- Für alle 'Swifties'
- Neuausgabe des irischen Klassikers
- Die Übersetzung der ungekürzten satirischen und gesellschaftskritischen Originalausgabe
- Ursprünglich war das Buch nicht als Kinderbuch angelegt
Jonathan Swift (1667-1745) studierte Theologie in Dublin und wurde anglikanischer Geistlicher. Mit zahlreichen Flugschriften und ersten satirischen Erzählungen nahm er Stellung zu kirchlichen und politischen Themen. 'Gulliver's Travels', die 1726 zunächst anonym erschienen, wurden zu einem überwältigenden Publikumserfolg und machten ihn zum bis heute bedeutendsten englischsprachigen Satiriker.
ERSTER TEIL
Eine Reise nach Lilliput
Erstes Kapitel
Der Verfasser gibt Nachricht von seiner Person und seiner Familie. Seine erste Veranlassung zu Reisen. Er leidet Schiffbruch, sucht sich durch Schwimmen zu retten, erreicht wohlbehalten den Strand von Lilliput, wird gefangengenommen und in das Innere des Landes gebracht.
Mein Vater besaß ein kleines Gut in Nottinghamshire; ich war der dritte seiner fünf Söhne. Mit dem vierzehnten Jahr wurde ich auf Emanuel-College in Cambridge geschickt, wo ich drei Jahre lang blieb und fleißig studierte. Die damit verbundenen Kosten waren jedoch für das kleine Vermögen meines Vaters zu groß, obgleich ich nur einen unbedeutenden Wechsel erhielt; deshalb wurde ich bei Herrn James Bates, einem ausgezeichneten Wundarzt der Hauptstadt London, in die Lehre gegeben, bei dem ich drei Jahre lang blieb. Von Zeit zu Zeit schickte mir mein Vater kleine Geldsummen, die ich auf das Erlernen der Schiffahrtskunde und auf das Studium anderer mathematischer Wissenschaften verwandte, deren Kenntnis für diejenigen durchaus notwendig ist, die große Reisen unternehmen wollen; ich hegte immer ein gewisses Vorgefühl, dies werde früher oder später mein Schicksal sein. Als ich Herrn Bates verließ, kehrte ich zu meinem Vater zurück und erhielt von ihm, meinem Onkel James und einigen anderen Verwandten die Summe von 43 Pfund. Zugleich wurden mir 30 Pfund jährlich versprochen, so daß ich nach Leiden ziehen konnte. Dort studierte ich zwei Jahre und sieben Monate Medizin. Ich wußte, daß mir dies auf großen Reisen von Nutzen sein würde.
Bald nach meiner Rückkehr aus Leiden erhielt ich durch die Empfehlung meines guten Lehrers Bates die Stelle eines Wundarztes auf der »Schwalbe«, deren Kapitän der kommandierende Abraham Pannel war. Mit diesem Schiffe machte ich einige Reisen nach der Levante und anderen Gegenden. Nach meiner Rückkehr beschloß ich, mich in London niederzulassen, wozu mich auch Herr Bates ermutigte, nachdem er mich mehreren seiner Patienten empfohlen hatte. Ich mietete mir ein Stockwerk eines kleines Hauses in Old Jewry, und da man mir riet, den Junggesellenstand aufzugeben, verheiratete ich mich mit Maria Burton, der zweiten Tochter des Strumpfhändlers Edmund Burton in der Newgate Street, durch die ich 60 Pfund Mitgift erhielt.
Nach zwei Jahren starb aber mein guter Lehrer Bates. Ich hatte nur wenig Freunde, und somit verschlechterte sich auch mein Geschäft, denn mein Gewissen erlaubte mir nicht, in meiner Praxis gelegentlich unerlaubte Handlungen vorzunehmen, wie dies bei so vielen meiner Kollegen üblich ist. Nachdem ich deshalb eine lange Beratung mit meiner Frau und mehreren meiner Bekannten gehalten hatte, beschloß ich, wieder zur See zu gehen. Ich war Wundarzt auf zwei Schiffen und machte sechs Jahre lang verschiedene Reisen nach Ostindien und Amerika, wodurch ich mein Vermögen etwas vermehrte. In meinen Mußestunden las ich die besten älteren und neueren Schriftsteller, denn ich hatte stets eine nicht unbedeutende Anzahl Bücher mitgenommen; war ich ans Land gegangen, so beobachtete ich die Sitten und Charaktere der verschiedenen Nationen und erlernte ihre Sprachen, wozu ich durch die Stärke meines Gedächtnisses befähigt war.
Da die letzte dieser Reisen nicht sehr glücklich verlief, wurde ich des Seefahrens müde und beschloß, bei meiner Frau und meiner Familie zu bleiben. Ich zog aus der Old Jewry in die Fetter Lane und von da nach Wapping, denn ich hoffte, mir unter den dortigen Matrosen eine ärztliche Praxis einzurichten; allein diese Veränderung schlug nicht zu meinem Vorteil aus. Nachdem ich drei Jahre auf eine Besserung meiner Lage gewartet hatte, erhielt ich von Kapitän William Prichard, dem Eigentümer der »Antilope«, die im Begriff war, nach der Südsee abzusegeln, ein vorteilhaftes Anerbieten. Wir fuhren am 4. Mai 1699 von Bristol ab, und unsere Reise war anfangs glücklich.
Aus bestimmten Gründen will ich den Leser mit den Einzelheiten unserer Reise in jenen Meeren nicht langweilen; es genüge die Bemerkung, daß wir auf unserer Fahrt von Bristol nach Ostindien durch einen heftigen Sturm nordwestlich von Vandiemensland getrieben wurden. Durch nautische Beobachtungen bestimmten wir, daß wir uns bei 30 Grad zwei Minuten südlicher Breite befanden. Zwölf Mann hatten wir durch übermäßige Arbeit bei schlechter Nahrung bereits verloren; die übrigen waren erschöpft. Am 5. November, dem Anfang des Sommers in diesen Breitengraden, war das Wetter trübe; die Matrosen bemerkten ein Felsenriff in der Entfernung von einer halben Kabellänge; der Wind war stark. Wir wurden darauf zugetrieben und scheiterten. Sechs von der Mannschaft, unter denen ich mich befand, setzten das Boot aus und suchten vom Schiff und dem Felsenriff loszukommen. Wir ruderten nach meiner Berechnung drei Seemeilen, bis es nicht mehr möglich war zu rudern, da unsere Kräfte durch fortwährende Anstrengung im Schiff bereits aufgerieben waren. Wir gaben uns deshalb den Wogen preis, und nach ungefähr einer halben Stunde wurde das Boot durch einen plötzlichen Windstoß von Norden her umgeworfen. Ich kann nicht berichten, was aus meinen Gefährten im Boot und der Schiffsmannschaft geworden ist, vermute jedoch, daß sie ertranken. Was mich betrifft, so schwamm ich auf gut Glück, wohin Wogen und Flut mich trieben. Oft ließ ich die Füße herabhängen, konnte aber keinen Grund fühlen; als ich beinahe verloren war, denn ich konnte nicht länger mit den Wellen ringen, fand ich endlich festen Boden; zugleich ließ auch der Sturm nach. Der Strand war so flach, daß ich beinahe eine Meile gehen mußte, bevor ich um acht Uhr abends, wie ich glaube, auf das trockene Ufer gelangte. Alsdann ging ich noch eine halbe Meile, konnte aber keine Spur von Häusern oder Einwohnern entdekken. Zuletzt wurde ich so schwach, daß ich gar nichts mehr bemerkte. Da ich sehr müde war und das Wetter heiß, ich auch, als ich das Schiff verließ, eine halbe Pinte Branntwein getrunken hatte, fühlte ich Neigung zum Schlaf. Ich legte mich auf das Gras, das mir kurz und weich zu sein schien, und schlief dann fester als jemals in meinem Leben, soviel ich weiß und wie ich glaube, an die neun Stunden. Als ich erwachte, war der Tag angebrochen. Ich versuchte aufzustehen, konnte mich aber nicht bewegen; während ich auf dem Rücken lag, bemerkte ich, daß meine Arme und Beine festgebunden am Boden hafteten. Dasselbe war mit meinen sehr langen und dicken Haaren der Fall. Auch fühlte ich mehrere dünne Bande am ganzen Leibe von den Achselhöhlen bis zu den Schenkeln. Ich konnte nur aufwärts blicken; die Sonne war sehr heiß, und ihr Licht blendete meine Augen. Ich vernahm ein wirres Geräusch in meiner Nähe; in der Stellung jedoch, die ich einnahm, konnte ich nur den Himmel sehen. Mittlerweile fühlte ich, wie sich etwas auf meinem linken Schenkel bewegte; irgendein Geschöpf rückte leise vorwärts und kam über meine Brust bis fast an mein Kinn; ich erkannte in diesem eine Menschengestalt von etwa sechs Zoll Höhe, mit Bogen und Pfeilen in der Hand und mit einem Köcher auf dem Rücken. Zugleich fühlte ich, daß wenigstens noch vierzig derselben Menschengattung dem ersten folgten. Ich war äußerst erstaunt und brüllte so laut, daß sie sämtlich erschrocken fortliefen; einige, wie ich nachher hörte, verletzten sich durch den Fall, als sie von meiner Seite herabspringen wollten. Sie kamen aber bald zurück; einer von ihnen wagte sich so weit, daß er vollkommen in mein Gesicht blicken konnte, erhob voll Verwunderung seine Hände und Augen und rief mit schallender und deutlicher Stimme: »Hekinah degul.« Die übrigen wiederholten dieselben Worte mehrmals; ich konnte damals aber ihren Sinn noch nicht verstehen.
Der Leser wird wohl verstehen, daß ich mich in keiner bequemen Lage befand; ich suchte loszukommen und hatte zuletzt das Glück, die Stricke zu zerreißen oder die Pfähle abzubrechen, woran mein linker Arm befestigt war. Als ich diesen nun zum Gesicht erhob, bemerkte ich die Art, wie man mich gebunden hatte. Durch einen heftigen Ruck, der mir viel Schmerz verursachte, machte ich die Bande, die meine Haare auf der linken Seite hielten, etwas locker, so daß ich imstande war, meinen Kopf um zwei Zoll zu drehen; doch liefen die Geschöpfe noch einmal fort, ehe ich eins davon ergreifen konnte, worauf ein sehr lauter Ruf von mehreren Stimmen erklang, der aber schnell wieder verhallte. Hierauf hörte ich, wie einer »Tolgo phonac« rief. Sogleich trafen mehr als hundert Pfeile meine linke Hand und stachen mich wie Nadeln. Außerdem wurde eine andere Salve in die Luft geschossen, so wie wir die Bomben in Europa schleudern. Ich glaube, eine Menge Pfeile fiel auf meinen Körper, ich habe sie aber nicht gefühlt. Einige richteten ihre Geschosse auf mein Gesicht, das ich sogleich mit der linken Hand bedeckte. Als dieser Pfeilschauer vorüber war, begann ich aus Gram und wegen meiner Schmerzen zu seufzen; ich versuchte wieder, mich loszumachen, und erhielt noch eine zweite und größere Salve; einige suchten mit Speeren in meine Seite zu stechen; zum Glück aber trug ich ein Wams von Büffelleder, das sie nicht durchbohren konnten. Ich hielt es deshalb für das...
| Erscheint lt. Verlag | 19.11.2015 |
|---|---|
| Illustrationen | Grandville |
| Überarbeitung | Jens Knipp |
| Übersetzer | Franz Kottenkamp |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur ► Klassiker / Moderne Klassiker |
| Literatur ► Romane / Erzählungen | |
| Schlagworte | Abenteuer • Aufklärung • Balnibarbi • Booktok • Brobdingnag • Dark Aacademia • eBooks • Fantasy • Gesellschaftssatire • Glubbdubdrib • Houyhnhnms • irischer Politiker • Irischer Schriftsteller • Irland buch • Irland Reiseführer • Jonathan Swift • Jugendbuch • Jugendbuchklassiker • Kinderbuchklassiker • Klassiker • Land der Riesen • Land der Zwerge • Laputa • Liliput • Luggnagg • Riesen • Roman • Satire • Satirischer Roman • Sozialkritik • Streitschrift • Vernunft • Zwerge |
| ISBN-13 | 9783730691144 / 9783730691144 |
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