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Der Autostopper (eBook)

Die kurzen Erzählungen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
768 Seiten
Luchterhand Literaturverlag
978-3-641-14639-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Autostopper -  Franz Hohler
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Die erste vollständige Sammlung sämtlicher kurzer Erzählungen von Franz Hohler.
Erstmals in einem Band versammelt: sämtliche kurzen Erzählungen Franz Hohlers. Mit einem Nachwort von Beatrice von Matt.

Vor über vierzig Jahren erschien mit dem Band »Idyllen« Franz Hohlers erste Sammlung mit kurzen Erzählungen. Der Titel kann in seiner ironischen Brechung als Programm verstanden werden: Idyllisch geht es in diesem Band und in den weit über einhundert anderen Erzählungen, die Franz Hohler seither geschrieben hat, allenfalls auf der Oberfläche zu. Im Untergrund rumoren dunkle Kräfte und brechen hervor, ohne sich um den schönen Schein des Alltags zu kümmern. Eine buntere, phantasievollere, manchmal auch böse und abgründige Welt zeigt sich. Sie verstört den Leser vielleicht, macht ihn aber auch mit den Kehrseiten des Lebens bekannt, von denen jeder weiss, dass sie existieren, auch wenn sie sich lange ruhig verhielten und unsichtbar blieben.

Erstmals sind in diesem Band sämtliche kurzen Erzählungen von Franz Hohler gesammelt. Das macht diesen Band zu einem imposanten Zeugnis höchster Erzählkunst aus dem über vierzigjährigen Schaffen eines der bedeutendsten Autoren seiner Generation - und zu einem beispiellosen Lesevergnügen.

Beatrice von Matt, Kritikerin und langjährige Literaturredakteurin der Neuen Zürcher Zeitung, hat das Werk von Franz Hohler schreibend begleitet. Für diesen Band hat sie ein informatives und höchst lesenswertes Nachwort verfasst.

Franz Hohler wurde 1943 in Biel, Schweiz, geboren. Er lebt heute in Zürich und gilt als einer der bedeutendsten Erzähler seines Landes. Hohler ist mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, unter anderem mit dem Alice-Salomon-Preis und dem Johann-Peter-Hebel-Preis. Sein Werk erscheint seit über fünfzig Jahren im Luchterhand Literaturverlag.

Ein eigenartiger Tag

Welch ein eigenartiger Tag! Welch ein eigenartiger Tag!

Es regnet geradezu übertrieben. Am Bahnhof Meilen, wohin ich mit dem Auto fahre, sind alle Parkplätze besetzt, ich überlege mir, ob ich unkorrekt in die blaue Zone soll, oder ob ich mit dem Auto nach Zürich soll, wie alle, die ein Auto haben, aber ich will nicht sein wie die, die ihr Auto unkorrekt in die blaue Zone stellen und auch nicht wie die, die mit dem Auto nach Zürich fahren, also fahre ich, dem Zug um weniges voraus, nach Feldmeilen, verlange dort schnell ein Billett und einen Parkschein für das Auto, denn das braucht man, wenn man den Wagen im Verkehr mit der SBB länger als 30 Minuten stehen lassen will, dieser Parkschein muß aber unbegreiflicherweise vom Schalterbeamten zuerst ausgefüllt werden, währenddessen fährt schon der Zug ein, ich springe zum Auto, lege den Parkschein gut sichtbar unter die Windschutzscheibe, eile dann in langen Sätzen die Unterführung hinunter und hinauf auf das Perron, wo sich die Türen soeben automatisch zischend geschlossen haben, ich reiße eine Türe nochmals auf, wogegen sich das Blockierungssystem in der für diesen Fall vorgesehenen Weise zur Wehr setzt, aber ich bin stärker und bin im Zug, in dessen erstes Coupé ich mich setze, einer unbeweglichen Frau gegenüber. Kaum fährt der Zug, kommt mir in den Sinn, daß ich ja, um mich korrekt zu verhalten, das Billett am automatischen Billettentwerter hätte entwerten müssen und denke, dann tu ich das halt an der nächsten Station, ich will nach dem Billett greifen, weiß aber nicht, wohin ich da greifen soll, weil mir jede Erinnerung an das Billett fehlt. Da ich Kleidungen mit vielen Taschen bevorzuge und auch eine Einkaufstasche mit mehreren aufgenähten Taschen bei mir habe, durchsuche ich nun der Reihe nach alle meine Taschen, zuerst tastend, dann, indem ich den Inhalt herausnehme und betrachte, die unbewegliche Frau rührt sich nicht, aber ich fühle, daß sie durch meine Unruhe beeinflußt wird. Diese Suche breche ich erst ab, als in Küsnacht ein Bekannter von mir einsteigt, dem ich von der Erfolglosigkeit meines Tastens, Herausnehmens und Betrachtens erzähle, und vor allem davon, daß es das Billett ist, das ich suche, und nun scheint mir, der unbeweglichen Frau falle ihre Unbeweglichkeit wieder leichter. Der Bekannte besitzt ein Generalabonnement und erzählt mir, wie er es kürzlich verloren und später von einem Taucher, der es in der Limmat gefunden habe, wiederbekommen habe, und wie sich viele Taucher ihren Tauchsport dadurch finanzierten, daß sie in der Limmat nach verlorenen Dingen tauchten, oder nach im Überschwang weggeworfenen, wie z. B. Zinngeschirr entlang den Zunfthäusern, am Tag nach dem Sechseläuten.

Warum soll ich mir, denke ich am Bahnhof Stadelhofen, wo ich den Zug, ohne daß ich einer Billettkontrolle unterlaufen wäre, verlasse, warum soll ich mir für die Tramfahrt keine Zeitung kaufen? Ich kaufe mir keine Zeitung, halte mein Tramabonnement in den automatischen Billettentwerter, der ihm ein Eckchen abhaut und gleichzeitig die nötigen Angaben über Datum und Ausgangspunkt der Fahrt draufstempelt, steige ins Tram und schaue zum Fenster hinaus, lese auch die Aufschriften an den Häusern, vergesse sie aber sofort wieder, außer zwei Hausnummern, 293 und 295.

Ich steige aus und gehe in die Yogastunde, die mir eine Lehrerin erteilt, nehme seltsame Stellungen ein und versuche mich dabei so zu konzentrieren, daß ich nicht mehr daran denke, daß ich seltsame Stellungen einnehme.

Auf der Rückfahrt im Tram steht ein fremdsprachiger Mann bei einer Haltestelle lange auf dem Trittbrett, das sich sonst automatisch nach oben klappend schlösse, und ruft seiner Frau in der fremden Sprache Anweisungen zu, wie sie den Billettautomaten behandeln müsse, da sagt ein alter Mann mit einem Mützchen sehr laut: »So chumm, schtig ändlech y!« und ein anderer, auch alter: »Chumm, chumm!«, aber die Frau wirft immer noch kleine Münzen ein, und der Mann getraut sich nicht mehr, länger auf dem Trittbrett seines Gastlandes zu stehen, und im Abfahren sieht man noch, wie sich seine fremdsprachige Wut auf die Frau ergießt.

In der Papeterie, die ich für die beste Zürichs halte, verlange ich dunkelgelbes Umdruckpapier, d. h. soll ich das jetzt erzählen, angesichts des Elendes dieser Welt, doch, doch, es ist schließlich wahr, und was wahr ist, kann man auch erzählen, dieses Umdruckpapier nämlich, das mir die ältere Verkäuferin in einem Musterkatalog zeigte, mußte im Keller geholt werden, und bevor sie es holen konnte, verlangte ich noch selbstklebende A4-Couverts von einer Art, wie sie fast nur die Papeterie führt, die ich für die beste Zürichs halte, ein Couvert aber, das den wenigsten Verkäuferinnen dieser Papeterie bekannt ist, so daß ich sie immer mit sanfter Beharrlichkeit auf die mir bereits bekannte Stelle im Musterkatalog hinführen muß. Aha, sagt die ältere Verkäuferin und muß diese Couverts auch im Keller holen. Als sie zurückkommt, bringt sie außer den Couverts ein häßliches, sogenanntes Kanariengelb und sagt, das goldgelbe sei ausgegangen. Es fällt mir nun auf, daß das Papier sehr dick ist, 160 g, ich brauche aber normales, 80grämmiges, sie geht also nochmals und kommt nach langer Zeit nochmals mit einer kanariengelben Schachtel zurück, da auch das 80grämmige goldgelbe Umdruckpapier ausgegangen ist, es sei unheimlich, flüstert mir die Verkäuferin zu, was im Keller alles fehle, und sie gebe mir jetzt diese 500 Stück zu einem niedrigeren Preis, nämlich dem, den 500 Stück kosten würden, wenn man 1000 nähme. Im Katalog, den ich für sie lesen muß, weil sie die Brille verlegt hat, steht bei 500: Fr. 23.10, und bei 1000: Fr. 21.90, womit der Preis für 500 Stück gemeint ist, wenn man 1000 nimmt, die Verkäuferin teilt ihn aber nochmals durch zwei und kommt auf Fr. 10.90, wogegen ich, da ich finde, die Papeterie, die ich soeben noch für die beste Zürichs hielt, verdiene einen Denkzettel, nichts einwende.

Nun will ich nach Hause telefonieren und mitteilen, daß ich in der Stadt zu Mittag esse, weil ich beim Papiereinkauf zuviel Zeit verloren habe. In eine Telefonkabine vor der Zentralbibliothek biegt gerade ein Bibliotheksbenützer ein, der mir um ein kleines zuvorkommt, ich wende mich um und sehe, daß ich eben an der Post Mühlegasse vorbeigegangen bin und daß dort eine Kabine offensteht, eine Kabine, von der aber, wie ich drauf zugehe, auch eine andere Person angezogen wird, hineingesogen fast, die Tür schließt sich weich und unerbittlich hinter ihr. Ich beschließe, vor dieser Kabine zu warten, setze mich auf die Treppe und ziehe, da plötzlich die Sonne scharf scheint, eine Sonnenbrille an, die ich bei mir habe.

Einer, den ich kenne, geht nun an mir vorbei und wirft etwas, das wie ein Brief aussieht, in einen Schlitz am Postgebäude, über dem steht KEIN BRIEFEINWURF. Ich rufe ihm einen Gruß zu, aber er bezieht ihn nicht auf sich, Kurt! rufe ich lauter, als er an mir vorbeigeht, er schaut mich an, ohne mich zu erkennen, he! rufe ich, aufdringlich laut, stehe auch auf, ziehe die Sonnenbrille aus, behalte die Mütze und den Bart an, jetzt kennt er mich, ich frage ihn, ob er wisse, daß das kein Briefeinwurf gewesen sei, und ob er essen gehe. Er weiß, daß das kein Briefeinwurf gewesen ist und geht nicht essen, sondern nach Hause, zum Erziehen, sagt er, ich frage, ob er die Frau oder die Tochter erziehe, er sagt, die Frau lasse sich nicht mehr erziehen, die Tochter bald nicht mehr, trotzdem erziehe er immer wieder.

Nun wird die Kabine frei, ein anderer biegt um die Ecke, nein, rufe ich, jetzt habe ich lange gewartet, und fasse die Kabinentür, doch der andere wollte gar nicht in die Kabine, sondern in die Post, merkt aber, wohl etwas verwirrt durch meinen Zuruf, nicht, daß diese schon geschlossen ist und prallt in die Türe hinein. Ich muß meinen Platz halten und winke dem, den ich kenne, diesem Kurt somit, zu, ich muß telefonieren, rufe ich, er steigt auf ein Velo, er fährt also Velo, denke ich, und rufe zu Hause an, wo mein Sohn abnimmt, sage ihm, daß ich nicht komme, meine Frau kommt auch noch schnell, gleichzeitig mit einer andern Frau, welche die Türe der Kabine aufreißt und sofort wieder zumacht, ich werfe noch einen Zehner ein, merke aber, als die Verbindung im Abschiednehmen unterbrochen wird, daß ich ihn nicht eingeworfen habe, sondern immer noch in der Hand halte.

Entschuldigen Sie, ich habe Sie nicht gesehen! ruft mir ein Mädchen entgegen, als ich, geblendet, hinaustrete. Ich entschuldige, ohne zu wissen was, und erst nachher wird mir klar, daß das die Frau ist, welche in die Kabine eindringen wollte, als ich mit meiner Frau sprach.

Was für ein eigenartiger Tag. Die Buchläden legen die Herbstproduktionen aus wie frisches Obst, ich kaufe den neuen Handke und beginne ihn, als ich mich im »select« gesetzt und ein Schnitzel »Frascati« bestellt habe, sogleich zu lesen, dabei fällt mir auf, daß ich die meisten Bücher von Handke irgendwo unterwegs lese, das »Wunschlose Unglück« in einem jugoslawischen Restaurant in Würzburg und den »Hereinbrechenden Augenblick« (oder was war das?) in einem Hotel in Stuttgart, die erste Hälfte, und die zweite Hälfte in einem Gasthof in Rottweil, und daß ich mich dann jeweils weniger allein gefühlt habe. Der Wirt wirft zwei Burschen hinaus, mit kleinen, widerlichen Handbewegungen, warum, ist nicht klar, auch sehe ich zum erstenmal, daß es hier einen Wirt gibt und nicht nur Serviertöchter. Draußen schauen sich Leute nach anderen Leuten um, schauen auch durchs Fenster hinein, beiläufig, ob sie jemanden kennen. Wir sind drei am Tisch, drei, die nicht miteinander sprechen, ich, ein Mann und...

Erscheint lt. Verlag 3.11.2014
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Die kurzen Erzählungen • eBooks • Erzählungen • Erzählungen, Die kurzen Erzählungen, Schweiz • Schweiz
ISBN-10 3-641-14639-9 / 3641146399
ISBN-13 978-3-641-14639-9 / 9783641146399
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