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Die Donnerstagswitwen (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
320 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-30271-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Donnerstagswitwen -  Claudia Piñeiro
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Vor den Stadttoren von Buenos Aires lebt hinter hohen Sicherheitszäunen eine wohlhabende Gemeinschaft. Unter der Oberfläche jedoch schwelen Konflikte, die auch vor den Siedlungszäunen nicht haltmachen: Untreue, Alkoholsucht und Ehezwist. Zudem bekommt selbst die privilegierte Gated Community die Wirtschaftskrise mit aller Wucht zu spüren. Anstatt die Ärmel hochzukrempeln, gehen drei Familienväter einen eigenwilligen Weg, um ihren Lieben den hohen Lebensstandard zu sichern. Dann werden ihre Leichen am Grund des Swimmingpools gefunden. Die Donnerstagswitwen ist das Porträt einer Gemeinschaft, die über ihre Verhältnisse lebt und tödliche Geheimnisse zu verbergen hat. Der preisgekrönte Bestseller ist bereits in vierzehn Sprachen erschienen und wurde von Marcelo Piñeyro fürs Kino verfilmt.

Claudia Piñeiro (*1960 in Buenos Aires) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Für Die Donnerstagswitwen erhielt sie 2005 den Premio Clarín, 2010 wurde sie mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Für Kathedralen erhielt sie 2021 den Premio Hammett, mit Elena weiß Bescheid stand sie 2022 auf der Shortlist des International Booker Prize.

Claudia Piñeiro (*1960 in Buenos Aires) ist eine der erfolgreichsten Autorinnen Argentiniens. Nach dem Wirtschaftsstudium wandte sie sich dem Schreiben zu, arbeitete als Journalistin, schrieb Theaterstücke, Kinder- und Jugendbücher und führte Regie fürs Fernsehen. Für Die Donnerstagswitwen erhielt sie 2005 den Premio Clarín, 2010 wurde sie mit dem LiBeraturpreis ausgezeichnet. Für Kathedralen erhielt sie 2021 den Premio Hammett, mit Elena weiß Bescheid stand sie 2022 auf der Shortlist des International Booker Prize.

1 


Ich machte den Kühlschrank auf und starrte eine Weile geistesabwesend vor mich hin, die Hand auf dem Türgriff, vor dem kalten Licht, das die Fächer beleuchtete. Bis das Warnsignal ertönte, das darauf hinweist, dass zu viel Kälte entweicht, wenn die Türe zu lange offen ist – da fiel mir wieder ein, weshalb ich zum Kühlschrank gegangen war. Ich suchte nach etwas zu essen. Ich gab ein paar Reste vom Vortag auf einen Teller, erwärmte das Ganze in der Mikrowelle und trug den Teller anschließend zum Tisch. Eine Tischdecke legte ich nicht auf, nur einen von den Untersetzern, die ich vor ein paar Jahren aus Brasilien mitgebracht hatte, als wir drei zum letzten Mal zusammen Urlaub gemacht hatten. Die ganze Familie. Ich setzte mich ans Fenster, normalerweise war das nicht mein Platz bei Tisch, aber wenn ich allein war, sah ich beim Essen gern in den Garten hinaus. Ronie aß an diesem Abend – an dem Abend, um den es hier geht – bei Tano Scaglia. Wie jeden Donnerstag. Auch wenn dies kein gewöhnlicher Donnerstag war. Ein Donnerstag im September 2001. Der 27. September 2001. Ebendieser Donnerstag. Wir waren immer noch ganz eingeschüchtert vom Anschlag auf die Twin Towers und öffneten alle Briefe nur mit Gummihandschuhen aus Angst vor diesem weißen Pulver. Juani war weggegangen. Wohin und mit wem, hatte ich nicht gefragt. Juani mochte es nicht, wenn ich ihn so was fragte. Ich wusste es aber sowieso. Wenigstens bildete ich mir das ein.

Ich benutzte so wenig Geschirr wie möglich. Schon seit ein paar Jahren hatte ich mich damit abgefunden, dass wir uns keine Vollzeithaushaltshilfe mehr leisten konnten, inzwischen kam bloß noch zweimal pro Woche eine Frau, die die gröbsten Arbeiten erledigte. Seither benutzte ich also kaum noch Geschirr, wie ich mir auch angewöhnt hatte, meine Kleidung möglichst nicht zu zerknittern und nur selten das Bett neu zu beziehen. Nicht, weil ich die damit verbundene Arbeit als anstrengend empfunden hätte, aber wenn ich Geschirr spülte, Betten machte oder bügelte, musste ich daran denken, was ich früher gehabt hatte, jetzt aber nicht mehr hatte.

Ich wollte rausgehen, ein bisschen an die frische Luft, aber ich hatte Angst, Juani zu begegnen, der dann wieder denken würde, ich spionierte ihm nach. Es war heiß, eine helle, sternklare Nacht. Ich hatte keine Lust, mich hinzulegen, um mich dann schlaflos im Bett hin und her zu wälzen und mir den Kopf wegen irgendwelcher Immobiliengeschäfte zu zerbrechen, die einfach nicht zustande kommen wollten. Alles, was ich an Abschlüssen in die Wege leitete, schien damals unweigerlich zu platzen, bevor ich meine Provision kassieren konnte. Die neueste Wirtschaftskrise dauerte jetzt schon mehrere Monate, manche schafften es besser, so zu tun, als beträfe es sie nicht, aber letztlich hatte sich das Leben für alle auf die eine oder andere Weise verändert. Oder es würde sich noch verändern. Auf der Suche nach einer Zigarette ging ich in mein Zimmer, Juani hin oder her, ich wollte jetzt einfach rausgehen, und beim Spazierengehen rauche ich nun mal gerne. Als ich am Zimmer unseres Sohnes vorbeikam, wäre ich fast hineingegangen – vielleicht fand ich ja dort eine Zigarette. Aber ich wusste, dass das nicht stimmte, es wäre nur ein Vorwand gewesen, um mich ein wenig umzusehen, und das hatte ich schon am Morgen getan, als ich sein Bett gemacht und aufgeräumt hatte – da hatte ich auch nicht gefunden, wonach ich gesucht hatte. Ich ging also weiter, auf meinem Nachttisch lag eine unangebrochene Schachtel, ich machte sie auf, nahm eine Zigarette heraus, zündete sie an und ging die Treppe hinunter zur Haustür. Da kam Ronie herein, und ich gab mein Vorhaben auf. In dieser Nacht kam alles anders. Ronie steuerte geradewegs die Bar an. »Na, so was, so früh …«, sagte ich, am Fuß der Treppe stehend. »Ja«, sagte er und ging mit einem Glas und der Whiskyflasche die Treppe hinauf. Ich blieb noch einen Moment stehen, dann folgte ich ihm. In unserem Schlafzimmer war er nicht. Im Bad auch nicht. Er war draußen auf der Dachterrasse, wo er sich zum Trinken auf einem Liegestuhl niedergelassen hatte. Ich holte mir einen Stuhl, setzte mich neben ihn und wartete; dabei sah ich in dieselbe Richtung wie er und sagte kein Wort. Ich hoffte, er werde mir etwas erzählen. Egal was, es brauchte nicht lustig zu sein, ja, es brauchte nicht einmal allzu viel Sinn zu ergeben, er sollte bloß etwas sagen, er sollte bei dem minimalen Wortaustausch, in den sich unsere Gespräche im Lauf der Zeit verwandelt hatten, einfach nur seinen Part übernehmen. So wollte es unsere unausgesprochene Übereinkunft: eine Handvoll vorgefertigter Sätze, die sich aneinanderreihten, Wörter, die das Schweigen ausfüllten, damit keiner von uns etwas über dieses Schweigen zu sagen brauchte. Leere Wörter, Worthülsen. Wenn ich mich darüber beklagte, erwiderte Ronie jedes Mal, wir sprächen deshalb so wenig, weil wir so viel Zeit zusammen verbrächten, was solle es schon zu erzählen geben, wenn man den größten Teil des Tages beieinanderhocke. So war es tatsächlich, seit Ronie vor sechs Jahren seinen Job verloren hatte. Und bis auf ein paar Projekte, aus denen dann zuletzt doch nie etwas geworden war, hatte er auch keine andere Arbeit mehr gefunden. Die Erkenntnis, dass wir uns so wenig zu sagen hatten, bedrückte mich weniger, als festzustellen, dass ich das erst merkte, als sich das Schweigen bereits bei uns zu Hause festgesetzt hatte – wie ein entfernter Verwandter, der sich irgendwann eingeschlichen hat und den man daraufhin unmöglich einfach weiterschicken kann. Auch musste ich feststellen, dass ich keinerlei Schmerz dabei empfand – vielleicht, weil der Schmerz sich ebenso unbemerkt festgesetzt hatte wie das Schweigen. »Ich hole mir ein Glas«, sagte ich. »Bring Eis mit, Virginia«, rief Ronie mir hinterher.

Ich ging in die Küche. Während ich den Eiskübel füllte, überlegte ich, was der Grund für Ronies frühe Rückkehr sein könnte. Am wahrscheinlichsten schien mir, dass er mit jemandem in Streit geraten war. Bestimmt mit Tano oder mit Gustavo. Mit Martín Urovich nicht. Martín stritt schon lange mit niemandem mehr, nicht einmal mit sich selbst. Als ich wieder auf die Terrasse kam, fragte ich Ronie rundheraus danach, ich wollte es nicht erst am nächsten Tag beim Tennisspielen erzählt bekommen, von der Frau von jemand anderem. Seit Ronie arbeitslos war, war er voll versteckter Ressentiments, die im unpassendsten Moment an die Oberfläche kamen. Schon seit Längerem war bei meinem Mann kein Verlass mehr auf den Mechanismus, der verhindert, dass man in Gesellschaft anderer Menschen Dinge sagt, die man besser nicht sagen würde. »Nein, ich habe mit niemandem gestritten.« – »Und warum bist du dann so früh zurück? Donnerstags kommst du doch sonst nie vor drei Uhr heim.« – »Heute eben schon«, sagte er. Und das war alles, was er sagte, und auch mich ließ er nicht mehr zu Wort kommen: Er stand auf und schob den Liegestuhl näher ans Geländer, so, dass er mir fast den Rücken zukehrte. Aber nicht, um mich zu kränken, es war vielmehr, als suchte er nach dem besten Platz, um ein Schauspiel zu verfolgen. Unser Haus liegt dem der Scaglias schräg gegenüber, in einer Diagonalen, durch zwei oder vielleicht drei Häuser getrennt; aber da unser Haus höher ist – und trotz der Pappeln der Iturrias, die teilweise die Sicht verdecken –, konnte man von dort, wo wir waren, die Dächer, den Garten und fast den ganzen Swimmingpool überblicken. Ronie sah zum Pool. Die Lichter waren aus, und eigentlich war nicht viel zu erkennen. Die Formen schon, der Umriss des Beckens; man konnte auch erahnen, dass das Wasser sich bewegte und wechselnde Schatten auf die türkisblauen Kacheln warf.

Ich stand auf und stellte mich hinter Ronies Liegestuhl. Die nächtliche Stille wurde noch verstärkt durch die Pappeln der Iturrias, die sich ab und zu im warmen Wind bewegten, was sich anhörte, als regnete es inmitten der sternklaren Nacht. Ich wusste nicht, ob ich gehen oder bei Ronie bleiben sollte, jedenfalls hatte er, von seiner Teilnahmslosigkeit abgesehen, nicht zu erkennen gegeben, dass ich verschwinden sollte, was für unsere Verhältnisse eine ganze Menge war. Ich betrachtete ihn von hinten, über die Lehne hinweg. Er rutschte immer wieder nervös auf dem Stuhl hin und her, offensichtlich fand er die passende Stellung nicht. Später wurde mir klar, dass er nicht nervös war, sondern Angst hatte, aber das wusste ich damals nicht. Wie hätte ich auch darauf kommen sollen – Ronie hatte nie vor irgendetwas Angst. Nicht einmal vor dem, was mir Angst machte, vor der Angst, die vor ein paar Monaten zum ersten Mal aufgetaucht war und mir seither keine Ruhe ließ. Diese Angst war schuld daran, dass ich vor dem Kühlschrank stehen blieb und vergaß, was ich eigentlich wollte. Sie begleitete mich die ganze Zeit, auch wenn ich so tat, als wäre nichts, und lachte oder irgendwelches Zeug erzählte, Tennis spielte oder Dokumente unterschrieb. Diese Angst war es auch, die mich an diesem Abend – scheinbar gleichmütig und unbeeindruckt von der Distanz, die Ronie wieder einmal zwischen uns aufgebaut hatte – sagen ließ: »Juani ist weggegangen.« – »Mit wem?« – »Das habe ich nicht gefragt.« – »Wann kommt er wieder?« – »Weiß ich nicht. Er hatte die Rollerskates an.« Wieder wurde es still, dann sagte ich: »Auf dem Anrufbeantworter war eine Nachricht von Romina, sie hat gesagt, sie wartet auf ihn, wegen ihrer Runde. Ob Runde irgend so ein Geheimwort von den beiden ist?« – »Runde heißt Runde, Virginia.« – »Dann brauche ich mir also keine Sorgen zu machen?« – »Nein.« – »Dann ist er also bei ihr?« – »Er ist bestimmt bei...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2015
Übersetzer Peter Kultzen
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Argentinien • Buenos Aires • Gated communities • Kriminalroman • Spannung • Wirtschaftskrise
ISBN-10 3-293-30271-8 / 3293302718
ISBN-13 978-3-293-30271-6 / 9783293302716
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