Von dem einst so malerischen Städtchen Woodbury sind nur noch rauchende Trümmer übrig geblieben. Lilly und ihre Freunde haben sich in die verlassenen alten Minen unter dem Stadtgebiet zurückgezogen, wo sie zunächst in Sicherheit sind vor den Horden von Beißern, die oben durch die Straßen streifen. Doch Lilly gibt nicht auf, sie will ihr geliebtes Woodbury zurückerobern. Währenddessen entwickelt der psychotische Prediger Jeremiah, der mit seinen letzten drei Getreuen aus Woodbury fliehen musste, einen teuflischen Plan: Mit einer neuen Schar von Anhängern und einer neuen, grausigen Geheimwaffe, will er zum Schauplatz seiner Niederlage zurückkehren und an Lilly und den letzten Überlebenden von Woodbury tödliche Rache nehmen. Doch nicht einmal Jeremiah ahnt, welches Grauen er damit heraufbeschwört ...
Robert Kirkman ist der Schöpfer der mehrfach preisgekrönten und international erfolgreichen Comicserie The Walking Dead. Die gleichnamige TV-Serie wurde von ihm mit entwickelt und feierte weltweit Erfolge bei Kritikern und Genrefans gleichermaßen. Zusammen mit dem Krimiautor Jay Bonansinga schreibt er Romane aus der Welt von The Walking Dead.
Zwei
Sie nähern sich dem Gebäude von hinten an und schleichen durch eine Ansammlung erbärmlicher Eukalyptusbäume, die am Rande des Kirchengrundstücks gepflanzt sind. Jeremiah kann den ihm wohlbekannten penetranten Gestank von Menthol und Ammoniak riechen, der in der Luft liegt, während er über den mit Unkraut überwucherten Kies geht. Er bemüht sich, mit seinen großen schweren Gummistiefeln so leise wie nur möglich zu sein. Mittlerweile ist die Morgendämmerung angebrochen, sodass das Licht hinter dem einen Kirchenfenster nicht mehr zu erkennen ist. Außerdem hat sich das Zirpen der Zikaden wieder gelegt, sodass sich die Stille wie ein Sargtuch über die Landschaft gelegt hat und Jeremiah das Schlagen seines eigenen Herzens hören kann.
Er hält hinter einem Baum keine zwanzig Meter vor dem Fenster inne.
Hastig bedeutet er den beiden anderen, die sich hinter einer Eiche versteckt halten, zu ihm zu kommen. Stephen humpelt hinter dem Baum hervor und hält das Jagdgewehr mit Pistolengriff gegen seinen Solarplexus, als ob es sich um eine rudimentäre Bandage handelt. Hinter ihm erscheint Reese. Er hat die Augen weit aufgerissen, ist nervös und zuckt bei jedem Schritt vor Schmerz zusammen. Jeremiah schaut sie an und weiß, dass es sich bei ihnen nicht um die Crème de la Crème der neuen Überlebenden handelt. Auch sind sie nicht die besten Jünger, die ein großer spiritueller Anführer wie er sich wünschen kann, aber vielleicht sollte er sie in dem Licht sehen, wie sie wirklich sind: Ton, den man angesichts dieser neuen Welt, dieser Hölle auf Erden leicht umformen kann. Wie Jeremiahs Vater immer zu sagen pflegte, indem er 1. Thessalonicher 5 zitierte: »… denn ihr selbst wisset genau, daß der Tag des HERRN wird kommen wie ein Dieb in der Nacht. Denn sie werden sagen: Es ist Friede, es hat keine Gefahr, so wird sie das Verderben schnell überfallen, gleichwie der Schmerz ein schwangeres Weib, und werden nicht entfliehen.«
Jeremiah gibt ihnen ein weiteres Zeichen und deutet mit dem Zeigefinger mehrmals auf den hinteren Teil des Gebäudes.
Einer nach dem anderen nähern sich die Männer einem kleinen Anbau aus Holz – ihnen voran Jeremiah, die Pistole in beiden Händen und auf den Boden gerichtet. Mit jedem Schritt kriecht die Sonne ein Stück weiter über den Horizont, und sie merken, dass etwas im Argen liegt. Die Fenster im Rückgebäude – vielleicht das Pfarramt, das einmal dem Pfarrer gedient hat – sind mit Aluminiumfolie verhüllt. Das Fliegengitter ist aus den Angeln gerissen und die Tür dahinter kreuzweise mit Brettern verschlagen. Der Gestank von Beißern erfüllt die Luft und wird immer stärker, je näher sie kommen.
Jeremiah erreicht das Gebäude als Erster. Er stellt sich mit dem Rücken gegen die Tür und legt einen Finger an die Lippen, um den anderen zu bedeuten, dass sie keinen Ton von sich geben sollen.
Sie treten so leise wie möglich an ihn heran und vermeiden, auf den Müll und das trockene Laub zu steigen, mit dem der frühmorgendliche Wind spielt. Die beiden stellen sich mit gezückten Waffen neben dem Geistlichen auf, einer links, der andere rechts von ihm. Der Pfarrer beugt sich hinab, steckt die Hand in einen seiner verschrammten Gummistiefel und holt ein dreißig Zentimeter langes Randall-Messer hervor. Vorsichtig schiebt er die Klinge unter eines der Bretter in der Nähe des Schlosses und zieht dann ruckartig am Griff.
Die Tür zeigt sich widerspenstig. Jeremiah versucht erneut, das Brett herauszuhebeln, und er ist dabei lauter, als ihm wohl ist, hat aber keine andere Wahl. Ein Fenster einzuschlagen und einzusteigen würde nur noch mehr Aufsehen erregen. Die Nägel geben ein wenig nach, doch das knarzende, rostige Geräusch der Metallstifte scheint in der stillen Morgenluft noch lauter. Er hat keine Ahnung, was sie im Inneren des Gebäudes erwartet, aber er ist sich recht sicher, dass sich sowohl Menschen als auch Beißer dort drinnen befinden.
Beißer machen kein Feuer, und der normale Überlebende mit Zugang zu Wasser und Seife riecht nicht nach aufgewärmtem Tod.
Endlich gibt die Tür nach, und die beiden jungen Männer drängen sich mit erhobenen Waffen um den Pfarrer.
Einer nach dem anderen gehen sie hinein.
Sie befinden sich in einem leeren Raum, der von trübem gelben Licht erhellt wird und nach abgestandenem Rauch und altem Schweiß riecht. Jeremiah durchquert langsam das Zimmer. Die Holzdielen knarzen unter seinen schweren Stiefeln. Er bemerkt einen kleinen Kanonenofen, in dem verglimmende Asche liegt und der noch immer leichte Hitze ausstrahlt. Davor liegt ein geflochtener, mit altem Blut besudelter Teppichläufer auf dem Boden. In einer Ecke steht ein Zustellbett. Die Arbeitsplatte des Rollschreibtischs ist von alten Teebeuteln, Geschirr mit abgeplatzten Rändern, Verpackungen von Süßigkeiten, Klatschmagazinen und zerknautschten Zigarettenschachteln übersät.
Er geht zum Schreibtisch und mustert die Spielkarten, die in einer typischen Patience-Auslage darauf aufgedeckt sind. Es scheint ganz so, als ob jemand – höchstwahrscheinlich eine einzelne Person – den Raum vor Kurzem hastig verlassen hat. Ein Geräusch hinter einer der Türen erregt plötzlich seine Aufmerksamkeit. Er dreht sich in Windeseile herum. Reese und Stephen stehen beide auf der anderen Seite des Zimmers und blicken ihren Anführer verlegen an.
Jeremiah hebt erneut den Zeigefinger und legt ihn an die Lippen, um sie anzuweisen, keinen Mucks zu machen.
Die beiden Männer warten bei der Tür. Ihre Augen glühen förmlich vor nervöser Anspannung. Auf der anderen Seite des Türblatts hören sie jetzt ein Schlurfen, das immer lauter wird – ein sicheres Zeichen für das schleppende Hinterherziehen ungelenker Füße. Außerdem werden der Verwesungsgestank sowie der penetrante Geruch nach Methangas immer stärker. Jeremiah erkennt die Geräusche wie auch die Gerüche und liest sie wie ein Buch: es handelt sich um Beißer, die in einem Raum gefangen sind. Er dreht sich zu Stephen um, der das Gewehr in den Händen hält.
Einige wenige lautlose Gesten später versteht Stephen, dass er auf das Schloss zielen soll. Reese wird ihm als Rückendeckung zur Seite stehen. Keiner der beiden jungen Männer ist besonders angetan von dem Plan. Stephens Gesicht ist aschfahl, während Reese in Schweiß zu schwimmen scheint. Zudem haben beide schlimme Verletzungen davongetragen und leiden höchstwahrscheinlich unter inneren Blutungen. Sie scheinen nicht erfreut über die Aussicht, gegen eine unbestimmte Anzahl Beißer kämpfen zu müssen. Aber Jeremiah ist ein Anführer mit unwiderstehlichem Durchsetzungsvermögen, und allein der Blick in seinen Augen reicht, um erst gar keine Gegenwehr aufkommen zu lassen. Er hält drei Finger in die Luft und zählt sie dann ab.
Drei, zwei …
Eine blasse blaue Hand voller Schimmel erscheint plötzlich durch eine Schwachstelle im Holz.
Nichts scheint sich in Wirklichkeit so abzuspielen, wie Stephen Pembry es sich vorstellt. Als kränkelnder, dürrer Junge wuchs er in Macon, Georgia auf und führte das Leben eines unbeholfenen Tagträumers. Ständig stellte er sich seine heroischen Taten vor, wie er sich gegen Tyrannen wehrte, holde Maiden vor bösen Buben rettete und auch sonst ein tadelloses Leben führte, aber die Realität auf dem Spielplatz konnte solchen Illusionen rasch einen Riegel vorschieben, und viele Veilchen später wandte Stephen sich an Gott und an Muskeltraining, um seine Widerstandskraft gegenüber der realen Welt zu stählen. Er würde zwar nie ein Supermann werden, aber zumindest war er in der Lage, sich gegen seine Widersacher zu wehren.
Leider aber hat der Teufel die Gewohnheit, einem Hürden in den Weg zu werfen, und seit dem Tag, an dem die Seuche ausbrach, ist jeder Plan, jede Aktion Stephen Pembrys vereitelt worden. Wie zum Beispiel, als er für den Tod einer Frau in Augusta verantwortlich war oder das frische Magazin fallen ließ und es im Gulli verschwand – eine Tatsache, die ihm über Tage hinweg Schelte von Bruder Jeremiah einbrachte. Selbst jetzt glaubt Stephen, dass seine Umwelt ihm stets einen Schritt voraus ist.
Er stolpert über seine eigenen Füße, die rasch den Rücktritt antreten wollen, und fällt hin. Die Schmerzen in seinen Rippen schießen durch seinen Körper. Die Mossberg fliegt ihm aus der Hand. Im selben Augenblick bohrt sich ein weiteres Paar Hände durch die marode Tür, und Jeremiah zieht etwas aus seinen Stiefeln hervor. Stephen sieht, wie die schimmernde Klinge eines Messers durch die Luft schwebt. Selbst ein Metzger, der eine widerspenstige Schweinshaxe filetiert, hätte die grauen Extremitäten nicht schneller und entschiedener amputieren können. Jeremiah fährt mit der Klinge durch Gewebe und Knorpelmasse, bis er am Knochen ankommt, den er einfach durchsägt.
Hände fallen zu Boden wie Heckenschnitt.
Stephen kann die Augen nicht abwenden. Er versucht, sich aufzurichten. Seine Kehle schnürt sich zusammen, beginnt zu brennen und droht, den kaum vorhandenen Inhalt seines Magens auszuwerfen. Jetzt geschieht alles ganz schnell. Reanimierte Hände zappeln um Stephen wie frisch gefangene Fische auf einem Kutter. Nur langsam kommen sie zur Ruhe, als die elektrischen Impulse des reanimierten Nervensystems erschöpft sind. Stephen kann nicht mehr klar sehen, alles ist verschwommen, die Gedanken zischen in seinem Kopf hin und her, und ein Schwindelanfall ergreift ihn, als seine punktierte Lunge versucht, nach Luft zu schnappen.
Jeremiah hat bereits das auf dem Boden liegende Gewehr aufgelesen und befördert die Patronen mit einem einzigen Zucken seines Armes in den Lauf, während...
| Erscheint lt. Verlag | 13.6.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | The Walking Dead-Romane | The Walking Dead-Romane |
| Übersetzer | Wally Anker |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Robert Kirkman's The Walking Dead 6 - Invasion |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
| Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction | |
| Schlagworte | Apokalypse • eBooks • Horror • Jay Bonansinga • Robert Kirkman • Serien • The Walking Dead • TV-Serie • Untote • Woodbury • Zombies |
| ISBN-13 | 9783641184315 / 9783641184315 |
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