Cotton Reloaded - 47 (eBook)
140 Seiten
beTHRILLED (Verlag)
9783732529247 (ISBN)
In New York City sorgt eine neue Bürgerwehr für Aufsehen: Schwarz gekleidete, maskierte, junge Leute wollen in Superhelden-Manier Überfälle und Diebstähle verhindern. Sie nennen sich die V-Guard.
Doch dann kommt es zu einem ersten tödlichen Zwischenfall. Special Agent Philippa Decker und Jeremiah Cotton vom G-Team nehmen die Ermittlungen auf. Schon einmal sorgte ein selbsternannter Rächer namens Guardian für Unruhe in Manhattan. Steckt er auch hinter der neuen Organisation?
Um das herauszufinden, schleust sich Cotton in das Netz der V-Guards ein - und schwebt schon bald selbst in tödlicher Gefahr -
COTTON RELOADED ist das Remake der erfolgreichen Kultserie JERRY COTTON und erscheint monatlich in abgeschlossenen Folgen als E-Book und Audio-Download.
1
Das Problem heutzutage war, dachte Depak Chandrapal, die schwarze Pistolenmündung direkt vor Augen, dass sie alle gleich aussahen – die Guten wie die Bösen.
Damals, als er aus Indien nach Amerika gekommen war, vor über vierzig Jahren, war das noch anders gewesen. Da hatte man gleich erkennen können, wer in den Laden kam, um etwas zu kaufen oder ihn zu überfallen.
Heute drückten sich alle entweder herum, als hätten sie etwas zu verbergen, oder sie schauten ständig über die Schulter, als wäre ihnen jemand auf den Fersen. In jedem Gesicht der gleiche gehetzte Ausdruck, die Hände in den Taschen ihrer uniformen Schlabberklamotten, die Platz für alle möglichen Waffen boten, ohne dass sie auffielen.
Trotzdem riet Depak Chandrapal auch nach vierzig Jahren als Verkäufer im Gemischtwarenhandel immer noch gern, was hinter den Fassaden der Leute steckte, die seinen Laden betraten. Wer führte Übles im Schilde, und wer sah nur so aus? Oder wer wollte so aussehen, wusste aber tatsächlich kaum, wo bei einer Knarre hinten und vorn war?
Den Kerl, der ihm jetzt eine Knarre ins Gesicht hielt, hatte der Mann aus Indien falsch eingeschätzt.
Ein Milchbubi. Trug zwar ein weites Hoodie, unter dessen Kapuze sein Gesicht fast nicht auszumachen gewesen war, aber in das Ding hätte der Bursche glatt zweimal reingepasst. Die Tattoos, die unter den Ärmeln und am Hals hervorlugten, sahen aus wie selbst gestochen – oder, wenn der Junge Glück hatte, selbst aufgemalt, dann musste er nicht bis ans Ende seines jämmerlichen Lebens damit herumlaufen und sich von den wirklich harten Typen auslachen und verprügeln lassen.
»Los, Kasse auf, Kohle raus!«
Speichel sprühte aus dem Schatten unter der Kapuze hervor. Die glasigen grünen Augen, in die kupferrote Haarfransen hingen, leuchteten auf wie angestrahlt.
Der Knabe war high, wovon auch immer. Was es auch war, er brauchte mehr davon. Deshalb war er hier, darum wollte er, was in der Registrierkasse war.
Einen Moment lang war Depak ernsthaft versucht, dem Jungen gut zuzureden, ihm auszureden, was er da vorhatte, ihm zu versprechen, er könne einfach gehen und Schwamm drüber. Weil er doch nicht »so einer« sei, er wolle das alles doch gar nicht … Das Problem war nur: Er war »so einer«, und er wollte das.
Depak wusste nicht mehr, wie oft er überfallen worden war in all den Jahren. Irgendwann hatte er den Überblick verloren und aufgehört zu zählen. Mehrmals jährlich auf jeden Fall. Wobei es Jahre gegeben hatte, in denen die Zahl einstellig geblieben war, in anderen hatte man ihn praktisch wöchentlich ausgeraubt. Er wusste nicht, woran es lag. Am Viertel? Es war nicht die allerbeste Gegend von New York City, aber es gab schlimmere Ecken, weitaus schlimmere.
Vielleicht hatte es sich unter dem räuberischen Gesindel herumgesprochen, dass Depak Chandrapal keine Zicken machte.
Anfangs war das anders gewesen. Da hatte er den Helden gespielt, gelegentlich, wenn er sich eine Chance ausgerechnet hatte. Wenn der Kerl, der das Geld aus seiner Kasse wollte, aussah, als hätte er Respekt vor einem Baseballschläger, der mit Stacheldraht umwickelt war und in den Händen eines kräftigen jungen Mannes lag, aus dessen dunklen Augen ihm Entschlossenheit entgegenbrandete wie eine Welle, die ihn von den Füßen zu reißen drohte.
Den Baseballschläger hatte Depak nach wie vor, er lag unter dem Tresen, immer noch griffbereit. Nur wirklich in die Hände genommen hatte er ihn seit annähernd zwanzig Jahren nicht mehr. Zum einen, weil er kein kräftiger junger Mann mehr war, sondern ein dicker alter Mann, und zum anderen hatte er es einmal zu oft getan. Denn einmal, da hatte er sich verkalkuliert, als er meinte, sich eine Chance ausgerechnet zu haben.
Der Schuss des Kerls damals hatte ihn so unglücklich ins Bein getroffen, dass er heute noch humpelte. Seine damalige Krankenversicherung war lausig gewesen, und ein zufällig in den Laden kommender Cop hatte den Typen erschossen, also war es nichts gewesen mit einer Klage auf Schmerzensgeld. Wobei aus dem Scheißkerl wahrscheinlich eh kein Cent herauszuholen gewesen wäre. Aber womöglich war er versichert gewesen und es hätte sich auf diesem Wege eine Entschädigung herausschinden lassen. Warum sollte Depak Chandrapal nicht auch einmal Glück haben?
Weil man Glück nicht einfach hatte. Das war die Lehre gewesen, die er aus jener Sache gezogen hatte. Es war vielmehr was dran an dem Sprichwort, demzufolge jeder seines Glückes Schmied war. Und Depak schmiedete sein Glück fortan damit, dass er nicht mehr mit dem Baseballschläger auf bewaffnete Räuber losging, um Geld zu verteidigen, das ohnehin nicht ihm gehörte, sondern einem Chef, der ihn damals mit einem 100-Dollar-Trostpflaster abgespeist und ihm gleichzeitig geraten hatte, schleunigst wieder auf die Beine zu kommen, wenn er seinen Job behalten wolle. Seitdem …
»Es ist okay«, sagte Depak, so ruhig, dass es alle anderen im Laden – es waren nicht viele – erstaunen musste. Aber er hatte in fast vierzig Jahren zu oft in Waffenmündungen geschaut, um noch wirklich Angst davor zu haben. Nein, das eigentlich Schlimme, jenen ersten Moment, dieses immer gleiche Erschrecken darüber, dass es wieder einmal so weit war, das hatte er hinter sich. Der Rest war Routine.
Der Junge hielt die Pistole, die zu groß für seine dürre Hand schien, quer auf ihn gerichtet, wie er es wohl in Filmen gesehen hatte. Oder bei anderen, die so waren, wie er werden würde, ob er das nun wirklich wollte oder nicht.
Aber sie zitterte nicht, die große, schwere Pistole in dieser fast noch jungenhaften Hand. Das schwarze Loch an ihrem Ende wies unverwandt auf Depaks Gesicht.
Auf die Brust wäre klüger gewesen, größeres Ziel, leichter zu treffen, auch mit einem übereilten Schuss, dachte Depak komischerweise, als sollte er dem Kerlchen einen Rat mit auf den Weg geben, wenn er ihn gleich mit dem Geld ziehen ließ.
Und immer schön weiterreden. Ruhig, väterlich, ansagen, was er als Nächstes tun würde und dann genau das tun …
»Ich mach jetzt die Kasse auf, okay?«, sagte Depak und schaute möglichst warmen Blickes unter die Kapuze in das Gesicht, das sich zu wechselnden Grimassen verzog.
Nervös war der Junge. Oft hatte er das noch nicht gemacht. Aber zum ersten Mal tat er es eben auch nicht. Wie alt mochte er sein? Noch keine zwanzig, noch lange nicht.
»Dazu nehme ich die Hände herunter, ja?« Depak nickte dem Burschen auf der anderen Seite des Verkaufstresens zu. »Nur um die Kasse aufzumachen, verstehst du? Weiter nichts …«
»Mach schon!«
»Ja, natürlich.«
Depak senkte langsam die Hände, die er erhoben hatte, sobald die Pistole unter dem grauen Hoodie zum Vorschein gekommen war. Keine Minute war das her. Noch nicht einmal dreißig Sekunden. Die Zeit dehnte sich in diesen Situationen, als geriete der Lauf der Welt kurz ins Stocken.
Depak blinzelte sich einen Schweißtropfen vom Augenlid. Kein Angstschweiß. Es war einfach nur elend heiß, seit Tagen stöhnte New York unter einer Hitzewelle, deren Ende die Meteorologen nicht absehen konnten.
Im Laden herrschte drückende Wärme, trotz geöffneter Tür und Fenster im Lager hinten entstand kein Durchzug. Es waberte nur noch mehr heiße Luft herein. Sie brachte die Ausdünstungen der überhitzten Stadt mit – Abgase, die von der Schwüle in die Straßenschluchten gedrückt und festgehalten wurden, der beißende Geruch des aufweichenden Asphalts, den fischigen Gestank des Hudson Rivers … Sie vermischten sich mit den Gerüchen des Ladens – Obst und Seife, Reinigungsmittel, Tabak und Kundenschweiß, der in diesen Tagen gefühlt literweise zurückblieb.
Auch das Gesicht unter der Kapuze glänzte nass, als wäre der Junge nicht unter dem rötlich blauen Himmel des frühen Abends, sondern in strömendem Regen hergelaufen, vielleicht von zu Hause mit dem Ziel, genau diesen Mini-Markt zu überfallen. »Mann, worauf wartest du, Alter?«
Die Pistole zuckte eine Fingerlänge vor, die Mündung schien größer zu werden, und nun fuhr Depak doch zusammen.
»Entschuldigung …«, hörte er sich sagen. Entschuldigung? Also, bitte, das ging ja nun doch zu weit! Aber es würde ja gleich vorbei sein, hoffentlich, wenn sich die Lage nicht gerade so zugespitzt hatte, dass sie kippen würde. Nur weil er eine, vielleicht auch zwei oder drei Sekunden lang gezögert hatte, um …
Zack!
»Wow!«, entfuhr es irgendwo im Laden jemandem.
Wie aus dem Nichts traf den Jungen von der Seite her eine weiße Riesenfaust am Kopf. So sah es jedenfalls für Depak aus.
Erst als der 1-Gallonen-Behälter unter dem Aufprall zerplatzte und ihm eiskalte Milch ins Gesicht spritzte, erkannte Depak, dass es sich nicht um eine Riesenfaust, sondern eben um einen knapp vier Liter Vollmilch fassenden Plastikkanister handelte – beziehungsweise gehandelt hatte: Der größte Teil der Milch lief dem Knaben mit der Knarre über Gesicht und Brust, die Wucht des Hiebes ließ ihn zur Seite taumeln.
Depaks Hand wollte zum Baseballschläger unter dem Tresen greifen. Doch er ließ es sein, duckte sich lediglich, allerdings nur halb – denn was sich da vor ihm abspielte, faszinierte und bannte ihn, ließ ihn erstarren und zusehen, so wie man sich einen Film ansah. Das Geschehen hatte etwas Unwirkliches. Trotzdem, kein Zweifel – es passierte, hier und jetzt, vor seinen Augen.
Ein weißes Gesicht ohne Züge geriet in Depaks Blickfeld, gespenstisch, eine ausdruckslose Geistermaske mit zwei dunklen Augenlöchern, in denen es glänzte – oder zu glänzen schien. Unmöglich zu sagen. Es ging viel zu schnell.
Ein Fuß...
| Erscheint lt. Verlag | 11.8.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Cotton Reloaded | Cotton Reloaded |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 20. - 21. Jahrhundert • Cops • cotton • FBI • Geheimagent • G-Man • G-Team • Jerry • Jerry Cotton • Krimi • Kultserie • New York • Reihe) • Remake • Serienthriller (Serienermittler • Serienthriller (Serienermittler, Reihe) • Superhelden • Thriller • USA |
| ISBN-13 | 9783732529247 / 9783732529247 |
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