John Sinclair Sonder-Edition 25 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
9783732529315 (ISBN)
Schon oft hatte ich von der Leichenstadt gehört. Ein geheimnisvolles Grab, das zu ihr führte, war der Schlüssel. Leider war das letzte Stück des Weges verschlossen.
Bis eine Verschiebung der Dimensionen stattfand. Plötzlich wurde die sagenumwobene Leichenstadt sichtbar.
Menschen einer Großstadt gerieten in den gefährlichen Bannstrahl der Stadt. Sie verschwanden ebenso von der Bildfläche wie ein U- Boot samt Besatzung. Auch mich traf es. Hilfe gab es nicht. Die Leichenstadt verschlang uns alle und gab niemanden wieder frei ...
Uns umgab die Stille der Tiefsee!
Nicht ein Laut drang durch die dicken Wände des U-Boots, das wie ein Schatten durch das graugrün schimmernde Wasser glitt. Auch an Bord sprach so gut wie niemand, der Kapitän hatte Redeverbot erteilt, und nur in der kleinen Kommandozentrale durfte gesprochen werden.
Zusammen mit drei Offizieren hockte ich in dem Raum, hätte gern eine Zigarette geraucht und musste es mir doch verkneifen, weil das Rauchen verboten und die Luft schon schlecht genug war. Dabei gehörte das Boot zu den besten und modernsten Unterseetauchern, die die englische Marine aufzubieten hatte.
Angetrieben wurde es durch Atomkraft. Es konnte fast unbegrenzt unter Wasser bleiben, war mit Kameras ausgerüstet, deren gläserne Augen das Meer in alle Richtungen hin beobachteten und ihre Bilder auf kleinen Monitoren zur Kontrolle wiedergaben. Vieles hatte sich in der Technik geändert. Eins jedoch war geblieben: der Mangel an Platz.
Der Kapitän sah mich an. Ebenso wie ich hatte er einen Pappbecher vor sich stehen, in dem eine braune Brühe schwamm, die sich Kaffee nannte. Kaffee wurde hier am meisten getrunken. Da konnte kaum genug nachgekocht werden. Im Vergleich zum Kaffee meiner Sekretärin Glenda schmeckte dieser hier auf dem U-Boot allerdings wie ein Laternenpfahl ganz unten, und jeder kann wohl verstehen, wie sehr ich mich nach Glenda Perkins’ Kaffee sehnte. Und das seit drei Tagen. So lange hielt ich mich bereits auf dem U-Boot auf. Hier wurde außer der Nahrung alles rationiert, auch das Wasser.
Mit einer gemurmelten Entschuldigung verließen zwei Offiziere die Kommandozentrale und ließen den Kapitän und mich allein. Er war für einen Mann mit so großer Verantwortung noch ziemlich jung. Er hieß Dirk Neeler und entstammte, wie er mir selbst berichtet hatte, einer alten englischen Adelsfamilie. Allerdings hatte er auf seinen Titel verzichtet, was ihn mir sympathisch machte.
Seine Haare zeigten einen militärisch kurzen Schnitt, der Scheitel saß korrekt, wobei unter ihm eine hohe Stirn begann, in der die dunkelbraunen Augenbrauen in derselben Farbe wie das Haar besonders hervorstachen. Die Haut zeigte nicht das Grau jener Männer, die lange das Sonnenlicht entbehrt hatten, sie war gebräunt, und ich wusste aus Erzählungen des Kapitäns, dass er nicht nur bei Landaufenthalten ein Liebhaber von Sonnenstudios war, sondern auch im Sommer surfen und segeln ging. Das brauchte er, denn das Leben auf dem Boot konnte einen Mann schon deprimieren.
Seit drei Tagen also bewegten wir uns im Atlantik. Auf halber Strecke zwischen Mittelnorwegen und England. Natürlich hockte ich nicht freiwillig in dem Sarg aus Metall, wie er scherzhaft genannt wurde, es gab da einen besonderen Grund.
»Auch noch Kaffee?«, fragte Neeler und sah mich an.
Ich schüttelte den Kopf. »Danke, nein.«
»Sie können sich auch hinlegen, Mister Sinclair, wenn es Ihnen zu langweilig wird.«
Ich grinste schief und deutete auf den Monitor. »Schon als Halbwüchsiger habe ich gern vor der Mattscheibe gesessen.«
»Das waren aber keine so miesen Bilder.«
»Sie haben recht.«
»Was anderes kann ich Ihnen nicht bieten.«
Ich warf einen Blick auf meine Rolex. »Wann, sagten Sie, haben Sie die Stadt immer gesehen?«
»Etwa um diese Zeit.«
»Und da wollen Sie mich wegschicken?«
Dirk Neeler hob die Schultern. »Ich habe es nur gut gemeint. Gestern und vorgestern habe ich auch nichts gesehen. Ich dachte da mehr an das Gesetz der Serie.«
»Ich vertraue auf mein Glück.«
Der Kapitän und Kommandant hob die Schultern. »Ob das Auftauchen dieser komischen Stadt ein Glück ist, wage ich zu bezweifeln.«
Und damit waren wir beim Thema. Es ging um eine Stadt. Um eine Stadt im Meer. Das allein war schon sagenhaft und ungeheuer, hinzu kam noch ein anderes Phänomen. Das Boot war auf die Stadt zugefahren und konnte hindurchgleiten. Durch Mauern und Tempel, durch seltsame Menschen, Monstren und Spinnen. Nicht nur einmal, sondern zweimal.
Beim ersten Mal hatten alle an eine Halluzination geglaubt. Besonders deshalb, da auf den Schirmen nichts zu sehen gewesen war, doch beim zweiten Zusammentreffen war der Besatzung klar geworden, dass sie in der Tiefe des Meeres etwas Unheimliches und vor allem Unerklärbares erlebte.
Zum Glück gehörte Dirk Neeler nicht zu den Leuten, die sich für Gottvater persönlich hielten. Er hatte mit diesem Phänomen nichts anzufangen gewusst, seine Fahrt abgebrochen und die diesbezüglichen Stellen des Marineministeriums informiert.
Dort war man hellhörig geworden. Der Presse gegenüber hatte man nichts verlauten lassen, sondern den Geheimdienst eingeschaltet. Die Burschen hatten auch nichts herausgefunden. Die Verantwortlichen hatten sich nur zusammengesetzt, beraten, und einer hatte schließlich die glorreiche Idee gehabt, die ihm einen Orden einbringen konnte. Er hatte sich an seinen Klubfreund Sir James Powell erinnert und auch daran, mit welch einem Job man diesen Menschen betraut hatte. Er leitete eine kleine Abteilung bei Scotland Yard, die sich um rätselhafte Phänomene kümmerte und manchmal sogar den großen Geheimdienst hatte schlecht aussehen lassen.
Da Sir James mein Chef war, hatte er mit mir über den Fall gesprochen, und ich war darauf angesprungen wie ein Motor, der endlich mal wieder in Bewegung gesetzt wurde.
Die Leichenstadt! So lautete meine Schlussfolgerung. Bereits seit einiger Zeit geisterte dieser Begriff durch unsere Ermittlungen und Fälle. Immer häufiger waren wir auf Spuren dieser geheimnisvollen Stadt gestoßen, die es einmal gegeben haben sollte, dann jedoch abgesprengt worden war, als der alte Kontinent Atlantis im Meer versunken war.
Laut unserer Erfahrungen und Ermittlungen sollte es der Leichenstadt, durch welche Kräfte auch immer, gelungen sein, sich zuvor abzuspalten und in einen Dimensionstunnel zu verschwinden.
Für alle Zeiten? Das hatte man vielleicht damals angenommen, aber die Menschen hatten begonnen, sich mit der Frühgeschichte der Erde zu beschäftigen, und da war man natürlich auf den alten Kontinent Atlantis gestoßen.
Man hatte die Reste des versunkenen Kontinents noch nicht gefunden. Es gab zahlreiche Vermutungen, doch niemand wusste so recht, wo Atlantis gelegen hatte.
Die einen richteten sich nach den Berichten und Überlieferungen des griechischen Philosophen Platon, sie suchten Atlantis im Mittelmeer, andere forschten im Atlantik nach, aber zu einem konkreten Resultat waren die Wissenschaftler noch nicht gelangt.
Ich aber wusste, dass es Atlantis gegeben hatte!
Jawohl, denn ich, John Sinclair, hatte den Untergang dieses Kontinents an einer gewissen Stelle miterlebt, hatte das Chaos sehen müssen, das Ausbrechen der Vulkane, die gewaltigen Flutwellen, die donnernd heranbrachen und mit ihren gierigen Mäulern eine gesamte Kultur regelrecht verschlangen.
Durch eine gezielte Magie war ich gerettet worden. Schon allein das bewies, wie hoch die Bewohner des alten Atlantis die Magie als Hilfsmittel eingestuft hatten. Nicht nur ich war durch Magie gerettet worden, sondern auch andere Wesen, die zur damaligen Zeit in Atlantis oder der geheimnisumwitterten Leichenstadt gelebt hatten.
Im Gegensatz zu den Dämonen lebte ich in der Gegenwart. Ein gefährlicher Zauber hatte mich damals in das Atlantis kurz vor seinem Untergang geschleudert, andere dämonische Kräfte oder Dämonen blieben verschollen.1) In Tausenden von Jahren hatte man nichts von ihnen gehört. Wahrscheinlich hatten sie zugesehen, wie sich die Menschheit neu entwickelte. Nun aber mehrten sich die Anzeichen, dass es zu einer Rückkehr dieser einst so schrecklichen und gleichzeitig mächtigen Dämonen kam.
Gefahren aus der Leichenstadt wurden existent. Ich brauchte da nur an die Großen Alten zu denken und den geheimnisvollen, blau schimmernden Schlüssel, der den Zugang zur Leichenstadt öffnen sollte. Fast hätten mein Freund Suko und ich ihn erwischt. Leider hatte man uns im letzten Moment noch einen Streich gespielt, denn ein mörderischer Dämon, Kalifato mit Namen, hatte unseren Plan zunichtegemacht.
Die Leichenstadt hatte ich nicht vergessen. Irgendwo in meinem Hinterkopf spukte sie noch immer herum, deshalb war ich auf den Fall auch so angesprungen, als Sir James davon berichtet hatte.
Wir befanden uns am dritten Tag unter Wasser. Bisher hatten wir weder eine Stadt noch irgendeine Spur davon gesehen. Nur Wasser, das von den Halogenlampen des Bootes aufgehellt wurde und mir vorkam wie eine grüne Wand.
Hin und wieder huschten seltsame Fische über den Fernsehschirm. Manch einer glotzte direkt in die Kamera, staunte für einen Moment und verschwand mit einer blitzschnellen Drehung.
»Wir haben hier ja Glück«, meinte der Kapitän.
»Wieso?«
Dirk Neeler deutete auf einen der Monitore. »Sehen Sie sich mal den Meeresgrund an.«
Ich beugte mich vor. Auch unter dem Boot leuchtete ein Scheinwerfer. Ein breiter heller Fächer fiel in die Tiefe, eine Kamera brachte das Bild auf den Schirm, und ich sah trotzdem nicht viel.
»Tja«, murmelte ich und zögerte, was den Kapitän zu einem Lachen veranlasste.
»Ich weiß schon, Mister Sinclair, für Sie ist das nur eine graue Suppe.«
»Genau.«
»Ich sprach insofern positiv vom Meeresgrund, da wir ungestört über ihn hinweggleiten können. Wir brauchen uns nicht um die geologischen Formationen zu kümmern, zum Beispiel hohe Gebirge oder gefährliche Täler mit reißenden unterseeischen Strömen.«
»Wenn Sie das so sehen, haben Sie recht.«
Im nächsten...
| Erscheint lt. Verlag | 17.5.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | John Sinclair Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred bekker • Bastei • Bestseller • blutig • Clown • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Gruselroman • Grusel-Roman • Horror • Horror Bücher ab 18 • Horror-Roman • horrorserie • horror thriller • Horror-Thriller • Jason Dark • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Sinclair • Slasher • spannend • Splatter • Stephen King • Stephen-King • Steven King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zombies |
| ISBN-13 | 9783732529315 / 9783732529315 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich