Jerry Cotton 3066 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
9783732527571 (ISBN)
Wir starrten Director Fuller ungläubig an. Entsetzen und Unglauben spiegelte sich in unseren Mienen. Eben hatte uns der Chef des FBI mitgeteilt, dass fünf FBI-Agents wegen Vergewaltigung in Haft saßen. Die Fälle waren mit größter Geheimhaltung abgewickelt worden, um den Ruf des FBI nicht zu beschädigen. Nun war es zu einer weiteren Vergewaltigung durch einen Agent gekommen, und Phil und ich erhielten den geheimsten aller Geheimaufträge, der sich schnell als Himmelfahrtskommando erwies ...
Es war später Nachmittag und eigentlich wollten wir das Büro in etwa zehn Minuten verlassen. Ich hatte Phil überredet, bei dem milden Frühlingswetter einmal nicht in sein stickiges Fitness-Studio zu gehen, sondern mit mir im Constitutional Garden zu joggen.
»Bist du so weit?«, fragte Phil, der seinen Kopf in mein Büro gesteckt hatte. Ich räumte die restlichen Papiere vom Schreibtisch, schnappte mir mein Jackett und wir verließen mein Büro. Auf dem Gang kam uns Mr High entgegen, seine Stirn wies eine steile Falte auf und er sah uns an.
»Sie sind früh dran heute«, meinte er zu uns. »Haben Sie am Abend etwas vor?«, fragte er uns und ich wusste gleich, dass irgendetwas nicht stimmte.
»Wir wollten nur zwei Stunden joggen gehen, so bis sieben, dann könnten wir Ihnen wieder zur Verfügung stehen«, meinte Phil und unser Chef nickte nachdenklich.
»Gut, machen Sie das, kommen Sie bitte dann um acht Uhr in das Restaurant Marcel’s am Washington Circle, kennen Sie das?«
»Ja, natürlich. Was ist denn los, Mr High?«, fragte ich. Klar, das Marcel’s kannte man, es war der beste und teuerste Franzose hier in Washington, und wie ich gehört hatte, war das Restaurant erstklassig.
»Es handelt sich um eine Einladung zum Essen«, sagte unser Chef ernst.
»Einladung zum Essen?«, fragte Phil zögerlich. »Und warum sind Sie dann so besorgt darüber?«
»Ja, wir drei sind zum Essen eingeladen«, erwiderte Mr High. »Von Director Fuller persönlich«, meinte er.
»Der FBI Director lädt uns zum Essen ein«, rutschte es mir scheinbar so überrascht heraus, dass Mr High wieder mit einem ernsten Gesicht nickte.
»Ganz genau, Jerry, und ich habe das untrügliche Gefühl, dass es nicht darum geht, unsere Leistungen zu honorieren. Wenn der Director ein Gespräch außerhalb des Headquarter möchte, dann kommt wahrscheinlich eine sehr unangenehme Sache auf uns zu. Darum seien Sie vorsichtig mit irgendwelchen vorschnellen Äußerungen heute Abend. Besonders Sie, Phil«, ermahnte er uns. »Dann um acht Uhr, seinen Sie bitte pünktlich, die Reservierung lautet auf Mr Smith.«
***
Wir waren laufen gewesen, wie geplant, dann hatte ich geduscht und war die fünfzehn Minuten zu Fuß zu Phils Apartment gegangen. Er wartete auf mich in der Lobby. Wir beide trugen dunkle Anzüge mit Krawatte, so wie wir es auch im Büro taten, und saßen zwei Minuten später in einem Taxi, das uns zum Washington Circle NW brachte, in dessen Nähe das Marcel’s lag.
»Seit wir in Washington sind, plane ich schon, dort essen zu gehen«, meinte Phil, als ich den Taxifahrer bezahlt hatte und wir die paar hundert Yards zu Fuß weitergingen. »Weißt du, es hat einen Michelin-Stern, doch heute habe ich irgendwie keine besondere Lust darauf.«
Phil hatte genau wie ich ein ungutes Gefühl bei der Sache. Vor allem irritierte mich, dass die Reservierung auf einen anderen Namen lief. Natürlich musste der FBI Director sich in der Öffentlichkeit bedeckt halten.
Doch der Name Fuller kam in den Vereinigten Staaten so oft vor, dass ich mich schon lange gefragt hatte, ob es sein richtiger Name war oder ob man ihm, aus Sicherheitsgründen für seine Familie, eine andere Identität gegeben hatte.
Das Nächste, was mir dann sofort ins Auge fiel, waren die fehlenden Bodyguards – Agents, die sich immer in der Nähe des Directors aufhielten. Wenn sich einer von unseren Männern außerhalb des Restaurants aufgehalten hätte, dann hätte ich das sofort bemerkt. Ich sah nur Mr Highs Wagen mit seinem Fahrer und Bodyguard.
»Bitte, meine Herren«, meinte der Empfangschef, als wir nach der Reservierung für Mr Smith fragten. »Ich bringe Sie in unseren kleinen separaten Raum, der auf Wunsch von Mr Smith reserviert wurde.«
Wir durchquerten das elegante Restaurant mit den großen goldenen Spiegeln und der ganz in weiß und beige gehaltenen Ausstattung. Es war kurz vor acht Uhr und die vielleicht fünfzehn Tische waren alle besetzt.
Er öffnete eine Tür hinter einem hellbraunen Vorhang und wir sahen Director Fuller und Mr High bereits an dem für vier Personen gedeckten Tisch sitzen. Auch hier war, außer uns, kein anderer Agent zu sehen.
»Guten Abend, Sir«, begrüßten wir Director Fuller und schüttelten ihm die Hand.
»Bitte, Mr Cotton, Mr Decker, nehmen Sie doch Platz«, sagte er, und daran, wie er uns titulierte, merkte ich schon, dass dieses Treffen sehr konspirativ war und auch keinen offiziellen FBI-Background haben konnte.
»Mr High und ich probieren gerade einen ausgezeichneten Pouilly Fuisse als Aperitif, darf ich Ihnen etwas einschenken?«, fragte uns der Director und wir beide zögerten. »Nehmen Sie nur, das ist eine private Einladung, und es wäre eine Schande, im Marcel’s zu essen, ohne die hervorragenden Weine zu probieren.«
So nickten wir beide und er nahm die Flasche aus dem Weinkühler. Wir stießen an und tranken alle vier. Ich wurde immer verwirrter, wusste langsam nicht mehr, was hier vorging. Es lag eine eigenartige Atmosphäre in der Luft.
»Mr Smith, haben Ihre Gäste schon gewählt?«, fragte uns der elegante Ober, der in den Raum gekommen war.
»Wenn es den Herren recht ist, dann nehmen wir alle Ihr Fünf-Gänge-Menü, oder möchten Sie lieber à la carte essen?«
»Nein, das hört sich gut an«, beantwortete unser Chef die Frage für uns alle.
»Gut, dann das Menü, und wir nehmen einen guten Roten dazu, bitte wählen Sie für uns«, meinte Director Fuller und der Ober nickte ihm gefällig zu.
Wieder trank Director Fuller von dem exzellenten Weißwein. »Sie können sich vielleicht denken, dass diese Einladung nicht nur kulinarischen Zwecken dient. Ich muss mit Ihnen über eine Sache sprechen, die in Kreisen unseres Arbeitgebers als streng geheim gilt.« Also doch, dachte ich und nippte ebenfalls an meinem Wein. Phil griff sich ein Stück Walnussbrot und bestrich es mit einer Lachscreme.
»Sir, wie können wir Ihnen helfen?«, fragte Mr High.
»Es stimmt, ich brauche Hilfe, damit meine ich mich persönlich, und wenn Sie sich bereit erklären sollten, sich um diese Fälle zu kümmern, dann wäre das inoffiziell. Es dürfte keine Verbindung mit mir persönlich entstehen. Natürlich unterstütze ich Sie, wo ich kann, doch falls ich eine offizielle Stellungnahme geben muss, dann würde ich behaupten, nichts davon zu wissen.«
»Worum geht es, Sir?«, fragte ich, denn wenn der mächtigste Mann beim FBI einen solchen Weg nehmen musste, dann brannte es irgendwo ganz gehörig. Ich hoffte nur, dass es sich nicht um eine interne Korruption oder womöglich interne Ermittlung handelte. Daran konnte man sich die Finger verbrennen und schnell als Field Agent in Alaska enden. Director Fuller wartete, bis uns die gebratene Foie gras mit gerösteten Nüssen serviert worden war und wir wieder alleine waren.
»Essen Sie, es ist ausgezeichnet. Ich werde Ihnen erst einmal die Fakten berichten«, meinte er und wir alle begannen zu kosten. »In den letzten zwei Jahren hatten wir fünf Fälle von Vergewaltigungen zu verzeichnen, die auf Kosten von Mitarbeitern unseres Bureaus gingen«, sagte er und wir drei sahen ihn entsetzt an.
»Sie meinen, ein Agent hat …«, fragte Phil erstaunt und senkte seine Gabel.
»Ja, Mr Decker, so ist es. Bitte benutzen Sie den Ausdruck Mitarbeiter. Aber es ist nicht nur einer, wie ich schon sagte, es sind fünf. Die Opfer kannten ihre Namen und einige von ihnen auch die Dienstnummern der Mitarbeiter. Sie haben die Männer zweifelsfrei erkannt bei der Gegenüberstellung«, meinte er und aß seelenruhig weiter.
»Kommen Sie schon, essen Sie, auch wenn es Sie schockiert«, sagte er, als er bemerkte, dass wir alle unser Besteck aus der Hand gelegt hatten.
»Die entsprechenden Mitarbeiter sind in Haft, wir haben alles unternommen, damit die Presse keinen Wind davon bekommt. Außerdem wurden den Opfern hohe Entschädigungen gezahlt, damit kein Wort in die Öffentlichkeit dringen konnte. Sie können sich vorstellen, was es für den Ruf des Federal Bureau bedeuten würde, wenn so etwas bekannt würde. Ich selbst habe das mit dem Generalstaatsanwalt in die Hände genommen. Alle fünf Täter wurden verurteilt und sind in einem Gefängnis in Virginia untergebracht.«
»Sir, sind wir denn sicher, dass es sich bei den Tätern wirklich um unsere Mitarbeiter handelt?«, fragte ich, denn ich konnte kaum glauben, was ich hörte.
»Ja, das waren wir zweifelsfrei, wie gesagt, die fünf jungen Frauen konnten die Männer einwandfrei identifizieren. Ich kann Ihnen sagen, ich war schockiert, denn ich habe die Anzeigenprotokolle persönlich gelesen. Die Detectives der Sex Crime Units des PD in Virginia wurden ebenfalls in die Schweigepflicht genommen, was ein wirklich schwieriges Unterfangen war. Doch da unsere Männer verurteilt wurden und jetzt in Einzelhaft sitzen, konnten sich unsere Kollegen, mit der Verschwiegenheitspflicht abfinden.«
»Sind sie in Einzelhaft, damit sie im Gefängnis nicht gleich selbst Mordopfer werden?«, fragte Phil und probierte den Hauptgang. Er schien weniger schockiert als ich und Mr High. Wir aßen sehr verhalten, während Phil die Angelegenheit erstaunlich sachlich anging.
Natürlich wussten wir, dass auch beim FBI und besonders bei den Police Departments die weiblichen Kolleginnen immer mal wieder sexuellen Belästigungen ausgesetzt waren, doch eher verbaler Art – ein Thema, das die Behörden, aber vor allem einige männliche Kollegen immer noch nicht im Griff hatten.
Manchmal konnte man den Eindruck gewinnen, wir...
| Erscheint lt. Verlag | 22.3.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | Jerry Cotton |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
| Schlagworte | Dedektiv • Detektiv • Deutsche Krimis • Ermittler • Komissar • Kommisar • Kommissar • Krimi • Krimi Bestseller • Kriminalroman • Krimis • Mord • Mörder • Polizei • Polizist • Spannung • Spannungsroman • Tatort • Thriller • Verbrechen |
| ISBN-13 | 9783732527571 / 9783732527571 |
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