Zum Hauptinhalt springen
Nicht aus der Schweiz? Besuchen Sie lehmanns.de

Briefe (eBook)

(Autor)

Johanna Woltmann (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
324 Seiten
Wallstein Verlag
978-3-8353-2539-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Briefe -  Gertrud Kolmar
Systemvoraussetzungen
19,99 inkl. MwSt
(CHF 19,50)
Der eBook-Verkauf erfolgt durch die Lehmanns Media GmbH (Berlin) zum Preis in Euro inkl. MwSt.
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Im Zentrum dieser Edition stehen die Briefe, die Gertrud Kolmar von September 1938 bis zu ihrer Deportation im März 1943 nach Auschwitz an ihre in die Schweiz emigrierte Schwester Hilde Wenzel schrieb. Sie schreibt von der immer schwieriger werdenden und schließlich ausweglosen Lage der letzten Juden in Berlin und gibt der Schwester umfassende und häufig verschlüsselte Einblicke in ihr Erleben, ihr Schaffen und in ihre Erinnerungen. Insbesondere die letzten Briefe vor der Deportation lesen sich wie ein bewusstes Vermächtnis der Dichterin. Neben den Briefen an die Schwester enthält der Band die wenigen überlieferten frühen Briefe an Jacob Picard und Walter Benjamin. Darüber hinaus werden in diesem Band die neu entdeckten Briefe und Postkarten an die Schauspielerin und Schriftstellerin Leni Steinberg erstmals veröffentlicht. Gertrud Kolmars Briefe sind nicht nur ein einzigartiges zeitgeschichtliches, autobiographisches und das eigene dichterische Werk reflektierendes Dokument, sondern sie zeichnen sich auch durch ihre hohe literarische Qualität aus und können als zentraler Bestandteil des Werkes der Dichterin gelten.

Die Autorin: Gertrud Kolmar (1894-1943) zählt zu den bedeutendsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Dennoch ist ihr Werk einem größeren Publikum bisher unbekannt geblieben. Die Herausgeberin: Johanna Woltmann, geb. 1940, Literaturwissenschaftlerin, Redakteurin und freie Autorin, hat sich seit 1970 mit der Erschließung von Leben und Werk Gertrud Kolmars als herausragende Kennerin dieser Dichterin erwiesen.

Die Autorin: Gertrud Kolmar (1894-1943) zählt zu den bedeutendsten Autorinnen des 20. Jahrhunderts. Dennoch ist ihr Werk einem größeren Publikum bisher unbekannt geblieben. Die Herausgeberin: Johanna Woltmann, geb. 1940, Literaturwissenschaftlerin, Redakteurin und freie Autorin, hat sich seit 1970 mit der Erschließung von Leben und Werk Gertrud Kolmars als herausragende Kennerin dieser Dichterin erwiesen.

[33]

[26. Oktober 1939]

Liebe Hilde,

Gestern war ich bei Thea; Deine Geburtstagspost hat ihr viel Freude gemacht; sie läßt Dir, bis sie selbst schreibt, herzlich danken. Dank auch für Deinen Gruß an Vati und mich. Hast Du übrigens Theas Brief vom 14. d. M. bekommen?

In Eile, nur noch mit schönen Grüßen für Euch alle beide

Trude.

[34]

[31. Oktober 1939]

Berlin, d. 31./10.39.

Mein liebes Ungeheuer,

Weißt Du, was ich jetzt möchte? Ich möchte Doktor Goldhärchen sein. (»Doktor Goldhärchen« ist ein hübsches Märchen, das ich Dir gern mal erzählen würde, wenn Du hier wärst.) Aber warum möcht’ ich nun Doktor Goldhärchen sein? Das will ich Dir sagen. Weil zu Doktor Goldhärchen ein kleines altes Männchen kommt, das nimmt ein Stück Seife aus der Tasche, übergießt es mit Wasser, schlägt Schaum, taucht in den Seifenschaum eine Pfeife, pustet hinein und – macht eine Seifenblase. Das ist aber keine gewöhnliche, sondern eine Zauberseifenblase; sie wird immer größer und größer und schließlich so groß, daß Goldhärchen, der ein hübscher kleiner Junge ist, und das alte Männchen hineinsteigen können. Dann erhebt sich die Seifenblase mit ihnen langsam in die Lüfte; sie fliegen weit, weit davon bis in ein fernes Land.

So etwas also möchte ich auch erleben, wie Goldhärchen. Statt des alten Männchens würde ich aber meine große schöne Puppe Elisabeth, mit der ich als Kind gespielt habe, die braune Locken, blaue Augen und ein rosa Seidenkleidchen hat, mit auf die Reise nehmen. Kannst Du Dir denken, für wen ich sie wohl mitnehmen würde? (Ich habe sie übrigens Deinem Papa gegeben, damit er sie für Dich aufbewahrt.) Nun, und dann würde ich mich in die Seifenblase wie in eine Riesenglaskugel setzen und dahinschweben über Berge, Täler und Flüsse, über Städte und Dörfer, die dann tief, tief unter mir lägen und aussähen, so winzigklein wie die bunten Holzhäuschen aus einem Baukasten. Und immer noch weiter würde ich fliegen über Felder und Wälder, bis schließlich ganz hohe Gebirge kämen, so daß meine Seifenblase aufsteigen müßte, um nicht anzustoßen und entzwei zu gehn. Und diese hohen Gebirge? Ich glaube, das sind die Alpen, das ist die Schweiz. Und mit einem Mal seh’ ich unter mir mitten zwischen den Bergen eine große Stadt. Weißt Du, wie die heißt? Und da drücke ich ein bißchen auf den Boden der Kugel, und die Kugel sinkt, immer tiefer und tiefer, bis sie an den Häuserdächern vorbei in eine Straße niedergleitet und leise auf die Erde stößt. Und beim Niederschweben habe ich noch gerade ein Schild gesehn, darauf steht »Landoltstraße«. Aber im nächsten Augenblick gibt’s einen kleinen Knacks – die Seifenblase ist zerplatzt und ganz weg; nicht einmal Scherben sind da, nur ein bißchen nasser, glitzernder Schaum liegt auf dem Pflaster. Ich schau’ mich aber gar nicht danach um, sondern geh’ mit meiner Puppe auf das Haus zu, vor dem ich gerade angekommen bin, und klingle. Ich hätte gar nicht zu klingeln brauchen; denn ein schon ziemlich großes Mädchen (das heißt, ganz groß ist sie noch nicht) öffnet eben zufällig die Tür. »Ach,« frage ich, »wohnt hier Frau Hilde Wenzel und Sabine Wenzel?« »Ich selbst bin doch Sabine Wenzel,« sagt sie. Darüber bin ich erstaunt. »Das kann wohl nicht sein,« erklär’ ich. »Sabine Wenzel kenne ich gut – aus der Grolmanstraße; die ist noch ein kleines Kind und kein so großes Mädchen.« – »Ich bin es aber!« – »Unmöglich! Sabine Wenzel war vor zwei Jahren noch ein kleines Wurm, und Du bist doch fast ein Schulmädel … Ich bin nämlich die Tante von der Sabine; das heißt, ich habe sie niemals Sabine genannt, sondern immer bloß »Ungeheuer« |oder »Püppi«| – – »Was!« ruft da das große Mädchen aus, »dann bist du ja Tante Trude! Ich hab’ dich gar nicht erkannt!« – »Und ich dich auch nicht!« Denn wie mich das fremde Mädchen »Tante Trude« nennt, da weiß ich auf einmal, daß es wirklich Sabine ist – aber wie hätte ich die auch erkennen können; sie ist ja schon bald so groß wie ich selber! Und weil wir so laut und lebhaft reden, guckt Mutti auch aus der Tür, um zu sehn, was da los ist – »ach,« schreit sie »das ist ja Trude!« »Und gerade heut’ an Sabines Geburtstag! Das ist aber schön!« Und nun gratuliere ich dem Ungeheuer und schenke ihm die große Puppe, und dann wird mit Kaffee und Kuchen der Geburtstag gefeiert …

Siehst Du, das hab’ ich mir ausgedacht, das möcht’ ich gerne so machen. Auch wenn es nicht gerade an Deinem Geburtstag wär’. Dann würden wir uns drei auch über das Wiedersehn freun und uns ein kleines Fest bereiten. Aber leider kann ich nicht zu Dir hinfliegen; denn ich habe ja keine Zauberseifenblase und bin auch nicht Goldhärchen, sondern eben nur

Deine Tante Trude.

[35]

[um den 6. November 1939]

Mein liebes kleines Ungeheuer!

Diese Karte hat Tante Trude von einer ganz alten Oma geschenkt bekommen, als sie noch ein kleines Mädchen war; Tante Trude fand sie damals sehr schön und hat sie bis heute aufbewahrt, und hoffentlich gefällt sie Dir auch. Das ist ein Sonnenschirm, kein Regenschirm, und ich wünsche Dir recht schönen Sonnenschein zum Geburtstag und lauter schöne Geschenke. Von mir bekommst Du ein ulkiges Buch, das Dein Papa Dir schicken wird und womit man lauter Ungeheuer zaubern kann – Deine Mutti wird Dir zeigen, wie man das macht. Wolfgang hat solch ein Buch zum Geburtstag bekommen, und da dachte ich, Du sollst auch eins haben. Grüße die Mutti, und sei selbst herzlich gegrüßt und geküßt von Deiner

Tante Trude.

[36]

[13./16. Dezember 1939]

Berlin, den 13.XII.39.

Liebe Hilde,

Dein Brief hat mir schon durch seine bloße Ankunft Freude gemacht; es war der einzige, den ich erhielt und pünktlich erhielt – zwei Karten trafen dann noch verspätet ein, das war diesmal alles. Daß Du beim Schreiben nicht in der richtigen Stimmung warst, kann ich nur zu gut verstehn; heute nehme ich meine »Revanche«, denn es geht mir genau so. Ich bin ein wenig müde und »kopfschwach« von meiner Hausarbeit und würde gerne bis Sonntag früh warten – aber der Brief soll ja fort, um rechtzeitig anzukommen. Laß mich fürs Erste einmal vergessen, daß Du Geburtstag hast; vielleicht geht es dann besser.

Also, gefeiert habe ich diesmal gar nicht (Vatis Geschenke bestanden, da ich mir nichts zu wünschen wußte, in einem Geldbetrag und einem sehr schönen karminroten Alpenveilchen, das noch blüht – leider ist’s immer nur eine kurze Freude!); mir war so gar nicht nach Feiern zumute. Ich weiß wohl, ich sollte mich von dem Düster rundum nicht überwältigen lassen, sondern das »innere Licht« anzünden; aber dieses Wissen hilft mir oft wenig – wenn ich nämlich das Licht zum Anzünden durchaus nicht finden kann. Im Sommer kam noch der Glanz von irgendeinem schönen Baum unterwegs, einem Goldregen, einem Fliederstrauch im Vorgarten eines Hauses, der hielt dann auf kurze Zeit vor; freilich ließ er mich Finkenkrug wie ein verlorenes Paradies sehen … mit den vielen Birken, den Buchen, dem Wald … Und mit Flora … Ich schrieb Dir’s wohl schon, ich wußte nicht, als wir herzogen, daß ich an allem so hing … Vielleicht hätte ich es in einer anderen Gegend Berlins weniger vermißt; aber dies Bayrische Viertel ist im Winter schrecklich, wenn auch nicht schrecklicher als etwa die Tauentzienstraße oder der Nollendorfplatz. Ja, ich war manchmal froh, zum Zahnarzt nach dem Wedding zu kommen; Grünes gibt’s da zwar noch weniger; aber der Stadtteil hat doch zum mindesten ein Gesicht! Freilich, ob ich da wohnen möchte? … Ach, ich möchte zuweilen meinen Mantel anziehn, meinen Hut aufsetzen und fortwandern, weit, weit fort. Und ich denke jetzt öfters daran, daß ich, wenn erst einmal Schnee fällt, nach Finkenkrug fahren und dort bei Mondschein, wie ich es früher tat, im Walde herumstapfen könnte; zugleich aber weiß ich schon, daß ich diesen Plan nicht ausführen werde – – Sag’, was »stöhne und klöhne« ich Dir eigentlich hier vor (noch dazu an Deinem Geburtstag, von dem ich allerdings bisher noch kaum Notiz genommen habe)? Ich bin sonst gar nicht so … Aber mag sein, daß ich in dem einen Berliner Jahr eine empfindlichere Haut bekommen habe,...

Erscheint lt. Verlag 28.4.2014
Co-Autor Johanna Egger, Regina Nörtemann
Verlagsort Göttingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Briefe / Tagebücher
Schlagworte 20. Jahrhundert • Auschwitz • Autobiographisch • Autorin • Berlin • Briefe • Briefedition • Deportation • Deutschland • Dichterin • Dichterisches Werk • Dichtung • Drittes Reich • Edition • Emigration • Gertrud Kolmar • Juden • Jüdin • Jüdisch • Nationalsozialismus • Schriftstellerin • Verfolgung • Werk • Zeitgeschichte
ISBN-10 3-8353-2539-6 / 3835325396
ISBN-13 978-3-8353-2539-5 / 9783835325395
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR)
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Mein Weg der Selbstbefreiung

von Petra Brünjes

eBook Download (2025)
tredition GmbH (Verlag)
CHF 9,75