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Totenkind (eBook)

Psychothriller

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016
337 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-18733-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Totenkind - Belinda Bauer
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(CHF 5,85)
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Fünf Fußspuren im Beton – das ist alles, was Anna Buck von ihrem kleinen Sohn Daniel geblieben ist. Vor ein paar Monaten stahl sich der Junge unbemerkt über den noch feuchten Zement davon, weil sein Vater die Haustür offen stehen ließ. Seitdem ist Daniel wie vom Erdboden verschluckt. Tagtäglich putzt Anna die kleinen Abdrücke, poliert den Boden unter ihren Füßen, den sie längst verloren hat. Als eines Tages ein Hellseher Hilfe verspricht, ergreift die verzweifelte Mutter ihre letzte Chance. Doch ist der Mann der, der er zu sein vorgibt? Anna lässt sich auf das angebliche Medium ein und erlebt einen Albtraum ...

Belinda Bauer wuchs in England und Südafrika auf. Sie arbeitete als Journalistin und Drehbuchautorin und wurde mit dem renommierten Bafta Award for Young British Screenwriters ausgezeichnet. Ihr Romandebüt legte sie mit dem von Kritikern wie Lesern gefeierten Werk »Das Grab im Moor« vor, das als bester Spannungsroman des Jahres mit dem Gold Dagger ausgezeichnet wurde. Auch mit ihren weiteren Romanen wurde Belinda Bauer ihrem Ruf als Ausnahmetalent immer wieder aufs Neue gerecht. Die Autorin lebt in Wales.

2

»James!«

James Buck stand da und balancierte einen Golf GTI auf einer ölverschmierten Hand wie ein Kellner, der einer Schrottpresse den Hauptgang serviert. Jetzt drehte er sich zu seinem Boss um. Er hatte ihn nicht kommen hören, weil es in der Werkstatt immer laut war, wegen der Motoren und der Echos und des ständig laufenden Radios. Und weil er in Gedanken gewesen war. Immer in Gedanken. An Daniel natürlich.

»Was ist?«, fragte er.

»James!«, brüllte Brian Pigeon noch einmal. »Ang! Mach das verdammte Ding leiser!«

Ang latschte zum Radio hinüber und schleifte dabei mürrisch seinen Besen hinter sich her, und James ließ den Arm sinken. Der Wagen blieb auch ohne seine Hilfe oben – auf der Hebebühne; die Räder hingen aus den Radkästen wie die Beine eines Welpen, der gerade hochgehoben worden war.

Die Musik dröhnte ein ganz kleines bisschen weniger laut.

»Du hast bei Mr Knights Wagen die Zündung eingestellt!«

Mr Knight besaß einen Audi TT mit einem verchromten Billy Boat-Sportauspuff. Der Wagen war top in Schuss. Als sie ihn das letzte Mal hier gehabt hatten, hatte irgendwer einen Kotflügel angekratzt, wenn jetzt also wieder irgendwas mit dem Audi war, dann war das ein ernstes Scheißproblem. James hatte ihn beide Male nicht angerührt.

Nicht dass das einen Unterschied machte.

»An welchem Wagen?«, fragte er mit ausdrucksloser Miene.

»An dem da!«, brüllte Brian und rammte den Finger in Richtung Vorplatz. »Der, der mir da meinen neuen Beton mit Öl volltropft.«

James schaute nicht zum Vorplatz, er sah wieder zum Fahrgestell des Golfs hinauf und schluckte heftig. Er traute sich noch nicht zu antworten. So neu war der Beton gar nicht. Er war vor genau vier Monaten gegossen worden, am 5. November.

Am Morgen vor der Guy Fawkes Night.

An dem Morgen, an dem Daniel verschwunden war.

Er erwartete nicht, dass das Brian Pigeon auf dieselbe Weise bewusst war, wie es ihm bewusst war, doch er hasste ihn trotzdem dafür, dass er aus einem anderen Grund an diesen Tag dachte.

Brian brüllte wieder. »Als du den Deckel wieder auf die Kipphebel montiert hast, hast du bestimmt die Dichtung angequetscht. Überall Öl! Auf Mr Knights Auffahrt auch!«

So etwas Achtloses hätte James nicht getan. Wahrscheinlich war es Mikey gewesen, der die Dichtung ramponiert hatte. Er war unachtsam und eilig, und wenn ein Wagen nicht an den Computer angeschlossen war, kam er oft nicht klar. Doch das alles sagte James nicht. Er stand einfach nur da; die eine Hand hing mit dem Schraubenschlüssel darin herab, die andere hatte er über dem Kopf und drehte die Mutter mit den Fingern heraus, mittlerweile auf Autopilot.

»Also, was hast du dazu zu sagen? Jetzt muss das alles noch mal gemacht werden.«

»Aber nicht von Ihnen!«, brüllte Mr Knight aus dem nahe gelegenen Büro herüber. »Sie zahlen dafür, dass jemand anders das erledigt, sonst verklage ich Sie dumm und dämlich!«

Brian achtete nicht darauf. »Was hast du dazu zu sagen?«, fuhr er James abermals an.

»Entschuldigung?«, meinte James.

»Entschuldigung, was für ein Schwachsinn!«, schrie Brian. »Mr Knight ist unser bester Kunde! Jetzt müssen wir das alles noch mal machen!«

»Sie rühren meinen Wagen nicht an«, beharrte Mr Knight.

»Und zwar umsonst!«, fuhr Brian fort.

»Auch nicht umsonst«, wehrte Mr Knight ab. »Ich verklage Sie!«

Brian achtete nicht darauf und brüllte James an: »Mir reicht’s! Raus.«

James ließ den Golf los und wischte sich mit der Ellenbogenbeuge die Stirn ab. »Was?«

Der Schraubenschlüssel in seiner rechten Hand fühlte sich plötzlich sehr schwer an.

»Nimm deine Sachen und hau ab.« Brian ruckte mit dem Daumen über die Schulter. »Du bist gefeuert.«

Ganz kurz herrschte Stille – oder das, was in der Werkstatt als Stille durchging, während das Radio noch immer dudelte, das Hintergrundrauschen, das ihr Leben untermalte.

»Moment mal«, sagte Mr Knight, plötzlich gar nicht mehr so heftig. »Ich wollte doch nicht … Das ist doch nicht …«

Brian hob die Hand. »Keine Sorge, Mr Knight. Ist nicht Ihre Schuld. Ihr Wagen ist mir viel zu wichtig, als dass ich Sie wegen irgend so ’nem Vollidioten als Kunden verliere.«

James spürte den kalten Stahl an seinem Daumenballen. Der Schraubenschlüssel war wunderschön gefertigt und vollendet ausbalanciert. Er packte ihn fester.

»Kommt mir ein bisschen krass vor, den Mann gleich zu feuern«, meinte Mr Knight.

»Überhaupt nicht«, widersprach Brian. »Er hat Ihren Wagen versaut. Hat Ihre Auffahrt versaut. Hat meinen Vorplatz versaut. Hat mich ein verdammtes Vermögen gekostet. Aber es geht gar nicht ums Geld – wir haben doch einen Ruf. Wir sind doch Fachleute.«

Mr Knight zuckte mit den Schultern und nickte – langsam ging ihm auf, dass ein Mann manchmal tun musste, was ein Mann eben tun musste.

Brian wandte sich wieder an James. »Bist du immer noch da? Worauf wartest du denn? Auf die Dichtungsfee?«

James drehte sich um und schleuderte den Schraubenschlüssel mit aller Kraft quer durch die Werkstatt. Er prallte von einer Werkbank ab, dann schlitterte er über den rot gestrichenen Betonboden von Pigeon’s MoT & Diagnostics und rutschte mit lautem Scheppern in die alte Grube. James stürmte um seinen Boss herum (Das ist ein Steckschlüssel, du kleiner Scheißer!), an Mr Knight vorbei (War ja wirklich ’ne Riesensauerei auf meiner Auffahrt …) und in die schmuddelige kleine Küche.

Dort setzte er sich auf den einzigen gepolsterten Stuhl – auf den, den Brian sich immer nahm. Er stellte den Fuß auf einen der anderen Stühle und schubste ihn ein Weilchen mit lautem Scharren über den Linoleumboden, dann kippte er ihn krachend um.

In dem Raum gab es einen Resopaltisch, einen Ausguss, die Holzbank, auf der Ang schlief, und fünf nicht zueinander passende Stühle. Auf dem Tisch lagen alte Zeitungen und Junk-food-Packungen, außerdem stand da ein Becher ohne Henkel, den Pavel und Mikey als Aschenbecher benutzten. Die Wände waren voller Riefen und dunkler Fingerabdrücke. Über der Mikrowelle hing ein Kalender, der als Vorwand dafür diente, Fotos von barbusigen Frauen an die Wand zu pinnen. Keiner von ihnen schaute je darauf oder blätterte zum nächsten Monat um, das Ding diente einfach nur als kleine männliche Trotzhandlung.

James kippte noch einen Stuhl um.

Die ganze Zeit hörte er unter dem üblichen hallenden Getöse aus Popmusik und laufenden Motoren undeutliche Stimmen, die immer weniger hitzig klangen. Brian redete mit Mr Knight, und Mr Knight ging, das Hin und Her des Abschieds.

Dann sprang der Ersatzwagen an. Den hätte James überall erkannt, ein Citroën Diesel, der sich anhörte wie eine Ritterrüstung, die eine Treppe hinunterfiel.

Mr Knight ließ seinen Audi zur Reparatur da. Nach all dem Getue und all dem Blödsinn. So lief das immer.

James hörte, wie der Citroën vom Vorplatz rumpelte und knirschend der zweite Gang eingelegt wurde, als er sich in den Verkehr einfädelte. Dann stand er auf und ging wieder an die Arbeit.

Er trottete in den hinteren Teil der Werkstatt, doch Ang war bereits dabei, den Schraubenschlüssel aus den Müllschichten am Grund der stillgelegten Grube zu fischen. Ang meldete sich immer schnell für alles Mögliche freiwillig, und Brian pflegte das rasch auszunutzen. Er schickte ihn Sandwiches holen und ließ ihn Autos parken und für ihn Telefonnummern wählen, weil er zu viel zu tun hatte, um in irgendwelchen Warteschleifen zu hängen. Drei Jahre nachdem er auf der Achse eines Sattelschleppers in England angekommen war, war Ang noch immer dabei, die Sprache zu lernen. Bisher hatte er eigentlich nur die Schimpfwörter richtig drauf.

Hier Brian Pigeon. Bitte warten. Sie haben Nachricht? Ang sagte seinen Text endlos halblaut vor sich hin, doch die Aufgabe war ein Minenfeld.

Jetzt dirigierte Brian ihn vom Grubenrand aus, die Hände in die Hüften gestemmt. Die Druckknöpfe seines Overalls spannten allmählich ganz schön, in letzter Zeit war James aufgefallen, dass Brian immer eine sichere Stütze für seinen Bauch brauchte, wenn er sich über einen Motor beugte.

Er warf James einen kurzen Blick zu. »Das mit dem Schraubenschlüssel war ’n bisschen heftig.«

»’tschuldigung.«

Brian zuckte die Achseln. »Aber das mit der Dichtungsfee war doch gut, oder?« Er lachte über sich selbst und fügte dann hinzu: »Voll der Brüller.«

James lächelte schwach und streckte die Hand aus, um Ang herauszuhelfen. Er war schlank gebaut, deshalb stemmte er sich ein, doch Ang war federleicht und schien fast aus der Grube emporzuschweben.

James folgte Brian zum Büro, während Ang seinen Besen nahm, das Radio lauter drehte und mitsang, die falschen Worte zur falschen Melodie.

»Ang!«, brüllte Mikey. »Du hörst dich an wie ’ne rollige Katze!«

»Danke schön«, sagte Ang und sang weiter. Er stand total auf dieses Radio. Es war an, wenn sie morgens zur Arbeit kamen, und wenn sie abends gingen, war es immer noch an.

Brian schaute auf, als James ins Büro kam. »Das war doch jetzt nicht schlimm, oder?«

»Nein«, antwortete James.

»So kurz nach …« Brian hob hilflos die Hände. »… Du weißt...

Erscheint lt. Verlag 15.8.2016
Übersetzer Marie-Luise Bezzenberger
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Shut Eye
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte eBooks • England • longlist gold dagger • Medium • Psychopath • Psychothriller • Spannung • the guardian best book of 2015 • Thriller • verschwundenes Kind
ISBN-10 3-641-18733-8 / 3641187338
ISBN-13 978-3-641-18733-0 / 9783641187330
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