G. F. Unger Sonder-Edition 95 (eBook)
Bastei Entertainment (Verlag)
9783732536702 (ISBN)
Zerlumpt und abgerissen kam ich nach Amity, wo Rufus Parker Richter war. Ob der Staat Texas ihn in dieses Amt eingesetzt hatte oder ob er den Richter von eigenen Gnaden spielte, wusste niemand. Es interessierte auch keinen - mich am wenigsten. Deshalb sagte ich zu, als er mir anbot, Sheriff zu werden. Verdammt, ich hatte nur noch ein paar Dollar in der Tasche und war froh, dass meine Pechsträhne zu Ende ging. Außerdem galt Richter Parker als hart, aber gerecht - und er hatte eine Tochter, in die ich mich Hals über Kopf verliebte, als ich sie sah. Na gut, ich hielt mich also für einen ausgemachten Glücksvogel - bis ich feststellen musste, dass ich einen Job beim Teufel persönlich angenommen hatte ...
1
Die kleine Stadt am Pecos sah hübsch aus, so richtig freundlich und nett. Man sah ihr an, dass sie schon von den Spaniern gegründet wurde, dann den Mexikanern gehörte und schließlich einigen Zuzug von Angloamerikanern bekam.
Die Adobehäuser und -hütten leuchteten zwischen dem Grün der Bäume und Gärten.
Es musste viele Brunnen geben in Amity. Früher hieß der Ort Amistad, und beides bedeutete so viel wie Freundschaft.
Nun, ich konnte Freunde gebrauchen, denn ich hatte unterwegs mein Pferd verloren. Ich schleppte meinen alten Sattel und mein weniges Gepäck auf meinem Buckel.
Zum Glück war der Pecos River mal wieder fast ausgetrocknet, sodass ich ihn durchwaten konnte, ohne mir die Stiefel ausziehen zu müssen.
Es waren gute Stiefel, denn ich hatte sie erst vor einem halben Jahr einem Yankeeoffizier abgenommen. Das war, bevor ich nach Westen ritt, um nicht mit meiner fast völlig aufgeriebenen Einheit, die die Nachhut zu bilden hatte, in Gefangenschaft zu geraten.
Denn plötzlich war der Krieg aus.
Der Süden hatte kapituliert.
Nun, ich watete also durch den Pecos und hoffte, dass in dieser Stadt, von der ich früher schon den Namen hörte, freundliche Menschen waren.
Andernfalls nämlich …
Oha, was dann sein würde, darüber wollte ich nicht nachdenken.
An einem der großen Wasserlöcher, die sich hinter den Landvorsprüngen bildeten, weil sich bei Hochwasser dort die Strudel drehten, hockte ein alter Mann und angelte. Das Strudelloch hatte gewiss an die zehn Yards Durchmesser und war tief. So tief, dass man den Grund nicht sehen konnte. Denn solch ein Strudel wirkte wie ein gewaltiger Bohrer, der den Boden aufwirbelte, sodass an dieser Stelle ein tiefes Loch entstand.
Ich hielt bei dem alten Angler an, legte vorsichtig mein Gepäck zu Boden und nickte stumm.
Der Alte betrachtete mich mit seinen scharfen Falkenaugen.
Nach einer Weile sagte er: »Das ist keine gute Stadt für Tramps ohne Geld in der Tasche – und ohne Pferd. Gar keine gute Stadt. Aber du hast wohl keine andere Wahl, mein Junge – oder?«
»Nein«, erwiderte ich. Und ich protestierte nicht, dass er mich »mein Junge« nannte.
Denn er war ein sehr alter Bursche und hätte fast mein Großvater sein können.
Sonst ließ ich mich nicht so einfach »Mein Junge« nennen.
Er sagte: »Ich habe für meine Augen zu kurze Arme. In der Büchse dort sind einige Angelhaken. Vielleicht kannst du mir einige an den seidenen Vorfächer binden. Du siehst so aus, als könntest du das. Weißt du, in diesem Loch sind schlaue Forellen. Die bekomme ich nur mit farblosen Seidenvorfächern. Oder kannst du keine Angelhaken anbinden?«
Er fragte es zuletzt mit einem schon recht verächtlichen Klang in der Stimme.
»Ich kann«, erwiderte ich. »Das hat mir mein Vater schon beigebracht, bevor ich Lesen und Schreiben lernte.«
Er nickte zufrieden, und ich machte mich an die Arbeit.
Wieder schwiegen wir eine Weile.
Er zog indessen eine zappelnde Forelle aus dem Wasserloch, löste sie vom Haken und warf sie zu den drei anderen.
»Noch zwei«, er grinste mit braunen Zahnreihen, »dann langt es. Und du bist eingeladen, mein Junge, damit du wenigstens eine gute Erinnerung an diese Stadt behalten kannst.«
Ich hatte indes seine Angelhaken an seidenen Vorfächern befestigt und in ein weiches Stück Holz gehakt.
»Das Schlimme ist«, sagte ich, »dass ich kein Geld habe, mir ein Pferd zu kaufen. Wie sollte ich von hier wegkommen können ohne Pferd?«
Er nickte ernst.
»Ja, das ist ein Problem«, sagte er. »Denn wir haben einen Richter in der Stadt. Und der lässt Pferdediebe aufhängen. In dem Punkt kennt er keine Gnade. Pferdediebstahl ist für ihn wie Mord. Schon von Richter Rufus Parker gehört?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte ich.
»Vor einem halben Jahr kämpfte ich noch in Virginia und entkam knapp der Gefangenschaft. Ich war seitdem ständig unterwegs nach Texas. Meinem Pferd bekam das nicht, obwohl ich zuletzt fast nur noch zu Fuß lief. Nein, ich hörte noch nie etwas von Richter Rufus Parker.«
»Er übt zugleich auch das Amt des Sheriffs aus.« Der Alte grinste und zog dann wieder eine Forelle aus dem Wasserloch. Während er sie zu den vier anderen warf, fügte er hinzu: »Denn niemand will hier Sheriff sein, weil das zu gefährlich ist. Manchmal wirbt er einige Deputies an. Auf diese Weise könntest du vielleicht zu einem Pferd kommen, mein Junge.«
»Am besten wäre es, wenn Sie mich nicht mehr ›mein Junge‹, sondern einfach nur Joey nennen würden, denn Joey Marwin, das ist mein Name«, sagte ich.
Er sah mich etwas schräg von unten her an. Aber dann nickte er.
»O ja«, sagte er, »ich wusste gleich, dass du ein stolzer Bursche bist. Was für einen Rang hattest du denn in der Texas-Brigade?«
»Ach«, sagte ich und grinste, »das hab ich glatt vergessen.«
Er grinste schief zurück. Aber dann holte er die sechste Forelle aus dem Wasserloch. Als Köder hatte er stets einen bunten Wollfaden benutzt, den er wie eine schillernde Fliege über der Wasseroberfläche kreisen ließ.
»Jetzt können wir zum Abendessen gehen«, sprach er. »Ich habe eine kleine Hütte am Rand der Stadt.«
Ich hörte meinen Magen knurren und fragte: »Könnten wir nicht noch einige Forellen dazu fangen?«
Wieder grinste er mit seinen braunen Zahnreihen.
»Ich habe in meiner Hütte aus meinem Garten auch noch andere essbare Dinge. Ich werde dich satt bekommen, Joey Marwin.«
Da nahm ich meinen Sattel und das andere Gepäck auf und folgte ihm.
Er hinkte und hielt sich ein wenig schief. Ich wusste, zu welcher Sorte ich ihn rechnen musste. Er war ein alter Cowboy und Zureiter von Wildpferden, wahrscheinlich ein ehemaliger Wildpferdjäger, dem die Biester so viele Knochen brachen, dass er nun nicht mehr reiten konnte.
Und so führte er gewiss ein kärgliches Leben am Rand der menschlichen Gemeinschaft. Dass er mich mitnahm zu sich, war für mich kein Wunder. Denn die Armen helfen eher als die Reichen.
Das war schon immer so, weil die Reichen voller Misstrauen sind gegen die Pechvögel des Lebens.
***
Seine Hütte lag in einem Garten am Rand der Stadt. Als ich meinen Sattel in den Schuppen brachte, sah ich dort ein Prachtstück dieser Art. Es war ein silberbeschlagener Sattel, der gewiss noch an die dreihundert Dollar wert war, ein Meisterstück von einem Sattel. Auf einer kleinen Silberplatte konnte ich lesen, dass dies der ***. Rodeo-Preis des Jahres 1845 von San Antonio war.
Der Sattel war also älter als zwanzig Jahre, aber erstklassig gepflegt. Heiliger Rauch, dachte ich. Das war ja noch ein Jahr, bevor Texas in die Union aufgenommen wurde. Vor mehr als einundzwanzig Jahren gewann dieser Bursche da den ersten Preis bei einem der großen Rodeos, die damals von den mexikanischen Reiterspielen, den »Jaripeos«, übernommen wurden, nachdem Texas eine Republik geworden war. Heiliger Rauch, was musste dieser alte Bursche leiden, wenn er seinen Erinnerungen nachging.
Ich wusch mich dann am Brunnen und schlug, so gut ich konnte den Staub aus meiner abgerissenen Kleidung.
Dann ging ich in die Adobehütte, die nur zwei Räume besaß. Die Dämmerung fiel draußen über das Land, kam von Osten her über den Pecos gekrochen als Vorbote der Nacht.
Der Alte stand am Herd und ließ es in der Pfanne zischen.
»Hast du ihn gesehen?«, fragte er über die Schulter.
»Yes, Sir«, erwiderte ich.
»Ja, das war ich mal.« Er grinste wehmütig. »Zuerst hieß ich nur Shorty Brownhaker, dann aber bald schon Wild-Shorty Brownhaker. Und jetzt bin ich ein alter Hund. So geht es einem, wenn man keine Reichtümer angesammelt hat, weil man nie ans Alter dachte.«
Er brachte die Pfanne auf den Tisch, in der er die Forellen gebraten hatte mit Mandeln und mexikanischem Gemüse.
Wir aßen schweigend.
Und dann, als wir beim Kaffee waren, sagte er: »Also, dann geh los und sieh dir die Stadt an. Und wenn dich jemand fragt, ob du ein Satteltramp bist ohne Geld in den Taschen, dann sag ihnen, dass du bei Shorty Brownhaker wohnst. Vielleicht dulden sie dich dann in dieser Stadt – vielleicht.«
Ich erhob mich, nickte und ging.
Denn ich war begierig, die Stadt kennen zu lernen.
Würde sie mir Glück oder Pech bringen?
Ich versuchte mit meinem Instinkt eine Antwort zu bekommen, ein Gefühl, eine Vorahnung.
Aber ich spürte nichts.
Indes ich vom Fluss her auf der staubigen Wagenstraße hineinging, kam die Nacht.
Überall brannten nun Lichter.
Eine Frau sang für ein Kind ein Wiegenlied.
Und ein Hund kam aus einem Hof und schnupperte an mir.
Aber Hunde waren stets freundlich zu mir.
Er knurrte nicht einmal.
In den Häusern saßen die Menschen nach vollbrachtem Tagewerk beim Abendessen. Manche waren wohl schon fertig mit dem Essen und hockten im Schaukelstuhl auf der Veranda, um die erste Nachtkühle zu genießen nach dem heißen Tag.
Ich beneidete all diese Menschen. Denn sie hatten einen festen Platz, ein Heim und gehörten zu einer Gemeinschaft. Denn die kleine Stadt war ja wohl eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig stützte und sich eine Ordnung gegeben hatte.
Ich aber war ein streunender Tramp, der fünf Jahre im Krieg war und nun nach etwas suchte, was er all die Jahre vermisste. Ich war des langen Reitens und Kämpfens...
| Erscheint lt. Verlag | 4.10.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | G. F. Unger Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer-Roman • alfred-bekker • Bestseller • bud-spencer • Bud Spencer • buffalo-bill • Cassidy • Chaco • clint-eastwood • Clint Eastwood • Country • Cowboy • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Erwachsene • Exklusiv • für • GF • g f barner • High noon • Indianer • Italowestern • jack-slade • Jugend • Karl May • kelter-verlag • Kindle • Klassiker • Krimi • Laredo • larry-lash • Lassiter • lucky-luke • Lucky Luke • Männer • martin-wachter • pete-hackett • peter-dubina • Reihe • Ringo • Roman-Heft • Serie • Spiel mir das Lied vom Tod • TerrenceHill • Western • Western-roman • Westernromane • Western Romane • Wilder Westen • Wilder-Westen • Winnetou • Wyatt-Earp |
| ISBN-13 | 9783732536702 / 9783732536702 |
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