm einen heißen Stich ins Herz.
»Was wollen Sie, verdammt?«, schrie er, als er wieder herumfuhr.
»Den Dolch!«, schallte es ihm entgegen.
Wieder zuckte Jim zusammen. Jetzt hatte er die Bestätigung dafür erhalten, was er schon länger geahnt hatte. Alles hing mit dem Erbstück seines Vaters zusammen. Es hatte ihn vor dem Erscheinen des Mannes und der geflügelten Kreatur gewarnt.
Plötzlich wusste Jim, was er zu tun hatte. Er ging in die Knie und zog sein rechtes Hosenbein hoch. Mit zitternden Fingern nahm er den Dolch aus dem Halfter und richtete sich wieder auf.
Der Griff der Klinge war mit merkwürdigen Figuren und Mustern verziert, die er nicht identifizieren konnte. Sein Vater hätte das vielleicht gekonnt, aber er hatte Jim nie etwas über den Dolch erzählt. Bis kurz vor seinem Tod.
Hart presste Jim seine Lippen zusammen und starrte den Weißhaarigen an. Der Fremde hätte längst schießen können, doch er zögerte noch.
Plötzlich ließ er seine Waffe sinken. »Du hast keine Ahnung, was du da in der Hand hältst«, erklärte er.
Der Kopf des Fremden ruckte leicht herum. Diese Bewegung war so etwas wie ein Startsignal für die geflügelte Kreatur. Lautlos breitete sie ihre Schwingen aus und stieß sich von der Schulter des Mannes ab.
Jim wusste, dass er das Ziel des Wesens war. Endlich meldete sich sein Überlebenswille zurück. Im Stand wirbelte er herum und rannte los.
Als er erneut Lara vor sich liegen sah, wäre er fast zu Boden gestürzt. So schnell wie nie zuvor in seinem Leben hetzte er über das Kopfsteinpflaster. Das laute Schwappen der Lederschwingen kam jedoch immer näher.
Wuchtig stieß etwas gegen seinen Rücken! Jim brüllte auf, verlor die Übersicht und stolperte über einen der Pflastersteine. Er versuchte noch, sich mit einer Hand abzustützen, den harten Aufprall konnte er jedoch nicht mehr abfedern.
Mit der Stirn knallte er gegen einen Stein. Sofort spürte er, wie seine Haut aufriss. Stöhnend versuchte er, wieder auf die Beine zu kommen. Doch die Kreatur über ihm ließ das nicht zu. Die Krallen des Wesens schlugen in seinen Rücken und rissen ihn herum.
Plötzlich blickte er dem Höllenwesen direkt in die rot glühenden Augen. Im Maul des kleinen Monsters schimmerten gelbe, spitze Zähne. Aus den Tiefen seiner Kehle drang Jim ein Zischen entgegen.
Intuitiv schlug er zu. Er hatte fast das Gefühl, als würde der Arm mit dem Dolch von einer fremden Macht gelenkt werden. Doch es war einfach die nackte Angst um sein Leben, die ihn zu dieser Reaktion trieb.
Der Dolch glühte hell auf, als er in die Nähe der Kreatur geriet. Die breite Klinge drang sogar in die Haut des Wesens ein und zog einen gut zehn Zentimeter langen Riss über seine Brust.
Die Kreatur stieß einen schrillen Schrei aus und bewegte sich mit schnellen Flügelschlägen von ihm weg. Diese Chance nutzte Jim sofort aus, um sich wieder aufzurichten.
»Jimmy!«, klang eine ihm nur allzu bekannte Stimme auf. »Mein Gott, was ist passiert? Einige Gäste haben einen Schuss und Schreie gehört und …«
»Hau ab, Clint!«, schrie Jim so laut er konnte. »Verschwinde!«
Clint Desmond blickte ihn für einige Sekunden verständnislos an. Dann entdeckte er die geflügelte Kreatur. Die Augen des Barkeepers weiteten sich, als er das Monstrum direkt auf sich zufliegen sah.
Jim wollte etwas tun, doch er blieb wie angewurzelt stehen. Auch, als sich die...
| Erscheint lt. Verlag | 25.10.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | John Sinclair | John Sinclair |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | blutig • Clown • Gruselroman • Horror • Horror Bücher ab 18 • horror thriller • Jason Dark • Lovecraft • Paranomal • Sinclair • Slasher • Splatter • Stephen King • Steven King • Zombies |
| ISBN-13 | 9783732538133 / 9783732538133 |
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