Dorthy Yoshida ist Astronomin - und sie ist telepathisch begabt. Sie erhält den Auftrag, das Geheimnis eines kleinen Planeten zu enträtseln, der einen roten Zwergstern umkreist. Die Welt scheint von einer intelligenten Lebensform gestaltet worden zu sein, aber sie ist nur von halbintelligenten Hirten bewohnt, die Herden von schneckenartigen Pflanzenfressern hüten, deren Nervensystem nur rudimentär entwickelt ist. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Verbindung zu den Aliens besteht, die zu den unversöhnlichen Gegnern der Menschheit gehören und ihr bei jeder Gelegenheit erbitterte Raumschlachten liefern. Doch als Dorthy die Oberfläche des Planeten betritt, fühlt sie die intensive Gegenwart einer so überwältigenden Intelligenz, wie ihr noch nie eine begegnet ist ...
Paul McAuley, 1955 im englischen Stroud geboren, arbeitete mehrere Jahre als Dozent für Botanik an der St. Andrews University, bevor er beschloss, sich ganz dem Schreiben zu widmen. 1988 veröffentlichte er seinen ersten Roman, Vierhundert Millionen Sterne, und gewann damit den Philip K. Dick Award. Neben Space Operas, die in der fernen Zukunft angesiedelt sind, befasst er sich in seinen Büchern unter anderem mit Themen wie Nanotechnologien, Biotechnologie und alternativer Geschichte. Er gilt als eine der herausragendsten Stimmen der britischen Science Fiction, für seine Romane wurde er mehrfach mit internationalen Preisen ausgezeichnet. Paul McAuley lebt und arbeitet in London.
Der Chopper flog in geringer Höhe über die öde Planetenoberfläche. In der Stille der kuppelförmigen Kabine betrachtete Dorthy Yoshida die vorbeigleitende tote Landschaft. Mit Geröll übersäte Hänge, Erhebungen aus Schwemmsand, die sanft erodierten Rundungen der Meteoriten-Krater. Alles schimmerte im Licht der riesigen sterbenden Sonne rötlich und karmesin. Nur der wandernde Lichtkreis des Chopper-Suchscheinwerfers enthüllte – den Leuchtpanelen in Ernsts ›Tag und Nacht‹ – phantastisch ausgekehlte Felder in Cyanid und Gelb, Säulen aus glitzerndem Quarz und Feldspat, bizarr gestaltete Sanddünen aus hellem Glimmer. In einem anderen Licht betrachtet könnte diese Welt wunderschön sein, aber unter dem bösartigen Auge des roten Zwerges wirkte sie nur trübe und unheilvoll. Und nirgends eine Spur von Leben in der Wüste. Diese Welt war umgewandelt worden, aber nur bis zu einem gewissen Grad.
Zu ihrer Überraschung sagte Kilczer plötzlich: »Nicht mal eine Stunde. Glauben Sie, das da vorn ist es?«
Es war schon einige Zeit her, dass er, abgesehen von Positionsangaben, etwas gesagt hatte. Seine anfänglich munteren Gesprächsversuche waren nach und nach immer spärlicher geworden und infolge von Dorthys brütendem Schweigen schließlich ganz versiegt. Für ihre missliche Lage machte sie ihn im gleichen Maß verantwortlich wie Dr. Andrews und fühlte sich im Moment sehr allein auf weiter Flur, zumal sie inzwischen Colonel Chungs verstecktes Angebot, sich auf ihre Seite zu schlagen, reiflich überlegt und abgelehnt hatte. Halte Abstand, bleibe sauber! Steh über diesem allzu menschlichen Unsinn, den kleinen Intrigen und nichtigen Streitereien. Erinnere dich lieber an die einzigartige, stille Beschaulichkeit des schimmernden Universums.
Dorthy beugte sich vor und sah, dass der Horizont jetzt einen dunklen Rand aufwies. »Ist das der Krater?«
»Der Anfang davon, denke ich.« Kilczer hielt den Steuerhebel in einer Hand und machte sich mit der anderen an der Fernpeilung zu schaffen.
»Der Boden ist tatsächlich lohfarben – mit einem grünen Auge in der Mitte«, murmelte Dorthy.
»Auch wieder frei nach Shakespeare?«
»Ich dachte schon, ich sei hier die einzige Person, die ihn gelesen hat.«
»Auf Nowaja Rosja haben wir uns mit ihm beschäftigt – manchmal sogar seine Stücke aufgeführt.« Kilczer erwartete offenbar, dass sie ihn über Nowaja Rosja ausfragte. Doch sie schwieg, und so fuhr er fort: »Wieso sollte jemand auf einer Welt wie dieser leben wollen? Sie ist ja noch schrecklicher als meine Heimat.«
»Vielleicht kann ich Ihnen schon bald den Grund nennen«, sagte Dorthy kurz angebunden.
Kilczer zuckte die Achseln und tat so, als ob er sich auf das Steuern des Choppers konzentrieren müsste. In Wirklichkeit flog dieses Gerät fast völlig automatisch. Kilczer brauchte kein Gedankenleser zu sein, um Dorthys eisige Ablehnung und Feindseligkeit zu spüren.
Dorthy versenkte sich wieder in die Betrachtung der Landschaft. Die Wüste wich langsam niedrigem Buschwerk mit knorrigen Zweigen ohne Blätter, das seinerseits allmählich in ein verdorrt aussehendes Grasland überging. Wenn das, was da unten im Licht der Sonne tiefviolett, im Scheinwerfer des Choppers bläulichgrün schimmerte, wirklich Gras war! Vereinzelt standen kleine Bäume mit flachen Kronen – eine kärgliche Steppenlandschaft, die sie stark an den australischen Outback erinnerte. Aber daran mochte sie nicht mehr denken.
Weiter vorn stieg das Land an. Baumbedeckte Hänge, von Spalten und Canyons durchzogen, dehnten sich bis in die Wolken hinauf. Der Chopper-Antrieb summte leiser, als die Maschine in der dünnen Luft höher stieg und einer engen, gewundenen Schlucht folgte. Dorthy sah eine Herde großer Kreaturen auseinanderspritzen und zwischen den niedrigen Bäumen Schutz suchen. Kilczer steuerte den Chopper auf sie zu und ging dabei so tief, dass der Fallwind der Rotoren die Äste der Bäume peitschte. Dorthy erspähte ein halbes Dutzend langmähniger, elefantengroßer Wesen, die in einer Reihe hintereinander hertrotteten. Sie hatten stämmige, gedrungene Hinterbeine und längere Vorderläufe sowie große, bewegliche Schnauzen …
Kilczer sagte etwas auf Russisch und flog eine enge Schleife. Die plötzliche Wendung presste Dorthys Schulter schmerzhaft in den Sicherheitsgurt. Jetzt schwebten sie genau über den Tieren.
»Megatheria«, wiederholte Kilczer. »Sie können doch nicht parallel … Aber was …?«
»Sie wissen, was das da unten für Kreaturen sind?«
»Ich glaube schon. Riesenfaultiere – wie es sie vor etwa einer Million Jahren auch auf Erde gab.« Er stieß den Steuerhebel vor. Der Chopper nahm wieder Fahrt auf und schraubte sich in die Höhe.
»Vor einer Million Jahren«, murmelte Dorthy. Sofort dachte sie an die Schicht Vulkanasche in den ausgebohrten Bodenproben, an die verschwindend dünne Schicht Meteoritengestein darüber. Eine Million Jahre!
Wieder machte sich ein drückendes Schweigen breit. Das Land unter ihnen glättete sich allmählich zu einem bewaldeten Hochplateau. Vor ihnen dehnte sich ein riesiger See bis zu den Bergen hin. Kilczer folgte dem Uferstreifen und überprüfte immer häufiger die Fernpeilung.
Wenig später entdeckte Dorthy einen orangefarbenen Tupfer am Ufersaum. »Das Camp«, bemerkte Kilczer überflüssigerweise. Dorthy fühlte seine Erleichterung.
Sie kreisten und schwebten eine Zeitlang über einem flachen Bodenareal, um vor der Landung das Frachtnetz auszuklinken. Der Chopper berührte den Boden und hüpfte nochmals hoch, ehe er völlig zum Stillstand kam. Kilczer fluchte und stellte die Antriebe ab. Zu beiden Seiten verstummten die Motoren. Dorthy sah zwei Personen auf das Fluggerät zulaufen.
Kilczer öffnete die Luke. Kalte Luft, vermischt mit dem vertrauten Duft von Pinien, drang herein. Kilczer nieste. Duncan Andrews grinste breit und rief von unten: »Also habt ihr es doch noch geschafft. Willkommen an der Front!«
Sein Begleiter, der schwarze, kraushaarige Biologe Angel Sutter, war schon dabei, das Netz von den mitgebrachten Nachschub-Behältern wegzuzerren.
»Also los!« Andrews klatschte in die Hände. »Dann wollen wir das Zeugs da mal verstauen.«
Die nächste halbe Stunde schleppte Dorthy gemeinsam mit Andrews, Kilczer und Sutter Ausrüstungsteile in Plastikbehältern und Säcke mit Verpflegung und Nachschub. Andrews redete dabei ununterbrochen und erzählte ihnen begeistert, dass alles glänzend laufe, dass sie hier keinerlei Probleme haben würden, dass es hier gottverdammt das reinste Paradies sei, dass die Zwillinge (wobei er einfach vergaß, ihnen zu sagen, wer das war) in der Gegend herumturnten und einigen Hütern folgten, um Proben von Flora und Fauna zu sammeln. Kilczer fragte nach den Megatheria, aber Andrews tat die Frage mit einem Achselzucken ab. »Sie haben sicherlich Recht. Die meisten bekannten Welten und auch ein paar, von denen wir nichts wissen, sind geplündert worden, um diese Welt hier einzurichten. Aber das ist auch schon alles, was ich weiß.« Und als Kilczer nachhaken wollte, fügte er rasch hinzu: »Dazu sollten Sie die Zwillinge befragen. Die wissen alles über diese Dinge.« Im gleichen Atemzug erzählte er ihnen, dass sie an einen Zeit- und Arbeitsplan gebunden seien, der aber so knapp bemessen sei, dass sie ihn nie einhalten konnten. »Also zum Teufel damit. Wir hier draußen entscheiden in letzter Instanz, was wichtig ist, nicht die Verrückten da oben im Orbit. Machen Sie sich deswegen nur keine Sorgen.«
Er war noch aufgedrehter, als Dorthy ihn bei ihrer ersten Begegnung erlebt hatte, ein gutmütiger Riese, der alle dominierte, sogar den stattlichen Angel Sutter. Dorthy lächelte höflich zu seinen Worten und hievte einen kleinen Behälter auf einen wenig größeren neben dem beleuchteten orangefarbenen Kuppelzelt. Sie lehnte sich gegen die Kisten und schaute über die kilometerweite schwarze Wasserfläche zu den sich im See spiegelnden Bergen hinüber, die links und rechts des Ufers ihre von dichten Wolken verhüllten Gipfel in den Himmel reckten. Sie spürte die Realitätsverzerrung, die alle Reisenden plagt, eine Überlagerung der Identität durch reine motorische Abläufe, die einen alles Fremde erst akzeptieren lässt, ohne es vorher zu hinterfragen: den Teppich aus violetten Ranken, der den Boden bedeckte, in den um das Kuppelzelt herum schon staubige Trampelpfade hineingetreten waren, den Sternenhimmel am Tag, die von Krebsgeschwüren gefleckte riesige Sonnenscheibe, oder den dichten, verfilzten Wald hinter dem schmalen Wiesenstreifen, der die Konturen des Uferverlaufs nachzeichnete. Vor kaum drei Wochen war ich noch auf Erde, dachte sie, in Galveston …
Aber das schien jetzt ebenfalls ohne realen Bezug zu sein.
»Achtung – aufgepasst!« Duncan Andrews setzte einen großen Behälter ab, richtete sich auf und rieb sich mit einer Hand über die Schulter. »Jesus!« Er stand jetzt dicht neben Dorthy und verströmte einen heißen männlichen Geruch. »Schätze, das ist jetzt sicher genug gestapelt. Hoffentlich ist nichts zerbrochen. Die nächste Zeit werden keine Lieferungen von Camp Zero mehr kommen. Habe meinen letzten Rest von Geduld und Höflichkeit aufbringen müssen, um den Colonel zu überreden, Sie und Arcady herfliegen zu lassen. Ich frage mich allen Ernstes, wofür sie ihre kostbaren Chopper überhaupt hat auspacken und montieren lassen. Egal, jetzt sind wir hier.«
Er rief Sutter und Kilczer herbei. Gemeinsam betraten sie das Kuppelzelt und unterzogen sich in der kleinen Schleusenkammer der reinigenden Dusche. Beißender Dampf nebelte sie von allen Seiten ein. Kilczer hustete mehrmals hinter vorgehaltener Hand.
Als der Dampf abgesaugt wurde, zwinkerte Andrews...
| Erscheint lt. Verlag | 29.2.2016 |
|---|---|
| Übersetzer | Peter Pape |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Original-Titel | Four Houndred Billion Stars |
| Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction |
| Schlagworte | Aliens • Alien-Trilogie • diezukunft.de • eBooks • Ferne Zukunft • Paul McAuley • Philip K. Dick Award • Telepathie |
| ISBN-10 | 3-641-19139-4 / 3641191394 |
| ISBN-13 | 978-3-641-19139-9 / 9783641191399 |
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