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Das Leben ist gut (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
240 Seiten
Carl Hanser Verlag München
978-3-446-25409-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Leben ist gut -  Alex Capus
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Max ist seit fünfundzwanzig Jahren mit Tina verheiratet, sie ist die Liebe seines Lebens. Er betreibt eine kleine Bar, tagsüber bringt er das Altglas weg, repariert das Mobiliar - oder begibt sich auf die Suche nach einem ausgestopften Stierkopf, der unbedingt über dem Tresen hängen soll. Max liebt sein Leben, so wie es ist, seine Familie, seine Freunde. Das wird ihm einmal mehr bewusst, als Tina zum ersten Mal in ihrer gemeinsamen Ehe beruflich ohne ihn unterwegs ist. 'Das Leben ist gut' verteidigt mit scharfem und versöhnlichen Blick, das, was im Alltag schnell übersehen wird. Es ist ein Roman über das Menschsein - vor allem aber eine Hymne an die Liebe.

Alex Capus, geboren 1961 in der Normandie, lebt heute in Olten. Er schreibt Romane, Kurzgeschichten und Reportagen. Für sein literarisches Schaffen wurde er u.a. mit dem Solothurner Kunstpreis 2020 ausgezeichnet. Bei Hanser erschienen Léon und Louise (Roman, 2011), Fast ein bisschen Frühling (Roman, 2012), Skidoo (Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens, 2012), Der Fälscher, die Spionin und der Bombenbauer (Roman, 2013), Mein Nachbar Urs (Geschichten aus der Kleinstadt, 2014), Seiltänzer (Hanser Box, 2015), Reisen im Licht der Sterne (Roman, 2015), Das Leben ist gut (Roman, 2016), Königskinder (Roman, 2018) und Susanna (Roman, 2022).

AM NÄCHSTEN MORGEN zwitschern in der Birke vor meinem Haus die Meisen, hinter der Dampfwolke des Atomkraftwerks geht die Sonne auf. Ein schöner und heißer Tag kündigt sich an. Die Frau ist schon weg. Sie hat mich vor dem Haus umarmt und auf den Hals geküsst, dann ist sie um die Straßenecke verschwunden mit wehendem Haar und freudig wackelndem Hintern.

Ich trinke meinen Frühstückskaffee auf der Terrasse und lese Zeitung. Inzwischen sind auch meine drei Söhne aufgestanden. Es gibt Gepolter im Obergeschoss, dann rauschen Wasserleitungen und ziehen Düfte von Duschgels, Deodorants und Rasierwassern durchs Haus. Ich werde sie wieder mal daran erinnern müssen, dass billige Rasierwasser immer schlecht sind und gute immer teuer.

Als Erster taucht der Erstgeborene auf der Terrasse auf. Er fragt: »Ist Mama schon weg?«

Dann kommt der Jüngste. Er schaut sich suchend um. »Wo ist Mama?«

Und zuletzt der Mittlere: »Ist Mama noch da?«

Jetzt sitzen sie frisch geduscht hinter ihren Cornflakes und fingern an ihren Handys. Vertraut und doch scheu sitzen wir beieinander, meine Söhne und ich. Sohnesscheu und vatersscheu. Gleich werden auch sie aus dem Haus gehen. Bald werden sie »Tschüss, Papa, danke schön« sagen und für immer aus dem Haus gehen. Aber heute gehen sie nur für ein paar Stunden fort. Heute Abend werden sie alle wieder zu Hause sein.

Ich begleite noch immer jeden einzeln zur Tür, wenn er morgens mit seiner Schultasche aus dem Haus geht. Vielleicht sollte ich damit aufhören. Beim Jüngsten, der erst dreizehn ist, darf ich das wohl noch eine Weile tun. Wenn ich hinter meiner Zeitung nicht bemerke, dass er zum Aufbruch bereit ist, sucht er meinen Blick und sagt »Okay, ich gehe dann mal«. Dann stehe ich auf und gehe mit ihm hinaus. Draußen im Vorgarten bittet er mich um Geld fürs Mittagessen. Ich gebe ihm welches. Dann schaut er mich seelenvoll an mit seinen bernsteinfarbenen Augen und sagt: »Ach, Papa, warum nur haben wir keinen Hund?«

Jetzt ist das Haus leer. Als ob nichts geschehen wäre – es ist ja auch nichts geschehen –, spüle ich das Frühstücksgeschirr, steige aufs Rad und fahre durch den morgendlichen Stoßverkehr in die Sevilla Bar. Meine Arbeitswoche beginnt damit, dass ich das Altglas vom Wochenende zur Sammelstelle bringe. Dann kontrolliere ich den Warenbestand im Getränkelager, rufe die Brauerei und den Weinhändler an und gebe meine Bestellungen durch. Ich fülle die Kühlschubladen am Tresen auf, bezahle Rechnungen und laufe zur Post, um Kleingeld für die Kasse zu besorgen. Nachmittags befasse ich mich mit Wartungsarbeiten. Ich flicke einen aus dem Leim gegangenen Stuhl oder befestige eine neue Wandhalterung für die Billardqueues. Ich male auf der Damentoilette die Decke zartrosa an, weil die Damen sich das so gewünscht haben. Oder ich fahre zum Flohmarkt, weil ich ein Sofa für die Zeitschriftenecke brauche. Um siebzehn Uhr schiebe ich dann das Rollgitter hoch, nehme hinter dem Tresen Aufstellung und bediene die Gäste bis zur Polizeistunde um halb eins. Heute wird es ein ruhiger Sommerabend werden. Viele Stammgäste sind in den Ferien, und meine Barkeeper sind alle weggefahren. Diese Woche bin ich allein zuständig. Zum Glück ist die Putzequipe noch da, die jeden Morgen zwischen fünf und halb sieben das ganze Haus saubermacht.

Frühmorgens ist es angenehm kühl und still in der Bar. Ich liebe den Augenblick, in dem ich den Schlüssel drehe, die Tür aufstoße und dieser freundliche, vertraute Ort sich mir öffnet, der in der Nacht ein paar Stunden ruhen konnte. Das Eichenparkett glänzt im Dämmerlicht und duftet nach Wachs. Der Billardtisch schaut mich erwartungsvoll an, der blankpolierte Tresen lächelt. In der Ecke rumpelt die Eismaschine, die Kaffeemaschine schläft noch, im Keller brummen die Kühlaggregate. Die Toiletten sind gereinigt, die Seifenspender und Handtuchhalter aufgefüllt, überall duftet es nach Putzmitteln.

Ich hole die Kisten mit den leeren Schnaps- und Weinflaschen aus dem Keller und stelle sie auf meinen Handkarren. Die Flaschen stoßen aneinander und klingeln wie die Glocken einer Ziegenherde, als ich den Karren über den Bordstein hinunter auf die Unterführungsstraße stoße.

Ich muss schauen, dass ich rasch auf die andere Straßenseite komme. Dicht an dicht fahren Lastwagen unter den Gleisen des Hauptbahnhofs hindurch stadtauswärts, dem Autobahnkreuz entgegen. Sie haben Kennzeichen aus Polen, Litauen, Portugal, Großbritannien. Sie fahren nicht schnell, aber sie sind schwer und haben lange Bremswege.

Als ich den Karren auf der anderen Seite über den Bordstein hieve, klingeln die Flaschen erneut.

Ich gehe vorbei an einem Bauzaun, hinter dem drei Bagger ein Kaufhaus aus den sechziger Jahren abreißen. Die Schaufenster sind mit vergilbten Plakaten überklebt, die Mauern mit ungelenken Graffiti bedeckt. Das Kaufhaus musste zu Beginn der achtziger Jahre zusperren, als nebenan ein neues Einkaufszentrum mit integriertem Parkhaus entstand. Es war die Zeit des Nato-Doppelbeschlusses, als man in Europa jederzeit damit rechnen musste, dass einem eine russische oder amerikanische Atombombe aufs Autodach fiel; niemand wollte mehr unter freiem Himmel parken, alle suchten die Sicherheit von Tiefgaragen unter meterdickem Stahlbeton. Das alte Kaufhaus aus den sechziger Jahren aber hatte nicht nur kein Parkhaus, sondern überhaupt keine Parkplätze. Niemand ging da mehr hin.

Im Bauzaun sind Gucklöcher, durch die man das paläontologisch anmutende Ballett der Bagger beobachten kann. Davor stehen alte Männer. Manche pfeifen durch die Zähne, dass es klingt wie Mäusefiepen. Alte Schlagermelodien. »Ein Bett im Kornfeld«. »Stairway to heaven«. »Azzurro«. Sie pfeifen, um die Stille nicht hören zu müssen, die sich in ihrem karg gewordenen Leben breitgemacht hat. Andere rauchen Zigaretten. Altertümliche Marken. Brunette. Arlette. Stella. Boston. Parisienne Carré. Aus ihren Rocktaschen lugen altertümliche Herrenmagazine. Praline. Schlüsselloch. Sexy. Manche führen kleine Hunde mit sich. Zuweilen hat einer ein Enkelkind dabei, das hebt er dann hoch zum Guckloch.

An einem freien Guckloch bleibe ich stehen, schiebe meinen Handkarren gegen den Zaun und gucke ebenfalls. Die linke Seite des alten Kaufhauses ist noch nahezu unversehrt, ein roter Bagger streckt sein stählernes Gebiss in die Höhe und knabbert an Regenrinnen, Armierungseisen und erblindeten Leuchtreklamen. In der Mitte hämmert ein blauer Bagger mit einem baumstammdicken Meißel armierten Beton mürbe. Auf der rechten Seite ist schon das ganze Mauerwerk abgetragen, ein gelber Schaufelbagger schiebt im Untergrund weißen Rundkies zusammen. Ich frage mich, ob das noch die Kofferung des Kellergeschosses ist oder schon das alte Kiesbett des Flusses, der hier vor hundert, tausend und hunderttausend Jahren durchs Tal mäandrierte.

Die alten Männer vermeiden sorgfältig jeden Blickkontakt. Ich auch. Wir schauen den einstürzenden Fußböden und den einsinkenden Mauern hinterher, und jeder hängt seinen Erinnerungen an das alte Kaufhaus nach. Der eine denkt vielleicht daran, wie er hier 1967 ein Paar Tennisschuhe kaufte, der andere erinnert sich, dass er in der Schallplattenabteilung 1971 seine erste Jimi-Hendrix-LP erstand. Ich erinnere mich, dass dort, wo jetzt der blaue Bagger hämmert, Mitte der siebziger Jahre eine hinreißende Fleischverkäuferin mit rotem Haar und grünen Augen arbeitete. Sie hatte Sommersprossen im Dekolleté. Unterdessen ist sie wohl in Rente. Falls sie noch lebt.

Und wenn wir uns sattgesehen haben, geht jeder seines Wegs.

Aber auch das atombombensichere Einkaufszentrum aus den Achtzigern musste nach wenigen Jahren zusperren, weil Michail Gorbatschow an die Macht kam und den Menschen die Angst vor Atombomben nahm. Fortan gingen die Leute wieder ins Freie, zaghaft erst nur, dann immer ausgiebiger und lustvoller. In den Innenstädten entstanden Fußgängerzonen und Straßencafés, Robinsonspielplätze und Gartenschachanlagen; niemandem stand mehr der Sinn nach schummrigen Parkhäusern unter meterdickem Stahlbeton, in denen jederzeit Vergewaltiger, Kindsentführer oder Bombenleger lauern konnten.

So war es nur eine Frage der Zeit, bis gleich hinter dem Einkaufszentrum aus den Achtzigern eine neue Shopping-Mall mit großzügigem Open-Air-Parkplatz entstand. Sie befindet sich in den Hallen einer ehemaligen Gießerei, die ihre Produktion nach Polen verlagert hat. Ob die Produktion in Polen geblieben ist, weiß ich nicht. Vielleicht wurde sie inzwischen weiter nach Osten verlagert, nach Kirgisien oder so. Und von dort noch mal weiter. Dann müsste man nur warten, bis die Produktion die Erde umrundet hätte und wieder hier ansässig sein würde.

Die einst rußgeschwärzten Hallen der Gießerei sind jetzt knallbunt angemalt. Die Schlote wurden weggesprengt. Auf den alten Shed-Dächern leuchten die Schriftzüge von Douglas, Tally Weijl und McDonald’s.

Der Vorplatz der Gießerei, der jetzt ein Open-Air-Parkplatz ist, war in meiner Kindheit ein Labyrinth aus Türmen fabrikneuer Schachtdeckel und Pyramiden aufeinandergestapelter Gussrohre. Das Areal war nicht umzäunt, die Produkte der Gießerei wogen derart schwer, dass man sie nicht gegen Diebstahl sichern musste. In der Ecke neben dem Portierhäuschen, wo sich heute die Altglassammelstelle befindet, stand ein herrenloser alter Kirschbaum, den man plündern durfte.

Die Sammelstelle besteht aus vier Einwurfschächten aus Chromstahl, durch welche die Flaschen geräuscharm in unterirdische Container fallen. Zwei Schächte sind für die grünen Flaschen bestimmt, je einer für die braunen und...

Erscheint lt. Verlag 22.8.2016
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 21. Jahrhundert • Alltag • Deutschsprachige Literatur • Ehe • Familie • Liebesgeschichten
ISBN-10 3-446-25409-9 / 3446254099
ISBN-13 978-3-446-25409-1 / 9783446254091
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