Jerry Cotton Sonder-Edition 27 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
9783732530892 (ISBN)
Wir bekamen es in New York mit einem Frauenmörder zu tun. Bis jetzt gab es drei Opfer, alle auf dieselbe Art ermordet. Leider konnten wir außer dieser Tatsache kein Muster erkennen. Es dauerte lange, bis Phil und ich über den entscheidenden Tathinweis eher zufällig stolperten und der lag weit in der Vergangenheit ...
1
Tina Toren lag in unnatürlicher Haltung auf dem Kies des Fußweges. Ihre weit geöffneten Augen starrten in die schwarze Unendlichkeit des nächtlichen Himmels. Die sorgfältig geschminkten Lippen klafften wie eine offene Wunde. Regenwasser lief am Genick hinab und in die weißen Ärmel. Sekunden vergingen, während der Regen leise rauschte und auf die Blätter und Stämme tropfte mit dem Geräusch einer kleinen, rasselnden Trommel.
Dann kam plötzlich wieder Leben in die Gestalt der jungen Frau. Jählings fuhr sie hoch, stützte sich auf die Handflächen und schüttelte sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Noch mitten auf dem Wege sitzend, schlug sie wütend die zierliche Faust in den Kies.
»Jetzt habe ich aber genug!«, sagte sie laut und energisch:
»Jetzt habe ich aber endgültig genug!«
Randy Standworth fuhr sich durch das klatschnasse, wellige Haar. Er war sechsundvierzig Jahre alt und galt als einer der meist versprechenden jüngeren Hollywoodregisseure. Auch im Fernsehen hatte er sich schon einen Namen gemacht. Bei der Arbeit trug er gewöhnlich eine speckige, zerknautschte Wildlederjacke, und natürlich trug er sie auch an diesem Abend des 5. April im Central Park.
»Schon gut, Tina!«, rief er aus dem Gebüsch heraus, in dem er sich vor der Kamera verborgen hatte. »Du warst großartig. Wir brauchen das nicht mehr zu wiederholen. Habt ihr gehört, Kinder? Feierabend!«
Auf einmal wurde es in dem nächtlich stillen Park lebendig. Scheinwerfer flammten auf, Filmtechniker, Beleuchter und Maskenbildner liefen durcheinander. Aus der Finsternis kam die schwarze, unheimliche Gestalt zurück und entpuppte sich als der bekannte Filmschauspieler Jim O’Connors.
Von der Eighth Avenue her kam der Darsteller des Stadtpolizisten in seinem Wettermantel. Eine Weile standen sie alle rings um Standworth, der seine Zufriedenheit mit ihrer Arbeit ausdrückte. Dann wandte sich der Regisseur um und kam auf uns zu. Mein Freund und Berufskollege Phil Decker und ich standen ein wenig abseits des Fußweges unter einer Gruppe von Bäumen, die uns auf die Dauer auch nicht vor dem Regen hatte schützen können.
»Na, die Herren von der Bundespolizei«, sagte Standworth und rieb sich zufrieden die kalten Finger, »wie seid ihr mit der letzten Szene zufrieden? Wirkt das echt?«
»Auf jeden Fall schön gruselig«, erwiderte ich. »Ob sich freilich der Frauenmörder in Boston tatsächlich so benimmt, ist eine andere Frage.«
»Lieber Himmel«, seufzte Randy Standworth, »ich habe euch gebeten, mich fachlich bei den Szenen zu beraten, in denen die Polizeiarbeit dargestellt wird. Den Mörder überlasst mir, ja? Wir haben einen Film über die Frauenmordserie von Boston gedreht, und zwar einen Film für gewöhnliches Kinopublikum, keinen Lehrfilm für eine Polizeiakademie.«
»Mich wundert es nur, dass Sie hier tatsächlich bei Nacht und Nebel gedreht haben, Standworth«, sagte Phil. »Ich denke, so etwas geht überhaupt nicht?«
»Wir haben Infrarot und ein besonderes neues Filmmaterial verwendet. Wenn sich herausstellen sollte, dass dieses neue Material eben doch nicht für solche Nachtaufnahmen geeignet ist, muss ich auf einen der Streifen zurückgreifen, die wir vorher mit der üblichen Beleuchtung gekurbelt haben. Jedenfalls bestand die Produktion darauf, dass wir das neue Material mal testen.«
»Alles in allem, Randy«, sagte ich versöhnlich, »wird es sicher ein spannender Film, der beim Publikum bestimmt gut ankommt. Dies da eben war die letzte Einstellung, ja?«
»Die letzte. Jetzt kommt noch der Schnitt, die Synchronisation für die beiden französischen Darsteller, die ich am Anfang drin habe, die Musik fürs Ganze – na ja, und dann dürfte die Nullkopie in ungefähr acht Wochen fertig sein.«
»Nullkopie?«, wiederholte ich fragend.
»So nennen wir die letzte Fassung, die nur noch von den großen Bossen genehmigt zu werden braucht. Ich habe zur Feier des Tages drüben in der 62nd Street einen kleinen Imbiss vorbereiten lassen. Und ein tüchtiger, hochprozentiger Schluck kann uns allen bei dem Wetter nur guttun. Ihr beide seid herzlich eingeladen. Im Ernst, eure Ratschläge bei den Szenen mit Polizeiarbeit haben mir sehr geholfen. Es war nett von euch, dass ihr so geduldig mit mir ausgehalten habt.«
Ich winkte ab: »Bedanken Sie sich nicht bei uns, Randy. Wir bekamen die Anweisung von unserem Hauptquartier in Washington. Jemand von euch Filmburschen muss gute Beziehungen dort haben.«
Randy Standworth lachte.
»Das hat unser Produktionschef gemanagt. Ihr kennt ihn doch?«
Ich dachte einen Augenblick nach, um den ganzen Namen zusammenzukriegen, und sprach ihn dann mit gebührender Ehrfurcht aus:
»Steve Henry George William St. James aus dem Vereinigten Königreich. Er hat uns gleich bei unserer ersten Begegnung seine Visitenkarte in die Hand gedrückt. Wie ich hörte, soll er seit dem letzten Weltkrieg in den USA hängen geblieben sein?«
»Stimmt«, bestätigte Standworth, während wir schon den Park verließen. »Er war Oberst irgendeiner Kommandotruppe, so einer tollkühnen Spezialeinheit, von der man manchmal glaubt, dass es die eigentlich nur in unseren Filmen gibt.«
»Bei der Gelegenheit«, mischte sich Phil ein, »was heißt eigentlich V. C. und D. S. O.? Es stand nämlich auch auf der Visitenkarte von Mister St. James.«
»Victoria Cross und Distinguished Service Order, wenn ich mich nicht irre«, erklärte Standworth. »Das sind hohe britische Auszeichnungen. Verglichen mit ihm ist dieser Dan W. Webster, der Mitproduzent und Zwanzig-Prozent-Geldgeber, eine völlig farblose Null. Es wundert mich nur, dass die beiden so gut miteinander auskommen. Vielleicht liegt es daran, dass sie beide Offiziere gewesen sind.«
Hinter uns klapperten hohe Absätze, und dann schob sich Tina Toren zwischen Phil und mich und hakte sich bei uns ein. Etwas atemlos verkündete sie:
»Ich bin heute sieben-, nein, achtmal erdrosselt worden. Ich habe ein Anrecht auf den Schutz der Bundespolizei.«
»Für eine achtmal erdrosselte Dame sind Sie bemerkenswert lebendig«, sagte Phil.
»Deswegen arbeite ich so gern mit Tina«, bemerkte Standworth, während wir die Achte Avenue überquerten.
»Wenn alle anderen schon fast vor der Kamera zusammenbrechen, wirkt sie noch so frisch wie am Beginn eines Vierzehn-Stunden-Drehtages. Du bist wirklich ein Wunder an Vitalität, Tina.«
»Ein wundervoller Whisky ist mir im Augenblick lieber als das wundervollste Kompliment«, erwiderte der Filmstar. »Aber tut mir einen Gefallen und verratet meinem Presseagenten um Himmels willen nicht, dass ich Alkohol getrunken habe! Der sonnige Optimist verbreitet mit unendlicher Geduld das Märchen, Tina Toren tränke niemals etwas anderes als Fruchtsaft oder Milch.«
Wir erreichten das Lokal in der 62nd Street mit durchnässten Mänteln, nassen Haaren und kalten Füßen. Der Produktionschef britischer Herkunft, Mr Steve Henry George William St. James, stand am Eingang und begrüßte jeden mit ein paar freundlichen Worten. Als wir ihm zunickten, sagte er: »Die Produktion dankt dem FBI!«
»Sir«, erwiderte ich, »es war ein Vergnügen, an einem Ihrer Filme mitzuarbeiten, und war uns eine Ehre, Sie dadurch kennen zu lernen.«
Phil und ich hielten uns an den vorzüglichen Scotch und versorgten auch Tina Toren damit, die sich zwischen uns gesetzt hatte und nicht einen Augenblick lang so wirkte, wie man sich einen Filmstar vielleicht vorstellen mochte. Sie war freundlich, natürlich und sehr attraktiv. Es wurde viel gelacht.
Bis plötzlich einer der Techniker, ein junger Mann von etwa dreißig Jahren, in durchnässtem Overall und Rollkragenpullover vor Randy Standworth stand.
»Mister Standworth«, krächzte er mit rauer, unnatürlicher Stimme, »Mister Standworth, ich – – drüben im Park – – ich habe eine Filmrolle gesucht – – und – es ist eine – – Sir, Sie müssen sofort –«
Seine Stimme überschlug sich. Er zitterte plötzlich. Auf einmal herrschte Totenstille. Irgendwo klapperten Eiswürfel, als jemand sein Glas hart auf den Tisch stellte. Randy Standworth runzelte die Stirn und knurrte: »Na, Mac, zum Teufel, was ist los mit Ihnen? Reden Sie mal einen zusammenhängenden Satz, ja?«
Der junge Mann nickte verstört. Er schluckte ein paar Mal und stieß endlich hervor:
»Sir, drüben auf dem Fußweg liegt eine Leiche!«
Einen Augenblick blieb es still. Eine von den Nebendarstellerinnen lachte schrill, und eine männliche Stimme murmelte aus irgendeiner Ecke:
»Na, sicher doch! Wir sind heilfroh, dass sie endlich dort liegt.«
Jemand räusperte sich missbilligend. Randy Standworth richtete sich auf und strich sich das wellige Haar aus der Stirn.
»Also nun mal schön klar und deutlich!«, verlangte er. »Was ist los?«
Der Techniker nickte noch einmal.
»Sir«, sagte er eindringlich, »drüben auf dem Fußweg, wo wir vor zwei Stunden gedreht haben, da liegt eine Leiche. Eine richtige Leiche! Ich habe sie gerade gefunden, als ich nach einer vermissten Filmrolle suchte. Es ist eine Frauenleiche, Sir. Eine richtige Frauenleiche mit blauen Würgemalen am Hals!«
***
Ich war schon fast an der Tür, als mir etwas einfiel. Ich machte kehrt, suchte den Produktionschef und fand ihn am unteren Ende unserer langen Tafel. Ich zog ihn am Ärmel zur Seite, wo uns niemand hören konnte.
»Tut mir leid, Sir. Aber ich halte es für besser, wenn vorläufig alle Leute hier bleiben. Vielleicht können Sie darauf achten.«
St....
| Erscheint lt. Verlag | 24.5.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition | Jerry Cotton Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dedektiv • Detektiv • Deutsch • Deutsche Krimis • eBook • E-Book • eBooks • Ermittler • erste-fälle • gman • G-Man • Hamburg • Horst-Bosetzky • international • Kindle • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimiautoren • Krimi Bestseller • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Krimis • krimis&thriller • letzte fälle • martin-barkawitz • Mord • Mörder • nick-carter • Polizei • Polizeiroman • Polizist • Reihe • Roman-Heft • schwerste-fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • Spannung • Spannungsroman • stefan-wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • uksak • Verbrechen • Wegner |
| ISBN-13 | 9783732530892 / 9783732530892 |
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