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Wo die Welt anfängt

Erste Erzählungen

(Autor)

Anuschka Roshani (Hg.) (Herausgeber)

Buch | Hardcover
160 Seiten
2015
Kein & Aber (Verlag)
978-3-0369-5731-9 (ISBN)
CHF 31,90 inkl. MwSt
Die frühesten Geschichten des jungen Capote, die bereits seine Handschrift tragen und den Blick auf den formvollendeten Schriftsteller in neuer, höchst überraschender Weise öffnen.
Jede dieser frühesten Geschichten von Truman Capote vermag zu überraschen, zeigen sie doch alle bereits die Handschrift des großen Stilisten.

Denn seit Capote zehn war, wusste er, dass er Schriftsteller werden will, und während seiner Zeit an der High School schulte er sich täglich an seiner Schreibmaschine im Handwerk des Schreibens. In seinen damals entstandenen Short Storys schuf er sich sein eigenes, fantasievolles Universum, das, anders als man es bei einem Teenager vermuten würde, von Figuren bevölkert ist, die nur wenig mit den Erfahrungen eines Schülers zu tun haben.

All diese lebendigen und eigenwilligen Charaktere, die eindringlichen Bilder, die schnörkellos glänzende Sprache und die erzählerische Kraft lassen schon im jungen Truman Capote die ganz besondere Stimme des älteren Capote erkennen.

Truman Capote wurde 1924 in New Orleans geboren; er wuchs in den Südstaaten auf, bis ihn seine Mutter als Achtjährigen zu sich nach New York holte. Mit neunzehn Jahren erhielt er für seine Kurzgeschichte Miriam den »O.-Henry-Preis«. 1948 erschien sein Roman »Andere Stimmen, andere Räume«, der als das sensationelle Debüt eines literarischen Wunderkindes gefeiert wurde. 1949 folgte die Kurzgeschichtensammlung »Baum der Nacht«, 1950 die Reisebeschreibung »Lokalkolorit«, 1951 der Roman »Die Grasharfe«. Das 1958 veröffentlichte »Frühstück bei Tiffany« erlangte auch dank der Verfilmung mit Audrey Hepburn große Berühmtheit. 1965 erschien der mehrmals verfilmte Tatsachenroman »Kaltblütig«, 1973 »Die Hunde bellen« (Storys und Porträts), 1980 »Musik für Chamäleons« (Erzählungen und Reportagen). Postum wurden 1987 - unvollendet - der Roman »Erhörte Gebete« und 2005 das neu entdeckte Debüt »Sommerdiebe« veröffentlicht. Truman Capote starb 1984 in Los Angeles.

Anuschka Roshani studierte Verhaltensbiologie und Germanistik in Berlin und besuchte anschliessend die Henri-Nannen-Schule in Hamburg. Danach war sie sieben Jahre lang Redakteurin und Reporterin im Kultur- und Gesellschaftsressort des »Spiegel«. Seit 2002 lebt sie in Zürich, wo sie als Redakteurin für »Das Magazin« des »Tages-Anzeigers« arbeitet.

Was die hier versammelten frühen Erzählungen von Truman Capote (in der gelungenen Übersetzung von Ulrich Blumenbach) so besonders und anrührend macht, ist der Ton. Er belässt allen seinen Personen, auch den Spitzbuben, Mördern und sonst wie Gestrauchelten ihre Würde. Er will sie nicht bloßstellen, entlarven. Insofern war der unglückliche Schriftsteller Truman Capote ein wahrer Demokrat. Frankfurter Allgemeine Zeitung

Die Sammlung der kleinen Geschichten zeigt, wo für den Schriftsteller die Welt anfing und wie bereit er schon damals war, sich einen Namen zu machen. dpa

Man ist völlig verblüfft, dass dies ein Teenager von der High School geschrieben haben soll. Man will es erst gar nicht glauben, weil sich in ihnen tatsächlich all das zu erfüllen scheint, was Capote später wollte: keine langen Sätze, keine Geschichte mit Thesen, niemals langweilen. FAZ online »Lesesaal«

MISS BELLE RANKIN I Ich war acht, als ich Miss Belle Rankin das erste Mal sah. Es war ein heißer Augusttag. Die Sonne sank schon am scharlachrot gestreiften Himmel, und die Hitze stieg trocken und pulsierend vom Erdboden auf. Ich saß auf den Stufen der Vorderveranda, sah eine Negerin auf mich zukommen und fragte mich, wie sie bloß ein so großes Wäschebündel auf dem Kopf balancieren konnte. Sie blieb stehen und beantwortete meinen Gruß mit einem Lachen, diesem dunklen, gedehnten Negerlachen. Da kam Miss Belle langsam auf der anderen Straßenseite vorbei. Als die Waschfrau sie sah, schien sie zu erschrecken, unterbrach sich mitten im Satz und eilte wieder auf ihr Ziel zu. Stirnrunzelnd starrte ich die unbekannte Passantin an, die ein so seltsames Verhalten auslösen konnte. Sie war klein und ganz in Schwarz, staubig und mit wirrem Haar – sie sah unglaublich alt und verhutzelt aus. Dünne graue Strähnen hingen ihr in die schweißfeuchte Stirn. Sie ging mit gesenktem Kopf und starrte auf den ungepflasterten Gehweg, als suchte sie etwas, das sie verloren hatte. Ein alter englischer Pinscher folgte ziellos im Kielwasser seines Frauchens. Später sah ich sie noch oft, aber dieses erste, fast traumartige Bild wird mir immer am deutlichsten vor Augen stehen – Miss Belle, die lautlos die Straße hinabgeht, rote Staubwölkchen steigen um ihre Füße auf, und sie verschwindet in der Abenddämmerung. Einige Jahre darauf saß ich in Mr. Joab’s Drugstore an der Ecke und nippte an einem von Mr. Joab’s speziellen Milkshakes. Ich saß am einen Ende des Tresens, und am anderen saßen zwei stadtbekannte Drugstore-Cowboys und ein Fremder. Der Fremde hatte ein weit respektableres Äußeres als die meisten Leute, die Mr. Joab’s frequentierten. Meine Aufmerksamkeit erregte aber das, was er mit leiser und heiserer Stimme sagte. »Jungs, kennt einer von euch jemanden in der Gegend, der schöne Japanische Zierquitten zu verkaufen hat? Ich suche die für eine Frau aus dem Osten, die sich drüben in Natchez eine Wohnung ausstattet.« Die beiden Jungen sahen sich an, und dann sagte der eine, der fett war, Glupschaugen hatte und sich gern über mich lustig machte: »Also, ich sag Ihnen mal was, Mister, die Einzige, die ich hier in der Gegend kenne, die echt schnieke hat, ist eine schrullige alte Schachtel, Miss Belle Rankin – die wohnt einen knappen Kilometer von hier in einem echt schrägen Haus. Das ist alt und runtergekommen, noch von vorm Bürgerkrieg. Wirklich schrullig, wohlgemerkt, aber wenn Sie Zierquitten suchen, hat sie die besten, die ich je vor die Guckerchen gekriegt hab.« »Genau«, meldete sich der andere zu Wort, der blonde und verpickelte Handlanger des Fettsacks, »die vertickt sie Ihnen unter Garantie. Soweit ich weiß, ist die da draußen am Verhungern – hat nichts mehr als einen alten Nigger, der auch da wohnt und auf dem Grasfleck rumhackt, den sie Garten nennen. Ich hab neulich erst gehört, sie soll in den Jitney Jungle Market reinmarschiert sein, sich das ganze angegammelte Gemüse rausgeklaubt und Olie Peterson überredet haben, dass er ihr das für lau lässt. Die schrulligste Schleiereule, die Sie je gesehen haben – bei schlechter Beleuchtung sieht die glatt nach hundert aus. Die Nigger haben richtig Schiss vor der –« Der Fremde unterbrach den Informationssturzbach des Jungen und fragte: »Und du meinst, sie verkauft die?« »Todsicher«, sagte der Fettsack und verzog das Gesicht zu einem wissenden Grinsen. Der Mann bedankte sich und wollte schon gehen, drehte sich dann aber noch einmal um und fragte: »Habt ihr Lust, mitzufahren und mir das Haus zu zeigen? Ich bring euch auch wieder zurück.« Das ließen sich die beiden Tagediebe nicht zweimal sagen. Die Sorte ließ sich immer gern in Autos sehen und erst recht mit Fremden; das machte den Eindruck, sie hätten Verbindungen, und brachte unweigerlich Zigaretten mit sich.

Erscheint lt. Verlag 22.10.2015
Übersetzer Ulrich Blumenbach
Sprache deutsch
Original-Titel The Early Stories of Truman Capote
Maße 116 x 185 mm
Gewicht 208 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. Jahrhundert • Alltag • Capote • Capote, Truman • Clarke • Erfahrungen • Erzählungen • Gedichte • Geschichten • Gesellschaft • Klassiker • klassische Literatur • Kurzgeschichten • Programm • Roman • Short Stories • Stories • Tod • Truman Capote
ISBN-10 3-0369-5731-6 / 3036957316
ISBN-13 978-3-0369-5731-9 / 9783036957319
Zustand Neuware
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