John Sinclair 1964 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7325-2689-5 (ISBN)
Als Kevin King in die Unterwasser-Höhle eintauchte, da war er es, der dafür sorgte, dass sich ein altes Versprechen erfüllte.
Er befreite jemanden.
Es war eine Frau, die einen Schädel aus Knochen hatte, aber einen normalen Körper.
Doch sie war nicht nur das. Sie war noch mehr. Sie war...
DIE TEUFELSMUTTER
Er tauchte noch tiefer. Das kleine Gewässer lag abseits. Umgeben war es von einem Wald, dessen Büsche bis dicht an das Ufer heranreichten.
Der junge Mann wusste nicht genau, wie tief der See oder Teich war. Es gab Stellen, die höher lagen und dann wieder Senken oder Mulden. Dass Kevin den Grund sah, das lag an der lichtstarken Lampe, die er gegen die Stirn geschraubt hatte. Zwischen den Lippen steckte das Mundstück des Atemgeräts, auf seinem Rücken lag flach die Sauerstoffflasche.
Kevin atmete ruhig und gleichmäßig. Es war nicht sein erster Tauchgang, den er durchzog. Er kannte sich aus und wusste auch, dass er kein Gewässer unterschätzen durfte.
Die Lampe warf einen Kreis über den Grund, der verschwommen aussah und an den Rändern zerfaserte. Kevin war nicht ohne Plan in das Wasser gesprungen. Er wusste genau, wie er sich verhalten musste, wenn er den Grund erreicht hatte. Im Moment glitt er über ihn hinweg, folgte mit seinem Blick dem Strahl der Lampe und sah, dass der Boden an einer bestimmten Stelle leicht anstieg. Er bildete so etwas wie eine Schräge, die auch zu einem Graben gehören konnte.
Das war sein Ziel. Er hatte das Gefühl, hier fündig zu werden. Viele hatten darüber gesprochen, die meisten glaubten nicht an dieses Phänomen, aber er sah es anders. Es war durchaus möglich, dass die alten Sagen oder Geschichten stimmten. Wobei diese hier nicht mal lange zurücklag.
Kevin schwamm langsamer. Er blieb sogar an einer bestimmten Stelle im Wasser stehen und schien die Luftblasen zu verfolgen, die in die Höhe stiegen.
Aber das war es nicht, was ihn interessierte. Er senkte den Kopf ein wenig, sodass sein Licht die Schräge treffen konnte. Sie bestand aus einer dunklen Schlammschicht. Einige Pflanzen hatten sich dort festgesetzt. Fische gab es nicht. Jedenfalls hatte er in der Brühe keine gesehen.
Der Taucher blieb nicht an einer Stelle. Er schwamm an der Schräge entlang und hielt den Lichtstrahl gegen sie gerichtet. Es war die beste Möglichkeit, etwas zu entdecken. Und zwar etwas Bestimmtes. Deshalb war er in diesen Teich gesprungen und suchte ihn ab, um das Bestimmte zu finden.
Noch sah er es nicht. Noch musste er den Skeptikern recht geben, die über sein Vorhaben den Kopf geschüttelt hatten. Aber so einfach gab der Mann nicht auf.
Die Schräge blieb, präsentierte sich aber in einer unterschiedlichen Höhe. Dann entdeckte Kevin King auch die Veränderung. Der Schlamm war geblieben, doch aus ihm schaute etwas hervor. Es sah aus wie eine Steinformation und schimmerte bleich, als es vom Licht der Stirnleuchte getroffen wurde.
Wäre es ihm möglich gewesen, Kevin hätte einen Laut der Überraschung von sich gegeben. So aber blieb er still und näherte sich mit vorsichtigen Schwimmbewegungen dem, was er entdeckt hatte.
Der Gegenstand war jetzt gut zu erkennen, und dann glitt er noch etwas weiter vor.
Ja, jetzt war es deutlich zu sehen. Er jubelte innerlich auf und freute sich darüber, dass er recht behalten hatte. Obwohl das Wasser auch hier recht trübe war, sah er, was sich da am Hang gelehnt abzeichnete.
Es war ein Skelett!
***
Andere hätten den Atem angehalten. Bei ihm passierte genau das Gegenteil.
Er stieß die Luft aus und produzierte Blasen, die schnell an die Oberfläche stiegen.
Dass sie dort zerplatzten, das sah Kevin King nicht, denn seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein dem Skelett. Dass es etwas Besonderes war, stand für ihn fest, denn es war nicht nur der Totenschädel interessant, der im Licht leicht grünlich schimmerte, auch das andere war wichtig.
In diesem Fall war es der Körper.
Er malte sich unter dem eng sitzenden Kleid deutlich ab. Und wo er die Knochen hätte sehen müssen, da gab es sie nicht. Das Kleid endete über der Brust. Und dort gab es eine normale Haut, die bis zum Hals reichte, bevor der Knochenschädel begann.
Es war dieser Totenkopf, das sagte er sich, aber er konnte nicht auf den Schädel schauen. Deshalb sah er auch nicht, ob er normal war. Auf ihm war das Haar zu sehen. Sehr viel Haar sogar und auch irgendwie wuchtig. Kevin glaubte nicht, dass es das normale Haar war, das diese Gestalt einmal besessen haben musste, als sie noch ein Mensch gewesen war.
Jetzt nicht mehr.
Jetzt war die Gestalt ein Skelett. Auch so etwas wie ein Knochen-Monstrum, aber es sollte eine Frau sein, und damit hatte er im Prinzip auch gerechnet.
Kevin hatte sich lange auf den Tauchgang vorbereitet. Jetzt schwamm er im Wasser, trat auf der Stelle und starrte auf einen Arm mit normaler Haut, wobei die Hand aus blanken Knochen bestand.
Ein Phänomen, das gab er gern zu. Die gesamte Gestalt musste man als ein solches bezeichnen. So etwas hatte er noch nie gesehen, und damit hatte er auch nicht gerechnet. Nein, das traf so nicht zu. Er hatte damit gerechnet, dass er etwas finden würde. Es gab genügend Geschichten, die davon erzählten. Sie hatten von einem Skelett gesprochen, das auch weiterhin noch am Leben war.
Davon sah Kevin King nichts. Das Skelett bewegte sich nicht. Und wenn es doch mal geschah, dann war es eine Bewegung des Wassers, die sich auf die Gestalt übertrug.
Das Licht strahlte in das Knochengesicht. Es hatte eine bleich-grüne Farbe bekommen. Die Augen bildeten Höhlen, in denen die Dunkelheit lauerte.
Kevin King bewegte sich wieder. Er glitt zurück und dachte darüber nach, was er jetzt unternehmen sollte. Eigentlich nichts. Er konnte und wollte nichts tun, denn ein Skelett war kein Mensch. Aber etwas tat er doch, obwohl er sich dazu überwinden musste. Er schwamm noch näher an die Gestalt heran und streckte seine Hand nach der Stirn aus.
Zwei Fingerkuppen drückte er dagegen und hatte das Gebein für Sekunden berührt, da zuckte er zusammen.
Das Zeug war warm.
Ja, er hatte Wärme gespürt und keine Kälte. So etwas war seiner Meinung nach unmöglich. Und doch hatte er sich nicht geirrt. Hier unten stand ein Skelett, in dem tatsächlich eine menschliche Wärme steckte.
Das war verrückt, und Kevin zog seine Hand auch schnell wieder zurück. Ihm war es unangenehm, das Skelett berührt zu haben.
Er schwamm etwas zurück.
In diesem Augenblick fiel der linke Arm des Skeletts nach unten. Die Knochenhand glitt nicht mal eine Fingerbreite von ihm entfernt vorbei, und als er das sah, da schauderte er im kalten Wasser noch zusammen.
Eine gewisse Entfernung musste sein. Sonst war seine Sicherheit nicht mehr vorhanden. Er wartete in einer bestimmten Entfernung ab. Wenn das Skelett ihn jetzt berühren wollte, dann musste es sich nach vorn bewegen. Er traute ihm alles zu.
Gewissensbisse bekam er nicht. Er wollte nur verschwinden. Raus aus dem Wasser. Er hatte etwas gesehen. Er hatte gedacht, dass es sich um ein Skelett handelte, und jetzt war er unsicher.
Diese Gestalt besaß nur einen Totenschädel. Ansonsten einen normalen Körper, der nicht mal nackt war, sondern von einem Kleid umschlungen wurde.
Das war verrückt. Das konnte er nicht erklären. Damit hätte er nie gerechnet. Je intensiver die Gedanken wurden, umso schneller schwamm er der Oberfläche entgegen und war froh, als er sie erreicht hatte und durch den Mund normal Atem holen konnte.
Er schwamm noch im See. Nur diesmal ohne Taucherbrille. Die hatte er nach oben geschoben. Das Ufer war da, nur nicht so nah. Er musste hinschwimmen, und das tat er mit kräftigen Kraulbewegungen. Dabei hatte er das Gefühl, verfolgt zu werden. Er drehte sogar den Kopf, sah aber nur die leicht wellige Wasserfläche.
Wenig später hatte Kevin King das Ufer erreicht. Er war froh darüber, dass seine Füße den Bodenkontakt bekommen hatten. Auch hier lag dick der Schlamm, und er musste seine Füße regerecht durchziehen, um sich fortbewegen zu können.
Als er aus dem Wasser stieg, da merkte er schon, dass er zitterte. Ob es die Kälte war oder seine Entdeckung, wusste er nicht. Das war alles andere als normal.
Er würde sich daran gewöhnen, das stand fest. Und was war denn passiert?
Eigentlich nichts.
Kevin King war mit seinem Rad gekommen. Das hatte er dort abgestellt, wo die Bäume in den Himmel wuchsen und die Sterne zu suchen schienen. Dahin ging er. Es war kein normales Gehen, es glich mehr einem Taumeln. Er hatte Mühe, immer wieder ein Bein anzuheben, was ihm letztendlich doch gelang.
Neben dem Rad lag seine Kleidung. Als er sich aus dem Taucheranzug regelrecht herauspellte, da fing er an zu frieren und stark zu zittern, als hätte man ihn mit Eiswasser übergossen. Er rieb Gesicht und Hals trocken, dann schlüpfte er in seine Winterklamotten. Eine dicke Jeans, ein Wollhemd und ein Pullover. Seine Füße steckte er in halbhohe Stiefel, dann war er bereit, wieder nach Hause zu fahren. Schon jetzt überlegte er, wem er etwas erzählen konnte. Es musste eine Person sein, die ihm glaubte. Davon würde er recht wenige im Ort finden, das wusste er auch.
Kevin stieg in den Sattel, nachdem er die Tauchutensilien in einer Box verstaut hatte, die sich auf dem Gepäckträger befand. Er hätte jetzt direkt nach Hause fahren können, aber das wollte er nicht.
Er wusste auch nicht den Grund zu nennen, aber es zog ihn noch mal in die Nähe des Gewässers. Obwohl er nicht schnell fuhr, schnitt ihm doch der kühle Wind ins Gesicht. Er stoppte am Ufer, wo auch die Wellen ausliefen, wenn sie vorhanden waren.
In diesem Fall nicht. Seit seinem Ausstieg aus dem Wasser hatten sie sich wieder beruhigt, sodass die Oberfläche glatt vor ihm lag. Zudem war sie gut zu sehen. Heller als die Umgebung am Ufer. Es lag daran, dass sich ein Vollmond am Himmel...
| Erscheint lt. Verlag | 1.3.2016 |
|---|---|
| Reihe/Serie | John Sinclair |
| Verlagsort | Köln |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | blutig • Clown • Gruselroman • Horror • Horror Bücher ab 18 • horror thriller • Jason Dark • Lovecraft • Paranomal • Sinclair • Slasher • Splatter • Stephen King • Steven King • Zombies |
| ISBN-10 | 3-7325-2689-5 / 3732526895 |
| ISBN-13 | 978-3-7325-2689-5 / 9783732526895 |
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