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Pretty Baby - Das unbekannte Mädchen (eBook)

Thriller

***

(Autor)

eBook Download: EPUB
2016 | 1. Auflage
384 Seiten
Harpercollins (Verlag)
9783959679701 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Pretty Baby - Das unbekannte Mädchen - Mary Kubica
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Schon immer hat Heidi Wood sich gern um andere gekümmert. Doch als sie eines Tages ein mysteriöses obdachloses Mädchen und deren Baby mit nach Hause bringt, geht sie zu weit! Heidis Mann Chris hat Angst um seine Tochter - und um seine Frau. Denn sie beginnt sich zu verändern, scheint immer mehr in den Bann des unbekannten Mädchens zu geraten.
Chris beginnt zu recherchieren und stößt auf ein schreckliches Geheimnis. Aber um seine Frau und seine Tochter zu retten, scheint es schon zu spät zu sein ...
'Das geht unter die Haut!'
The Sun
'Ich kann kaum erwarten, was Mary Kubica als nächstes einfällt.'
Heather Gudenkauf, New York Times-Bestsellerautorin
'Ein großartiger psychologischer Thriller ... atemberaubend!'
Publishers Weekly
'Dieses Buch gibt allen Schlaflosen endlich einen guten Grund, die ganze Nacht wach zu bleiben.'
Kirkus Reviews



<p>New York Times- und USA Today-Bestsellerautorin Mary Kubica hat einen Bachelor of Arts an der Miami University in Oxford, Ohio, in Geschichte und Amerikanische Literatur. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern außerhalb von Chicago.</p>

HEIDI


Als ich sie das erste Mal sehe, steht sie auf dem Bahnsteig an der Fullerton Station und hält in ihren Armen fest umklammert einen Säugling. Sie schützt sich und das Baby, als der Schnellzug der Violetten Linie vorbeibraust, hinaus zur Linden Station. Es ist der 8. April, wir haben neun Grad und Regen. Wohin man sieht, stürzt der Regen, gepeitscht vom wütenden Wind, vom Himmel hernieder. Ungünstiger Tag für die Frisur.

Das Mädchen trägt eine Jeans, die am Knie zerrissen ist, und eine dünne Jacke aus Nylon, NATO-oliv. Sie hat weder eine Kapuze noch einen Schirm, vergräbt das Kinn in der Jacke und blickt starr geradeaus, während der Regen sie durchtränkt. Die Umstehenden ziehen unter ihren Schirmen die Köpfe ein. Niemand bietet ihr an, seinen Schirm mit ihr zu teilen. Das Baby, wie ein kleines Känguru im Beutel in die Jacke der Mutter gestopft, ist ruhig. Aus der Jacke schauen die Zipfel einer versifften rosafarbenen Fleecedecke hervor. Das Baby ist, wenn ich richtig sehe, ein Mädchen. Völlig durchgefroren schläft es tief und fest, mitten in dieser Umgebung, die mir wie das absolute Chaos erscheint, dazu das Dröhnen der vorbeirasenden „L“, wie die Hoch- und U-Bahn Chicago Elevated kurz genannt wird.

Neben den Füßen des Mädchens, die in vollkommen durchweichten Schnürstiefeln stecken, steht ein altmodischer Lederkoffer, braun und abgewetzt.

Sie kann nicht älter als sechzehn sein.

Sie ist dünn. Unterernährt, sage ich mir, aber vielleicht einfach nur dünn. Ihre Kleider hängen an ihr herunter, die Jeans schlabberig, die Jacke zu groß.

Auf der Anzeige der regionalen Verkehrsgesellschaft, der Chicago Transit Authority, wird ein Zug angekündigt, und die Braune Linie fährt ein. Eine Traube aus morgendlichen Berufspendlern drängt ins Warme und Trockene des Zugs, das Mädchen jedoch rührt sich nicht vom Fleck. Ich zögere kurz – habe das Gefühl, irgendetwas tun zu müssen –, steige aber dann doch in den Zug wie all die anderen Untätigen, stehle mich auf einen freien Platz und sehe aus dem Fenster, während sich die Türen schließen und wir davongleiten und das Mädchen mit dem Baby im Regen stehen lassen.

Aber sie lässt mich den ganzen Tag nicht los.

Ich fahre in den Loop, den Hochbahnring, der den Kern der Innenstadt Chicagos umschließt, bis zur Adams/Wabash Station, schiebe mich hinaus, die Treppe hinunter und auf die nasse Straße, wo an jeder Ecke der säuerliche Geruch von Abwasser in der Luft liegt und Tauben ihre schwindelerregenden Kreise ziehen, zwischen Mülltonnen, Obdachlosen und Millionen von Großstadtbewohnern hindurch, die im Regen von A nach B hasten.

Zwischen Meetings über Erwachsenenalphabetisierungsraten, der Vorbereitung von Abiturprüfungen für Kandidaten aus dem zweiten Bildungsweg und dem Englischunterricht für einen Mann aus Mumbai denke ich viel über das Mädchen und das Kind nach, stelle mir vor, wie sie einen Großteil des Tages damit totschlagen, auf dem Bahnsteig zu stehen und zuzusehen, wie die „L“ ein- und ausfährt. Im Geiste erfinde ich Geschichten. Es ist ein Kolik-Baby und schläft nur, wenn man es in Bewegung hält. Die Vibration des einfahrenden Zuges ist der Schlüssel dazu, dass das Baby ruhig schläft. Der Regenschirm des Mädchens – ich stelle mir vor, dass er hellrot und mit auffälligen goldenen Gänseblümchen bedruckt war – wurde von einem heftigen Windstoß gepackt und nach außen gestülpt, wie es an solchen Tagen gerne passiert. Dabei ist er kaputtgegangen. Der Schirm, das Baby, der Koffer: Das war mehr, als sie mit ihren zwei Armen tragen konnte. Natürlich konnte sie schlecht das Baby zurücklassen. Und den Koffer? Was war in diesem Koffer, das wichtiger war als ein Regenschirm an einem solchen Tag? Vielleicht stand sie den ganzen Tag da und wartete. Vielleicht wartete sie gar nicht auf eine Abfahrt, sondern auf eine Ankunft. Oder vielleicht war sie ja auch nur Sekunden nachdem die Braune Linie außer Sichtweite war, in die Rote Linie eingestiegen.

Als ich am Abend zurückkomme, ist sie weg. Chris erzähle ich nichts davon, denn ich weiß, was er sagen würde: Na und?

Ich sitze mit Zoe am Küchentisch und helfe ihr bei ihren Mathehausaufgaben. Zoe sagt, sie hasst Mathe. Was mich nicht sehr überrascht. Momentan hasst Zoe so ziemlich alles. Sie ist zwölf. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube mich zu erinnern, dass meine „Ich hasse alles“-Phase wesentlich später eintrat, mit sechzehn oder siebzehn. Aber heutzutage fängt ja alles früher an. Ich ging in den Kindergarten, um zu spielen und das Abc zu lernen. Zoe ging in den Kindergarten, um lesen zu lernen und technisch versierter zu werden als ich. Jungen und Mädchen kommen früher in die Pubertät, in manchen Fällen bis zu zwei Jahre früher als in meiner Generation. Zehnjährige besitzen Handys, sieben- und achtjährigen Mädchen wachsen Brüste.

Chris isst zu Abend und verschwindet dann, wie immer, in seinem Büro, um so lange über sterbenslangweiligen Tabellen zu brüten, bis Zoe und ich zu Bett gegangen sind.

Am nächsten Tag ist das Mädchen wieder da. Und wieder regnet es. Wir haben erst die zweite Aprilwoche, und schon sagen die Meteorologen Rekordregenfälle für den Monat voraus. Der nasseste April seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, heißt es. Gestern meldete der Flughafen O’Hare fünfzehn Millimeter Niederschlag an einem einzigen Tag. Allmählich beginnt das Wasser in die Keller zu tröpfeln und sich in den Senken der tief gelegenen Straßen in der Stadt zu sammeln. Flüge wurden abgesagt und verschoben. Im April Regen bringt dem Mai Segen, rufe ich mir ins Gedächtnis. Für den Weg zur Arbeit hülle ich mich in einen cremefarbenen, wasserdichten Anorak und steige in ein paar Gummistiefel.

Sie trägt dieselben zerrissenen Jeans, dieselbe NATO-grüne Jacke, dieselben Schnürstiefel. Der altmodische Koffer ruht zu ihren Füßen. Sie fröstelt im rauen Wind, das Baby windet sich unruhig. Sie wippt das Kind auf und ab, auf und ab, und auf ihren Lippen lese ich ein Schsch. Neben mir höre ich Frauen, die unter übergroßen Golfschirmen ihren brühheißen Kaffee schlürfen: Die sollte nicht mit dem Baby draußen sein. An einem Tag wie heute, lästern sie. Was stimmt mit diesem Mädchen nicht? Hat das Baby denn kein Mützchen?

Der Schnellzug der Violetten Linie rauscht vorbei. Die Braune Linie rollt ein, und die Untätigen bewegen sich in einer Reihe hinein wie Waren auf einem Fließband.

Wieder verharre ich, will irgendetwas tun, aber ohne aufdringlich oder beleidigend zu wirken. Die Grenze zwischen hilfsbereit und respektlos ist hauchdünn, und ich will sie auf keinen Fall über-schreiten. Es könnte eine Million Gründe geben, weshalb sie mit dem Koffer und dem Baby auf dem Arm da im Regen steht, eine Million andere Gründe als der eine nagende Gedanke, der in meinem Hinterkopf umhergeistert: dass sie obdachlos ist.

Ich arbeite mit Leuten, die häufig von Armut geplagt sind, hauptsächlich Immigranten. Die Alphabetisierungsstatistiken in Chicago sind trostlos. Bei über einem Drittel der Erwachsenen ist die Lese- und Schreibfähigkeit auf niedrigstem Niveau, sprich: Sie können keine Bewerbungsformulare ausfüllen. Sie können keine Anweisungen lesen und wissen nicht, welche Haltestelle der „L“ ihre ist. Sie können ihren Kindern nicht bei den Hausaufgaben helfen.

Die Gesichter der Armut sind hässlich: ältere Frauen, die zusammengerollt auf Parkbänken liegen, ihr Hab und Gut in einem Einkaufswagen herumschieben, den Müll nach Essen durchstöbern. Männer, die sich an den kältesten Januartagen gegen die Wände von Hochhäusern pressen, ein Pappschild an ihren reglosen Körper gelehnt: Bitte helfen. Hunger. Gott Sie segnen. Die Opfer der Armut leben in minderwertigen Behausungen, in gefährlichen Gegenden. Ihre Lebensmittelversorgung ist bestenfalls unzulänglich, oft hungern sie. Sie haben kaum oder gar keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, notwendigen Impfungen. Ihre Kinder besuchen unterfinanzierte Schulen, entwickeln Verhaltensauffälligkeiten, werden Zeugen von Gewalt. Unter anderem besteht eine höhere Gefahr, dass sie sich in jungen Jahren auf sexuelle Aktivitäten einlassen – und so geht der Kreislauf von vorne los. Mädchen im Teenageralter bekommen Babys mit zu niedrigem Geburtsgewicht, werden medizinisch schlecht versorgt, haben oft keinen Impfschutz, die Kinder werden krank. Und sie hungern.

Zwar sind in Chicago vor allem Schwarze und Hispano-Amerikaner von Armut betroffen, aber das spricht nicht gegen die Tatsache, dass auch ein weißes Mädchen arm sein kann.

All das geht mir in dem Sekundenbruchteil durch den Kopf, in dem ich mich frage, was ich tun soll. Dem Mädchen helfen. In den Zug steigen. Dem Mädchen helfen. In den Zug steigen. Dem Mädchen helfen.

Aber zu meiner Überraschung steigt nun das Mädchen in den Zug. Sie schlüpft durch die Tür, Sekunden vor der automatischen Ansage – ding, dong, die Türen schließen – und ich folge ihr, gespannt, wo wir wohl hinfahren, das Mädchen, ihr Baby und ich.

Das Abteil ist überfüllt. Ein Mann erhebt sich von seinem Platz, den er höflich dem Mädchen anbietet, ohne ein Wort, sie nimmt an und rutscht auf die Metallbank neben einen dubios wirkenden Geschäftsmann mit langem schwarzen Mantel, der auf das Baby blickt, als käme es vom Mars. Die Pendler vertreiben sich die Fahrtzeit mit ihren Handys, ihren Laptops und anderen technischen Spielereien, sie lesen Romane, die Zeitung, das morgendliche Briefing. Kaffeetrinkend starren sie aus dem Fenster auf die Skyline der Stadt und träumen sich in diesen tristen Tag...

Erscheint lt. Verlag 18.7.2016
Übersetzer Nele Junghanns
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bedrohung • Geheimnis • Mysteriös • Obdachlos • Thriller
ISBN-13 9783959679701 / 9783959679701
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