John Sinclair 1990 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7325-3611-5 (ISBN)
Wie war man in den vergangenen Jahrhunderten mit Hexen umgegangen, die angeblich überführt worden waren? Oft genug wurden sie auf einen Scheiterhaufen gestellt und brannten lichterloh.
Nicht so bei Marisa. Sie war tatsächlich eine Hexe und keine Unschuldige. Auch sie wurde auf den Scheiterhaufen gestellt. Sie sollte lodern, aber das Feuer verbrannte sie nicht. Es machte sie stark, und das bekamen die Menschen in der Zukunft grausam zu spüren ...
Es war der Fahrer, der es dem zweiten Mann zeigte.
Der beschwerte sich. »Verdammt, ich kann kaum etwas erkennen.«
»Nimm die Lampe. Aber leuchte nicht in der Gegend herum.«
»Ich bin kein Kind mehr.«
»Schon gut.«
Beide Männer schauten sich den Plan an. Er bestand aus einigen Strichen, und es waren auch Zahlen zu lesen.
Der Farbige nickte und stellte seine Frage. »Na, wie gefällt dir das Papier?«
»Ich kann nicht so viel darauf erkennen.«
»Es ist ein Teil des Streckennetzes der Tube.«
»Klar der U-Bahn. Aber ich bin kein Fachmann.«
»Das überlasse mir mal.«
»Okay, wenn du meinst. Wo soll die Bombe denn genau hochgehen?«
»St. James Park.« Ein Finger tippte auf das Papier. »Verdammt, Bruce, das ist der Ausschnitt.«
»Ich kenne mich nicht so gut aus.«
»Weiß ich.«
Bruce dachte nach. »Und du bist davon überzeugt, dass der Zeitplan eingehalten werden kann?«
»Ja, das bin ich. In einigen Wochen. Wenn die Olympischen Spiele zur Hälfte vorbei sind.«
»Super. Dann drücken wir uns die Daumen.«
Der Farbige nickte. »Und ob wir das tun. Du glaubst gar nicht, wie ich mich darauf freue.«
Bruce atmete aus. »Ja, ich auch. Dann ist es vorbei mit der Heimlichtuerei.«
»Das kannst du laut sagen.«
Beide schauten sich an. Beide hoben die Arme. Und beide klatschten sich ab.
Es war der Schluss des Treffens. Jeder würde wieder seinen Weg gehen und darauf achten, dass man ihn nicht entdeckte oder er sich irgendwie anders verdächtig machte.
Sie hatten sich schon halb voneinander weggedreht, um in verschiedene Richtungen zu gehen, als Bruce plötzlich innehielt und nur ein Wort flüsterte: »Verdammt!«
Sein Kumpan hatte ihn gehört und erstarrte mitten in der Bewegung. »Was hast du denn?«
»Ich glaube, da ist jemand.«
»Was und wo?«
Bruce hob den linken Arm. Mit der rechten Hand holte er die Waffe hervor und hörte auch die Frage seines farbigen Kumpans.
»Was hast du genau gesehen?«
»Eine Gestalt, glaube ich.«
»Ha, glaubst du?«
Bruce nickte. »Ja, verdammt, das muss ich leider so sagen.«
»Und wo war sie?«
Bruce gab keine Antwort. Zumindest nicht auf diese Art und Weise. Eine Lampe trug er bei sich. Die schaltete er ein und hob zugleich den Arm an. Er leuchtete genau in die Richtung, in die er auch schaute – und hatte das Richtige getan.
Der Strahl fand ein Ziel.
Es war tatsächlich eine Frau!
***
Damit hatte keiner der beiden Männer gerechnet. Sie sagten nichts, hielten den Atem an und schafften es, die Köpfe zu schütteln, weil es beiden unglaublich vorkam, dass sich jemand in ihrer Nähe aufhielt und sie nichts bemerkt hatten.
Sie taten nichts. Die Frau stand im kalten Licht der Lampe und ließ sich betrachten. Sie trug so etwas wie einen schwarzen Mantel, der vorn offen war. Es konnte aber auch ein Umhang sein, so genau war das nicht zu erkennen und auch nicht wichtig.
Beide sahen auch, was die Person sonst noch angezogen hatte. Einen schwarzen Body, der viel von der Körpermitte freiließ, aber die Brüste verdeckte. Eine Hose oder ein Rock waren nicht zu sehen. Dafür zwei schwarze Strümpfe, die an den Oberschenkeln endeten.
Es war ein Bild, das beide sahen, und das beide nicht fassen konnten. Sie sagten nichts, aber ihr heftiges Atmen ließ darauf schließen, dass die beiden mit diesem Anblick zu kämpfen hatten.
Bruce fasste sich zuerst. »Verdammt, wer ist das?«
»Weiß ich nicht.«
»Wo kommt die her?«
»Weiß ich auch nicht. Frag nicht so dämlich. Bei mir ist auch Hängen im Schacht.«
»Okay, dann möchte ich mal erleben, ob sie ein Mensch ist oder nur eine Puppe.«
Der Farbige lachte. »Sie ist ein Mensch. Schau sie dir doch nur mal an.«
»Ja, ja.« Bruce leuchtete höher, und er traf jetzt mit dem Lampenstrahl das Gesicht.
Plötzlich schlug sein Herz schneller. Es war ein Gesicht, aber ob es zu einem Menschen gehörte, das war fraglich. Es zeigte eine Schwärze, die nicht normal war. Sie kam ihm aber auch nicht wie ein Anstrich vor. Und sie war auch nicht glatt, sondern aufgeraut.
Schwarz, intensiv schwarz, aber etwas war das genaue Gegenteil. Und zwar die Augen. In ihnen hatte sich ein kaltes Licht angesammelt. Es war kaum zu fassen, aber es war eine Tatsache, und der Terrorist spürte es kalt seinen Rücken hinabrinnen, denn so etwas war ihm noch nicht über den Weg gelaufen.
Wer war sie?
Die Frage stellte er seinem Freund, der keine Antwort geben konnte und nur die Schultern hob. Schließlich rang er sich durch, etwas zu sagen und meinte: »Eine Zeugin.«
»Ja, das denke ich auch.«
»Aber woher kommt sie?«
»Keine Ahnung.«
Bruce räusperte sich. »Und was machen wir mit ihr? Hast du eine Idee?«
»Sie ist eine Zeugin.«
»Genau, eine Zeugin. Und deshalb muss sie weg. Auch wenn sie uns nicht kennt, wir können nicht zulassen, dass man uns sieht. Uns gibt es eigentlich nicht, und das soll auch so bleiben.«
»Ich denke ebenso.«
»Wunderbar.« Bruce nickte. »Ich werde sie erschießen und …«
»Lass es mal sein.«
»Wieso?«
»Wie wäre es denn, wenn wir versuchen würden, sie zum Reden zu bringen. Möglicherweise ist sie wegen uns hier erschienen, auch wenn wir sie nicht kennen.«
»Das ist eine Idee.«
Bruce nickte. »Dann übernehme ich das. Und ich werde langsam vorgehen.«
»Alles klar.«
Bruce wusste nicht, ob das Gespräch zwischen ihnen beiden verstanden worden war. Es war ihm letztendlich auch egal, und so stellte er die erste Frage.
»He, wer bist du?«
Er bekam keine Antwort.
»Warum bist du hier?«
Nichts.
Ein erneuter Versuch. »Ich will wissen, wer du bist, verdammt. Hast du einen Namen? Kannst du mich auch verstehen?«
Sie nickte. »Ich heiße Marisa.«
Bruce schaute seinen Kumpan nur an, der die Schultern zuckte. Demnach konnte er auch nicht viel mit dem Namen anfangen. Trotzdem gab Bruce einen Kommentar ab.
»Die Frau kenn ich nicht.«
»Ich auch nicht!«, gestand der Farbige. »Wenn du mich fragst, sieht sie aus wie eine Waldfee, aber eine böse, das muss ich eingestehen. Sieh mal genau hin.«
»Klar.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Sie ist eine Zeugin.«
»Alles klar. Schicken wir sie zu ihren Ahnen.« Der Farbige grinste. »Aber zuvor würde ich gerne wissen, wer sie ist und woher sie kommt. Das ist für mich wichtig.«
»Warum?«
»Weil sie anders ist als die normalen Menschen. Schau sie dir doch mal an. Der Körper, auch das dunkle Gesicht, dann die komischen Augen wie zwei Leuchten, das passt.«
»Wieso?«
»Die ist nicht normal. Die lebt im Wald. Wenn das so wäre, dann hätte sie ein anderes Outfit. Verstehst du das?«
Bruce runzelte die Stirn. »Nicht so direkt.«
»Okay, ist auch schwer.« Der Farbige senkte seine Stimme. »Die kann uns gefährlich werden. Und ich weiß, dass du gesagt hast, dass es keine Zeugen geben soll.«
»Dazu stehe ich auch.«
»Okay, dann sollten wir uns darauf vorbereiten, sie zur Hölle zu schicken. Aber ich kann dir auch sagen, dass sie für mich noch etwas anderes ist.«
»Und was?«
»Die macht mich scharf.«
»Verstehe.« Bruce nickte. »Du willst sie also vorher vernaschen und dann killen.«
»Ja.«
Bruce überlegte. Er schaute dabei auf seine Uhr. Das passte seinem Kumpan nicht.
»Komm, wir haben Zeit genug.«
»Ja, ja, das weiß ich.«
Bruce hatte trotzdem Bedenken. »Ich an deiner Stelle würde aufpassen, sage ich mal.«
»Wieso?«
»Ich kann es dir nicht genau sagen. Aber diese Person sieht mir nicht so aus, als ließe sie sich die Butter vom Brot nehmen. Und dann frage ich mich, warum sie nicht verschwunden ist. Sie hätte wieder in den Wald abtauchen können. Hat sie nicht getan, ich habe das Gefühl, als wollte sie es auf einen Kampf ankommen lassen.«
Der Farbige verzog den Mund. »Okay, dagegen sage ich nichts. Aber ich würde gern mal einen Test durchziehen.«
»Kannst du.«
»Darauf freue ich mich schon.« Es waren nur ein paar wenige Schritte, die er zurücklegen musste. Das war für ihn kein Problem, da ein Hindernis nicht existierte.
Die Frau tat nichts. Sie stand da, bewegte nicht mal einen kleinen Finger, was dem Farbigen auch nicht passte. Deshalb blieb er stehen und schaute zurück.
»Das ist komisch, Bruce.«
»Was soll denn komisch sein?«
»Man hört von ihr nichts.«
»Und?«
»Die tut gar nichts. Die ist irgendwie unheimlich.«
»Warum?«
»Einfach so, vom Gefühl her.«
Bruce musste lachen. »Ausgerechnet du.« Er lachte noch mal. »Wo dich doch nichts aus dem Gleichgewicht bringen kann.«
»Das hier ist anders.«
»Wie anders denn?«
Der Frager erhielt keine Antwort, denn jetzt sahen beide das Unheimliche und auch Unerklärliche, was mit dieser Frau geschah. Sie war ein Mensch, aber trotzdem ganz anders, denn beide starrten plötzlich einen Körper an, der von den Füßen bis hin zur Stirn anfing zu glühen …
***
Das verschlug den beiden Männern die Sprache. Sie sahen alles ein Phänomen, das sie bisher noch nicht in...
| Erscheint lt. Verlag | 30.8.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | John Sinclair |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | blutig • Clown • Gruselroman • Horror • Horror Bücher ab 18 • horror thriller • Jason Dark • Lovecraft • Paranomal • Sinclair • Slasher • Splatter • Stephen King • Steven King • Zombies |
| ISBN-10 | 3-7325-3611-4 / 3732536114 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-3611-5 / 9783732536115 |
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