Projekt Luna (eBook)
272 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-18775-0 (ISBN)
Wir schreiben das Jahr 1959. Satelliten entdeckten ein rätselhaftes Gebilde auf dem Mond, das jetzt unter strengster Geheimhaltung untersucht wird. Es scheint ein gewaltiges Labyrinth zu sein, das offenbar von einer außerirdischen Zivilisation errichtet wurde. Als die Wissenschaftler, neugierig geworden, das Bauwerk betreten, erwartet sie dort ein grauenvoller Tod. Der Physiker Dr. Edward Hawks und der todesmutige Abenteurer Al Barker wollen das Rätsel des Labyrinths lösen, doch so leicht gibt der Mond seine Geheimnisse nicht preis ...
Algis Budrys wurde 1931 im ostpreußischen Königsberg geboren und war nach seinem Studium in Miami und New York als Lektor und Verleger tätig. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Kurzgeschichten und Sachbücher. Seine Romane wurden für den Hugo und den Nebula Award nominiert, der Roman Zwischen zwei Welten war Vorlage für den Kinofilm Der Mann aus Metall. Algis Budrys starb 2008 in Evanston, Illinois.
1
Eines Abends im Jahr 1959 saßen drei Männer in einem Zimmer um einen Tisch. Edward Hawks, Doktor der Naturwissenschaften, stützte das Kinn in seine übergroßen Hände und stemmte die spitzen Ellbogen auf die Schreibtischplatte. Er war dunkelhaarig, hager, groß gewachsen und blass. Seine Arbeit brachte es mit sich, dass er nur selten an die frische Luft kam, sodass er Besucher unwillkürlich an eine Vogelscheuche erinnerte, wenn sie ihn neben seinen sonnengebräunten jungen Assistenten sahen. Jetzt musterte er einen jungen Mann, der ihm gegenübersaß.
Der junge Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches starrte unverwandt zurück. Sein kurz geschnittenes Haar war schweißnass und klebte strähnig an seinem Kopf. Der Schweiß rann sein ebenmäßiges Gesicht hinunter und sammelte sich unter seinem Kinn. »Und dunkel …«, sagte er unsicher, »und dunkel und nirgendwo Sterne …« Seine Stimme sank zu einem undeutlichen Murmeln herab.
Hawks sah nach rechts.
Weston, der neue Psychologe, saß dort in dem bequemen Sessel, den er sich in Hawks’ Büro mitgebracht hatte. Weston und Hawks waren etwa gleichaltrig, beide Anfang vierzig. Aber Weston war klein und untersetzt; er war sehr von sich selbst eingenommen und wirkte mit seiner schwarz umrandeten Brille weltmännischer. Jetzt war er vor allem ungeduldig. Er runzelte leicht die Stirn und zog eine Augenbraue hoch.
»Er ist tatsächlich verrückt«, stellte Hawks erstaunt fest.
Weston schlug die Beine übereinander. »Das habe ich Ihnen bereits gesagt, Dr. Hawks. Für mich stand es schon in dem Augenblick fest, als wir ihn aus Ihrer Maschine herausholten. Die Belastung war zu viel für ihn.«
»Ich weiß«, gab Hawks bereitwillig zu. »Aber ich bin für ihn verantwortlich, deshalb muss ich mir ganz sicher sein.« Er warf Weston einen nachdenklichen Blick zu. »Er war jung und kerngesund. Außergewöhnlich belastbar, meinten Sie. So wirkte er auch.« Hawks machte eine Pause. »Und sehr intelligent«, fügte er langsam hinzu.
»Ich habe gesagt, er sei belastbar«, erklärte Weston ernst. »Ich sagte nicht, er könne auch unmenschliche Belastungen ertragen. Ich habe festgestellt, dass er ein Musterexemplar der Gattung Mensch sei. Aber Sie haben ihn dorthin geschickt, wo kein Mensch hingehen sollte.«
Hawks nickte. »Sie haben natürlich recht. Es ist meine Schuld.«
»Allerdings hat er sich freiwillig dazu gemeldet«, warf Weston schnell ein. »Er hat gewusst, dass es sich um ein gefährliches Unternehmen handelte. Er hat gewusst, dass er sein Leben riskierte.«
Aber Hawks hörte ihm nicht mehr zu. Er sah wieder zu dem jungen Mann hinüber.
»Rogan?«, sagte er leise. »Rogan?«
Er beobachtete, wie sich die Lippen des jungen Mannes tonlos bewegten. Dann seufzte er und wandte sich wieder an Weston. »Können Sie ihm helfen?«
»Selbstverständlich«, antwortete Weston zuversichtlich. »Wir werden ihn einer Elektroschock-Behandlung unterziehen, bis er alles vergessen hat. Dann ist alles wieder in Ordnung.«
»Ich wusste nicht, dass eine Elektroschock-Amnesie dauerhaft ist.«
Weston sah Hawks in die Augen. »Es kann natürlich sein, dass er von Zeit zu Zeit die Behandlung wiederholen muss.«
»In regelmäßigen Abständen – für den Rest seines Lebens.«
»Das muss nicht immer sein.«
»Aber meistens.«
»Nun, ja …«
»Rogan«, flüsterte Hawks. »Rogan, es tut mir leid.«
»Und dunkel … und dunkel … Es hat mir wehgetan, und es war so kalt … so still, dass ich mich hören konnte.«
Dr. Edward Hawks schritt über den Betonfußboden des großen Hauptlabors. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und hielt den Kopf gesenkt. Sein Weg führte ihn an zahlreichen Generatoren und Konsolen vorbei, bis er, ohne einmal aufgesehen zu haben, schließlich den Empfängerteil des Materietransmitters erreicht hatte.
Das Hauptlabor bedeckte eine Fläche von einigen Tausend Quadratmetern im Keller des Gebäudes der Entwicklungsabteilung von Continental Electronics. Vor einem Jahr, als Hawks den Transmitter konstruiert hatte, waren die Fußböden des Erdgeschosses und des ersten Stocks herausgerissen worden, um Raum für das Gerät zu schaffen, das jetzt bis an die Decke ragte. An seiner Außenseite führten in regelmäßigen Abständen Stege entlang, von denen aus die Wartungsarbeiten durchgeführt wurden. Brücken mit Gitterböden liefen von dort aus zu den Galerien entlang der Wände, auf denen sich die Instrumente befanden. Dutzende von Männern aus Hawks’ Stab waren mit Abschlusstests beschäftigt, bevor sie die Maschinen für heute stilllegten. Die grellen Deckenleuchten ließen lange Schatten entstehen, die ein bizarres Muster auf dem Boden bildeten, wenn sie über die Brücken liefen.
Hawks legte den Kopf zurück und starrte den Transmitter nachdenklich an. »Ed!«, rief jemand hinter ihm, und er sah sich um.
»Hallo, Sam.« Sam Latourette, sein erster Assistent, hatte sich leise genähert. Er war ein grobknochiger Mann mit schwammigem Fleisch und dunkel umrandeten, tief liegenden Augen. Hawks lächelte ihn müde an. »Die Leute sind wohl schon fast mit ihrem post mortem fertig, was?«
»Du bekommst morgen einen ausführlichen Bericht. Die Maschinen haben tadellos gearbeitet. Alles in bester Ordnung, Ed.« Latourette wartete offensichtlich darauf, dass Hawks Interesse zeigen würde. Aber der nickte nur und starrte weiter in die Höhe. Latourette räusperte sich.
»Ja, Sam?«
»Hör auf damit, Ed. Du machst dich nur selbst fertig.« Wieder wartete er auf Hawks’ Reaktion, aber als sie ausblieb, fasste er Hawks am Arm. »Glaubst du, ich wüsste nicht genau, was in dir vorgeht? Wie lange arbeite ich jetzt schon mit dir zusammen? Zehn Jahre! Wer hat mich angestellt? Wer hat mich ausgebildet? Du kannst sie alle an der Nase herumführen – aber mich nicht!« Latourette ballte die Fäuste. »Ich kenne dich! Aber – verdammt, Ed, schließlich kannst du doch nichts dafür, dass dieses Ding dort oben existiert! Was willst du eigentlich – dass keinem ein Härchen gekrümmt wird? Wovon träumst du – von einer vollkommenen Welt?«
Hawks lächelte wieder. »Wir stoßen ein Tor auf, wo nie eines gewesen ist«, sagte er und zeigte dabei auf die Maschinen, »und durchbrechen eine Wand, die wir nicht erbaut haben. Das nennt sich wissenschaftliche Forschung. Dann schicken wir einen Mann durch dieses Tor. Das ist ein Abenteuer. Und etwas auf der anderen Seite – das die Menschheit noch nie belästigt hat, das uns noch nie Anlass zur Besorgnis gegeben hat – bringt sie um. Deshalb schicke ich immer wieder neue Freiwillige. Wie nennt man das, Sam?«
»Ed, wir machen aber doch Fortschritte. Jetzt kann es nicht mehr lange dauern.«
Hawks sah ihn neugierig an.
»Jede Maschine hat gewisse Kinderkrankheiten«, sagte Latourette unsicher. »Aber damit werden wir bestimmt fertig, Ed – ich weiß es ganz sicher.«
Hawks sah nachdenklich auf die graue Hammerschlaglackierung der Maschine. »Weil wir sie nicht mehr umbringen, meinst du? Weil sie nur noch wahnsinnig werden?«
»Wir müssen nur noch ein neues Verfahren entwickeln, damit die Leute den Schock besser überstehen, den sie bekommen, wenn sie spüren, dass sie sterben. Mehr Sedativa. Irgendetwas in dieser Richtung.«
»Sie müssen trotzdem noch dorthin«, stellte Hawks fest. »Die dabei angewandte Methode macht keinen Unterschied – das Ding toleriert sie auf keinen Fall. Es ist einfach nicht für Menschen geschaffen. Der menschliche Geist wird es nie erfassen oder beschreiben können. Wir werden eine neue Sprache erfinden müssen, weil unsere dazu nicht ausreicht, und eine völlig neue Denkweise, um es verstehen zu können. Erst wenn wir es schließlich zerlegt und seine Einzelteile gesehen, gefühlt, angefasst und geschmeckt haben, werden wir vielleicht mutmaßen können, was es wirklich ist. Aber das können wir erst, wenn wir mit unseren Untersuchungen durch sind. Und was bringt dieses neue Wissen den Männern, die heute dafür sterben müssen? Wer auch immer es da oben platziert hat, aus welchen Gründen auch immer – wir Menschen werden nicht in der Lage sein, in diesem Ding zu leben, bis wir es nicht gänzlich verstanden haben. Wie kann man das in klarem Englisch ausdrücken, sodass jeder normale Mensch es verstehen kann? Wir haben es mit einem monströsen Ding zu tun. Entweder beginnen wir in gewisser Beziehung ebenfalls wie Monstren zu denken – oder wir geben unsere Versuche auf und lassen es dort oben auf dem Mond, ohne uns weiter darum zu kümmern.«
Latourette warf ihm einen ungläubigen Blick zu. »Willst du die Versuche etwa einstellen lassen?«
Hawks sah ihn stumm an.
Latourette fasste Hawks am Arm. »Cobey. Hat er dir die Anweisung gegeben, die Versuchsreihe abzubrechen?«
»Cobey kann nur Anfragen machen«, stellte Hawks richtig. »Ich bin ihm keineswegs unterstellt.«
»Aber er ist der Präsident von Continental Electronics, Ed!...
| Erscheint lt. Verlag | 11.7.2016 |
|---|---|
| Übersetzer | Wulf Bergner |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Rogue Moon |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Alien-Artefakt • diezukunft.de • Doppelgänger • eBooks • Golden Age • Meisterwerke der Science Fiction • Mondladung |
| ISBN-10 | 3-641-18775-3 / 3641187753 |
| ISBN-13 | 978-3-641-18775-0 / 9783641187750 |
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