Jerry Cotton Sonder-Edition 23 (eBook)
80 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
9783732527625 (ISBN)
Der Winter hatte New York in seinem eiskalten Griff. Doch auch bei Temperaturen weit unter Null, ruhte das Verbrechen nicht. Phil und ich nahmen an einer Großrazzia unter der Leitung von Captain Hywood von der City Police teil. Damit traten wir dem Syndikat ganz schön auf die Füße und schon bald fanden wir die erste steifgefrorene Leiche in einem Hinterhof ...
3
»Halten Sie mal einen Augenblick den Schnabel, ja?«
Detective Lieutenant Wilmoore sagte es nicht einmal unfreundlich. Gleichwohl lag genug Entschiedenheit in seiner Stimme, um den Hausverwalter zum Verstummen zu bringen. Der aufgeregte Bursche klappte den Unterkiefer so erschrocken hoch, dass es ein trockenes Geräusch gab.
Wilmoore blickte auf seine altmodische silberne Taschenuhr, als er im Begriff war, an dem uniformierten Posten vorbei die Wohnung zu betreten. Der junge Cop, der am Eingang Wache hielt, salutierte. Wilmoore nickte zerstreut, während er auf die Uhr blickte.
Es war genau 9.32 Uhr. Er ließ die Uhr in seine Westentasche zurückgleiten, vergewisserte sich mit dem linken Daumen, dass sie nicht danebengerutscht war, und sagte über die Schulter: »Sie bleiben hier draußen. Aber laufen Sie nicht weg! Ich brauche Sie gleich.«
»Ja«, versicherte der Hausverwalter ergeben, »ja, natürlich, Sir. Selbstverständlich. Ich warte, Sir.«
Wilmoore trat über die Schwelle. Er war 28 Jahre alt und bereits Leiter einer Mordkommission. Obgleich er kaum größer als 1.65 Meter war, wog er doch an die 110 Kilo, und man sah ihm sein Gewicht nur allzu deutlich an. Nicht dass man ihn hätte fett nennen können, so wirkte er keineswegs. Aber obschon er im sportlichen Training durchaus auf durchschnittliche Leistungen kam, so behinderte sein Gewicht doch namentlich seine Atmung. Deswegen nannten ihn seine Kollegen und seine Mitarbeiter mit gutmütigem Spott nur »Lokomotive«. Was freilich niemand hinderte, den größten Respekt vor seinen beruflichen Fähigkeiten zu empfinden.
Der junge Detective Lieutenant blieb hinter der Schwelle zum Wohnzimmer stehen und sah sich um. Der Blick aus seinen lebhaften kleinen Augen schien das Bild, das sich ihm bot, förmlich einzusaugen. Er bemerkte die teuren Drucke an den Wänden ebenso wie den sündhaft teuren Teppich auf dem Boden.
Rechts beherrschte eine gewaltige Musiktruhe die Wand. Eine Klappe war geöffnet, und man sah einen Plattenwechsler, auf dem die vierte Langspielplatte gerade anfing sich zu drehen. Darüber wurden, wie Wilmoore rasch aus der Nähe feststellte, weitere sechs Platten bereitgehalten. Die Stimme von Frankie-Boy drang sanft und einschmeichelnd aus den beiden Stereolautsprechern zu beiden Seiten des Gerätes.
Der Truhe gegenüber gab es einen gewölbten Durchgang zu einem kleineren Wohnzimmer, in dem ein Schreibtisch, ein paar Bücherregale und ein Aktenschrank den Charakter eines Arbeitszimmers hervorzurufen versuchten. Von hier aus führte eine offen stehende Tür in das grell erleuchtete Schlafzimmer. Das breite Doppelbett war unbenutzt und noch mit der Tagesdecke überzogen.
Vom Schlafzimmer aus führte eine halb offen stehende weiße Tür in das Badezimmer. Von dort her war Wasser bis hinaus in das Arbeitszimmer gelaufen. Wasser, das von trüben braunroten Wolken durchsetzt war.
Der Teppich im Schlafzimmer hatte sich voll gesogen und glänzte. Wilmoore tappte auf Zehenspitzen bis an die äußerste Grenze des Teppichs und reckte den Kopf vor.
Er blickte fast zwei Minuten lang reglos in das schwarz gekachelte Badezimmer. In seinem Gesicht war für einen Augenblick ein Ausdruck wie von Ekel. Dann drehte sich der Lieutenant rasch und ging wieder hinaus auf den Flur.
Der Hausverwalter stand neben dem hünenhaften Streifenpolizisten und versuchte, sich trotz der zitternden Finger eine Zigarette anzuzünden. Rings um seine Füße lagen bereits vier abgebrochene Streichhölzchen.
Wilmoore schüttelte missbilligend den Kopf, reichte dem Mann mit seinem Feuerzeug Feuer und bückte sich anschließend mit einem gewaltigen Schnaufer, um die vier Hölzchen einzusammeln. Er schob sie dem Mann in die Hosentasche, ohne sich um dessen maßlos verblüfftes Gesicht zu kümmern.
»Wie heißen Sie?«, fragte Wilmoore, nachdem er sich ächzend wieder hochgestemmt hatte. »Bitte, den vollen Namen!«
»Archie Neel McLeanton.«
»Schotte?«
»Mein Vater kam aus Schottland. Ich bin hier geboren.«
Wilmoore nickte und musterte den Hausverwalter. Er war nicht größer als der Lieutenant, aber er wog vermutlich nur halb soviel wie Wilmoore. In dem langen ovalen Gesicht zeichnete sich noch der erlebte Schock ab.
Dennoch verriet das Gesicht eine gewisse Bauernschläue. Vorsicht, sagte sich der Lieutenant in Gedanken. Diese Sorte fängt an zu lügen, wenn sie sich Vorteile davon verspricht.
»Also erzählen Sie mal der Reihe nach, was passierte!«, brummte Wilmoore.
»Es fing damit an, dass mich Mrs Jackson in ihre Wohnung rief. Mrs Jackson wohnt genau hier drunter, und sie ist die ver- hm! – also die widerlichste Person im ganzen Hause. Von morgens bis abends nörgelt sie herum.«
»Also Mrs Jackson rief Sie in die Wohnung, die unter dieser hier liegt. Ich vermute, dass Wasser durch die Decke drang?«
»Ja«, rief McLeanton. »Ja, genauso war es, Sir! Der Beton im Schlafzimmer muss einen Riss haben, obwohl ich mir das nicht erklären kann. Aber ausgerechnet bei der alten Jackson färbt sich die Decke feucht. Himmel, hat der alte Drachen ein Geschrei gemacht! Man hätte denken können, der Mississippi ströme plötzlich durch ihr Wohnzimmer. Obwohl es nur ein paar Tropfen waren, musste ich auf jeden Fall etwas dagegen tun. Das Wasser kam von oben. Das konnte nur von hier kommen, aus der Wohnung der Mocksons, das war ja klar. Also ging ich rauf und klingelte. Ich hörte den Plattenspieler.«
»Wann war das?«, unterbrach der Lieutenant.
»Na, es muss gegen neun gewesen sein. Na, etwas später. Die Neun-Uhr-Nachrichten waren gerade vorbei, als die Jackson anrief. Alles in allem wird es dann noch fünf Minuten gedauert haben, bis ich hier stand und das erste Mal klingelte. Es wird also zwischen zehn und 15 Minuten nach neun gewesen sein.«
Wilmoore nickte. »Haben Sie Musik gehört?«. fragte er.
»Ja, Sir! Klar doch! Das machte mich ja stutzig! Ich habe geklingelt wie ein Wilder, aber niemand hat aufgemacht. Dabei hörte ich ganz deutlich die Musik! Es half ja nun alles nichts, rein musste ich, damit ich die Geschichte mit dem Wasser abstellen konnte. Und wie also niemand aufmacht, da habe ich meinen Zweitschlüssel rausgesucht …«
»Hatten Sie den schon bei sich?«
»Hier«, erwiderte McLeanton und zeigte einen Bund von wenigstens 20 kleinen Schlüsseln. »Habe ich immer bei mir. Also, ich schloss auf und rief erst noch zweimal von der offenen Tür her.«
»Lief der Plattenspieler?«
»Ja, freilich! Von daher kam doch die Musik!«
»Wissen Sie zufällig, was gerade lief, als Sie die Wohnung betraten?«
Der Hausverwalter runzelte die Stirn. »Warten Sie mal, Sir … ah ja. Ich hab’s, Judy Garland. Den Song von dieser Stadt, also, dass ich doch immer den Namen vergesse – warten Sie …«
»San Francisco?«
Ein breites Grinsen flog über McLeantons Gesicht. »Richtig, Sir. Sie kennen sich wohl aus mit solchen Sachen, was? Ja, also das war’s. San Francisco, gesungen von Judy.«
Wir werden alle Platten durchspielen, nahm sich Wilmoore vor, und feststellen, ob das Lied überhaupt vorhanden ist. Und wir werden die Zeit stoppen und gegebenenfalls ausrechnen, wann der Song lief. Er drehte sich um, weil er den Fahrstuhl hörte. Sechs Männer, die pralle Taschen und kleine Koffer trugen, schoben sich aus dem engen Fahrstuhl.
»Da seid ihr ja«, sagte Wilmoore. »Ich bin mit einem Taxi gekommen, weil ich zufällig in der Nähe wohne. Ist der Arzt noch nicht da?«
»Doc Wilberry muss jeden Augenblick kommen«, sagte der hagere Detective Sergeant Mattison, der allgemein als Wilmoores rechte Hand galt.
»Okay. Wir können uns Zeit nehmen; Der Frau kann niemand mehr helfen. Ihr könnt im Wohnzimmer anfangen, bis der Doc da ist und seine Arbeit getan hat. Ich möchte, dass Sie sich besonders um den Plattenwechsler kümmern, Harry.«
Mattison nickte. »Was ist eigentlich los, Chef?«, fragte der hagere Mann, der fast zwei Meter groß war. »Mord?«
Wilmoore zuckte die Achseln. »Es scheint Selbstmord zu sein. Eine Frau in der Badewanne hat sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern geöffnet. Wie gesagt, es scheint Selbstmord zu sein.«
Er fuhr sich wieder mit dem Zeigefinger über die Nase. Und dabei dachte er: Selbstmord? Wenn nur dieser verdammte Plattenwechsler nicht wäre …
***
Es gab noch zweimal das dumpfe Geräusch des Schalldämpfers. Dann jagte ich einen kurzen Feuerstoß hoch über ihre Köpfe hinweg in die Batterie von Flaschen, die sich im obersten Regalfach hinter der Bar befand. Ein Regen von Scherben und Alkohol prasselte und plätscherte auf die vier Burschen herab, die schleunigst hinter der Theke in Deckung gegangen waren.
Hinter mir hörte ich irgendwas zwischen den Mänteln rumoren, aber ich hatte keine Zeit, mich darum zu kümmern.
»Euer Fuchsbau ist hermetisch abgeriegelt!«, rief ich hinüber zu der Theke. »Wir sind G-men und Detectives der City Police! Kommt heraus mit erhobenen Händen! Lasst eure Waffen liegen!«
Hinter der Theke gab es ein leises Poltern. Phil stand sechs Schritte rechts von mir. Ich musste mich darauf verlassen, dass er die rechte Hälfte der Theke kontrollierte, so wie er sich darauf verlassen würde, dass ich es mit meiner Hälfte tat.
»Los, raus mit euch!«, rief mein Freund. »Oder wir holen euch mit den Tommy Guns hervor! Tempo, Herrschaften, Tempo!«
Jetzt tauchte auf meiner Seite eine Hand mit einer Pistole am linken Ende der Theke auf. Ich schob mit...
| Erscheint lt. Verlag | 29.3.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton Sonder-Edition | Jerry Cotton Sonder-Edition |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dedektiv • Detektiv • Deutsch • Deutsche Krimis • eBook • E-Book • eBooks • Ermittler • erste-fälle • gman • G-Man • Hamburg • Horst-Bosetzky • international • Kindle • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimiautoren • Krimi Bestseller • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Krimis • krimis&thriller • letzte fälle • martin-barkawitz • Mord • Mörder • nick-carter • Polizei • Polizeiroman • Polizist • Reihe • Roman-Heft • schwerste-fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • Spannung • Spannungsroman • stefan-wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • uksak • Verbrechen • Wegner |
| ISBN-13 | 9783732527625 / 9783732527625 |
| Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
| Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich