G. F. Unger Sonder-Edition 91 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7325-3493-7 (ISBN)
Als ich losritt, um die Skalpjäger zu jagen, die meine Adoptivfamilie, die Alvarez', bestialisch ermordet und skalpiert hatten, erlebte ich eine unerwartete Überraschung. Die Apachen, die allen Weißen den Tod geschworen hatten, ließen mich in Ruhe, gewährten mir sogar immer wieder ihren Schutz und ihre Hilfe. Schließlich begriff ich: Ich war ihr Partner geworden, denn ich jagte die Männer, die ihre Todfeinde waren. Doch alles wurde anders, als ich den Überfall einer Apachenhorde auf eine Postkutsche verhinderte, in der sich eine weiße Frau befand. Von da an waren die Apachen meine Feinde und meine Überlebenschancen schmolzen dahin wie die eines Schneeballs in der heißen Bratpfanne ...
1
Es war an einem späten Nachmittag, als ich auf der anderen Seite des Creeks, dessen Wasser meinem Pferd nur bis zu den Fesseln reichte und nur wenig spritzte, während ich hindurchritt, das Anwesen der Alvarez in Sicht bekam.
Auf der kleinen Ranch war keine Bewegung. Alles dort wirkte wie ausgestorben. Und das war ungewöhnlich. Deshalb ritt ich mit zunehmender Sorge weiter. Ich musste etwas hangaufwärts. Denn die Hütten, Scheunen und Corrals lagen hoch genug, um nicht vom Hochwasser bedroht zu sein, welches den Creek nach einem Unwetter stets für einige Stunden in einen reißenden Fluss verwandelte.
In diesem Land konnte der Boden die gewaltigen Wassermassen eines Wolkenbruchs nicht so schnell aufsaugen.
Dann füllten sich alle Arroyos und wurden zu brüllenden Ungeheuern, die ihre Wassermassen in die sonst so harmlosen Creeks brausen und diese für kurze Zeit zu gewaltigen Flüssen anschwellen ließen.
Nun, ich ritt also durch den jetzt zahmen Concho Creek und trieb mein müdes Pferd noch einmal an.
Denn nun war ich nahe genug, um zu sehen, dass etwas nicht stimmte.
Es waren keine Tiere in den Corrals. Von der ganzen Sippe der Alvarez’ war nichts zu sehen, keine Kinder, die sonst zumeist am Creek spielten. Und auch die Frauen der Sippe arbeiteten nicht auf den Feldern oder rings um die Hütten in den Gärten.
Es war alles dort ohne Leben. Nicht mal die Hühner sah ich.
Aber dann ritt ich am ersten Corral vorbei und sah dort Paco Alvarez liegen.
Er war tot und skalpiert.
Doch er war schon lange tot, länger schon als einen ganzen Tag. Das sah ich im Vorbeireiten. Nun wusste ich Bescheid, und mein schwerer Colt lag wie von selbst in meiner Hand.
Doch ich wusste, ich kam zu spät, sehr viel zu spät. Ich konnte nichts mehr retten. Alles war schon vor vielen Stunden geschehen, wahrscheinlich im Morgengrauen. Und nun war es fast schon Abend. Ich wusste, dass sie alle tot waren. Es konnte gar nicht anders sein.
Dennoch war Hoffnung in mir. Mit dem Colt in der Hand warf ich mich vom Pferd und war für alles bereit. Doch es lauerte niemand in einem Hinterhalt. Aus den Hütten und all den Nebengebäuden fiel kein Schuss.
Ich fand sie dann in den Hütten. Sie lagen fast alle noch in den Betten. Also war der Überfall gegen Ende der Nacht, wahrscheinlich im Morgengrauen, über sie hereingebrochen. Nur Paco war schon draußen gewesen. Ihn hatten sie gewiss lautlos erledigt.
Apachen!
Dieses Wort war wie ein Schrei in mir.
Aber es stimmte etwas nicht.
Wer diesen Überfall verübt hatte, er hatte nichts angezündet. Und Apachen hätten hier alles niedergebrannt, es sei denn, sie hätten am Morgen keine Rauchsäule aufsteigen lassen wollen, um Verfolgern nicht zu verraten, wo man sie zu suchen hatte.
In diesem Land konnte man ein brennendes Anwesen viele Meilen weit sehen. Und eine schwarze Rauchsäule war Dutzende von Meilen weit zu erkennen.
Hatten mexikanische Bandoleros, welche über die Grenze kamen und weit nach Norden eingedrungen waren, hier gehaust?
Aber auch das konnte nicht sein. Denn man hatte Paco Alvarez skalpiert.
Und nicht nur ihn, auch alle anderen Menschen der Sippe hatte man auf diese bestialische Weise verstümmelt, ihnen also die Kopfhäute abgezogen. Ich begriff endlich, dass man es nach der Art der Skalpjäger gemacht hatte, nicht nach Apachenart.
Ich fand sie alle ohne Skalp und nicht nach Apachenart skalpiert, auch die Frauen und Kinder. Und einige der Frauen – es waren Maria, Conchita und Rosita – waren vergewaltigt worden. Denn sie waren jung und mehr als hübsch gewesen. Nur die alte Juana hatten sie erschlagen. Ihr Haar war schon weiß und deshalb nicht als Apachenskalp zu verkaufen.
So stand also für mich fest: Hier waren Skalpjäger gewesen.
Und die ganze Alvarez-Sippe war schwarzhaarig. Sie alle – auch die Männer Manuel, Roberto und Francisco, trugen ihr Haar lang. Als Skalp war es nicht von einem Apachenskalp zu unterscheiden.
Ja, das war es, verdammt! Auch die Kinder waren skalpiert worden.
Denn die Städte zu beiden Seiten der Grenze zahlten Prämien für Apachenskalpe. Selbst Tucson tat dies noch bis 1880 – und jetzt schrieben wir 1867.
Man zahlte für Krieger-, Frauen- und Kinderskalpe Prämien.
Und weil so mancher Mexikaner- oder Halbblutskalp einem Apachenskalp zum Verwechseln ähnlich sah, töteten die Skalpjäger nicht nur Apachen. Sie waren Mörder, menschliche Bestien, brutal in ihrer Geldgier.
Und das Schlimme war, dass die Städte, in denen ja Christen wohnten, die zur Kirche gingen und zu Gott beteten, sich dieser Praktiken durchaus bewusst waren. Doch die Furcht und der Hass waren stärker als ihre Schuldgefühle. Man zahlte und machte also mit Mördern Geschäfte.
Doch machten die Menschen nicht immer schon üble Geschäfte? Mordeten sie nicht immer schon unter dem Deckmantel angeblicher Notwendigkeiten?
Ich stöhnte vor Schmerz. Und dann brüllte ich meinen wilden Zorn in die hereinfallende Nacht. Dabei wusste ich, dass dies hier nur eine der vielen Ungerechtigkeiten dieser Welt war.
Die ganze Alvarez-Sippe war vernichtet worden. Denn sie alle hatten schwarzes Haar wie die Apachen und trugen es auch lang bis zu den Schultern.
Auch ich war ein Alvarez, wenn auch nicht mit ihnen verwandt. Denn sie hatten mich damals als kleinen Burschen halbtot am Wagenwege nach Tucson aufgelesen. Ich war noch so klein gewesen, dass ich nur meinen Vornamen sagen konnte, als sie mich nach Wochen wieder gesund gepflegt hatten.
Jake war der Name.
Als ich jetzt durch die Hütten der Sippe ging und überall die skalpierten Toten fand, da fiel mir wieder alles ein.
Sie fanden mich also damals am Wagenweg nach Tucson, halbtot schon. Ich mochte noch keine drei Jahre alt gewesen sein. Die Apachen hatten mich geraubt. Das war nicht außergewöhnlich. Sie taten es stets bei kleinen Jungen, wenn sich die Gelegenheit bot. Denn sie machten aus den kleinen Kindern Apachen. Sie hatten ja ständig Verluste an Kriegern, weil sie von Raub und Überfällen lebten und immerzu Krieg führten. Ihre Frauen konnten ihnen gar nicht so viele Kinder gebären, wie es nötig gewesen wäre. Und so war es bei ihnen üblich, Kinder der Weißen und der Mexikaner zu entführen, um sie zu Apachen zu machen.
Dies war auch mein Schicksal gewesen. Doch dann waren sie von einer Armeepatrouille verfolgt worden und hatten sich des kranken Kindes entledigt. Sie hatten mich in einen Dornenbusch geworfen.
So erzählten es mir die Alvarez’, die mir dann ihren Namen gaben. Sie wurden meine Familie. Bei ihnen wuchs ich auf. Aber ich war nicht mexikanischer Abstammung. Das sah man auf den ersten Blick. Dennoch wurden Manuel, Roberto und Francisco meine Brüder. Jetzt waren sie tot. Und der alte Paco, der zu mir wie ein Vater gewesen war, lag da drüben beim Corral.
Ich wollte heimkehren zu meiner Sippe. Aber die gab es nun nicht mehr.
Ich musste sie alle beerdigen. Viele Gräber würde ich schaufeln müssen.
Langsam wurde es Nacht.
Ich würde im Mond- und Sternenschein meine traurige Pflicht erfüllen.
Was für eine Heimkehr nach einigen Jahren des ständigen Reitens und Suchens!
Ja, ich war damals als junger Bursche fortgeritten. Sie hatten das verstanden und mir Glück gewünscht. Denn sie wussten, ich wollte suchen, um vielleicht herausfinden zu können, zu welchem Wagenzug ich gehörte, der damals überfallen wurde.
Aber ich fand nichts, gar nichts. Und so würde ich bis an mein Lebensende ein Alvarez bleiben und meinen richtigen Namen niemals erfahren.
Ich ging im letzten Licht des sterbenden Tages noch einmal durch die Hütten und all die Nebengebäude, die Schuppen, Werkstätten, Scheunen.
Denn Juan fehlte.
Damals vor etwa drei Jahren, als ich fortritt, da war Juan so um die acht Jahre alt gewesen. Nun musste er elf sein.
Wo war er? Oder gab es ihn gar nicht mehr, weil er gestorben war?
Ich hatte plötzlich das instinktive Gefühl, dass ich nach Juan suchen musste.
Aber wo konnte er sein, falls es ihn überhaupt noch gab?
Ich rief nun laut: »Juan! Ich bin Jake, dein großer Bruder! Ich bin Jake, der wieder heimgekommen ist! Juan, wenn du mich hören kannst, dann komm heraus aus deinem Loch! Ich bin hier, ich, Jake, der wieder heimgekehrt ist! Juan, kannst du mich hören?«
Ich hörte eine Weile nichts.
Dann aber glaubte ich etwas zu vernehmen. Es klang leise und kläglich, aber auch irgendwie dumpf wie aus einem Keller.
Und plötzlich begriff ich und eilte zum Brunnen.
Ich beugte mich über den gemauerten Rand und fragte hinunter: »Juan, bist du dort unten?«
»Ich kann nicht allein heraus, Jake«, erwiderte er. »Sie hielten mich für tot und warfen mich in den Brunnen. Auch Lobo warfen sie hier herunter. Sie schlugen ihm den Schädel ein.«
Lobo, das war der große Wolfshund, an den ich mich noch gut erinnern konnte.
Die verdammten Mörder, die hier ihre Untaten begingen, hatten den Brunnen vergiften und unbenutzbar machen wollen. Deshalb warfen sie Juan und den Hund hinein.
O Vater im Himmel, warum durften solche Ungeheuer auf unserer Erde leben? Warum waren sie noch nicht alle in der Hölle?
Ich rief hinunter: »Sei ganz ruhig, Juan, mein Kleiner. Ich hole dich und Lobo heraus. Jetzt wird alles gut für dich.«
»Nichts wird gut, Jake«, hörte ich ihn heiser sagen, »nichts wird gut. Denn ich weiß längst, dass sie alle dort oben tot...
| Erscheint lt. Verlag | 9.8.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | G. F. Unger Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Bud Spencer • Clint Eastwood • Cowboy • High noon • Indianer • Italowestern • Lucky Luke • Spiel mir das Lied vom Tod • TerrenceHill • Western • Westernromane • Western Romane • Wilder Westen • Winnetou |
| ISBN-10 | 3-7325-3493-6 / 3732534936 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-3493-7 / 9783732534937 |
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