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Mehr als laut (eBook)

DJs erzählen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1., Originalausgabe
237 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
9783518734827 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mehr als laut - Jürgen Teipel
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DJs erzählen. Von Partys und ständigem Unterwegssein. Von Beziehungen und Lampenfieber. Persönlichen Schlüsselerlebnissen und Geschlechterrollen. Von Ekstase und Drogen. Leben und Tod. Von den haarsträubenden Anfängen in Techno-Löchern wie dem »milk!« in Mannheim Anfang der Neunziger bis zu beseelten Plätzen mitten im kolumbianischen Dschungel in den Nullerjahren. Vom legendären Schwulenclub in Berlin bis zum Sonnenuntergang über einem Flüsschen in China. In »Mehr als laut« erzählen weltweit bekannte DJs wie Miss Kittin oder Richie Hawtin, DJ Koze oder Acid Maria über ihre musikalischen Erlebniswelten - und geben atmosphärisch atemberaubende, persönliche Einblicke in die DJ-Szene und Clubkultur.

<p>Jürgen Teipel, geboren 1961, kam 1980 durch die Herausgabe einer Punk-Zeitschrift zum Schreiben. Danach organisierte er Konzerte, war DJ und schrieb u. a. für <em>Frankfurter Rundschau</em>, <em>Neue Zürcher Zeitung</em>, <em>Spiegel </em>und <em>Zeit</em>. Sein Doku-Roman über den deutschen Punk und New Wave, <em>Verschwende Deine Jugend</em>, wurde zum Bestseller und Auslöser eines Punk-Revivals. Der Autor lebt bei München.</p>

WHO CARES ABOUT FUCKING TOMORROW?

Die Anfänge

DIRK MANTEI  Ich weiß nicht, ob diese prinzipielle Nachtarbeit bei mir genetisch ist, aber mein Vater hat auch schon immer nachts gearbeitet. Nachts war immer Aktivität. Wir haben ja über der Backstube gewohnt. Und wenn ich als Kind nachts aufgewacht und aufs Klo gegangen bin, habe ich immer gehört, dass da unten unheimlich viel gegangen ist. Da war wirklich Leben, mitten in der Nacht. Nicht nur Dunkelheit und Schweigen.

Ich habe dann die Schule abgebrochen und bei meinen Eltern eine Bäckerlehre angefangen. Eigentlich hatte ich schon vorher gewusst, dass ich irgendwas mit Musik machen will. Aber rückblickend bin ich froh, dass ich diese Lehre durchgezogen habe. Weil, ich habe meinen Vater dadurch echt nochmal mit anderen Augen gesehen. Wirklich maximum respect! Allein dieser handwerkliche Prozess. Auch diese Hingabe. Mein Vater ist da komplett eingetaucht. Der ist bei jeder Bäckerei vor dem Schaufenster rumgehangen und hat sich Testexemplare gekauft.

Wir waren vor allem auf Französisch spezialisiert. Das ist auch handwerklich am interessantesten. Du kannst ja mit einem einzigen Teig verschiedene Geschmäcker erzeugen. Allein dadurch, dass du ihn anders formst oder aufbereitest. Wenn du ein Baguette machst, eine normale Flûte – sehr lang, sehr dünn –, hast du mehr Kruste und damit auch mehr Geschmack, weil die meisten Geschmacksstoffe ja in der Kruste entstehen. Und eine ringförmige Couronne schmeckt wieder ganz anders. Da sind die Franzosen top. Aber du musst mit diesem Beruf genauso in love sein wie mit dem Auflegen. Von den 24 Leuten, mit denen ich meine Prüfung abgelegt habe, haben 22 aufgehört. Wenn du ein guter Bäcker sein willst, dann ist das extrem viel Handarbeit. Ein extrem mühseliges Geschäft. Weil, erst das erzeugt Qualität. Während meiner Lehrzeit kamen immer die Nachtschwärmer hinten in die Bäckerei rein. Die kaufen bei dir Brötchen. Und du musst da stehen. Im Sommer bei 40 Grad. Und im Winter mit Lungenentzündung, weil, wenn du rausgehst ...! Ich habe dann einfach festgestellt, dass ich das nicht machen mag.

Auf alle Fälle gab es in Mannheim – Mitte der Achtziger – eine Disco, die hieß Logic. Da gab es – nach Punk – so einen kleinen slot, wo elektronische Musik gespielt wurde – erste mixbare Ansätze. Und so habe ich dann auch auf Partys gedeejayed. Also nicht Disco-Classic-mäßig. Sondern Italo-Disco und so Sachen. Also schon: beats, straight ...

MICHAEL MAYER  Ich war mit 14 oder 15 Jahren mal in einer Jugenddisco – so von 19 bis 22 Uhr – und habe da zum ersten Mal jemanden mixen sehen. Das muss 84 oder 85 gewesen sein. Damals waren DJs ja noch keine Popstars. Das waren eher verkrachte Existenzen – Außenseiter, Steppenwölfe –, die nachts arbeiten und vielleicht ein Alkohol- oder Drogenproblem hatten. Einfach irgendwelche Typen, die ein sound system und ne Plattensammlung besaßen und von Abba bis Zappa alles auflegten. Es gab aber auch ein paar wenige, die eher nen Discoschwerpunkt hatten und auch schon mal gemixt haben. Italo-Disco. Oder mal ne Petshop Boys-Maxi. Als ich das gesehen habe, dachte ich nur: »Wow! Das ist genau das, was ich machen will.«

Ab diesem Zeitpunkt habe ich nur noch darauf hingearbeitet, zwei Technics-Plattenspieler zu kriegen. Und das Mixen zu lernen. Und eine kleine Lichtanlage zu kaufen, um selbst Partys zu veranstalten. Das ging los mit Schulpartys und Partys bei Freunden. Was man an so nem Abend eingenommen hat, wurde gleich wieder investiert: das Zeug teilweise gebraucht gekauft oder selbst gebastelt, ganz egal – Hauptsache, es wird ne Disco draus.

DJ HELL  Ich habe in den Achtzigern hier in München einmal die Woche im Café Größenwahn gespielt. Damals war ich einfach nur ein kleiner DJ von außerhalb, der in München Fuß gefasst hatte. Aber schon allein das war für mich ein Riesenerfolg. Das war das Ultimative. Trotzdem – wenn ich am Ende der Woche 20 Mark übrig hatte, dann war das schon viel. Ich habe damals bei einer Computerfirma gearbeitet. Das war nur so ein low key job. Ich wollte eigentlich gar nicht arbeiten. Ich wollte nur nen Job, damit ich neben dem Auflegen ein bisschen was verdiene, damit ich mein Essen und meine Miete zahlen kann. Das war echt ganz oft die große Entscheidung: Platten kaufen oder Essen kaufen? Und meistens habe ich eben Platten gekauft. Ich musste ja jeden Mittwoch wieder die neuesten Sachen spielen. Und Platten klauen – das wollte ich nicht. Das wäre das Schlimmste überhaupt gewesen. Weil ich die Leute in den Plattenläden natürlich alle kannte. Das waren ja Freunde. Eine Zeitlang habe ich sozusagen Essen geklaut. Das heißt, es war eigentlich nicht richtig geklaut – ich hatte halt damals ein Zimmer auf dem Land, weil ich dort eine Freundin hatte. Das war so eine Art Caféclub, mit oben ein paar Zimmern. Unten war die Küche. Und ich wusste, wie ich die Tür aufkriege, um nachts in die Küche zu kommen. Da habe ich mir dann die Reste geholt. Ich weiß nicht, ob das jemals aufgefallen ist. Aber ich wurde nie erwischt.

Und in dieser Zeit bin ich halt millionenfach gependelt. Habe teilweise für fünf Mark getankt. Weil einfach nicht mehr da war. Volltanken, so wie jetzt, das hat’s nicht gegeben. Das ist für mich fast ein Erfolgskriterium. Ich kann mein Auto volltanken. Bis es richtig voll ist.

MICHAEL MAYER  Meinen ersten richtigen DJ-Job hatte ich mit 18. Das war in ner Diskothek bei Baden-Baden, auf dem Land. Samstagabends. Da passten 1000 Leute rein. Aber das ging für mich irgendwann überhaupt nicht mehr. Da kam diese ganze tolle neue Musik: Hip-Hop, Techno, House. Und ich habe mir dann nicht mehr erlaubt, mich für Großraumdisco-kompatible Musik zu interessieren.

DIRK MANTEI  Der eigentliche Anstoß für mich war dann, dass ich zur richtigen Zeit – also Ende der Achtziger– in London war. Ahnungslos. Und da stand ja Acid House schon in voller Blüte. Ich bin dort ins Heaven, under the arches reingeraten und habe so ein richtiges DJ-Set gehört. Keine Ahnung von wem.

INGA HUMPE  Ich hatte mein erstes Raveerlebnis in London. Mit KLF. Das war ungefähr 1988. Da wurde über einen kleinen Radiosender die Stelle durchgegeben, wo der Rave stattfinden sollte. Wir sind da hin – und KLF sind mit einem Van gekommen und haben da gespielt. Aber nach kurzer Zeit kamen schon ein paar hundert Polizisten und haben das gestoppt. Insofern war das durchaus eine hochpolitische Bewegung. Die ist in England ja auch erfolgreich niedergeschlagen worden. Im Gegensatz zu Berlin. Als die Mauer fiel und die elektronische Musik, die ja aus der Ravegeschichte kam, sich dadurch derart weiterentwickeln konnte – das war ja in Berlin alles nur deshalb möglich, weil die Stadt sowieso nicht kontrollierbar war und alle Clubs sowieso illegal waren.

DIRK MANTEI  Als ich aus London zurückkam, habe ich hier in Heidelberg gleich ne Acid-Houseparty in nem Club etabliert – einfach zu nem Typen hingegangen, was man ja damals noch gar nicht gemacht hat. Das war im Normal. Die haben mir den Sonntag gegeben. »Planet Bass« habe ich das genannt. Und das ging ab wie nichts. Innerhalb kürzester Zeit war das Ding brechend voll. Wir mussten richtig die Leute von der Tür abhalten. Die haben sofort kapiert, um was es ging. Das lag einfach in der Luft. Es hat sich spontan eine eigene Feierkultur gebildet. Das Ganze war ja noch nicht ausformuliert. Aber da waren offensichtlich Leute an mehreren Enden der Welt zu ähnlichen Lösungen gekommen. Es war einfach Zeit für einen Acid-Houseclub. Und das Ganze war auch sofort ein richtiges Acid-Revival, im Sinne von Drogen. Die ganzen slacker und Rumhänger waren dann halt sonntags druff.

HANS NIESWANDT  Ich war Ende der Achtziger viel in New York gewesen und hatte da alle möglichen Löcher besichtigt, in denen aber extrem gute Housemusik lief. Als ich 1990 nach Köln ging, fand ich dort eine relativ maue Ausgehlandschaft vor – auch im Vergleich zu Hamburg, wo ich vorher war. Und nachdem ich diese ganze Club-im-Club-Sache – dass man nämlich irgendwo vorspricht und fragt, ob man nicht ne Veranstaltung machen kann – schon aus Hamburg kannte, habe ich angefangen, eigene Partys auf die Beine zu stellen. Zuerst in einer Eckkneipe in der Venloer Straße. Die hieß Alte Garde. Mit Butzenscheiben und so weiter. Danach waren wir auf einem Gelände in der Nähe vom Schlachthof. Einer der Besitzer der Alten Garde hat da Skulpturen aus Schrott zusammengeschweißt – und hat uns angeboten, dass wir da mal loslegen können.

Das lief dann immer mehr nach dem Prinzip: Man hat nen Raum, macht den leer, stellt ne Anlage rein, guckt, dass man ne Theke besorgt – damals war ja der Bedarf an optischen Gags noch nicht so hoch. Das Wichtigste waren ne Nebelmaschine und ein Stroboskop. Und sonst noch ein bisschen Rotlicht, Polizeilichter und so Zeugs. Aber das hat total gezogen. Gerade in Köln gibt es ne Menge Leute, die es überhaupt nicht cool finden, in eine normale Disco zu gehen. Aber so ne Off-Location mögen alle gerne.

Und das war dann auch wichtig, um diese ganze Techno- und Housewelt auch hier in Deutschland als ne Form von alternativer Musik zu etablieren. Es war ja damals oft die Rede davon, dass das jetzt der nächste Punk ist. Im Sinne von: »Jeder kann es...

Erscheint lt. Verlag 13.11.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Club • Clubkultur • DJ • ST 4482 • ST4482 • suhrkamp taschenbuch 4482 • Techno-Clubs
ISBN-13 9783518734827 / 9783518734827
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