Hades (eBook)
343 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
9783518744444 (ISBN)
Hades ist der ?Herr der Unterwelt? von Sydney. Er weiß alles über das Verbrechen in seiner Stadt, denn auf seiner gigantischen Müllhalde entsorgt er gegen Honorar Menschen, die gewaltsam zu Tod gekommen sind. Dieses Schicksal hätten auch beinahe die Kleinkinder Eden und Eric geteilt, die man bei Hades deponiert hat. Aber die beiden leben noch. Sie wachsen bei Hades auf und werden Top-Cops bei der Mordkommission von Sydney. Das ist jedoch nur ihr eines Gesicht, ihr eines Konzept von »Gerechtigkeit«. Denn schließlich hat Hades Eden und Eric erzogen.
<p>Candice Fox stammt aus einer eher exzentrischen Familie, die sie zu manchen ihrer literarischen Figuren inspirierte. Nach einer nicht so braven Jugend und einem kurzen Zwischenspiel bei der Royal Australian Navy widmet sie sich jetzt der Literatur, mit akademischen Weihen und sehr unakademischen Romanen. Für den ersten und zweiten Teil ihrer Trilogie, <em>Hades</em> und<em> Eden</em>, wurde sie 2014 und 2015 mit dem Ned Kelly Award ausgezeichnet.</p>
Candice Fox stammt aus einer eher exzentrischen Familie, die sie zu manchen ihrer literarischen Figuren inspirierte. Nach einer nicht so braven Jugend und einem kurzen Zwischenspiel bei der Royal Australian Navy widmet sie sich jetzt der Literatur, mit akademischen Weihen und sehr unakademischen Romanen. Für den ersten und zweiten Teil ihrer Trilogie, Hades und Eden, wurde sie 2014 und 2015 mit dem Ned Kelly Award ausgezeichnet. Anke Burger, geboren 1964 in Darmstadt, studierte Amerikanistik, Germanistik und Publizistik in Berlin und Austen (Texas). Seit 1992 übersetzt sie Romane aus dem Englischen, u.a. von Jon McGregor, Mark Haddon und Adam Johnson. Sie lebt in Berlin und Montreal, Kanada.
Als der Fremde das Bündel auf den klebrigen Küchenboden legte, wusste Hades sofort, dass es eine Kinderleiche war. Zusammengekrümmt lag der kleine Körper auf der Seite, in ein altes, blaues Laken verpackt und an Hals, Taille und Knien mit Klebeband umwickelt. Ein kleiner, perlweißer Fuß ragte schlaff unten heraus. Hades lehnte an der Anrichte seiner kleinen, unordentlichen Küche und starrte das Füßchen an. Der Fremde stand unruhig in der Tür, zog Zigaretten und Streichhölzer aus der Tasche. Der Mann, den man Hades nannte, warf einen kurzen Blick in das hagere Gesicht des Fremden.
»Bei mir wird nicht geraucht.«
Dem Fremden war gesagt worden, wie man zu Hades kam, aber nicht, wie schrecklich es dort war. Hinter dem Eisentor der Utulla-Deponie, der Müllkippe am Schmutzrand der westlichen Vororte Sydneys, erhoben sich Abfallberge, dazwischen eine Schotterpiste. Hoch und schwarz ragte der Müll neben der Piste auf, so hoch, dass Himmel und Sterne dahinter verschwanden. Ein Kranz aus Bäumen und Büschen versperrte die Sicht auf die Holzhütte oben auf dem Hügel. Vorsichtig war der Fremde an den turmhohen Halden vorbeigefahren, in denen es vor Nachtwesen nur so wimmelte – Eulen, Katzen, Mäuse und Ratten scharrten und schnüffelten in alten Milchtüten und Säcken mit vergammeltem Fleisch herum. In ausgebrannten Autowracks leuchteten Augen, Tiere spähten unter Wellblechgeknäuel hervor.
Weiter oben an der Schotterstraße hielten Kreaturen anderer Art Wache. Gestalten aus Altmetall und kaputten Maschinenteilen standen an der Straße – eine in die Form eines brüllenden Löwen gehämmerte und gebogene Waschmaschinentrommel, Fahrräder, die zusammengeschweißt und zu einem Flamingo mit langem Hals zerdehnt worden waren. Im Mondlicht wirkten die Tiere mit den Federn aus Küchenutensilien und den Augen aus Glasflaschen lebendig und bereit zum Sprung. Der Fremde war froh, dass er ihre aufmerksamen Blicke nicht mehr auf sich spürte, als er das Haus betrat. Die Erleichterung verpuffte sofort, als er den Mann vor sich sah, der als Herr der Unterwelt bezeichnet wurde.
Als der Fremde eintrat, stand Hades in der Küchenecke. Als habe er sein Kommen geahnt. Und dort war er stehen geblieben, die haarigen Arme über der Tonnenbrust verschränkt. Unter schweren Lidern blickte Hades das Bündel in den Armen des Fremden an. Auf der vollgekramten Anrichte lag eine Walther PP mit Schalldämpfer neben einem halbvollen Glas Scotch in Reichweite. Die grauen Haare auf Hades’ eckigem Schädel waren gekämmt. Er war breit wie ein Schrank und stark wie ein Ochse und strahlte Aggressivität aus, was sie die Küche peinigend eng wirken ließ.
Die Bäume bildeten eine dunkle Kuppel über dem kleinen Holzhaus, an der die heiße Luft leckte und streichelte. Dinge, die Hades aus dem Müll gerettet hatte, zierten die Küche. Flaschen und Gläser in allen erdenklichen Formen und Farben hingen an Angelschnüren von der Decke, bizarre Schneidewerkzeuge waren wie Waffen an die Wände genagelt. Porzellanfische und Plastikfrüchte standen herum, ein ausgestopftes gelbes Frettchen schlief zusammengerollt in einem Korb neben der Tür. Einmachgläser waren mit Gegenständen gefüllt, die niemand mehr brauchte – bunte Murmeln und glaslose Brillengestelle und Tausende von Kronkorken. Auf dem Fensterbrett eine Galerie von Puppenköpfen, manche mit Augen, andere ohne, Plastikmünder, die lächelten, schmollten, weinten. Hinter der Tür war das kleine Wohnzimmer zu sehen, in dem sich zerfledderte Taschenbücher stapelten; von den rohen Bodendielen bis zur stockfleckigen Decke lagen und standen Bücher, überall Bücher.
Der Fremde wand sich in dem unangenehmen Schweigen. Am liebsten hätte er sich alles angesehen, fürchtete sich aber vor dem, was er finden würde. Nachtvögel stöhnten draußen in den Bäumen vor den bunt zusammengewürfelten Bleiglasfenstern.
»Soll ich, äh …« Der Fremde bearbeitete seinen Nacken mit den Fingernägeln. »Soll ich das andere holen gehen?«
Hades sagte lange nichts. Er starrte nur die Kinderleiche in dem alten blauen Laken an.
»Sag mir, wie das passiert ist.«
Der Fremde spürte, wie ihn der Schweiß an den Schläfen kitzelte.
Er seufzte. »Man hat mir gesagt, dass es keine Fragen geben würde. Ich habe gehört, ich könnte einfach kommen und sie hier abladen und …«
»Da hast du was Falsches gehört.«
Mit einem dicken Finger tippte Hades langsam auf seinen linken Bizeps, als würde er die Sekunden zählen. Der Fremde fingerte an der Zigarette herum, die er sich nicht angezündet hatte, steckte sie sich in den Mund, erinnerte sich wieder ans Rauchverbot. Er ließ sie in die Tasche rutschen und starrte auf das Bündel am Boden, auf den Umriss des an die Brust gedrückten kleinen Mädchenkopfes.
»Es war alles perfekt geplant. Einwandfrei hätte das laufen sollen.« Der Fremde schüttelte den Kopf. »Das Ganze war Bennys Scheißidee. Der hat in der Zeitung was über einen Professor gelesen, Tenor hieß er, keine Ahnung. Jedenfalls hatte der gerade fett abgesahnt für irgendwas, was er erforscht hatte, Hautkrebs, Sonnenbrand, was weiß ich. Benny hat sich total reingesteigert und war völlig besessen von dem Typ, schleppte ständig irgendwelche Zeitungsausschnitte an. Er zeigte uns Bilder von ihm und seiner Frau und den zwei Kids und meinte, die Familie wüsste sowieso schon nicht mehr wohin mit dem ganzen Schotter und jetzt wurde der dicke fette Haufen Kohle nur noch fetter.«
Der Fremde atmete tief durch, so dass sich seine Hühnerbrust blähte. Hades sah ihn regungslos an.
»Dann hieß es, die Familie würde allein in ihr Ferienhaus in Long Jetty fahren. Wir also hin, alle sechs, wollten sie nur ein bisschen aufmischen und die Bambinos mitnehmen – nur für kurz, ist doch klar, nicht lange. Ein Kinderspiel hätte das sein können, Mann. Reinstürmen, die Bambinos schnappen, raus, sie ein paar Tage behalten und dann die Übergabe anleiern. Wir wollten ihnen nichts zuleide tun. Ich habe sogar Spiele ausgeliehen, Mann! Damit sie bei uns was zu tun hatten.«
Hades zog eine Schublade neben sich auf und holte einen Notizblock und einen Stift heraus. Er knallte beides auf einen kleinen Beistelltisch an der Wand.
»Die anderen«, sagte er. »Schreib ihre Namen auf. Deinen auch.«
Der Fremde wollte protestieren, aber Hades schwieg. Mit zitternden Händen setzte sich der Fremde auf den Kunststoffstuhl und schrieb die Namen auf. Seine Handschrift war kindlich schief und verschmiert.
»Dann ist alles den Bach runtergegangen, ganz schnell«, murmelte er beim Schreiben und hielt den Zettel mit seinen langen weißen Fingern fest. »Benny hatte auf einmal die fixe Idee, der Prof würde ihn schräg angucken, als hätte er irgendwas Verrücktes vor. Keine Ahnung. Ich hab nicht drauf geachtet. Die Frau hat geweint und geschrien wie am Spieß und einer hat ihr eins übergezogen und die Kinder haben sich gewehrt. Da hat Benny die Eltern weggepustet. Hat einfach … drauflosgeballert, bis das Magazin alle war. Immer die Hand am Abzug, der Mann, echt zum Kotzen. Viel zu aggressiv, der Depp.«
Seufzend stieß der Fremde die Luft aus. Er starrte auf die Namen, die er aufgeschrieben hatte. Hades beobachtete ihn.
»In der einen Minute lief noch alles prächtig. In der nächsten sitzen wir in der Karre, die Kinder im Kofferraum, und niemand, der sie uns abkaufen will. Wir haben drüber geredet, wie wir sie loswerden sollen, einer meinte, er würde Sie kennen, und …« Der Fremde zuckte die Achseln und wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab.
Zum ersten Mal seit der Ankunft des Fremden kam Hades aus seiner Küchenecke hervor. Als er jetzt mit seinen Riesenpranken nach dem Notizblock griff und die Seite mit den Namen abriss, ragte er groß und bedrohlich vor dem Fremden auf, wie ein Gott. Völlig eingeschüchtert saß er auf seinem Plastikstühlchen. Er wagte es nicht, zu Hades aufzublicken, als der das kleine Stück Papier zusammenfaltete und in die Tasche steckte. Er merkte nicht, wie der Ältere die Pistole in die Hand nahm und entsicherte.
»Es war ein Versehen«, murmelte der Fremde, in dessen roten Augen die Tränen standen, als er mit offenem Mund hinunter auf das Leichenbündel starrte. »Es lief doch alles so gut.«
Der Mann, den man Hades nannte, jagte dem Fremden zwei Kugeln ins Herz. Der blickte mit verwirrtem Blick hoch und drückte die Hände auf die Löcher in seinem Rumpf. Hades legte die Pistole zurück auf die Anrichte und hob das Scotchglas an die Lippen. Die Nachtvögel hatten aufgehört zu ächzen, nur die Sterbegeräusche des Fremden füllten die Luft.
Seufzend stellte Hades das Glas ab und überlegte, wo er auf der Deponie rund um seinen Berg die Leiche des Fremden am besten loswurde. Die beiden Kleinen würde er an einem anderen, passenderen Ort begraben. Hinter der Sortieranlage gab es eine Stelle, an der ein Baum zwischen den Abfallbergen wuchs, ein verkrüppeltes, krummes Ding, das trotz allem manchmal rosa blühte. Dort würde er die Kinder nebeneinander begraben. Den Fremden würde er irgendwo verscharren, neben den Dutzenden von Vergewaltigern, Mördern und Dieben, die bereits auf der Halde lagen. Hades schloss die Augen. Zu viele Fremde kamen mit ihren Bündeln zu ihm, wenn etwas schiefgegangen war. Er musste es allen sagen, dass er keine neue Kundschaft mehr annahm. Die,...
| Erscheint lt. Verlag | 10.5.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Hades-Trilogie | Hades-Trilogie |
| Übersetzer | Anke Caroline Burger |
| Verlagsort | Berlin |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Angabe fehlt |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Australien • australischer Thriller • bücher bestseller • Crimson Lake • Davitt Award 2015 • deutsche Thriller • Deutsche Thriller-Autoren • Eden • Fall • Hades • Hades deutsch • Krimi • Ned Kelly Award 2015 • Ned Kelly Award 2022 • Neuerscheinungen 2016 • Neuerscheinungen Krimi • Organtransplantation • Page Turner • Spannung • ST 4838 • ST4838 • suhrkamp taschenbuch 4838 • Sydney • Thriller Australien • Thriller Down-under • Thriller-Serie |
| ISBN-13 | 9783518744444 / 9783518744444 |
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