Der Leichnam eines Mannes wird auf den Schienen einer aufgegebenen U-Bahn-Station gefunden. Der Tote wird als Neville Unruh Sealman identifiziert. Er arbeitete in einem Ingenieursbüro in Chicago und galt als fleißig, aber ungesellig. Seine Obduktion liefert ein unglaubliches Ergebnis: Sealman war kein Mensch. Der Alien musste sich jahrelang unerkannt auf der Erde durchgeschlagen und in einer primitiven, gewalttätigen Gesellschaft jeden Tag um sein Überleben gekämpft haben. Anscheinend gehörte er zur Crew eines abgestürzten Raumschiffes. Doch war er der einzige Überlebende?
Algis Budrys wurde 1931 im ostpreußischen Königsberg geboren und war nach seinem Studium in Miami und New York als Lektor und Verleger tätig. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Sachbücher. Seine Romane wurden für den Hugo und den Nebula Award nominiert, der Roman Zwischen zwei Welten war Vorlage für den Kinofilm Der Mann aus Metall. Algis Budrys starb 2008 in Evanston, Illinois.
Ein Vorfall an einem frühen Abend im März
Mullica sah Selmon nie am Wochenende in Shoreview. Margery ging gerne zum Shopping in die großen Einkaufszentren in Old Orchard und Golf Mill; Mullica hatte eine Mitgliedskarte des Millionaires' Club, und manchmal saßen sie dort nach dem Einkaufen und nippten an einem Wein. Manchmal hatte Mullica dabei Gelegenheit, einfach nur über Margerys Schulter zu starren und über alles Mögliche nachzudenken. Dabei dachte er gelegentlich an Selmon. Mullica fragte sich, ob er sich am Wochenende in seiner Wohnung versteckte und ob er eine Frau gefunden hatte, und, wenn das der Fall sein sollte, wie sie miteinander auskommen würden. Er fragte sich, ob Margery sie eines Tages zufällig treffen würde und sie sich zufällig so gut miteinander anfreunden würden, dass sie über ihre Ehemänner sprachen. Aber das erschien ihm wenig wahrscheinlich; Margery vertrug sich nicht mit Frauen.
Und dann war es früher März, zweiundvierzig Monate nach Selmons Auftauchen. Mullica stand auf dem Bahnsteig; er hatte die Hände tief in den Taschen vergraben. Es war ein kalter, unwirtlicher Tag. Er sah zu, wie Selmon hartnäckig seine Zeitung entfaltete und sie gegen den Wind aufhielt, während er zu lesen begann. Dann, gerade als der Zug in den Bahnhof einfuhr, sah Selmon etwas in der Zeitung, das ihn veranlasste, den Kopf in Mullicas Richtung zu wenden. In der Dämmerung erschien Selmons Gesicht wie ein weißer Fleck. Es drückte Bestürzung aus; sein Mund war ein dunkles, offenes Oval, und für einen Augenblick glaubte Mullica, dass Selmon gespürt hatte, dass ein Blutgefäß in seinem Gehirn geborsten war.
Der Zug fuhr ein, und Mullica stieg in den üblichen Wagen. Er ging den Gang hinunter und setzte sich auf einen Sitz am Fenster. Er blickte auf Selmons Platz, als der Zug daran vorbeifuhr; dachte, dass er vielleicht Selmon zusammengekrümmt inmitten einer Menschenmenge liegen sehen würde, aber er war nicht dort.
Mullica legte die Aktentasche über die Knie und entfaltete die Zeitung. Er saß dort und las die Zeitung von hinten nach vorne, wie er es immer tat, während der Zug den Fluss zum Merchandise Mart überquerte. Er hörte mit dem Lesen auf, um den Fluss entlang nach Osten zu blicken, wie er es immer tat, zu jeder Jahreszeit, um das sich ändernde Licht auf den Gebäuden, dem Wasser und dem Horizont zu genießen. Die Gebäude am Flussufer verwandelten sich gerade in Schachteln, in denen sich das Licht niederließ. Das Glas in den oberen Stockwerken reflektierte die letzten absterbenden rosa Streifen des Sonnenuntergangs, und die Sterne begannen in dem purpurschwarzen Himmel über dem See zu erscheinen.
Auf Seite zwei fand er diesen Bericht:
Prä-Astronauten nicht ganz so vorzeitlich?
»Ding« in Jersey-Sumpf ist Untertasse, behauptet Experte
PHILADELPHIA, 9. MÄRZ (AP) — Arbeiter haben bei der Entwässerung eines Sumpfs in New Jersey möglicherweise ein Raumschiff gefunden, erklärte der Wissenschaftler Allen Wolverton heute.
Die Behörden vor Ort dementierten unverzüglich, dass das Sumpfland, welches als Bauland erschlossen wird, irgendwelche Geheimnisse birgt.
Die lokalen Behörden gaben zu, dass ein kuppelförmiges Objekt aus Metall mit einem Durchmesser von fünfzig Fuß aus dem Küstenboden gezogen wurde, der dort trockengelegt wird. Sie wiesen aber sofort darauf hin, dass die Sümpfe auf eine lange Besiedlungsgeschichte zurückblickten. Die Sümpfe gelten als das letzte verbliebene ländliche Gebiet an der Ostküste zwischen Boston und Virginia.
Die Gegend ernährte während der Kolonialzeit als Zentrum der blühenden »Sumpfeisenindustrie« eine wohlhabende Bevölkerung. Örtliche Experten verwiesen auf diese Industrie als wahrscheinlichste Erklärung für die Herkunft des Objekts und vermuten, dass es sich um eine Art Maschine oder einen Lagerbehälter handelt.
»Es gab dort einmal ganze Städte und Postkutschenstationen«, sagte Henry Stemmler, der Betreiber eines Lebensmittelgeschäfts an einer nahen Kreuzung. »Große Verladehöfe für Gütertransporte und so weiter. Die Sümpfe sind voll mit allem möglichen alten Zeug.«
Dem widerspricht Allen Wolverton, Dozent am Franklin Planetarium in Philadelphia. »Unsere Erde ist nur einer unter Tausenden bewohnbaren Planeten«, erklärte er. »Statistisch gesehen muss unsere Galaxis andere intelligente Spezies beherbergen. Es wäre unvernünftig anzunehmen, dass nicht einmal eine davon uns besucht und heimlich unsere Entwicklung beobachtet: entweder zu einer aufgeklärten Gesellschaft des Friedens und der Liebe oder zur totalen Selbstzerstörung.«
Ein verschwommenes Foto erstreckte sich über zwei Spalten. Es zeigte zwei Männer, die in irgendeinem Unterholz standen und ein gekrümmtes, aus dem Boden hervorragendes Gebilde anstarrten. Klare Merkmale waren nicht zu erkennen, und der Umriss des Objekts wurde dadurch verwischt, dass es mit der eckigen Form eines Schwimmbaggers im Hintergrund verschmolz. Das Ding hätte alles Mögliche sein können – der Deckel eines großen Silos, Teil eines unterirdischen Öltanks oder das Ergebnis der Arbeit eines Retuscheurs. In der Tat war offenkundig, dass der Bildredakteur der Zeitung zum Schluss gekommen war, dass das telegrafierte Foto im Druck schlecht herauskommen würde, und er seinen Zeichner beauftragt hatte, die Umrisse nachzuzeichnen und die Flächen zu füllen. Das Resultat unterschied sich deshalb erheblich von der Realität.
Mullica las die anderen Artikel auf der Seite und der gegenüberliegenden Seite und blätterte um.
Es war Nacht geworden, als der Zug an der Borrow Street Station ankam – es herrschte vollkommene Dunkelheit, gegen die lediglich ein paar noch funktionierende Glühbirnen in abgeplatzten Emaillampen ankämpften und versuchten, den vom Winter durchnässten, verrottenden alten Holzbahnsteig auszuleuchten.
Es geht alles zum Teufel, dachte Mullica. Niemand hält mehr irgendetwas in Stand, was nicht absolut lebenswichtig ist, aber der Fahrpreis geht immer weiter rauf.
Der Bahnhof war, außer während der morgendlichen Stoßzeit in Richtung Süden, unbesetzt. Die Zementstufen, die vom Bahnsteig zur Straße führten, glichen einer über ein Dutzend Meter langen Kiesrutsche, aus der die rostzerfressenen, gebrochenen Armierungsstangen herausragten. Die Stangen boten den besten Halt.
Mullica schloss sich den anderen Aussteigenden an und ging in Richtung der Ausgänge in der Mitte des Bahnsteigs. Sie hatten alle den Kopf gesenkt, kauerten sich zusammen, um sich vor dem Wind zu schützen, und konzentrierten sich darauf, durch das Drehkreuz des Tors zu kommen und einen gangbaren Weg die Treppe hinauf ausfindig zu machen. Und dann, weil er das Ganze nicht vollständig aus seinen Gedanken verbannen konnte und sich seine Haut unter den Körperhaaren spannte, überkam ihn das Gefühl, den Kopf umwenden zu müssen. Als er das tat, sah er Selmon, der noch an derselben Stelle stand, an der er ausgestiegen war, und seine Zeitung halb in Mullicas Richtung erhoben hatte. Seine Erscheinung wurde in kurzen Abständen von den Lichtern des abfahrenden Zuges erhellt. Mullica sah, dass er einen Namen rufen wollte, den keiner kannte.
Mullica hielt an. Die kleine Menschenmenge strömte ohne ihn zu beachten an ihm vorbei. Er ging zurück zu Selmon. »Sie werden uns finden!«, platzte es aus Selmon heraus. »Sie werden uns aufspüren!«
Mullica sah ihn genau an. »Wie sollten sie das anstellen?« Er wählte die Worte sorgfältig und brachte sie in die richtige Reihenfolge. Die Sprache kam nur schwer von den Lippen. Er sah zu, wie Selmon krampfhaft ein- und ausatmete; sein Mund zitterte. Er sah, dass Selmon Jahre jünger war als er – obwohl er genauso alt war – und weich. Und dennoch war der Zerfall in ihm viel weiter fortgeschritten. Man konnte es an den Schultern sehen und an der Kopfhaltung und ganz besonders auch in den Augen. Selmon griff nach seinem Arm. Seine Hand bewegte sich schneller, als man erwartet hätte, aber langsam und unsicher für einen von ihnen.
»Arvan, es wird so kommen«, beharrte Selmon. »Sie … sie haben Beweise.« Er streckte ihm die Zeitung entgegen. Mullica schenkte ihr keine Beachtung.
»Nein, Selmon«, sagte er so ruhig, wie er konnte. »Sie werden nicht wissen, was sie damit anfangen sollen. Sie können nichts daraus erfahren. Die Motoren sind geschmolzen, und wir haben die Instrumente eigenhändig zerstört, bevor wir es zurückgelassen haben, erinnerst du dich?«
»Aber sie haben die Hülle, Arvan! Echtes Metall, das man berühren, auf das man mit einem Hammer schlagen kann. Ein echtes Beweisstück. Wie können sie das einfach ignorieren?«
»Langsam, langsam. Ihre Ermittler lügen ständig ihre eigene Bevölkerung an und legen ihre Geheimnisse zu den Akten. Sie ziehen systematisch jeden ins Lächerliche, der nach uns suchen will, und verleumden ihn.« Mullica versuchte darüber nachzudenken, wie er mit der Situation umgehen sollte. Er wollte, dass Selmon zum menschenleeren Bahnsteig gegenüber ging und nach Hause zu seiner Frau fuhr. Mullica wollte nach Hause gehen; er wollte sich mit Margery zusammen einen Drink genehmigen und sich anschließend in sein Arbeitszimmer zurückziehen, um die technische Beschreibung des neuen Modells durchzugehen. Es war ungefähr fünfundzwanzig Jahre her, dass er Navigator gewesen war.
»Arvan, was sollen wir tun? Wie kannst du das ignorieren?« Selmon wollte Mullicas Unterarm nicht loslassen, und sein Griff war so fest wie der eines Epileptikers. Er spähte hinauf in Mullicas Gesicht. »Du bist alt, Arvan«, beschuldigte er ihn. »Du siehst aus wie einer von ihnen. Diese Frisur. Diese...
| Erscheint lt. Verlag | 11.7.2016 |
|---|---|
| Übersetzer | Frank Borsch |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Hard Landing |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Algis Budrys • Aliens • diezukunft.de • eBooks • E-Only • Erstkontakt • UFO |
| ISBN-13 | 9783641187156 / 9783641187156 |
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