Jupiter 2: Das Artefakt von Ganymed (eBook)
64 Seiten
PERRY RHODAN digital (Verlag)
978-3-8453-5015-8 (ISBN)
1.
Ganymed
2. Februar 1461 NGZ
»Ein technischer Defekt! Wirklich ein Defekt?« Kurzatmig schrill klang die Stimme. Der Sprecher hatte seine Sauerstoffversorgung offenbar falsch geregelt, achtete aber nicht darauf. »Das ist das Dümmste, was ich seit Tagen gehört habe«, protestierte er. »In welcher Zeit leben wir eigentlich?«
»Besucht das Solsystem – nichts ist unmöglich!« Eine Frau lachte spöttisch, als sie den Werbespruch zitierte. »Bei allem Wohlwollen: Die Organisation hier lässt zu wünschen übrig. Falls die terranische Freizeitindustrie wirklich Standards setzen will, sind das Standards für ganz weit draußen im galaktischen Halo. Wie viel Zeit sollen wir eigentlich sinnlos vergeuden?«
»Sehr richtig!« Da Somnan mischte sich ein. Kateen Santoss hatte es kaum anders erwartet. Unwillig verzog sie das Gesicht, als die Stimme des Akonen im Helmfunk laut wurde. »Diese Zwangspause wird nicht folgenlos bleiben!«, sagte er scharf, mit einem lauernden Unterton. »Ich erwarte, dass ich umgehend ans Ziel gebracht ...«
»Der Flug kann in spätestens dreißig Minuten fortgesetzt werden.« Das war die fein modulierte Antwort des Robotpiloten. »Die Reparaturmechanismen haben den Schaden soeben lokalisiert, sie beginnen mit der Behebung.«
»Warum bringt uns kein anderer Gleiter ans Ziel? Ich bestehe auf einem Ersatz ...«
»Bedauerlicherweise stehen zurzeit keine freien Transportmöglichkeiten zur Verfügung.«
»Keine?« Das Lachen des Akonen klang spöttisch. »Es wird doch in erreichbarer Nähe ...«
Die Stimme brach mitten im Satz ab, übergangslos herrschte Stille.
Kateen Santoss atmete auf. Über den Blicksensor hatte sie ihren Helmfunk abgeschaltet. Manche Leute, fand sie, waren unausstehlich. Sie feilschten um Minuten und merkten gar nicht, dass währenddessen das Leben an ihnen vorbeiging. Wahrscheinlich lief da Somnans Gezänk auf eine Rückerstattung hinaus – einige Prozent des Arrangementpreises, also dreißig, vielleicht sogar vierzig Galax.
Und wofür?
Ein schneller Einsatz mehr im Casino des Isidor-Bondoc-Buildings ... Ein virtueller Ausflug durch die Jupiteratmosphäre, hinab in den heißen, flüssig werdenden Wasserstoff und weiter bis in den Bereich, in dem er schließlich metallische Eigenschaften annahm ... Im harmlosesten Fall mehrere doppelte Vurguzz, deren Alkoholgehalt den Eismond für kurze Zeit zum paradiesischen Eiland werden ließ.
Keine dieser Alternativen behagte ihr.
Warum ist heutzutage niemand mehr in der Lage, einfach nur den Augenblick zu genießen?, fragte sie sich.
Ungefähr einen halben Kilometer hatte Kateen sich von dem Transportgleiter entfernt. Sie stand bereits auf der anderen Seite der Eisverwerfung und konnte die rochenförmige Maschine nicht mehr sehen.
Die Mondoberfläche wies in diesem Bereich kaum nennenswerte Erhebungen auf. Nur die Verwerfung, die Kateen an eine verkrustete Narbe erinnerte. Unschwer zu erkennen, dass diese Formation erst in jüngerer Vergangenheit entstanden sein konnte.
Das weite Land zwischen Galileo City und der Ovadja Regio erschien ihr wie ein in sanfter Dünung erstarrter Ozean. Im Laufe von Äonen hatte sich das ewige Eis mit Patina überzogen – eine braungraue, lebensfeindliche Einöde.
Minus 166 Grad Celsius, las Kateen die Temperatur auf der Helmanzeige ab. Die ferne Sonne schaffte es nicht, Ganymed zu wärmen. Nicht einmal Jupiter konnte das.
Der Gasriese Jupiter!
Vor zweieinhalb Jahren war Kateen dem Giganten im Solsystem zum ersten Mal nahe gekommen. Unbeschreiblich schön waren die parallel verlaufenden Wolkenbänder, die dem Planeten sein unverwechselbares Aussehen gaben. Faszinierend die ockerfarbenen Wirbel der oberen Atmosphäre mit ihren weit mäandernden, weißen Einschlüssen. Vor allem der riesige Rote Fleck, jenes seit Jahrtausenden beständige Sturmgebiet, in dem die Erde leicht zweimal Platz gefunden hätte.
Jupiter sehen und sterben.
Dieser Werbespruch geisterte immer öfter durch die Medien. Welche Agentur ihn auch platziert haben mochte, Kateen fand, dass die Leute dort besser daran getan hätten, ihr Hirn einzuschalten. Für sie hatte der Satz jedenfalls eine beklemmend reale Bedeutung. Ihr war klar, wie unbedeutend und hilflos der Mensch der Natur gegenüberstand. Schönheit und Schrecken der Schöpfung entfalteten sich schon vor der eigenen Haustür in exotischer Pracht, lächerliche sechshundertdreißig Millionen Kilometer von der Erde entfernt.
Die Distanz ist eigentlich ein Katzensprung.
Residenz-Minister Reginald Bull hatte vor Kurzem diese Redewendung im Trivid benutzt. Kateen hatte keine Vorstellung davon, wie weit Terra-Katzen tatsächlich springen konnten. Außer im Zoo von Terrania hatte sie noch nie eine lebende Katze zu Gesicht bekommen. Im Jahr 1461 Neuer Galaktischer Zeitrechnung gab es längst exotischere Haustiere.
Sie spürte eine seltsame Benommenheit – ein Schwindelgefühl, das wohl mit Ganymeds geringer Schwerkraft zu tun hatte und ebenso damit, dass sie oft das Gefühl hatte, der riesige Jupiter zerre an ihr.
Kateen blinzelte gegen die Tränen in ihren Augenwinkeln an.
Trotz seiner Schönheit hasste sie den Planeten.
Jupiter hatte ihre Eltern getötet, und deshalb war sie wieder hier. Sie würde auch im nächsten Jahr kommen und im übernächsten. Nicht mehr offiziell, denn diese Möglichkeit hatte sie sich übereifrig verbaut, doch ihr Urlaubsziel war ihre Privatsache.
Der eigenartige Schwindel wollte diesmal nicht weichen. Vorübergehend war ihr sogar, als verlöre sie den Boden unter den Füßen.
Kateen breitete die Arme aus, um das Gleichgewicht zu halten. Das Gefühl, dem Gasriesen entgegenzufallen, ließ ihren Atem stocken.
Einige Sekunden später war alles vorbei.
Jupiter starrte auf sie herab wie ein drohend glotzendes Auge. Rund fünfmal größer als der irdische Mond von der Erde aus gesehen, hing der Planet über ihr. Er war ein Zyklop. Ein Ungeheuer. Aber beileibe nicht der Göttervater der terranischen Mythologie.
»Ich hole mir dein Geheimnis!« Wie eine Verwünschung stieß Kateen Santoss den Satz hervor.
Vor achtzehn Jahren hatte sie sich geschworen, dass sie die Arbeit ihrer Eltern fortsetzen würde. Erst sechzehn war sie beim Tod ihrer Eltern gewesen, und nicht einmal im Traum hätte sie zuvor daran gedacht, lemurische Geschichte und Archäologie zu studieren. Von einem Tag zum nächsten hatte sich damals ihr Leben um hundertachtzig Grad gedreht.
Eine starke Erschütterung durchlief das Eis. Kateen taumelte. Ob gewollt oder nicht, sie machte einige Schritte auf die Barriere zu.
Große Eisschollen drückten hier gegeneinander, hatten sich bis zu fünfzig Meter hoch aufgeschoben und ineinander verkeilt. Ein schroffer Wall war entstanden, eine imposante Kulisse aus kantigen Blöcken, Absplitterungen und scharfen Graten. Zum Teil glänzten die Bruchflächen wie poliert. In unzähligen Facetten spiegelte das aufgebrochene Eis Jupiters Wolkenwirbel. Dazwischen schimmerten matte Bereiche in allen nur denkbaren Schattierungen.
Keine fünfhundert Meter weit erstreckten sich die Verwerfungen. Sie wirkten, als hätte sich das Eis erst vor wenigen Wochen oder Monaten bewegt. Tatsächlich indes hatte es hier keinerlei Veränderungen gegeben, seit Menschen zum ersten Mal die Ebene vermessen hatten.
Vielleicht existierte die Barriere seit der Zeit der Lemurer. Genau dieser Gedanke hatte Kateen dazu bewegt, die Nähe des Gleiters zu verlassen. Sie argwöhnte, dass die Verwerfung während des mörderischen Kriegs der Ersten Menschheit gegen die Bestien entstanden war.
Eine neue Erschütterung durchlief den Untergrund.
Sofort war der tobende Kopfschmerz wieder da. Alles um Kateen herum schien in Bewegung zu geraten. Sie riss die Hände hoch, wollte sich die Schläfen massieren, aber der Helm hinderte sie daran. Gurgelnd sank sie auf die Knie.
Ein dumpfes Rumoren dröhnte in ihren Ohren. Es war ein bedrohlich wirkendes Grollen, dessen Ursprung sie kaum lokalisieren konnte. Allem Anschein nach stieg es aus der Tiefe des Mondes herauf.
Ein Knistern und Knacken mischte sich hinein.
»Das Eis bricht!«, warnte Kateen. In dem Moment dachte sie gar nicht daran, dass niemand ihren Ruf hören konnte.
Sie hätte wenig später nicht einmal zu sagen vermocht, wie lange sie schon auf dem Eis kniete. Jupiter starrte noch immer auf sie herab. Die tiefschwarzen Schatten zweier seiner Monde sahen aus, als habe jemand Löcher in die quirlige Wolkendecke gestanzt.
Der Boden zitterte. Kateen stützte sich mit den Händen ab. Sie krallte die Finger ins Eis und wusste zugleich, dass sie sich nicht lange würde halten können. Sie verwünschte die Tatsache, dass ihr Schutzanzug über kein Flugaggregat verfügte.
Ganymeds Oberfläche bestand aus einem dicken Eispanzer. Darunter lagen Hunderte Kilometer weiches Wassereis, das tektonische Verspannungen kaum mehr aufkommen ließ. Früher, als Ganymeds Umlaufbahn sehr elliptisch gewesen sein musste, hatten starke Gezeitenkräfte sein Aussehen geprägt. In den zurückliegenden Jahrhunderttausenden aber war der größte Mond des Sonnensystems wohl nur noch von gelegentlichen Asteroiden- und Kometeneinschlägen erschüttert worden. Mittlerweile standen Robotjäger bereit, um alle kosmischen Vagabunden abzufangen, die in bedrohliche Nähe kamen. Das Beben konnte somit unmöglich die Folge eines Asteroidenaufschlags sein.
Wenn nun Erschütterungen auftraten, kamen wohl nur wenige Ursachen dafür in Betracht ...
Lemurische Hinterlassenschaften! Beinahe hätte Kateen die Vermutung laut...
| Erscheint lt. Verlag | 21.7.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Perry Rhodan - Jupiter |
| Verlagsort | Rastatt |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Gift • Jupiter • Perry Rhodan • PR Mini-Serie • Science Fiction • Tau-acht |
| ISBN-10 | 3-8453-5015-6 / 3845350156 |
| ISBN-13 | 978-3-8453-5015-8 / 9783845350158 |
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