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Steinhart - Ernest Zederbauer

Steinhart

Ein Waldviertel-Krimi
Buch | Softcover
180 Seiten
2016 | 1. erste Auflage
Verlagshaus Hernals
978-3-902975-42-3 (ISBN)
CHF 27,90 inkl. MwSt
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Das Waldviertler Dorf St. Marein erlangt beim Wettbewerb "Das schönste Dorf Österreichs" den dritten Platz. Während des Festaktes wird der Obmann der örtlichen Raiffeisenkasse erschossen. Galt die Kugel dem anwesenden Staatssekretär? Kommissar Kalteis Ermittlungen führen in eine unerwartete Richtung ...

Ernest Zederbauer, geboren 1947 in Unserfrau bei Weitra im niederösterreichischen Waldviertel. Er führt als Nachtwächter Touristen und Einheimische durch die wunderschöne Altstadt Weitras. Zederbauer beschäftigt sich mit lokaler Geschichte, fotografiert und schreibt. Bislang sind drei Waldviertel-Krimis erschienen, die ein beliebter Bestandteil der österreichischen Krimi-Landschaft geworden sind.

Das ungewöhnliche Buch eines ungewöhnlichen Autors.
Untrennbar sind Schuld und Unschuld miteinander
verbunden, und die Spannung steigert sich von Seite zu
Seite ...
Lotte Ingrisch

Aufmerksame Frühaufsteher (und in St. Marein am Langholz gab es traditionsgemäß nur Frühaufsteher) konnten, sofern sie sich die Mühe machten einen Blick aus dem Fenster zu werfen, am Sonntag, den 16. August 2015, im mageren Licht der Frühe zwei distinguierte Herren im Niederösterreicheranzug über den Dorfplatz schreiten sehen. Der ältere der beiden, Bürgermeister Rupert Höllerschmied, nahm kurz entschlossen die Stufen zur Ehrentribüne in Angriff. Blieb oben angekommen kurz stehen, nur um alsbald mit dem linken Fuß fest auf den Brettern aufzustampfen. Diese an und für sich unbedeutende Tätigkeit zauberte einigen der Hinterdenfensternstehenden Sorgenfalten auf die an sich glatte Stirn, da sie alle wussten, dass ihr Bürgermeister Rechtshänder war. Doch seinem zufriedenen Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass die Tribüne die Belastungsprobe soeben bestanden hatte. Für diesen Test brauchte er keine statischen Berechnungen, sein Körpergewicht von hunderteinunddreißig Kilo genügte ihm vollauf. Sicherheitshalber wiederholte er diese Prozedur nicht nur in der Mitte der hölzernen Plattform, sondern auch in allen vier Ecken. Sichtlich mit der Arbeit seiner Bauhofleute zufrieden, nickte er seinem Schwager Engelbert Zeinzinger zu und deutete ihm, ebenfalls auf die Tribüne zu kommen. Zeinzinger, Obmann des Verschönerungsvereins und sich seiner Wichtigkeit vollends bewusst, folgte ihm nach. Stampfte seinerseits fest auf, da er aus langjähriger Erfahrung wusste, dass der Bürgermeister solcherart Engagement seiner Untertanen stets wohlwollend registrierte. Zeinzinger, der insgeheim hoffte, bei der nächsten Gemeinderatssitzung für die Verleihung des Ehrenringes vorgeschlagen zu werden, richtete das Wort an seinen Herrn und Gebieter. „Wie viele Sessel sollen wir aufstellen, glaubst du, dass dreißig Stück genügen?“ Der Bürgermeister runzelte kurz die Stirn und kratzte sich nachdenklich am Hals. Blieb minutenlang eine Antwort schuldig, doch sein angespannter Gesichtsausdruck gab Auskunft, dass sein Hirnkasten soeben im Begriffe war, zwei und zwei oder vielleicht auch mehr zusammenzuzählen. Seine Hände hatte er hinter dem Rücken versteckt, sodass sein Gegenüber nicht bemerken konnte, dass er seine Finger zum Mitzählen gebrauchte. Höllerschmied war zu einem Ergebnis gekommen. „Zweiunddreißig Leute haben sich angemeldet, erfahrungsgemäß werden nicht alle kommen. Dreißig Sessel sollten also genügen und wenn doch alle angemeldeten Personen kommen sollten, dann werden eben unsere zwei Paradesozialisten bei der Feier stehen müssen, geschieht ihnen recht!“ Die beiden sozialistischen Gemeinderäte hatten vor einem Jahr dagegen gestimmt, dass sich die Gemeinde bei dem Wettbewerb „Schönstes Dorf Österreichs“ wiederum beteiligen sollte, da man bereits zweimal schmählich gescheitert war. In ihren Augen war dieser Wettbewerb „die reinste Onanie unter schwarzen Brüdern“! Damit hatten sie sich unter diesen keine Freunde gemacht. Denn so wie seit Jahrzehnten das ganze Waldviertel, ja das ganze Land, mehrheitlich von den Schwarzen regiert wurde, so auch St. Marein am Langholz. Rupert Höllerschmied, nicht nur von der Statur her groß und mächtig, hatte es mit seiner Bauernschläue zwanzig Jahre lang erfolgreich gehandhabt, sich mit Vertrauten aus seinem unmittelbaren Umfeld zu umgeben. Seine beiden Schwäger Zeinzinger und Grabherr saßen ebenso im Gemeinderat wie sein Schwiegersohn Manfred Hohenbichler und seine Cou- sine Hilda Gatterbauer. Hildas Mann war der Lagerhausobmann, deren jüngster Sohn Sekretär des Bezirkshauptmanns. Solcherart abgesichert, konnte man sich unnötige Sitzungen ersparen, da man sich innerhalb der Familie sowieso immer sonntagnachmittags beim Kaffee im trauten Heim traf. In entspannter Atmosphäre unter seinesgleichen konnte man so kommunale Probleme und Problemchen im Schongang einfach lösen. Heute jedoch war er verunsichert. Ausgerechnet heute! Er hatte schlecht geschlafen und zu allem Überdruss auch noch schlecht geträumt. Von einer schwarzen Wolke, die ihn stets begleitete, wohin er auch ging. Ganz egal, wo er sich befand, sie folgte ihm schattenhaft durch seine Traumwelt. Drohend, Unheil bringend, allgegenwärtig. Warum? Was wollte sie ihm sagen? Sollte sie eine Warnung sein? Wovor? Er spürte, wie sein Herz raste. Seine Hände waren schweißnass und er vermeinte kurz, ersticken zu müssen. Rasch sprang er aus dem Bett, eilte auf den Balkon, sog die kühle Luft des frühen Morgens in sich hinein. Blickte zum Himmel empor, der den Tag herbeisehnte, soeben im Begriffe war, die Finsternis der Nacht abzuschütteln. Noch von Sternen übersät, die wie Diamantensplitter strahlten. Keine Wolke war zu sehen. Er atmete auf, streckte sich, schüttelte Arme und Beine, geradeso, als wollte er mit dieser Geste unbewusst die Chimären der Nacht abstreifen. Der Glockenschlag der nahen Pfarrkirche ließ ihn zusammenzucken. Fünf Uhr. Unwillkürlich musste er lachen. Denn er kannte all die Sagen und Märchen, die den Glocken mehr Bedeutung zumaßen, als ihnen von Rechts wegen zustand. Dass ihr Schlag all die übernatürlichen Wesen wie Zwerge und Gnome zur Auswanderung zwingen oder den Teufel daran hindern sollte, ein von ihm gewünschtes Menschenkind zu holen. Ebenso von der Macht, Gewitter zu vertreiben, Wetterhexen in ihre Schranken zu weisen. Mit sich und seinen Träumen ins Reine gekommen, kehrte er in sein Bett zurück, um noch ein wenig Schlaf zu finden. Denn er glaubte nicht an Zwerge, Gnome, Wetterhexen und schon gar nicht an den Teufel. Hielt auch nichts von okkultem Firlefanz wie Traumdeutung, Wahrsagerei, Handlesen, Visionen und Prophezeiungen. Er war ein Mann der Tat, mitten im Leben stehend, an sich glaubend, der Kraft seines Willens jetzt Bürgermeister war. Hatte nicht auch Machiavelli gesagt »Es sei besser, im Dorfe der Erste zu sein, als der Zweite in der Stadt«? Und er war hier der Erste, oder nicht? Trotz all dem fühlte er sich unwohl. Die schwarze Wolke war noch immer da. Nicht sichtbar, sondern spürbar. Warum jetzt, hier und heute, an diesem ganz besonderen Tag? Wolken sind doch Symbole der Verhüllung, bringen den Regen und damit die Fruchtbarkeit, werden in China verehrt als die Vereinigung der Urprinzipien Yin und Yang. Doch traf all dies auch auf schwarze Wolken zu? Sollte bei dieser würdigen Feier irgendetwas schiefgehen, es gar zu einem Unglück kommen? Er versuchte zu schlafen, allein, er konnte nicht. Also stand er gegen sechs auf, schlich leise aus dem Schlafzimmer, um seine Frau nicht zu wecken, eilte ins Bad. Eine halbe Stunde später nahm er sein Frühstück zu sich, einen Kaffee nur und ein Butterbrot und rief seinen Schwager an. Und so kam es, dass die beiden bereits um sieben am Dorfplatz herumhantierten und nach etwaigen Fehlerquellen suchten, die das Fest verderben könnten. Die größte Hürde hatte er noch spätnachts gemeistert. Dafür klopfte er sich selbst auf die Schulter, denn damit war ein medientauglicher Skandal vermieden worden. Irgendwer hatte in der Dunkelheit an den beiden Ortseinfahrten Schilder mit der Aufschrift „Das Waldviertel muss gentechnikfrei bleiben!“ und „Schlesinger raus!“ aufgestellt. Es lag für ihn klar auf der Hand, dass dafür Clemens Holzhauser, dieser notorische Unruhestifter, verantwortlich war. Denn der war immer dann zur Stelle, wenn es etwas zu protestieren gab. Da die Möglichkeiten vielfältiger Natur waren, war er ständig im Einsatz. Einmal gegen die Atomkraft und all ihre Nebenerscheinungen, dann wieder gegen die Verwendung von Kunstdün- ger oder der seiner Meinung nach nicht artgerechten Tierhaltung, wie sie teilweise im Dorf noch gehandhabt wurde. Die Entscheidung ob Recht oder Unrecht, so fand der Bürgermeister, lag weder in seinem und schon gar nicht in Holzhausers Verantwortungsbereich. Wo kämen wir denn da hin, wenn sich so ein dahergelaufener Alternativer in die ureigensten Bereiche der Dorfbewohner einmischen dürfte! Der kurze Fußmarsch gegen Mitternacht hatte Höllerschmied gut getan. Er hatte die sechs Protesttafeln ausgerissen und als Beweismittel in seinem Holzschuppen deponiert. Damit war die Sache für ihn vorerst einmal erledigt, doch zu gegebener Zeit würde er Holzhauser gehörig den Kopf waschen. Höllerschmied und Zeinzinger eilten in das Gemeindehaus, trugen die Stühle hinaus und stellten sie eigenhändig in vier Reihen hintereinander auf der Tribüne auf. Eingedenk der wohlwollenden Blicke, welche sie aus Vorhanglücken auf sie gerichtet fühlten, gaben sie sich besondere Mühe. Immer wieder rückte Höllerschmied da und dort einen Sessel zurecht, prüfte mit seinem Adlerauge noch einmal die gerade Flucht der Reihen, schnalzte zufrieden mit der Zunge. Um nicht untätig daneben zu stehen, griff nun auch Zeinzinger in das verantwortungsvolle Geschehen ein und schob den ersten Sessel der zweiten Reihe um zwei Millimeter nach rechts. Der Bürgermeister nahm seinen Steirerhut vom Kopf, den er, aus welchen Gründen auch immer, nur zu seinem Niederösterreicheranzug trug, wischte sich den Schweiß von der Stirne, blickte zum Himmel und sah, dass es gut war. Ein gütiger Wind hatte die Gewitterwolken des Vortages fortgeweht und sie standen einer würdigen Feier nicht mehr im Wege. Endlich hatte es geklappt! Zweimal war man gescheitert, nicht über einen dreizehnten Platz beim prestigeträchtigen Wettbewerb „Das schönste Dorf Österreichs“ hinausgekommen. Der dritte Platz in diesem Jahr war der allergrößte Erfolg in der Laufbahn des Bürgermeisters. Mit hoher Überzeugungskraft hatte er sich dafür eingesetzt, die St. Mareiner motiviert, ihr Bestes zu geben. Bereits im Frühjahr hatte man neue Blumenbeete angelegt, alle Häuser mit Blumenkästchen geschmückt, Fassaden frisch gestrichen und das Gemeindehaus, die Kirche, die Milchsammelstelle, das Kühlhaus und das Feuerwehrdepot auf Hochglanz gebracht. Sogar ein modernes Verkehrsleitsystem wurde eingerichtet, obwohl sich der Verkehr auf ein dörfliches Minimum beschränkte. Alle Vereine hatten sich mit Arbeitsleistungen eingebracht, die Blasmusik, die Volkstanzgruppe und die Bauernbühne durch gut besuchte Benefizveranstaltungen einen nicht unbeträchtlichen Geldbetrag eingespielt. Nun war es endlich so weit – der große Tag der Preisverleihung war da! Aufbruchsstimmung herrschte überall im kleinen Dorf. Alle hatten sich Mühe gegeben, um diesen Tag so eindrucksvoll wie möglich zu gestalten. Höllerschmied stutzte. Waren es wirklich alle gewesen? Natürlich nicht. Die zwei Sozis, der eine Maurer, der andere pensionierter Eisenbahner, hatten sich geweigert, ihre Häuser mit Blumenkästchen zu versehen. Höllerschmied kratzte sich wiederum am Hals, wo ihn seit zwei Tagen, vermutlich stressbedingt, ein Ausschlag zu schaffen machte, welcher fürchterlich juckte und durch das ständige Kratzen eher schlechter als besser wurde. Zwischen zwei Kratzern richtete er das Wort an seinen Schwager. Er war nicht wirklich auf dessen Antwort neugierig, da er ihn für ein willenloses Rindvieh hielt, sondern tat es allein in der Absicht, ihm hin und wieder zu zeigen, dass er an seinem Standpunkt interessiert sei, auch wenn dies nicht wirklich zutraf. Doch er brauchte ihn. In erster Linie wegen seines Kadavergehorsams, in zweiter Linie als Kopfnicker. Er wusste genau, dass ihn sein Schwager ob seines Durchsetzungsvermögens bewunderte. Solche Leute waren in der Politik gefragt. Sie entwickelten keine eigenen Ideen, widersprachen nicht und waren billiges Stimmvieh, auf das man sich verlassen konnte. „Glaubst du, Engelbert, dass die zwei Spezialdemokraten an der Feier teilnehmen werden?“ Engelbert, der in seiner Kindheit einfach „der Bertl“ war, strahlte in dem Bewusstsein gefragt worden zu sein. „Ich denke schon, allein wegen des guten Essens werden sie da sein. So was lassen sich doch die beiden Schnorrer nicht entgehen!“ Höllerschmied nickte und kratzte sich abermals. „Du hast natürlich recht, wie immer, lieber Engelbert!“ Zeinzinger strahlte wiederum. Er badete förmlich in dem Gefühl, des Bürgermeisters Aufmerksamkeit erregt zu haben. Dieser war der Einzige in der Familie, der ihn mit Engelbert ansprach, wie es sich gehörte. Solcherart von der hohen Persönlichkeit geschätzt zu werden, versetzte seine tiefschwarze Seele in Verzücken. Sein Adrenalinspiegel stieg ruckartig in die Höhe, Glückshormone durchfluteten seine eingeschränkte Hirnwelt, ließen ihn innerlich freudig erbeben. Tief berührt umarmte er spontan den bürgermeisterlichen Schwager und hauchte ein „Dank dir recht schön, lieber Rupert“ in dessen rechtes Ohr. Höllerschmied erwiderte mit einem leichten Druck diese anerkennende Geste, gefolgt von einem leisen Seufzer. Seine Gefühle dem anderen gegenüber waren zwiespältig. Einerseits verachtete er ihn, da er ein geistiges Nackerpatzerl war. Andererseits taten ihm sein blinder Leitbildgehorsam, seine ungeteilte Bewunderung, seine ehrlichen Lobpreisungen außerordentlich gut und schmeichelten seine Seele. Für ihn stand felsenfest fest, dass die Verminderung der geistigen Fähigkeiten seines Schwagers absolut kein Grund war, ihn nicht auch bei der nächsten Gemeinderatswahl auf die Kandidatenliste zu setzen. Schließlich und endlich braucht jeder Sonnenkönig Untertanen, die sich in seiner Sonne wohlwollend sonnten und im Windschatten der Macht mit segelten, ohne viele Fragen zu stellen. Während Höllerschmied nochmals die korrekte Ausrichtung der vier Sesselreihen begutachtete, schleppte Zeinzinger das Rednerpult aus dem Gemeindehaus heran. Gemeinsam rollten sie das Kabel auf, der Bürgermeister steckte mit einer feierlichen Geste den Stecker in die Steckdose und griff kurz entschlossen zum Mikrofon. „Achtung, Sprechprobe! Eins, zwei, drei“, tönte es über den Dorfplatz. Sichtlich zufrieden kratzte sich Höllerschmied wiederum den Hals und nahm auf einem der Stühle Platz. Zeinzinger aber blieb respektvoll stehen und erwartete ehrfurchtsvoll die Aufforderung seines Herrn und Gebieters, es ihm gleich zu tun. Höllerschmied nickte, Zeinzinger setzte sich. Der Bürgermeister nestelte umständlich an der Brusttasche des grauen Rockes herum, zog schließlich einen Zettel heraus. „Also“, begann er seine Ausführungen, die in Ermangelung weiteres Publikums ausschließlich an seinen Schwager gerichtet waren. „Spätestens um halb zehn, müssen unsere Leute alle zur Stelle sein. Die Blaskapelle wird links neben dem Podium stehen, die Volkstanzgruppe vor dem Gemeindehaus auf ihren Auftritt warten. Die Festgäste werden nach und nach eintrudeln, der Herr Staatssekretär erfahrungsgemäß fünf Minuten zu spät kommen, um sich der Aufmerksamkeit des Publikums gewiss zu sein. Punkt zehn ist die Festmesse. Ich hab den Herr Pfarrer angewiesen, seine Predigt ausnahmsweise einmal kurz zu halten, damit unser Zeitplan nicht ins Wanken gerät. Nach der Messe beginnt der eigentliche Festakt. Die Ehrengäste nehmen auf der Tribüne Platz und die Kapelle spielt zuerst die Bundeshymne, dann die Landeshymne. Meine Begrüßung wird kurz und prägnant sein, die des Bezirkshauptmannes ebenfalls. Der Rede des Staatssekretärs folgt eine Darbietung der Volkstanzgruppe und ein schwungvoller Marsch, danach wird der Preis übergeben. In meiner Dankesrede werde ich auch all jene würdigen, die sich so aufopferungsvoll für die Verschönerung unseres Dorfes eingesetzt haben. Zum Abschluss der offiziellen Feier gibt es dann noch ein Musikstück und den Bandltanz der Volkstanzgruppe. Anschließend steigt beim Kirchenwirt das große Festmahl.“

Aufmerksame Frühaufsteher (und in St. Marein am Langholz gab es traditionsgemäß nur Frühaufsteher) konnten, sofern sie sich die Mühe machten einen Blick aus dem Fenster zu werfen, am Sonntag, den 16. August 2015, im mageren Licht der Frühe zwei distinguierte Herren im Niederösterreicheranzug über den Dorfplatz schreiten sehen. Der ältere der beiden, Bürgermeister Rupert Höllerschmied, nahm kurz entschlossen die Stufen zur Ehrentribüne in Angriff. Blieb oben angekommen kurz stehen, nur um alsbald mit dem linken Fuß fest auf den Brettern aufzustampfen.
Diese an und für sich unbedeutende Tätigkeit zauberte einigen der Hinterdenfensternstehenden Sorgenfalten auf die an sich glatte Stirn, da sie alle wussten, dass ihr Bürgermeister Rechtshänder war. Doch seinem zufriedenen Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass die Tribüne die Belastungsprobe soeben bestanden hatte. Für diesen Test brauchte er keine statischen Berechnungen, sein Körpergewicht von hunderteinunddreißig Kilo genügte ihm vollauf. Sicherheitshalber wiederholte er diese Prozedur nicht nur in der Mitte der hölzernen Plattform, sondern auch in allen vier Ecken. Sichtlich mit der Arbeit seiner Bauhofleute zufrieden, nickte er seinem Schwager Engelbert Zeinzinger zu und deutete ihm, ebenfalls auf die Tribüne zu kommen. Zeinzinger, Obmann des Verschönerungsvereins und sich seiner Wichtigkeit vollends bewusst, folgte ihm nach. Stampfte seinerseits fest auf, da er aus langjähriger Erfahrung wusste, dass der Bürgermeister solcherart Engagement seiner Untertanen stets wohlwollend registrierte. Zeinzinger, der insgeheim hoffte, bei der nächsten Gemeinderatssitzung für die Verleihung des Ehrenringes vorgeschlagen zu werden, richtete das Wort an seinen Herrn und Gebieter. "Wie viele Sessel sollen wir aufstellen, glaubst du, dass dreißig Stück genügen?" Der Bürgermeister runzelte kurz die Stirn und kratzte sich nachdenklich am Hals. Blieb minutenlang eine Antwort schuldig, doch sein angespannter Gesichtsausdruck gab Auskunft, dass sein Hirnkasten soeben im Begriffe war, zwei und zwei oder vielleicht auch mehr zusammenzuzählen. Seine Hände hatte er hinter dem Rücken versteckt, sodass sein Gegenüber nicht bemerken konnte, dass er seine Finger zum Mitzählen gebrauchte.
Höllerschmied war zu einem Ergebnis gekommen. "Zweiunddreißig Leute haben sich angemeldet, erfahrungsgemäß werden nicht alle kommen. Dreißig Sessel sollten also genügen und wenn doch alle angemeldeten Personen kommen sollten, dann werden eben unsere zwei Paradesozialisten bei der Feier stehen müssen, geschieht ihnen recht!"
Die beiden sozialistischen Gemeinderäte hatten vor einem Jahr dagegen gestimmt, dass sich die Gemeinde bei dem Wettbewerb "Schönstes Dorf Österreichs" wiederum beteiligen sollte, da man bereits zweimal schmählich gescheitert war. In ihren Augen war dieser Wettbewerb "die reinste Onanie unter schwarzen Brüdern"! Damit hatten sie sich unter diesen keine Freunde gemacht. Denn so wie seit Jahrzehnten das ganze Waldviertel, ja das ganze Land, mehrheitlich von den Schwarzen regiert wurde, so auch St. Marein am Langholz. Rupert Höllerschmied, nicht nur von der Statur her großund mächtig, hatte es mit seiner Bauernschläue zwanzig Jahre lang erfolgreich gehandhabt, sich mit Vertrauten aus seinem unmittelbaren Umfeld zu umgeben. Seine beiden Schwäger Zeinzinger und Grabherr saßen ebenso im Gemeinderat wie sein Schwiegersohn Manfred Hohenbichler und seine Cousine Hilda Gatterbauer. Hildas Mann war der Lagerhausobmann, deren jüngster Sohn Sekretär des Bezirkshauptmanns. Solcherart abgesichert, konnte man sich unnötige Sitzungen ersparen, da man sich innerhalb der Familie sowieso immer sonntagnachmittags beim Kaffee im trauten Heim traf. In entspannter Atmosphäre unter seinesgleichen konnte man so kommunale Probleme und Problemchen im Schongang einfach lösen. Heute jedoch war er verunsichert. Ausgerechnet heute! Er hatte schlecht geschlafen und zu all

Erscheinungsdatum
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Maße 115 x 180 mm
Gewicht 244 g
Einbandart Englisch Broschur
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Belletristik und verwandte Gebiete • Dorfgemeinschaft • Kommissar Kalteis • Krimi • Massaker von Stein April 1945 • Mathematik und Naturwissenschaften • Mord • Österreichs schönstes Dorf • Raiffeisenobmann • Spannung • St. Marein • Waldviertel • Waldviertel; Krimis/Thriller • Weitra
ISBN-10 3-902975-42-3 / 3902975423
ISBN-13 978-3-902975-42-3 / 9783902975423
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