Wer so virtuos Wörter verdreht wie Mira Kurz, der hat ganz klar: Linkslesestärke! Nur Namen kann sie sich nicht merken. Gar nicht. Bei Mira heißen andere Kinder »die Fiese«, »die Schüchterne« oder »längster Freund«. Peinlich. Als nebenan ein Mädchen mit himmelblauen Augen einzieht, hofft Mira, dass sie beste Freundinnen werden. Doch dann läuft alles schief. Mira versagt kläglich beim doofen Namen-Merkspiel in der Schule, »die Fiese« schnappt ihr die zukünftige beste Freundin vor der Nase weg und nimmt Mira danach übel in die Zange. Schärfste Gegenwehr ist angesagt! In letzter Sekunde zeigt sich, dass mehr Kinder zu Mira halten, als sie dachte. Und dass Namen merken gar nicht so schwer ist.
Anja Janotta, geboren 1970, verbrachte ihre Kindheit in Saudi Arabien und Algerien und wusste bereits früh, dass sie Kinderbuchautorin werden wollte. In München studierte sie zunächst Diplom-Journalistik und arbeitet heute als Online-Redakteurin. Seit ihre beiden Kinder Leser und Zuhörer geworden sind, hat sie ihren Traum verwirklicht und schreibt Kinderbücher. Anja Janotta lebt mit ihrer Familie an einem See in Oberbayern.
Kapitel 1
Nichts zu dick-Tieren!
Wir könnten Freunde sein, wenn du willst.
Ich geb zu, dass das jetzt ein bisschen überfallmäßig daherkommt – sofort im ersten Satz. Wahrscheinlich spürst du gleich die Pistole auf deiner Brust. Und erpressen lässt du dich nicht. Versteh schon!
Okay, dann gehen wir es eben langsam an. Ich lasse dir einfach ein paar Seiten Zeit. Ja? Okay? Und damit du auch nicht gleich die Katze im Sack kaufen musst, erzähle ich dir in der Zwischenzeit ein bisschen von mir. Dann kannst du immer noch entscheiden, ob du es mit mir als Freundin probieren willst.
Ich heiße Mira.
Deinen Namen brauchst du mir gar nicht erst sagen. Den vergesse ich bestimmt gleich wieder. Das meine ich nicht böse. Ich schwöre! Das ist bei mir so: Ich merke mir keine Namen. Niemals. Wenn man so will, bin ich da ein bisschen unnormal, ein minibisschen bescheuert. »Rechtschreibschwäche« nennen es meine Lehrerin und Mama. Fünfmal neu hat Mama es mir dick-Tieren müssen, damit ich endlich begreife, wie man es schreibt. Denn ich verwechsle gerne Buchstaben, wenn ich was lesen oder aufschreiben soll. Oder wenn ich mir einen Namen merken soll.
Tja, und weil ich ziemlich schnell herausgefunden habe, dass jeder Mensch sofort beleidigt ist, wenn man ihn falsch anredet, habe ich es irgendwann gleich ganz sein gelassen mit den Namen. Genau genommen kenne ich nur zwei. Meinen eigenen – Mira Kurz. Und den von meinem großen Bruder: Linus (und das wahrscheinlich nur, weil ich mich nicht zwischen Der-der-nervt oder Der-mit-dem-Stinke-Zimmer entscheiden kann). Mama heißt nur einfach Mama, Papa ist Papa und wie Oma, Opa und Omi heißen, kannst du dir jetzt selber zu Ende denken.
Wenn du mir also deinen Namen verrätst, dann behalte ich bestimmt nur den Anfangsbuchstaben, dann könnte also L stehen für L…ola, L…ucy, L…ynette oder L…ass-mich-mit-dem-Scheiß-Namen-in-Ruhe. F könnte stehen für F…abi, F…lo oder F…ergiss-den-Namen-so-heißen-sowieso-schon-drei-aus-meiner-Klasse. Ach so, F…ergiss ist falsch? Das ist eben diese komische Schreibrechtschwäche, die ich meine …
Anders gesagt: Dich gibt’s nur einmal. Deinen Namen aber bestimmt viel öfter. Deswegen merke ich mir lieber was anderes. Du bist jemand, der beim Lachen die Nase kraus zieht und jemand, der urkomisch schielen kann. Sag ich doch – die Grimasse, die du eben gemacht hast, sah echt sauwitzig aus!
Ich bin also Mira oder die, die ziemlich gut freihändig Rad fährt, während sie auf dem Gepäckträger sitzt. Die am längsten kopfüber vom Klettergerüst hängen kann. Die Mira, die statt mit der Hand zu schreiben lieber auf einem komm-Puter tippt (dieser hier hat nämlich eine Rechtschreibhilfe. Dummerweise eine, die keine Fremdwörter kann. Die muss ich mir immer selbst zusammenstöpseln). Und ich bin die Mira, die ganz bald Einrad fahren lernen will.
Das sagt nämlich viel mehr aus als diese vier blöden Buchstaben von meinem Namen, die ich selbst oft nicht in die richtige Reihenfolge bekomme. Manchmal schreibe ich wirklich Mari oder Imra oder Rami. Das ist doof, denn in meiner Klasse gibt es wirklich eine, die sich Mari oder so ähnlich abkürzt.
Meine Lehrerin, die immer so wiehernd lacht, könnte also unsere Proben miteinander verwechseln. Deswegen muss ich immer höllisch aufpassen. Dabei kann man uns gar nicht verwechseln. Die Tussi, die so ähnlich klingt wie ich, wenn ich mich verschreibe, ist eine dämliche Aaaangeberin. Eine, die immer ganz langgezogen und überheblich redet: »Iiiii…ch kann das schon viiiiiiel besser als du.«
Dabei ist unsere Lehrerin echt okay, ich mag sie nur nicht, wenn sie mir wieder eine Deutschprobe zurückgibt. Leider habe ich in der Klasse keine Freundin, die mir bei einer vermasselten Deutschprobe beisteht. Das ist echt bescheuert. Wir sind nämlich genau nur fünf Mädchen in der Klasse. Zwei Mädchenpaare und – ich.
Zu der ah-Rock-Kanten Anstreberin gehört ihre schüchterne Freundin. Die trägt immer strenge, breite Tücher im Haar und traut sich nichts. Nicht mal mit mir reden. Gerade so, als wäre Schlechtschreiben ansteckend und die grellroten Chor-Reck-Touren auf meinem Papier hochgefährliche Windpockenpickel kurz vorm Aufplatzen.
Dann gibt es noch ein Mädchen mit Z oder so, die lange blonde Z…öpfe trägt. Das Z könnte aber eigentlich viel besser für Z…icke stehen. Nie macht die mit, wenn ich was vorschlage. Alle meine Spiele findet die Zicke ätzend. Oder kindisch.
Außerdem kann ich sowieso nur mit der Zicke spielen, wenn ihre beste Freundin krank ist. Die beginnt mit F wie F…iese Fresse. Mama sagt, ich soll das nicht immer sagen, so nennt man keine Menschen, und wenn man mich so nennen würde, dann würde ich … Blablabla.
Aber die einzigen Bezeichnungen, die mir stattdessen einfallen, sind F…eindin oder besser noch: die F…iese. Findet Mama bestimmt auch nicht gut, aber wenn’s doch stimmt?
Die Fiese jedenfalls hasst mich. Und ich hasse sie. Das ist das Mindeste, was ich tun kann. Leider ist es auch das Einzigste.
Die Fiese ist nicht nur die Größte aus der ganzen Klasse, sie muss auch sonst immer die Größte und Tollste sein. Sie sagt bei den Mädchen, was gespielt wird. Sie sagt, mit wem sie reden dürfen. Und wenn ich mal, was ganz selten vorkommt, mit einem Mädchen aus der Klasse Stoppfangen oder Verstecken spiele, ruft die Fiese. Dann muss das Mädchen sofort kommen und ich kann nicht einmal mehr zu Ende suchen.
»Was willst du denn mit der Schwachsinnigen?«, fragt die Fiese dann auch noch.
»Schwelber sachsinnig«, rufe ich ihr hinterher. Aber den Witz mit dem Buchstabenumdrehen versteht sie nicht. Das versteht nur mein längster Freund. Buchstabendrehen ist nämlich unser Lieblingsspiel.
»Kummdöpfe«, sagt mein Freund dann zu den Dummköpfen auf dem Schulhof, wenn er mir helfen will.
»Kallknöpfe«, schimpfe ich. Wenn ich jetzt ein Kaugummi hätte, könnte ich laut eine Blase platzen lassen. So kann ich nur mit einem Finger in meiner Backe ploppen. »Bumpfdacken«, setzt mein längster Freund drauf. Mann, bin ich froh, dass ich wenigstens meinen längsten Freund habe! Auch wenn die Zeckermiegen unsere Beleidigungen meistens gar nicht mehr mitbekommen.
Mein Freund heißt irgendwas mit F, mit Fenster-F. Aber nicht wie beim F…iesling. Nein, diesmal wie in F…reund. Für mich ist er einfach Mein-längster-Freund, weil ich ihn von allen am allerallerlängsten kenne. Weil er in meine Klasse geht und sechs Hausnummern weiter wohnt. Weil unsere Mütter Freundinnen sind. Weil wir uns sogar so sehr mögen, dass wir früher immer zusammen gebadet und uns gegenseitig ins Badewasser gestrullert haben. Aber ich nenne ihn trotzdem besser Mein-längster-Freund als Mein-Freund-der-immer-in-mein-Badewasser-strullert.
Eigentlich passt die Bezeichnung längster nicht wirklich. Denn mein längster Freund ist eigentlich der kürzeste Freund. Er ist der kürzeste Junge aus der ganzen Klasse – mit ganz weitem Abstand zu allen anderen. Auch zu mir. Das ist aber nur manchmal ein Problem.
Neulich am Wochenende, als mein längster Freund bei mir übernachtete, brachte ihn Mama beim Abendessen auf eine Idee.
»Schau«, sagte meine Mama mit ihrer überzeugendsten Stimme. »Du bist zwar kleiner als die meisten. Eigentlich nicht nur als die meisten, sondern kleiner als alle, die wir kennen. Das ist dein Karr-Ma, so etwas wie dein Schicksal. Aber dafür kannst du dir die Welt aus einem ganz anderen Blickwinkel angucken als die anderen. Du siehst mehr.« Dann fügte sie noch schmunzelnd hinzu: »Und außerdem ist niemand so schlagfertig wie du.«
Mama macht das immer, anderen ihre Probleme schönreden. Mama ist nämlich Coach (das habe ich von ihrer wie-Sitten-Karte abgeschrieben). Ein Coach ist jemand, der anderen hilft in irgendeinem Gebiet besser zu werden. Oder auch nur, sich besser zu fühlen. Oder beides.
Nein, sagt Mama, Coach schreibt man nicht K-O-C-H. Ihre Arbeit hat mit Kochen nichts zu tun.
Finde ich schon, denn erstens kocht Mama saugut, und zweitens liefert sie ihren Kunden doch Rezepte, damit ihnen ihr Karr-Ma hinterher wieder besser schmeckt.
Ob an diesem Samstag meinem längsten Freund nun Mamas Schönreden oder doch ihr Essen besser geschmeckt hat, war schwer zu sagen. Er schob satt die Reste seines dritten Z-Z-Z-Pfannenkuchen (mit Z…imt und Z…ucker und Z…itrone) von sich.
»Das stimmt, das mit dem anderen Blickwinkel, wenn man kleiner ist«, sagte er. Aber dann fügte er mit seiner besonders bissigen Stimme hinzu: »Ich werde daran denken, wenn ich wieder nicht in die Achterbahn darf, weil ich noch einen Meter dreißig groß bin. Da spare ich mir viel Geld. Das kann ich dann später für hohe Absätze ausgeben. Oder einen teuren Coach.«
Mama guckte erst ein bisschen belämmert, lachte dann aber mit uns mit. »Sag ich doch, dass du schlagfertig bist«, murmelte sie beim Hinausgehen.
Als wir später in unserem Zelt lagen, das wir aus Decken...
| Erscheint lt. Verlag | 2.3.2015 |
|---|---|
| Illustrationen | Stefanie Jeschke |
| Verlagsort | München |
| Sprache | deutsch |
| Themenwelt | Literatur |
| Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre | |
| Schlagworte | ab 8 • eBooks • Freundschaft • Grundschule • Kinderbuch • Kinderbücher • Kinderbücher, Rechtschreibschwäche, Sprachspiele, Freundschaft, Schule, Grundschule, Mobbing • Mobbing • Rechtschreibschwäche • Schule • Sprachspiele |
| ISBN-13 | 9783641148027 / 9783641148027 |
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