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Wind, Sand und Sterne (eBook)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
220 Seiten
Karl Rauch Verlag
978-3-7920-0196-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wind, Sand und Sterne -  Antoine de Saint-Exupéry
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Terre des Hommes: Unter diesem Titel ist das Buch in Frankreich 1939 erschienen. Das Werk bereitet erzählerisch und gedanklich den Kleinen Prinzen vor. Im Mittelpunkt steht die Erfahrung, die Saint- Exupéry als Pilot mit seinen Flügen über die Wüste sammelte, bis hin zum Absturz in der Sahara im Jahr 1935. Dieses Ereignis ist die geistige Geburtsstunde des Kleinen Prinzen. Der Erzählrahmen bietet Gelegenheit zum Denken, sich in Grenzsituationen die Frage.

1. Die Strecke


1926. Als junger Verkehrsflieger war ich frisch bei der ­Latécoère-Gesellschaft eingetreten, die vor der Aéropostale, später Air-France, die Strecke Toulouse–Dakar (Frankreich–Senegal) betrieb. Dort lernte ich das Handwerk. Wie meine Kameraden ließ ich die Probe­zeit über mich ergehen, die alle Jungen durch­machen müssen, ehe ihnen die große Ehre zuteilwird, die Post zu befördern. Flugversuche, »Lang­strecken­flüge« Toulouse–Perpignan über 160 Kilo­meter, elende Stunden Wetterkunde im hintersten Winkel eines eisigen Flugzeugschuppens. Wir lebten in unbestimmter Furcht vor den Bergen in Spanien, die wir noch nicht kannten, und in Ehrfurcht vor den »Alten«.

Ja unsere Alten! Wir trafen sie in der Gastwirtschaft. Unwirsch waren sie, hielten auf Abstand und gaben ihren guten Rat sehr von oben herab. Und wenn einmal einer mit schwerer Verspätung von Alicante oder Casablanca eintraf, mit triefend nassem ­Lederzeug unter uns trat und sich dann einer von uns schüchtern nach seinem Flug erkundigte, dann ließen die kurzen Antworten des Alten an Sturm­tagen vor uns eine wilde Märchenwelt erstehen, ein Kosmos ­vol­ler Fallstricke und Hinterhalte, mit Steilklippen, die plötzlich aus dem Nichts herauswuchsen, mit Luftwirbeln, die starke Zedern entwurzeln konnten. Schwarze Drachen verlegten die Talmündungen, Blitzbüschel krönten die Bergkämme. Diese Alten ließen es sich etwas kosten, unseren Respekt vor ihnen wachzuhalten! Und dann kam immer wieder die Stunde, wo einer von ihnen – nun ehrfurchtgebietend für alle Zeit – nicht wiederkehrte.

Ich erinnere mich an eine Heimkehr Burys, der später sein Leben im Corbières-Bergland, zwischen Toulouse und Perpignan, lassen musste. Dieser alte Flugzeugführer hatte sich in unserer Mitte niedergelassen, und nun saß er, mit schweren Bewegungen, wortlos, die Schultern noch steif vom angestrengten Steuern, beim Essen. Es war der Abend nach einem jener bösen Tage, wo das Wetter auf der ganzen Flugstrecke faul ist, wo es dem Flieger vorkommt, als schwämmen die Berge im Nebelschlamm ­herum, ähnlich wie auf den alten Kriegsschiffen sich manchmal die Geschütze von ihren Verankerungen losrissen und das Verdeck zerpflügten. Ich musste ständig zu ihm hinsehen, verschluckte aber immer wieder meine Rede; schließlich wagte ich es doch und fragte ihn, ob sein Flug schwer gewesen sei. Bury hörte nicht, sondern stierte mit gerunzelter Stirn auf seinen Teller. In den offenen Flugzeugen jener Tage pflegte man sich bei schlechtem Wetter öfters aus der Deckung der Windschutzscheibe hervorzubeugen, um besser zu sehen, und das Windgepfeife, das einem dann um die Ohren schlug, hallte lange nach. Endlich aber hob Bury den Kopf und schien mich zu hören, sich zu besinnen. Dann brach er plötzlich in ein helles Lachen aus. Das brachte mich aus der Fassung, denn Bury lachte selten. Dieses Lachen aber verklärte seine Strapazen. Er gab auch keine andere Erklärung über seinen Sieg ab, sondern beugte den Kopf wieder über den Teller und fuhr fort, schweigend zu kauen. Mir aber schien in der Durchschnittlichkeit dieser Gaststätte, in der kleine Beamten die kleinen Mühen des Tages ausglichen, dieser Kamerad mit den schweren Schultern wie geadelt. Strahlte nicht durch seine spröde Schale hindurch etwas von dem Engel, der den Drachen besiegt hatte?

Endlich kam der Tag, an dem auch ich in das Zimmer des Direktors gerufen wurde. Er sagte nur: »Sie fliegen morgen.«

Ich blieb stehen und wartete, dass er mich entließ. Er aber fügte nach einer Pause noch hinzu: »Sie kennen die Vorschriften?«

Damals waren nämlich die Motoren noch lange nicht so zuverlässig wie heute. Oft genug ließen sie einen plötzlich im Stich, und ohne jede Warnung saß man im Geklirr des zertrümmerten Porzellanladens. Dann steuerte man der Steinkruste Spaniens entgegen, die doch keinerlei Zuflucht bot. »Wenn hier der Motor kaputtgeht«, sagten wir unter uns, »dann folgt das Flugzeug nur zu schnell ihm nach.« Nun, ein Flug­zeug ist nicht unersetzbar. Die Hauptsache ist, nicht blindlings aufs Felsenland niederzugehen. Darum war es uns bei schwerster Strafandrohung verboten, Wolkenmassen über den Berglandschaften zu überfliegen. Der Flieger, dem da der Motor ausgefallen wäre, wäre in der weißen Watte verschwunden und an die Berge gerannt, ohne sie vorher sehen zu können.

Und so wiederholte denn an jenem Abend eine langsame Stimme mit sehr viel Nachdruck noch einmal die Vorschrift: »Nach Kompass fliegen ist schon schön; in Spanien über Nebelmeere so wegsteuern, das macht sich fein, aber…« – und da wurde die Stimme noch langsamer und nachdrücklicher – »aber … vergessen Sie nicht: Unter den Wolken wartet auf Sie … die Ewigkeit.«

Mit einem Schlag bekam die friedliche, einfache, klare Welt, auf die man stößt, wenn man aus den Wolken hinabtaucht, ein neues Gesicht. Auch diese Friedlichkeit war nur eine Falle, die dort zu meinen Füßen lauerte. Nicht geschäftige Menschheit wogte da unten, nicht der Betrieb und der lebhafte Verkehr der Städte. Nein, da herrschte noch ein tieferes Schweigen, ein Friede ohne Wiederkehr. Das weiße Gewoge war die Grenze von Sein und Nichtsein, ein schauerlich schneller Übergang von der Welt des Bekannten in das Reich des Ungewissen. Leise ahnte ich, dass ein Schauspiel nur dann Sinn hat, wenn man es auf eine Bestrebung, auf eine Gesittung, auf ein menschliches Tun beziehen kann. Die guten Gebirgler kennen die Wolkenmeere wohl; aber sie vermögen doch nicht in ihnen die geheimnisvolle Scheidewand zu erkennen, die sie für mich bedeuteten.

Als ich das Direktorzimmer verließ, packte mich ein knabenhafter Stolz. Beim nächsten Morgengrauen durfte also auch ich verantwortlich für das Leben von Fluggästen und für das Heil der Post nach Afrika sein. Aber ich empfand auch eine tiefe Demut. Ich fühlte mich ungenügend vorbereitet. Spanien ist arm an Zufluchtsplätzen; so musste ich fürchten, keine Stelle für eine Notlandung zu finden, wenn es eine Störung gab. Vergeblich hatte ich über auskunftskargen Karten gebrütet. Also ging ich, während mein Herz zwischen Stolz und Demut schwankte, um meine Sporenwache, wie man diesen letzten Abend vor dem Ritterschlag wohl nennen darf, bei meinem Kameraden Guillaumet zu verbringen. Er war vor mir auf dieser Strecke geflogen, er besaß gewissermaßen den Schlüssel zu Spanien; von ihm musste ich mich einweihen lassen.

Er strahlte, als ich eintrat: »Ich weiß schon. Du bist selig, was?« Rasch ging er zum Wandspind und holte Portwein und Gläser. Dann kam er wieder und sagte, noch immer strahlend: »Das müssen wir begießen. Du wirst schon sehen. Alles klappt tadellos.«

Er verbreitete Zuversicht um sich wie eine Lampe Licht, der Kamerad, der später einmal die besten Flugzeiten für Postflüge über die Anden und den Süd­atlantik unterbieten sollte. Doch das war Jahre darauf. An jenem Abend saß er in Hemdsärmeln mit verschränkten Armen unter der Lampe und lächelte so wohltuend und sagte so schlicht: »Sturm, Nebel, Schnee, die werden dir schon manchmal zu schaffen machen. Dann denke nur an die, die das vor dir erlebt haben, und sage dir ganz einfach: Was anderen gelungen ist, wirst du auch bewältigen!«

Ich aber packte doch meine Karten aus und bat ihn, mit mir die Reise ein bisschen durchzugehen. So saß ich denn vorgebeugt unter der Lampe, an die Schulter des »Alten« gelehnt, und es war wieder wie in seligen Schulzeiten.

Aber was bekam ich da für eine sonderbare Erdkundestunde! Guillaumet paukte mir Spanien nicht ein, er machte mir das Land vertraut. Da gab es keine Flussgebiete, Viehstatistik und Volkskunde. Er erzählte nicht von Guadix, sondern von den drei Orangenbäumen an einem Feldrand vor Guadix: »Nimm dich vor denen in Acht! Zeichne sie auf deine Karte ein!« Und alsbald wuchsen die drei Orangenbäume gewaltiger auf als die Sierra Nevada. Er erzählte auch nichts von Lorca, sondern nur von einem schlichten Bauernhof in der Nähe, von einem lebenserfüllten Ho­f, vom Bauern und von der Bäuerin. Dort ­saßen sie auf ihrem Berghang und waren unter ihren Lichtern bereit, wie Leuchtturmwärter, Menschen Hilfe zu bringen. Das gab den bescheidenen Leuten auf anderthalbtausend Kilometer Entfernung eine ungeahnte Wichtigkeit.

So zogen wir aus seinem Dunkel, aus seiner unbegreiflichen Ferne allerlei Wissen, das den Erdkundlern in aller Welt unbekannt ist. Sie wollen nur vom städtereichen Ebro wissen; der kleine Bach geht sie nichts an, der unter den Gräsern im Westen von Motril hinschleicht und ein paar Blumen nährt. »Vor dem Bach musst du dich hüten; der verdirbt den Grund. Zeichne ihn ein!« Und niemals werde ich diese tückische Schlange bei Motril vergessen! Nach nichts sah das Bächlein aus, sein leises Murmeln mochte höchstens einigen Fröschen Freude bereiten – und doch war es stets halb wach. Auf dem verheißenden Paradies des Notlandeplatzes lauert es auf mich, zweitausend ­Kilometer von hier im Gras versteckt. Gebt ihm nur Gelegenheit und es macht aus mir eine lohende Feuer­säule!

Auch die dreißig kriegerischen Hammel erwartete ich mit Fassung, die dort an der Hügelseite standen, immer angriffsbereit: »Du denkst, die Wiese ist frei, und schwupp, sausen dir die dreißig Viecher unter die Räder.« Und ich? Mit wundergläubigem Lächeln nahm ich die tückische Drohung hin. Denn langsam wurde Spanien auf meiner Karte da unter der Lampe zum Märchenland. Als Baken durch dieses verwunschene Reich zeichnete ich mir Kreuzchen an alle Stätten der Zuflucht und an alle Hinterhalte. Der Bauer bekam sein Kreuzchen, die dreißig Hammel das ihre und der Bach das seine. Und auch die Hirtin wurde an ihrem Platz...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2015
Übersetzer Henrik Becker
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Antoine de Saint-Exupéry • Der kleine Prinz • Die Stadt in der Wüste • Terre des hommes
ISBN-10 3-7920-0196-9 / 3792001969
ISBN-13 978-3-7920-0196-7 / 9783792001967
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