John Sinclair 1965 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7325-2690-1 (ISBN)
Als Sergio Batiste in dieser Nacht am Strand saß und auf das Meer schaute, da wusste er, dass etwas passieren würde. Er hatte sich nicht geirrt, denn dem Meer entstieg ein Monster - ein menschliches Wesen, dessen Gesicht aus Tentakeln bestand.
Und das war erst der Anfang ...
Niemand sah es zu diesem Zeitpunkt, die Nacht deckte vieles zu, denn trotz des Mondscheins gab es genügend dunkle Flecken, die man auch als wundervolle Verstecke bezeichnen konnte.
Wieder schäumten die hohen Wellen heran, die der Wind in der weiter entfernt liegenden Meerfläche erzeugt hatte.
Die Wellen kamen. Schnell, rasant, sich überschlagend und auch schäumend. Sie erreichten die ersten wenigen Felsen vor der Küste. Ein Teil von ihnen wurde gebrochen, ein anderer jedoch schleuderte die Wucht dem Ufer entgegen.
Noch mal bäumte sich das Wasser auf, ohne dass es ein Hindernis fand. Dann zog sich das Wasser wieder zurück und ließ den Strand leer liegen.
Wie immer – oder?
Nein, diesmal lag er nicht leer da. Das Meer hatte etwas mitgebracht. Es war von den Wellen ausgespien worden und lag nun im feuchten Sand. Immer wieder wurde es vom Wasser erreicht, aber nie mitgenommen. Dafür war es einfach zu schwer.
Es blieb dort liegen wie ausgestreckt. Wenn jemand näher herangekommen wäre, und hätte es sich genauer angeschaut, dann hätte er den menschlichen Körper erkannt.
Aber zugleich auch das andere, das Unfassbare und das eigentlich Unglaubliche …
***
Sergio Batista lachte. Aber nicht lauthals hervor, sondern mehr nach innen. Er freute sich wahnsinnig, weil ihm ein Coup gelungen war, zu dem er sich gratulieren konnte.
Er hatte die Beute gemacht. Er war schlauer gewesen als der Bote, der das Geld in einer unscheinbaren Aktentasche transportierte, die schon ihre Jahrzehnte auf dem Buckel hatte. Es war letztendlich ganz einfach gewesen.
Sergio hatte sich an den Mann herangeschlichen, was im vorweihnachtlichen Trubel auch keine große Tat war. Er hatte auch gesehen, dass Tasche und Handgelenk nicht durch eine Kette verbunden waren. Diesen Leichtsinn hatte er ausgenutzt.
Der Bote war durch einen blitzschnell angesetzten Tritt ins Stolpern gebracht worden. Der nächste Tritt hatte ihn zu Boden gehen lassen sollen. Um das zu vermeiden, hatte er die Arme vorgestreckt.
Darauf hatte Sergio gewartet. Jetzt hatte er zugreifen können. Er drehte den rechten Arm herum. Der ziehende Schmerz sorgte dafür, dass der Bote die Tasche losließ.
Das war Sergios Moment. Blitzschnell zugreifen und dann abtauchen. Das war es doch.
Für Sergio Batista war das kein Problem. Sekunden nach dem Überfall war er bereits in der Menschenmenge verschwunden, und nach zwei Minuten saß er auf seiner Vespa und fuhr zum Strand. Dort, in den Tälern der Dünen würde ihn so leicht keiner suchen.
Er machte es sich bequem. Setzte sich, streckte die Beine aus und drückte seinen Rücken gegen einen Dünenhang. Dann legte er die Tasche auf seine Beine und wollte sie öffnen.
Das war nicht so einfach. Die alte Aktentasche besaß zwei Schlösser und davon war keines offen.
Das war zwar ärgerlich, aber nicht weiter schlimm. Sergio musste es anders versuchen. Aus einer Gürteltasche holte er ein Messer, das eine breite und auch spitze Klinge hatte. Sie war sehr gepflegt worden und glänzte im Mondschein.
Der Dieb hoffte, dass die Tasche keine andere Sicherung hatte, und zwar im Innern. Dann trat das Messer in Aktion. Er säbelte damit gegen das Leder, das sich zäher zeigte, als er gedacht hatte. Es war auch nicht so dünn, und er musste mehrmals mit dem scharfen Messer ansetzen, um einen Schnitt zu bekommen.
Das schaffte er endlich und lachte dabei. Danach gab es keine großen Probleme mehr. Er konnte die Öffnung erweitern und die Taschenseite schließlich ganz aufreißen.
Danach war alles einfach. Es gab kein hinderndes Futter mehr. Er schaute in die Tasche hinein und besah sich das Innenleben.
Papiere in der Größe eines DIN-A4 Formats. Das war nichts. Er wollte Geld. Deshalb räumte er die Papiere zur Seite und schaute nach. Sein Atem ging schneller und ein ungewöhnlicher Laut drang aus seinem Mund, als er das Bündel sah, das auf dem Grund der Tasche lag.
Geld – Scheine. Wie wunderbar. Er packte sie und sah auf die Banderole.
Dabei verzogen sich seine Lippen. Er hatte mit viel mehr gerechnet. In der Mehrzahl hatte der Bote Papiere und Unterlagen transportieren müssen. Die Fünfhundert-Euro-Scheine konnten locker aus der Banderole rutschen. Es waren keine zehn, sondern sieben.
Sergio Batista fluchte und schlug vor Wut die Tasche gegen den weichen Boden. Er hatte in diesen Coup viel gesetzt, und jetzt hatte er gerade mal dreitausendfünfhundert Euro. Das war besser als nichts aber trotzdem eine Enttäuschung.
Er wühlte die Papiere gar nicht erst durch. Dafür war es zu dunkel hier am Strand. Er würde sie sich in der Helligkeit besser anschauen. Erst einmal musste er sich abreagieren.
Das Geld steckte er ein. Es passte locker in eine Hosentasche. Dann stand er auf und drehte sich.
Jetzt fiel sein Blick bis zum Wasser und über den Strand hinweg. Er sah den vom Mondlicht erhellten Sand und auch das schaumige Wasser, wenn es am Ufer auslief.
Sergio kannte sich aus. Er war schon als Junge an den Strand gelaufen, um den Wellen zuzuschauen. Manchmal brachten sie auch was mit, was dann den Namen Strandgut trug. Da hatte er in den vergangenen Zeiten schon einiges gefunden.
Und jetzt musste er viel Glück haben, wenn er etwas fand, was brauchbar war. Es gingen nicht mehr so viele Schiffe unter, und wenn, dann hatten sie nichts an Bord gehabt, was man als Strandgut hätte bezeichnen können. Einen letzten Blick warf er über den Strand. Danach wollte er sich wieder zurückziehen und tat es dann doch nicht.
Er blieb stehen.
Er wurde starr.
Er schüttelte nach einer Weile den Kopf, schloss die Augen, öffnete sie wieder und sah das Gleiche. Der Gegenstand hatte sich nicht vom Strand wegbewegt, obwohl er noch vom Wasser erreicht wurde. Er war nur zu schwer, um wieder in das Meer geholt zu werden.
Es dauerte ungefähr noch eine Minute, bis Sergio Batista den Blick senkte. Bei dem Fundstück hatte sich nichts getan, es war zu keiner Veränderung gekommen. Es blieb einfach nur auf dem nassen Stand liegen.
Was tun?
Im Kopf des jungen Mannes kreisten die Gedanken. Er hatte lange genug hingeschaut, um zu wissen, dass die Wellen einen Menschen an das Ufer gespült hatten.
Bestimmt keinen Lebenden.
Der Mann war tot. Dass es ein Mann war, hatte er gesehen. Und wie viele Menschen hatte auch Sergio Batista eine natürliche Angst vor dem Tod. Er hätte ihn liegen lassen können, um zu fliehen, aber da steckte noch ein anderer Gedanke in ihm.
Vielleicht war bei dem Toten etwas zu holen. Geld wäre wichtig gewesen. Er glaubte nicht daran, dass der Mann kein Geld bei sich getragen hatte. Er wollte das herauszufinden, aber er musste sich auch überwinden, denn seine Sache war es nicht, einen Toten zu durchsuchen. Was sein musste, das musste sein. Hätte er den Mann nicht durchsucht, er hätte sich große Vorwürfe gemacht. Außerdem war die erste Beute nicht eben zufriedenstellend gewesen.
Noch wartete er. Schaute, ob sich die Gestalt nicht doch noch bewegte. Manchmal gab es ja schon irgendwelche Wunder, aber damit brauchte er hier nicht zu rechnen.
Er ging los. Wo er in den Dünen gelauert hatte, war der Boden etwas härter gewesen. Das traf jetzt nicht mehr zu. Kaum hatte er die Dünen verlassen, breitete sich der tiefe Sand auf dem Boden aus, und das Laufen wurde nicht eben leichter.
Dass in der Dunkelheit auch Entfernungen täuschen können, das erlebte der einsame Strandläufer jetzt. Der Weg zum Ziel war doch weiter, als er gedacht hatte. Er ging auch nicht gerade. Durch den schweren Sand war das nicht möglich, und so sah er manchmal aus wie ein Mensch, der das Laufen lernt.
Das Mondlicht hinterließ auf den Wellen silberne Reflexe. Sie kamen Sergio vor wie Geister, die sich aus der Tiefe erhoben hatten, um einen nächtlichen Tanz aufzuführen.
Das Rauschen des Wassers war jetzt lauter geworden. Es wehte noch immer ein recht starker Wind, der auch an seinen Haaren zerrte. Endlich erreichte er die Gestalt und blieb dicht vor ihr stehen.
Der Mann lag auf der Seite. Er trug so etwas wie einen Mantel oder eine Kutte. Die Kleidung war mit Wasser vollgesaugt. Eine Kapuze bedeckte den Kopf, das Gesicht lag aber frei. Nur war es nicht zu sehen, denn der Kopf war zu sehr nach einer Seite gedreht.
Das Gesicht lag dabei im Sand.
Genau das wollte der Dieb ändern. Er packte die Gestalt an der Schulter an, um sie auf den Rücken zu drehen. Das gelang ihm nicht. Der Körper war zu schwer.
So nahm er seine andere Hand zu Hilfe und jetzt schaffte er es, den Körper zu drehen.
Er fiel auf den Rücken.
Der Blick in das Gesicht war frei.
Und dann schrie Sergio auf.
Das Gesicht bestand aus einer Ansammlung von Tentakeln …
***
Das war unmöglich, einfach grauenhaft. Ich – ich – irre mich. So jagten die Gedanken durch den Kopf des Mannes, der seinen Blick nicht von dem Gesicht wenden konnte.
Er irrte sich nicht. Die Tentakel beherrschten das Gesicht. Sie waren überall zu sehen. Es gab nichts mehr von einer Gesichtshaut. Er sah auch keinen Mund, keine Nase, keine Augen, nur die verdammten Tentakel. Und sie hingen schlaff aus dem Gesicht hervor und lagen auf dem Boden.
Sergio Batista riss sich zusammen. Er lauschte nur seinem eigenen schweren Atem. Der Blick war noch nach unten gerichtet. Er sah die Tentakel, er ließ seinen Blick weiter gleiten und erfasste so auch den Körper des Mannes.
Mannes? War er wirklich ein Mann oder Mensch oder einfach nur eine...
| Erscheint lt. Verlag | 8.3.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | John Sinclair |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | blutig • Clown • Gruselroman • Horror • Horror Bücher ab 18 • horror thriller • Jason Dark • Lovecraft • Paranomal • Sinclair • Slasher • Splatter • Stephen King • Steven King • Zombies |
| ISBN-10 | 3-7325-2690-9 / 3732526909 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-2690-1 / 9783732526901 |
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