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Immer diese Rentner - Frau Schick räumt auf (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
560 Seiten
Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG
978-3-8387-1552-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Immer diese Rentner - Frau Schick räumt auf -  Ellen Jacobi
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Eigentlich hat Frau Schick gehofft, auf dem Jakobsweg in Ruhe zu sich selbst zu finden.

Doch mit Ruhe ist es nicht weit her: Ihr Chauffeur lässt sie nicht aus den Augen, und die Mitwanderer gehen ihr gehörig auf die Nerven.

Der liebeskranken Nelly nimmt sich die rüstige Witwe dennoch gerne an. Energisch sorgt sie im Leben ihres Schützlings für Ordnung. Doch auch in Frau Schicks Leben gäbe es einiges aufzuräumen ...

2.


Denk an Pamplona!

Nelly strafft die Schultern, stürmt die Stufen zum Düsseldorfer Finanzamt hinauf und öffnet beherzt die Schwingtür zum Foyer. Der Pförtner in der Panzerglasloge hebt flüchtig einen Blick von seiner Zeitung. Er trägt eine Brille mit halben Gläsern und sieht aus wie eine verdrossene Eule. Nelly ist technische Übersetzerin für Gebrauchsanweisungen und Montageanleitungen und hält viel auf ihr Talent, selbst Blicke dolmetschen zu können. Der des Pförtners sagt: »Willkommen bei den lebenden Toten.«

»Ein herrlicher Tag da draußen«, hält sie dagegen. »Kaum zu glauben, dass wir bald September haben.«

Vergeblich. Dieser Mann ist ein begnadeter Griesgram. Nelly muss es wissen. Sie gibt ihre Steuererklärungen seit über zehn Jahren bei ihm ab. Bislang wortlos, aber heute dient der Kerl als ultimativer Crashtest für ihre gute Laune.

Wie heißen noch die Puppen, die man dafür benutzt? Egal, der Pförtner ist der Testwagen, der sie und ihre gute Laune mit zweihundertzwanzig Stundenkilometern gegen die Wand fahren soll. Versuchsweise. Und sie ist … Wie zum Teufel heißen die dämlichen Puppen? Ach ja, Dummies. Stopp!

Nelly legt eine gedankliche Vollbremsung hin. Dummies ist zwar Englisch und wird daher dammies gesprochen, klingt aber nach Idiotin. Und nein, das ist sie nicht! Nicht mehr, nie mehr. Besser sie nennt das Ganze eine Generalprobe. Genau! Ihre gute Laune muss bombenfest sitzen, bevor sie nachher auf Ricarda trifft. Ricarda ist seit Schultagen ihre beste Freundin und hat bislang nur eine vage Ahnung von der dramatischen Wende in Nellys Seelenleben, das jahrelang emotionales Sperrgebiet war. Ricarda wird natürlich alles wissen und analysieren wollen. Dummerweise ist sie nämlich Psychologin. Werbepsychologin, um genau zu sein. Menschen wie ihr kann man nichts vormachen, und Ricarda ist eine der Besten, wenn es darum geht, Menschen unerfüllbare Träume und Teesorten mit Namen wie »Oase des inneren Friedens« oder »Glücksmomente der Liebe« anzudrehen.

»Mach dir nichts vor, Nelly, die Illusion von Glück im Aufgussbeutel schmeckt den meisten Menschen besser als das anstrengende Bemühen, selbst dafür zu sorgen. Der Tee ist nicht zufällig ein Renner bei Frauen jenseits der vierzig. Sogar du trinkst ihn literweise, während du heimlich irgendwelchen Unsinn über Bestellungen beim Universum liest.«

Papperlapapp! Nellys Glück hängt längst nicht mehr am Faden eines Teebeutels. Das Universum hat geliefert. Jawohl! Und zwar etwas weit Besseres als Teebeutel. Einen Keller voll spanischem Wein – nicht zum Trinken, sondern um darüber zu schreiben – und zwei Wochen Pamplona! Fürs Erste.

Ach, Pamplona!

Da wollte Nelly immer schon einmal hin, unter anderem, um ein Stück des Jakobswegs zu gehen. In Studententagen, um ein Abenteuer zu erleben, und kurz nach ihrer Scheidung, um in den Trümmern ihres Gefühlslebens nach einem verborgenen Bauplan und Sinn zu forschen und der Vergangenheit auf immer den Rücken zu kehren. Auf genau die Weise, die der legendäre Camino seit Jahrhunderten vorgibt: auf dem Hinweg immer dem Westen und damit dem Sonnenuntergang entgegen, um auf dem Rückweg der Sonne, dem Morgen und einer seelischen Wiedergeburt entgegenzulaufen.

Geklappt hat es mit dem Jakobsweg nie. Aber jetzt darf sie völlig unverhofft zumindest nach Pamplona. Außerdem hat sie jetzt eine Zukunft und muss sich nicht mehr mit Sinnfragen quälen. Wie aus dem Nichts ist die Vergangenheit vorbei und alles Schwere federleicht.

Zurück zur Generalprobe in Sachen gute Laune. Das Stück, das Nelly seit ein paar Wochen einstudiert – nein: in echt und in Farbe erlebt – hat den Titel Nellys wunderbare Reise ins Glück. Es ist eine aufregend neue Rolle für sie. Noch dazu eine Hauptrolle! Nelly will sie überzeugend geben, auch wenn die meisten Menschen und vor allem Ricarda das Ganze als Illusionskunst oder absurdes Theater bezeichnen würden – angesichts ihrer Finanzlage und dem, was man Lebenserfahrungen und Reife nennt.

Nun, die Finanzlage wird sich ab morgen entscheidend bessern, und alles andere auch. Zum Teufel mit der Lebenserfahrung! Man kann täglich neue sammeln. Auch der Pförtner.

»Sie Ärmster«, wendet Nelly sich entschlossen dem Mann im Glaskasten zu, der sie längst ins Land des Vergessens verabschiedet hat. Er behandelt sie, als sei sie so unsichtbar, wie sie sich in den letzten Jahren oft gefühlt hat. Damit ist endgültig Schluss. »Es muss schrecklich sein, bei so einem Sommerwetter in diesem Kabuff zu hocken.«

Das Gesicht des Mannes bleibt umwölkt. Ohne von der Zeitung aufzusehen, schubst er die Dokumentenschublade unter der Trennscheibe hervor. »Einfach reinlegen.«

Mich oder die Steuererklärung?, denkt Nelly. Sie sagt es aber nicht. Von Nelly, der Kratzbürste, hat sie sich dank Yoga und Meditation ebenfalls verabschiedet. Kurzes Ommm, dann versucht sie es weiter mit guter Laune, dem Wetter und positivem Denken: »Wenigstens sind die Abende noch recht lang, da hat man nach Feierabend noch etwas davon.«

»Für sechs Uhr ist Regen angesagt.« Als Miesepeter hat der Pförtner Routine.

»Unmöglich. Der Himmel ist von unendlichem Blau«, widerspricht Nelly tapfer. Gut, das klingt ein wenig zu lyrisch für den Alltagsgebrauch und erst recht für den Pförtner.

»Tatsächlich«, brummt er. Immerhin hebt er seinen Blick und lässt ihn zu den nikotingelben Gardinen wandern, die ihn wahrscheinlich an die glücklichen Zeiten vor dem Rauchverbot erinnern. Sie filtern das Licht der Augustsonne zu einem schmutzigen Grau. Demonstrativ vertieft er sich wieder in die balkendicke Zeitungsschlagzeile.

Es scheint sich um finstere Neuigkeiten zu handeln. Auf diese hat Nelly jedoch überhaupt keine Lust. Sie will nicht vom allgemeinen Jammer angesteckt werden. Trotzdem kneift Nelly die Augen zusammen und buchstabiert die auf dem Kopf stehenden Buchstaben: »TV-Star beschimpft ZDF-Traumschiff als Mumienschlepper und schwimmenden Rentnerknast.« Unterzeile: »Sind wir mit sechzig plus zu alt für Romantik und Glück?«

Dafür ist man nie zu alt, auch nicht mit vierzig plus, findet Nelly.

»Und das sagst ausgerechnet du?«, mischt sich Ricarda in ihre Gedanken. »Bist du nicht die Frau, der ich mal ein Jahresabo für Parship geschenkt habe, das sie nach drei Wochen entnervt gekündigt hat?«

»Da war kein Mann für mich bei.«

»Bei mehr als einer Million männlicher Teilnehmer auf Liebessuche ist keiner für dich dabei? Mein Gott, wie anspruchsvoll kann man noch sein?«

»Ich hasse es, wenn man Sehnsucht und Gefühle für Geschäfte missbraucht. Noch dazu im Internet. Ich bin nicht anspruchsvoll. Ich bin romantisch.«

»Ihr Romantiker seid eine verdammt grausame Spezies. Alle real existierenden Menschen sind in euren Augen minderbemittelte Trottel, die eurer Einzigartigkeit nicht würdig sind. Aber wenn dir das Internet nicht passt – warum versuchst du es dann nicht endlich mit der Realität und deinem Nachbarn? Der arme Ferdinand Fellmann sitzt seit drei Jahren regelmäßig auf deinem Sofa, um dir seine Liebe in tausendundeiner Variante zu verschweigen.«

»Ach der …« Fellmann ist so romantisch wie Rheumawäsche oder ihr jährlicher Rentenbescheid.

»Das ist kein Grund, den armen Kerl wie eine Nachttischlampe zu behandeln! Schön, dass es sie gibt, und wenn es mal ein bisschen düster in deinem Leben wird, knipst du sie an.«

»Ferdinand hat in meinem Schlafzimmer nicht einmal als Nachttischlampe etwas zu suchen.«

»Dann sag ihm das deutlich, und erlöse ihn von allem Übel und für den Rest der Frauenwelt. Ein Mann wie Ferdinand ist zu kostbar und zu selten, um als Dekomobiliar eines unbelehrbaren Frauenzimmers zu verstauben.«

Nelly unterdrückt einen Seufzer und flüchtet sich zurück in Gegenwart und Finanzamt. Gegen Ricarda gewinnt sie nicht einmal in ihrem eigenen Kopf ein Duell. Sie nestelt ihre Einkommensteuererklärung aus ihrer Aktentasche, wiegt den grässlich amtsbraunen C-4-Umschlag kurz in der Hand und fühlt Panik aufsteigen. Ihre uralte Ich-ende-arm-und-vereinsamt-unter-der-Brücke-Phobie. Ommm! Denk an Pamplona, Nelly, macht sie sich selbst Mut. Pamplona! Genau.

Denn jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben! Ach, Hesse. Und außerdem: Wo Not ist, wächst das Rettende auch … Hölderlin! Versonnen lächelnd schiebt sie den Umschlag in die Dokumentenschublade, als handele es sich um eine Gewinnbenachrichtigung und nicht um ihre vorläufige Bankrotterklärung.

Guter, alter Hölderlin, wunderbarer Hesse. So weise und heilsam. Überhaupt: Gedichte. Soll ich denn einen Sommertag dich nennen, dich, der an Herrlichkeit ihn überglänzt? Shakespeare – ein Gigant der Liebeslyrik. Warum nur hat sie nach dem Studium aufgehört, Gedichte zu lesen?

»Weil dein wahres Leben wenig mit Lyrik zu tun hatte, schon gar nicht in Sachen Liebe«, zerraspelt Ricardas Reibeisenstimme ihren Ausflug in die Dichtkunst. Ricarda besitzt keinen Sinn für die Poesie des Herzens und überdies den zersetzenden Charme von Salzsäure.

Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben, shananananana, summt es trotzig in Nelly. Es klingt ein bisschen wie Ricarda nach einer Flasche Prosecco. Das ist zwar nicht gerade Shakespeare und schon gar nicht Nellys Musikgeschmack, aber trotzdem irgendwie wahr. Vielleicht sollte sie Ricarda, wenn sie nachher wegen der Blumen und des Briefkastenschlüssels vorbeikommt, tatsächlich dieses Lied vorsingen, anstatt sich in die sinnlose Rechtfertigung ihrer genauen Reiseziele in Pamplona zu verstricken. Oder soll sie einfach behaupten, sie gehe...

Erscheint lt. Verlag 20.7.2012
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 20. - 21. Jahrhundert • Achtsamkeit • Arztroman • Bettina Haskamp • Beziehung • Beziehungsromane • Britt-Marie war hier • burgos • Camino • Deutschland • Dienstagsfrauen • Dora Held • Dora Heldt • Düsseldorf • Ellen Berg • Entwicklungsroman • Europa • Familie • Familienroman • Feel-Good-Roman • Fernbeziehung • Frauen • Frauenroman • Frauenromane • Freundschaft • Gefühl • Gefühle • Gegenwart • Gegenwartsliteratur • Geheimnis • Geheimnisvolle • Hape Kerkeling • humorvoll • ich bin dann mal weg • Jakobsweg • Jakobsweg erleben • Jakobsweg wandern • Kastilien und León • Kerkeling • Leidenschaft • Liebe • Liebe / Beziehung • Liebesgeschichte • Liebeskomödie • Liebesleben • Liebesroman • Liebesromane • Madrid • Nähe • Neuanfang • Nordrhein-Westfalen • Oma lässt grüßen und sagt es tut ihr leid • Pamplona • Pilgerfahrt • Pilgerführer • Pilgern • Pilgerroute • Renate Bergmann • Renter-Roman • Rentnerroman • Roadtrip • Romanhefte • Romantik • Romantische • Romanze • Ruhrgebiet • rüstige Rentner • Saga • Santiago • Scheidung • Schicksal • Seniorenroman • Senioren-Roman • skurril • Spanien • Spanien / Portugal • Tante Inge haut ab • Trauer • Trennung • Unterhaltsam • Unterhaltung • Urlaub • Wandern • Weihnachten • wohlfühlen • Wohlfühlroman • Zwischenmenschliche Beziehung
ISBN-10 3-8387-1552-7 / 3838715527
ISBN-13 978-3-8387-1552-0 / 9783838715520
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