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Chronicles (eBook)

Die Autobiografie

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
304 Seiten
Hoffmann und Campe Verlag
978-3-455-00104-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Chronicles -  Bob Dylan
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'Wenn du so ein Buch schreibst, musst du die Wahrheit sagen.' (Bob Dylan) Die Autobiographie des Literaturnobelpreisträgers 2016! Bob Dylan räumt auf mit den Mythen und Legenden, die sich um sein Leben und Werk ranken, und erzählt seine Geschichte selbst. Wie er Anfang der sechziger Jahre nach New York kam, wo seine Karriere in den Folkclubs begann. Wie er zur Zeit der großen Unruhen in Amerika um seine künstlerische Identität kämpfen und seine Familie vor der Öffentlichkeit schützen musste. Wie ihm ein alter Jazzsänger 1987 half, eine große musikalische Krise zu überwinden. Er blickt auf seine Kindheit zurück und schreibt leidenschaftlich über seine Musik, auch über die Einflüsse, die ihn geprägt haben, von Woody Guthrie bis hin zur 'Dreigroschenoper'. (Chronicles. Volume 2 und 3 sind bis dato nicht erschienen.)

Bob Dylan, geboren 1941 in Minnesota, wurde mit seinen Schallplatten und Konzerten, seinen Filmen und Büchern zu einem der einflussreichsten amerikanischen Künstler der Gegenwart. 2016 erhielt er für seine Songpoesie den Literaturnobelpreis.

Bob Dylan, geboren 1941 in Minnesota, wurde mit seinen Schallplatten und Konzerten, seinen Filmen und Büchern zu einem der einflussreichsten amerikanischen Künstler der Gegenwart. 2016 erhielt er für seine Songpoesie den Literaturnobelpreis.

Cover
Titelseite
1. Markin' Up the Score
2. The Lost Land
3. New Morning
4. Oh Mercy
5. River of Ice
Über Bob Dylan
Impressum

1. Markin’ Up the Score


Lou Levy, der Boss der Plattenfirma Leeds Music, fuhr mit mir im Taxi zum Pythian Temple an der West 70th Street, um mir das winzige Tonstudio zu zeigen, in dem Bill Haley and His Comets »Rock Around the Clock« aufgenommen hatten – dann weiter zu Jack Dempseys Restaurant Ecke 58th und Broadway, wo wir uns in eine Nische mit roten Lederpolstern und Blick aus dem Fenster setzten.

Lou stellte mir Jack Dempsey vor, den berühmten Boxer. Jack drohte mir mit der Faust.

»Du siehst zu leicht aus für ein Schwergewicht, du mußt ein paar Pfund zulegen. Und dich ein bißchen besser anziehen, bißchen mehr aus dir machen – auch wenn du im Ring nicht viele Klamotten brauchst. Und du darfst keine Angst haben, daß du den anderen zu hart erwischst.«

»Er ist kein Boxer, Jack, er ist ein Songwriter, und wir bringen seine Songs raus.«

»Ach so, na, die höre ich dann ja hoffentlich bald mal. Viel Glück, Junge.«

Draußen riß der Wind Wolkenfetzen auf, Schnee wirbelte durch die Straßen mit ihren roten Laternen, eingemummte Stadtmenschen schlurften umher, Straßenverkäufer mit Ohrenschützern aus Kaninchenfell boten Schnickschnack und heiße Maroni feil, aus den Gullydeckeln stieg Dampf auf.

Das alles erschien mir unwichtig. Ich hatte gerade einen Vertrag mit Leeds Music unterschrieben, der sie zur Veröffentlichung meiner Songs berechtigte – nicht daß es davon sonderlich viele gegeben hätte. Ich hatte erst wenige geschrieben. Lou hatte mir bei Vertragsabschluß hundert Dollar Vorschuß auf die künftigen Tantiemen gezahlt, und damit war ich zufrieden.

John Hammond, durch den ich zu Columbia Records gekommen war, hatte mich Lou vorgestellt und ihn gebeten, sich um mich zu kümmern. Hammond kannte nur zwei meiner eigenen Stücke, aber er ahnte, daß es mehr werden sollten.

In Lous Büro öffnete ich meinen Gitarrenkoffer, nahm die Gitarre heraus und zupfte an den Saiten. Das Zimmer war vollgestopft – gestapelte Kartons mit Noten, Pinnwände mit den Aufnahmeterminen von Musikern, schwarzglänzende Scheiben, verstreute Azetatplatten mit weißen Labels, signierte Fotos von Entertainern, Hochglanzporträts, Jerry Vale, Al Martino, The Andrews Sisters (Lou war mit einer von ihnen verheiratet), Nat King Cole, Patti Page, The Crew Cuts, ein paar große Tonbandgeräte, ein großer Schreibtisch aus dunkelbraunem Holz, voller Krimskrams. Lou stellte ein Mikrofon vor mich auf den Tisch, schloß es an einen der Recorder an und kaute dabei unablässig auf einem dicken, exotischen Stumpen.

»John setzt große Hoffnungen in dich«, sagte er.

John war John Hammond, der bekannte Talentscout und Entdecker großer Musiker, imposanter Persönlichkeiten in der Geschichte der Musik auf Schallplatte – unter anderem Billie Holiday, Teddy Wilson, Charlie Christian, Cab Calloway, Benny Goodman, Count Basie und Lionel Hampton; Künstler, deren Musik im Leben Amerikas widerhallte. Und er hatte den Blick der Öffentlichkeit auf sie gelenkt. Hammond hatte sogar die letzten Aufnahmesessions von Bessie Smith geleitet. Er war eine Legende, echte amerikanische Aristokratie, seine Mutter eine Original-Vanderbilt. John war in allem Komfort als Oberschichtkind aufgewachsen. Aber das stellte ihn nicht zufrieden, und er folgte seiner eigentlichen Liebe, der Musik, vorzugsweise Spirituals, Blues und den vibrierenden Rhythmen des Hot Jazz – Musik, die er verehrte und die er mit seinem Leben verteidigt hätte. Er war nicht zu bremsen, und er hatte keine Zeit zu verlieren. In seinem Büro hatte ich kaum glauben können, daß ich nicht träumte, so unfaßbar war es, daß er mich bei Columbia Records unter Vertrag nahm. Es klang wie erfunden.

Columbia war eines der allerersten Labels im Lande, und daß ich dort einen Fuß in die Tür bekommen hatte, war ein Ereignis. Zum einen galt Folk als Schund und zweite Wahl und wurde nur von kleinen Labels veröffentlicht. Große Plattenfirmen waren einzig und allein der Elite mit ihrer desinfizierten und pasteurisierten Musik vorbehalten. Leuten wie mir gewährte man dort nur unter außergewöhnlichen Umständen Einlaß. Aber John war ein außergewöhnlicher Mann. Er machte keine Platten für Schuljungen oder mit Schuljungen als Künstlern. Er war umsichtig und vorausschauend, er hatte mich gesehen und gehört, er hatte Gespür und vertraute auf die Zukunft. Er erklärte, daß er mich in einer langen Tradition stehen sehe, der Tradition von Blues, Jazz und Folk, und nicht als neumodisches Wunderkind oder große Innovation. Nicht daß es irgendwo große Innovationen gegeben hätte. In den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren ging es in der amerikanischen Musikszene reichlich verschlafen zu. Die populären Radiosender traten mehr oder weniger auf der Stelle und dudelten nichtssagenden Kitsch. Es sollte noch Jahre dauern, bis die Beatles, The Who oder die Rolling Stones wieder für Spannung sorgten und der Szene neues Leben einhauchten. Ich spielte damals gestrenge Folksongs mit einer Portion Feuer und Schwefel, und man brauchte keine Marktforschung, um zu merken, daß sie nicht ins Radioprogramm paßten und schwer zu vermarkten waren. Aber John sagte, das sei ihm nicht besonders wichtig. Er verstand, was es mit meiner Musik auf sich hatte.

»Ehrlichkeit versteh ich«, sagte er. John hatte eine ziemlich direkte, ungehobelte Art, aber er zwinkerte dabei anerkennend.

Vor kurzem hatte er Pete Seeger unter Vertrag genommen; entdeckt hatte er ihn allerdings nicht. Pete war schon seit Jahren im Geschäft. Er war Mitglied der bekannten Folkband The Weavers gewesen, hatte in der McCarthy-Ära auf der Schwarzen Liste gestanden und es nicht leicht gehabt, aber seine Arbeit nie unterbrochen. Hammond geriet in Rage, als er über Seeger sprach, und er erzählte, Petes Vorfahren seien auf der Mayflower nach Amerika gekommen, und seine Verwandten hätten in der Schlacht am Bunker Hill gekämpft, Herrgott noch mal. »Und diese Arschlöcher haben ihn auf die Schwarze Liste gesetzt, kannst du dir das vorstellen? Teeren und federn sollte man die.«

»Ich geb’s dir schwarz auf weiß«, sagte er zu mir, »du bist ein talentierter junger Mann. Wenn du dein Talent gezielt einsetzt und beherrschst, kommst du schon zurecht. Ich hol dich ins Boot, und wir nehmen was auf. Dann sehen wir weiter.«

Und das genügte mir vollkommen. Er legte mir einen Vertrag vor, den Standardvertrag, und ich unterschrieb auf der Stelle, ohne mich mit den Details aufzuhalten – ich brauchte keinen Anwalt, keinen Berater, niemanden, der mir über die Schulter sah. Ich hätte mit Freuden alles unterschrieben, was er mir vorlegte.

Er sah auf den Kalender, entschied sich für einen Termin, an dem ich mit den Aufnahmen beginnen sollte, deutete darauf und malte einen Kreis um das Datum, sagte mir, wann ich mich einfinden solle und daß ich mir überlegen müsse, was ich spielen wolle. Dann rief er Billy James herein, den Chef der Presseabteilung, und wies ihn an, einen PR-Text über mich zu schreiben, Angaben zur Person für eine Pressemeldung.

Billy war mittelgroß mit krausem schwarzem Haar und wie ein Yale-Absolvent gekleidet. Er sah aus, als sei er noch nie in seinem Leben stoned oder in Schwierigkeiten gewesen. Ich schlenderte in sein Büro und setzte mich vor seinen Schreibtisch, wo er mir ein paar Fakten aus der Nase zu ziehen versuchte, offenbar in der Annahme, daß ich jetzt auszupacken hätte. Er holte Block und Stift heraus und fragte, wo ich herkäme. Aus Illinois, sagte ich, und er schrieb es auf. Er fragte, ob ich schon andere Jobs gehabt hätte, und ich sagte, ich hätte schon ein Dutzend Jobs gehabt, unter anderem als Auslieferungsfahrer für eine Bäckerei. Das schrieb er auf und fragte mich nach anderen Jobs. Ich sagte, ich hätte auf dem Bau gearbeitet, und er wollte wissen, wo.

»Detroit.«

»Bist du rumgereist?«

»So isses.«

Er fragte nach meiner Familie, wo die wohne. Keine Ahnung, sagte ich, wir hätten längst den Kontakt zueinander verloren.

»Wie war’s bei dir zu Hause?«

Ich sagte, ich sei rausgeflogen.

»Was war dein Vater von Beruf?«

»’lektriker.«

»Und deine Mutter, was hat die gemacht?«

»Hausfrau.«

»Was für Musik spielst du?«

»Folk.«

»Was ist das für Musik?«

Überlieferte Songs, sagte ich. Ich konnte diese Fragen nicht leiden. Ich dachte, ich könnte ihnen ausweichen. Billy schien nicht genau zu wissen, wo er mich einordnen sollte, und das paßte mir ganz gut. Ich hatte sowieso keine Lust, seine Fragen zu beantworten, kein Bedürfnis, irgendwem irgendwas zu erklären.

»Wie bist du hierher gekommen?« fragte er mich.

»Mit einem Güterzug.«

»Du meinst, mit einem Personenzug?«

»Nein, mit dem Güterzug.«

»Also so was wie ein Güterwaggon?«

»Ja, so was wie ein Güterwaggon. So was wie ein Güterzug.«

»Okay, ein Güterzug.«

Ich blickte an Billy vorbei, durch das Fenster hinter seinem Sessel in ein Bürogebäude auf der anderen Straßenseite, wo ich eine geschäftige Sekretärin sehen konnte, die tief in ihre Arbeit versunken war – in meditativer Versunkenheit kritzelte sie eifrig vor sich hin. Daran war gar nichts Komisches. Ich hätte gern ein Fernrohr gehabt. Billy fragte mich, mit wem ich mich in der aktuellen Musikszene identifizierte. Mit niemandem, sagte ich. Das stimmte sogar, ich erkannte mich wirklich in niemandem wieder. Der Rest war allerdings reiner Blödsinn – Kiffergerede.

Ich war gar nicht mit einem Güterzug angereist. Ich war in einem viertürigen 57er Chevy Impala quer durchs...

Erscheint lt. Verlag 17.10.2016
Übersetzer Gerhard Henschel, Kathrin Passig
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Autobiografie • Autobiographie • Folk • Folkmusik • Literaturnobelpreis • Musik • Musikgeschichte • New • Nobelpreisträger • Popkultur • Popmusik • Rock • Rockstar • York
ISBN-10 3-455-00104-1 / 3455001041
ISBN-13 978-3-455-00104-4 / 9783455001044
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