Krähenmutter (eBook)
288 Seiten
Piper Verlag
9783492975421 (ISBN)
Catherine Shepherd, geboren 1972, stammt ursprünglich aus Berlin und lebt heute mit ihrer Familie in Zons am Rhein. Nach dem Abitur studierte sie Wirtschaftswissenschaften und arbeitete anschließend bei einer großen Bank. Doch ihre Leidenschaft für Kreativität und Phantasie trat immer stärker hervor, bis sie eines Tages zum Stift griff und ihren ersten Thriller schrieb. Seitdem hat sie schon mehr als zwei Millionen Leser mit ihren Büchern begeistert.
Catherine Shepherd, geboren 1972, stammt ursprünglich aus Berlin und lebt heute mit ihrer Familie in Zons am Rhein. Nach dem Abitur studierte sie Wirtschaftswissenschaften und arbeitete anschließend bei einer großen Bank. Doch ihre Leidenschaft für Kreativität und Phantasie trat immer stärker hervor, bis sie eines Tages zum Stift griff und ihren ersten Thriller schrieb. Seitdem hat sie schon eine Million Leser mit ihren Büchern begeistert.
I
Laura war wieder gefangen. Dicke Taue schlangen sich um ihre Knöchel und zogen sie unbarmherzig in die Tiefe. Ihre Lungen brannten und sie musste ihre gesamte Kraft aufbringen, um die Luft weiterhin anzuhalten. Sobald sie den Mund öffnete, würde das eiskalte Wasser in ihre Atemwege eindringen und sie ersticken. Laura strampelte panisch mit den Beinen. Tief unter ihr waren die verrosteten Eisengitter noch zu erahnen, die in den Grund des Sees gerammt waren. Sie hatte es die ganze Strecke bis hierher geschafft. Nur noch wenige Meter trennten sie von der Wasseroberfläche. Sie durfte jetzt nicht aufgeben.
Mit ihrem schmalen Mädchenkörper hatte sie sich durch den engen Kanal aus dem Gefängnis hinausgewunden. Es war ein fast übermenschlicher Akt an Willenskraft gewesen, doch schließlich hatte sie ihre schmächtige Gestalt so sehr zusammengequetscht, dass sie in das Rohr hineinpasste und sich auch noch vorwärtsbewegen konnte. Das Rohr hatte sie verborgen hinter einer Klappe in der oberen Ecke ihres Gefängnisses entdeckt. Am Anfang war es trocken gewesen, doch nach einem Knick, der in die Tiefe führte, füllte es sich mehr und mehr mit Wasser. Irgendwann musste sie die Luft anhalten und untertauchen. Das Rohr wollte einfach kein Ende nehmen. Doch Laura wusste, dass dies ihre einzige Chance auf Freiheit war, und kämpfte tapfer, bis sie eine Öffnung erreichte, die mit einem Eisengitter gesichert war. Durch einen schmalen Spalt hatte sie sich in den kalten See gezwängt.
Laura schwamm nach oben. Trotz der aufgepeitschten Wasseroberfläche konnte sie bereits den blauen Himmel sehen. Ihre Beine strampelten, die Arme ruderten. Der Druck in Lauras Oberkörper schwoll zu einem unerträglichen Schmerz an. Endlich konnte sie die Füße aus den Schlingpflanzen befreien und schoss pfeilschnell nach oben. Ihr Mund öffnete sich kurz vor der Wasseroberfläche. Ein Gemisch aus Luft und Flüssigkeit presste sich in ihre gierigen Lungen. Sie hustete und rang nach Atem.
Laura schreckte hoch und riss die Augen auf. Verwirrt starrte sie in die Dunkelheit ihres Schlafzimmers und tastete nach der Lampe auf dem Nachttisch. Der Lichtschein verjagte die Schatten ihres Albtraums. Laura war jetzt fast dreißig Jahre alt und noch immer verfolgten sie die Dämonen aus ihrer Kindheit. Mit elf Jahren war sie entführt und mehrere Tage in einem Pumpwerk gefangen gehalten worden, bevor ihr die Flucht gelang. Der Täter hatte sowohl die Gelenkigkeit als auch die Willenskraft seiner zierlichen Geisel unterschätzt. Soweit bekannt war, hatte er vor ihr schon mehrere Mädchen entführt, die jedoch nicht so viel Glück hatten wie Laura. Keine von ihnen war lebend wieder aufgetaucht. Mit zitternden Händen griff Laura unter das Kopfkissen. Das kühle Metall ihrer Dienstwaffe ließ sie erleichtert aufatmen. Mit der Waffe in der Nähe fühlte sie sich sicher. Sie zog die Hand zurück und ließ sich ins Kissen sinken. Dann tastete sie nach ihrem Schlüsselbein und ihre Finger verharrten auf den schwieligen Narben, die nach all den Jahren zu einem Netz aus unebenen Linien verwachsen waren. Bei ihrer Flucht hatte sich Laura in den Eisengittern, die die Rohranlage des Pumpwerks vor Verschmutzung schützen sollten, verfangen. Die verrosteten Metallstangen zerfetzten ihre Haut und das darunterliegende Gewebe. Laura spürte die Wunden erst, als sie das sichere Ufer erreicht hatte. Mit mehreren Operationen hatten die Ärzte versucht, ihre Haut zu retten. Doch eine Infektion machte den ersten Erfolg der Behandlung zunichte. Ein Teil der Haut musste durch ein Transplantat ersetzt werden, das von ihrem Oberschenkel entnommen wurde. Die OP-Narben waren der Grund, warum Laura nur lange Hosen und hochgeschlossene Blusen oder T-Shirts trug.
Auch wenn Laura selbst es nicht wahrnahm – sie war eine Schönheit. Ausdrucksstarke braune Augen in einem feinen Gesicht, gerahmt von blonden Locken und eine sportliche Figur. Nicht wenige Männer drehten sich auf der Straße nach ihr um. Doch Laura bemerkte von all dem nichts. Ihre Selbstwahrnehmung wurde von ihren körperlichen und seelischen Narben überschattet. Sie erlaubte sich lediglich ein bisschen Stolz auf ihren Intellekt und ihren Ehrgeiz. Immerhin hatte sie vor ein paar Jahren die Aufnahme ins Landeskriminalamt Berlin geschafft. Lauras Dezernat war für Entführungen, erpresserischen Menschenraub und Tötungsdelikte zuständig. Ihre traumatische Kindheitserfahrung machte Laura zu einer äußerst erfolgreichen Ermittlerin. Sie war außergewöhnlich einfühlsam und hatte sich durch ihre eigene Entführung eine Intuition erworben, die sie auch bei kritischen Fällen nicht im Stich ließ.
Laura fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen. Ihre Hände zitterten noch immer. Sie griff nach der Wasserflasche, die sie jede Nacht neben dem Kopfende ihres Bettes bereitstellte, und ließ die kühle Flüssigkeit in ihre Kehle laufen. Der Albtraum hatte ihre Schleimhäute ausgetrocknet. Sie schloss die Augen und atmete so lange tief durch, bis sie das Gefühl hatte, im Hier und Jetzt angekommen zu sein. Dann warf sie einen Blick auf den Wecker, dessen rot leuchtende Anzeige ein unförmiges Muster auf ihre Schlafzimmerdecke zeichnete. Es war kurz nach drei, also noch mitten in der Nacht. Laura ahnte, was nun kam. Sobald sie die Augen erneut schloss, würden die schrecklichen Bilder zurückkommen. Seufzend griff sie nach ihrem Diensthandy, ein Smartphone mit riesigem Display, und öffnete den Kalender. Die dicken roten Balken für den kommenden Tag verhießen nichts Gutes. Sie entdeckte einen neuen Termin, der für acht Uhr morgens angesetzt war. »Einsatzbesprechung« stand in fetten Buchstaben in der obersten Zeile. Verdammt, dachte Laura und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Wenn sie den Albtraum loswerden wollte, musste sie die nächsten sechzig Minuten wach bleiben. Das bedeutete allerdings, dass sie am Morgen wie ein Schluck Wasser in der Kurve hängen würde. Laura war eine echte Eule. Nichts konnte ihr den Tag mehr vermiesen als frühes Aufstehen oder zu wenig Schlaf. Andererseits brachte eine von Albträumen durchzogene Nacht auch keine Erholung. Sie zögerte kurz und traf eine Entscheidung. Sie wollte die Bilder abschütteln. Laura zog die Dienstwaffe unter dem Kopfkissen hervor, schlüpfte aus ihrem Schlafanzug und lief nackt zum Kleiderschrank. Aus der mittleren Schublade kramte sie ihre Joggingklamotten hervor und zog sie rasch an. Dann tappte sie im Halbdunkel über den schmalen Flur und stieg in ihre Joggingschuhe. Laufen war Lauras Allheilmittel. Sie war mit ihren eins fünfundsiebzig und dem schlanken Körperbau die geborene Läuferin. Sobald sie in Bewegung kam, schaltete ihr Gehirn in einen Erholungsmodus um, der alle negativen Gedanken wegfegte. Laura nannte es den Laufrausch. Durch die Konzentration auf die eigenen Schritte und eine gleichmäßige Atmung gelangte sie tatsächlich in eine Art Trance, die sich fast wie Meditation anfühlte. Leichtfüßig stieg Laura die knarrenden Holzstufen hinunter. Sie wohnte in einem typischen Berliner Altbau. Ihr Penthouse besaß eine großzügige Dachterrasse mit fantastischem Ausblick. Dies entschädigte für das teilweise heruntergekommene Gebäude, das sich im Besitz eines Immobilienfonds befand. Die getätigte Investition musste sich langfristig rechnen. Modernisierungsarbeiten waren kostspielig und wurden so lange wie möglich hinausgezögert.
Laura hatte sich trotzdem auf den ersten Blick in das Gebäude und die Wohnung verliebt. Ihr machte es nichts aus, dass es keinen Fahrstuhl gab. Sie wollte sowieso fit bleiben und lief die vielen Stufen gerne zu Fuß.
Unten angekommen warf sie einen Blick auf die Uhr. Sie schob die schwere Holztür auf, die schon seit der Errichtung des Gebäudes in den Fünfzigerjahren den Eingang des Hauses verschloss. Neben der Tür prangte eine ganze Armada von Klingelschildern. Das Gebäude beherbergte über zwanzig Parteien, deren Bewohner sich untereinander kaum kannten. Laura genoss diese Anonymität und die damit verbundenen Freiheiten. Sie konnte unbehelligt ein- und ausgehen, ohne dass sie von neugierigen Blicken verfolgt wurde.
Vor der Haustür drehte sie sich noch einmal um. Das diffuse Licht der Straßenlaternen ließ die Schatten der zahlreichen Linden auf dem porösen Putz des Gebäudes tanzen. Um diese Uhrzeit war die Straße menschenleer. Die nächste Kneipe lag mehr als drei Straßenzüge entfernt, sodass sich auch keine betrunkenen Teenager oder andere Nachtschwärmer bis hierher verirrten. Laura steckte sich die Kopfhörer ihres I-Pods in die Ohren und lief los. Sie nahm die Route, die direkt unter den Laternen entlangführte. Doch der Bürgersteig war uneben und Laura fürchtete umzuknicken. Deshalb bog sie an der nächsten Straßenecke ab und lief in den Park, der unmittelbar an das Wohnviertel grenzte. Der Weg war nicht gepflastert, er bestand lediglich aus festem Sand. Trotzdem kam er Laura ebener vor als der Bürgersteig vor ihrem Haus. Sie zog das Tempo leicht an. Die Strecke kannte sie bis ins kleinste Detail. Sie wusste genau, wie viel Zeit sie bis zum nächsten Meilenstein benötigte. Ihre Schritte, der stoßweise Atem und Lauras Herzschlag vereinigten sich zu einem einzigen dumpfen Klopfen und trugen die schrecklichen Bilder ihres Albtraumes davon.
Ihr letzter Gedanke galt der Einsatzbesprechung, die sie am nächsten Morgen um acht Uhr erwartete. Diese Termine wurden immer dann so kurzfristig angesetzt, wenn es einen ernsten Fall gab. Und wenn Laura hinzugezogen wurde, handelte es sich in jedem Fall um eine Entführung oder Geiselnahme.
Laura drehte die Lautstärke weiter auf. Später war noch genug Zeit zum Grübeln, jetzt wollte sie einfach nur den Kopf frei kriegen und danach noch ein paar Stunden Schlaf genießen. Die Musik vertrieb die Gedanken an den nächsten Morgen und...
| Erscheint lt. Verlag | 1.7.2016 |
|---|---|
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Albtraum • Belletristik • Berlin • blütenjäger • Buch • Bücher • Eric Axl Sund • Flüstermann • Gefahr • Kindesentführung • Krimi • Kriminalpolizei Berlin • LKA • Lüge • Mooresschwärze • Obsession • Pärchenmörder • Psychologischer Thriller • Psychothriller • Roman • Sebastian Fitzek • Spannung • Starke Frau • Strandlektüre • Sündenkammer • Thriller • Unterhaltung • Urlaubsbuch • Urlaubslektüre • weibliche Ermittlerin |
| ISBN-13 | 9783492975421 / 9783492975421 |
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