John Sinclair 1981 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7325-3185-1 (ISBN)
Es war wohl kaum zu zählen, welche Gestalten sich im Reich der Finsternis aufhielten. Auch ich wusste es nicht, und ich wurde immer wieder überrascht.
Wie auch in diesem Fall. Es ging um drei Verbrecher, die ihre Schäfchen ins Trockene bringen wollten. Dagegen hatte jedoch eine Person etwas, die man als Kind der Hölle bezeichnen konnte.
Es war: FANTOMA
Sie standen vor der Hütte, hielten die Augen offen und ließen ihre Blicke immer wieder über den See streifen, dessen glatte graue Fläche in der Windstille wie eine Schieferplatte aussah.
»Und?«, fragte Reno mit seiner kratzigen Stimme, die er sehr in die Länge dehnte.
»Was meinst du?«
Reno lachte. »Ob hier noch jemand kommt?«
»Keine Ahnung, aber wir haben hier einen Job, den wir durchziehen müssen.« Gesprochen hatte der zweite Glatzkopf, der auf den Namen Brigg hörte. Er und Reno waren Männer, die man engagierte, wenn man in Ruhe gelassen werden wollte. In der Branche galten sie als äußerst zuverlässig.
Die Umgebung veränderte sich. Es fiel noch keine Dämmerung über das Land, aber die Sicht wurde schlechter. Es lag daran, dass plötzlich Nebelschwaden aus dem Wasser stiegen und sich dann, als sie die Oberfläche erreicht hatten, verteilten.
»Was soll das denn?«, fragte Brigg.
»Das siehst du doch. Nebel.«
»Ja, ja, und es gefällt mir nicht.«
»Warum nicht?«
Brigg verzog die Lippen. »Wenn der Nebel stärker wird und den Bereich des Sees verlässt, dann sehen wir dumm aus.«
»Warum das denn?«
»Sei doch nicht so dämlich. Weil sich im Nebel jemand anschleichen kann, ohne gesehen zu werden.«
Reno winkte ab. »Dazu müsste erst mal jemand hier erscheinen. Und daran glaube ich nicht.«
»Dann frage ich mich, warum wir hier stehen? Nur zum Spaß, oder steckt noch was anderes dahinter?«
»Weiß ich nicht. Ich muss mal eben um die Ecke und ziehe mir eine durch die Lunge. Ich bin dann an der Rückseite.«
Briggs Blick wurde hart. »Du weißt, was du damit riskierst?«
»Wieso?«
»Man sieht die Glut einer Zigarette recht weit. Ich glaube nicht, dass du bei den Männern Unterstützung finden wirst. Das kann ich dir schwören.«
»Sie werden es nicht sehen.«
»Okay, es ist dein Job, der flöten gehen kann.«
»Ja, ja, ja. Bis gleich.«
Reno verschwand, und sein Kumpan schaute ihm nicht erst nach. Er konzentrierte sich auf den kleinen See, auf dessen Oberfläche auch weiterhin der Nebel lag. Es sah so aus, als würde er sich direkt am Wasser festklammern.
Was Brigg zuerst gedacht hatte, das traf nicht mehr zu.
Der Nebel breitete sich nach allen Seiten hin aus. Langsam, aber sicher. Und es war nicht damit zu rechnen, dass er stoppen würde. Aber ein Vorteil blieb. Es wurde nicht dunkel, und so konnte sich die Sicht nicht großartig verschlechtern.
Aus der Hütte hörte man nichts. Die dicken Holzwände schluckten den Schall und die Männer schrien sich auch nicht an. Das konnte vielleicht noch eintreten, wenn sie sich nicht einig wurden.
Vor dem Eingang der Hütte war eine Veranda angebaut worden. Die hatte Brigg verlassen und war die wenigen Schritte bis an den Rand des Gewässers gegangen. Dort stand er nun, schaute über den See und lauschte dem leisen Plätschern der Wellen, die trotz der Windstille gegen das Ufer schlugen.
Es war ruhig. Es war alles normal. Er musste sich keine Sorgen machen, und trotzdem fühlte sich Brigg in seiner Haut nicht wohl. Aber das war sein Naturell. Er war immer auf dem Sprung, auch wenn er so ruhig stand wie in diesen langen Minuten. Es gab für ihn hier keine hundertprozentige Sicherheit.
Wieder schweifte sein Blick über den See. Der Nebel war noch da. Er war auch leider nicht lichter geworden, aber er breitete sich aus und näherte sich immer mehr dem Ufer. Es würde nur noch Minuten dauern, dann würde er die Gestalt des Aufpassers erreicht haben.
Der blickte noch immer nach vorn. Er hatte einfach das Gefühl, es tun zu müssen, und eine innere Stimme hatte ihm mitgeteilt, dass nur von dort eine Gefahr kommen würde und sich nicht im Wald aufbaute, der nicht weit entfernt lag.
War da was?
Brigg schüttelte den Kopf. Er hatte bewegungslos gegen die Nebelwand gestarrt und glaubte, in ihr eine Bewegung gesehen zu haben. Es war anders als die Bewegungen, die der Nebel verursachte. Weniger geschmeidig, aber auch von der Größe her hatte der Dunst dort eine bestimmte Änderung bekommen. Es lag nicht am Nebel, dessen war sich Brigg sicher. Da musste sich etwas aus dem Wasser nach oben gedrückt haben, das sich jetzt im Nebel versteckte.
Briggs Herz schlug schneller. Er ärgerte sich darüber, konnte aber nichts tun und wartete auch weiterhin ab. Er konzentrierte sich auf die bestimmte Stelle und erkannte, dass der Nebel dort dichter geworden war und eine Kontur angenommen hatte.
Eine Gestalt!
Brigg schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht fassen. Da spielten ihm die Augen einen Streich. Wie sollte dort eine Gestalt erschienen sein? Er glaubte daran, dass er sich täuschte und rieb einige Male über seine Augen.
Dann ließ er die Arme wieder sinken und konzentrierte sich auf den Punkt.
Ja, sie war noch da. Um wen oder was es sich auch immer handeln mochte, es war und blieb vorhanden. Wenn ihn nicht alles täuschte, war es sogar näher gekommen.
Auf das Ufer zu, auf ihn – oder?
Jetzt wusste dieser abgebrühte Typ wirklich nicht, was er denken sollte. Er musste abwarten. Ärgerte sich auch darüber, dass sein Kumpel immer noch hinter der Hütte rauchte oder sonst was tat. Er war allein, und er blieb allein.
Der einsame Wächter wusste jetzt, dass er etwas erlebte, was eigentlich unmöglich war. Über dem See schwebte eine Gestalt. Sie gab keinen Laut von sich, aber sie kam immer näher, und es sah so aus, als würde der Nebel sie schieben.
Menschliche Umrisse!
Das wurde ihm erst jetzt richtig klar. Er wollte auch nicht nach irgendwelchen Erklärungen suchen und sich fragen, wie jemand über das Wasser gehen konnte. Er stand starr da und blickte der fremden Gestalt entgegen.
Brigg dachte auch nicht daran, den Leuten hinter ihm im Blockhaus Bescheid zu geben. Was hier passierte, ging nur ihn etwas an.
Ob die Gestalt ging, das sah er auch nicht. Sie kam ihm vor, als würde sie durch eine andere Kraft angeschoben. Ja, so war es. Wenig später stoppte er seine Gedanken. Jetzt konnte er nur noch starren. In diesem Moment hatte die Gestalt den See verlassen und auch den größten Teil des Nebels, so dass Brigg sie anschauen konnte.
Was er sah, war für ihn nicht nachvollziehbar …
***
Brigg glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Was da aus dem Wasser gestiegen war, das konnte es einfach nicht geben. Das war keine Nixe, kein Wesen, das sich im See verborgen hätte können und es doch gemacht hatte, aber als Mensch.
Ja, er sah einen Menschen vor sich.
Und noch etwas mehr. Eine Frau. In der Tat war dies eine Frau, die ihm da entgegen kam und der das Wasser nur mehr bis zu den Knien reichte. Noch ein paar wenige Schritte, dann hatte sie den See verlassen.
Und sie war auch nicht nackt. Sie trug einen schwarzen Mantel oder mehr einen Umhang, der vorn einen tiefen Ausschnitt zeigte, sodass die Ansätze der Brüste zu sehen waren. Aber zu diesem Umhang oder Mantel gehörte noch ein Teil.
Es war eine Kapuze. Sie war in die Höhe gestellt worden. Sie bedeckte nicht das Gesicht, das lag frei. Dafür stand der Stoff über dem Kopf sehr hoch. Und das war nur möglich, weil er von zwei möglicherweise Hörnern gehalten wurde. Sie waren nicht zu sehen, aber so musste es sein. Und dann gab es noch das Gesicht.
Es war keine Monsterfratze, gegen die Brigg schaute. Was er sah, war ein ebenmäßiges und sogar hübsches Gesicht, in dem allerdings die Augen auffielen, weil sie so starr waren. Um die Lippen herum gab es eine dünne rötliche Farbe, als wäre dort Blut eingetrocknet, aber darüber wollte Brigg nicht weiter nachdenken. Er begriff nichts mehr und schüttelte den Kopf. Er wusste auch nicht, was er unternehmen sollte. Schießen oder nicht.
Er ließ die Waffe stecken. Und er dachte daran, dass man ihm kaum glauben würde. Da musste er schon jemanden holen, der ein guter Zeuge sein würde.
Die Frau ging nicht mehr weiter. Sie blieb einfach stehen, starrte nach vorn und tat auch nichts, als Brigg den Namen seines Kumpans rief. Es war ihm auch egal, ob er im Haus gehört wurde oder nicht. Er musste mit dieser Lage fertig werden und holte jetzt unter seiner Jacke die Glock hervor.
Auf sie hatte er sich immer hundertprozentig verlassen können. Jetzt aber kamen ihm Zweifel …
***
Reno hatte sich hinter die Blockhütte gestellt und rauchte. Das war sein Laster. Länger als eine Stunde konnte er es kaum ohne den Glimmstängel aushalten. Er brauchte die Zigarette eben. Dabei war es ihm egal, ob sich jemand aufregte oder nicht.
Es gab zwar keine Finsternis, in der man die Glut hätte weit sehen können, trotzdem deckte Reno sie mit der Hand ab. Er wollte nicht, dass ihn die Männer qualmen sahen. Er hatte sich auch so hingestellt, dass er aus einem der Fenster nicht gesehen werden konnte. Es war ruhig.
Trotzdem fühlte sich Reno nicht wohl. Er wusste auch nicht, woher seine innere Nervosität stammte. Sie war da, und sie ließ sich nicht zurückdrängen.
Hier war die Sicht besser. Es gab keinen Nebel, der hielt sich weiterhin nur an der Vorderseite auf.
Brigg nahm noch einen tiefen Zug. Als der Rauch aus seinem Mund und der Nase strömte, hörte er den Ruf seines Kumpans. Er klang recht leise, war aber trotzdem zu verstehen.
Ohne Grund hatte Brigg bestimmt nicht gerufen, und so machte sich Reno auf den Weg. Wenn er an Fenstern vorbei kam, duckte er sich. Er wollte nicht gesehen werden. Noch recht locker legte er die letzten Meter zurück, bis er...
| Erscheint lt. Verlag | 28.6.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | John Sinclair |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | blutig • Clown • Gruselroman • Horror • Horror Bücher ab 18 • horror thriller • Jason Dark • Lovecraft • Paranomal • Sinclair • Slasher • Splatter • Stephen King • Steven King • Zombies |
| ISBN-10 | 3-7325-3185-6 / 3732531856 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-3185-1 / 9783732531851 |
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